Die Arbeit untersucht für das Jahr 2021 die unterschiedlichen Öffnungsmöglichkeiten von Musikclubs in den Bundesländern der BRD während der Corona-Pandemie. Musikclubs sind Orte, an denen Veranstalter regelmäßig ein ausgewähltes Livemusik-Programm präsentieren. Es wird die Frage beantwortet, ob die variierende Konzentration der Machtressourcen der organisierten Interessengruppe „Clubbetreiber:innen“ die Unterschiede verursacht hat. Ebenfalls wird untersucht, ob bestimmte Parteien die Interessen dieser Gruppe stärker vertreten als andere.
Zur Messung der Öffnungsmöglichkeiten wurden die Corona-Schutzverordnungen der Länder in einem ordinalskalierten Punktesystem bewertet und verglichen. In einer Einzelfallanalyse für den Stadtstaat Berlin wurde untersucht, ob die Handlungen und Forderungen der Interessengruppe oder ihre Vertreter:innen zu einer entsprechenden Politikformulierung geführt haben.
Die Untersuchung ergab, dass die Machtressourcen der Interessengruppe „Clubbetreiber:innen“ in Berlin stark ausgeprägt waren und sie die Auflagen für den Clubbetrieb beeinflusst haben. Dieses Ergebnis kann durch intervenierende Drittvariablen nicht auf andere Bundesländer übertragen werden. Es wurde kein Beleg dafür gefunden, dass bestimmte Parteien die Interessengruppe deutlich stärker repräsentieren.
Inhalt
1 Einleitung
2. Unterschiede in der Politik der Bundesländer: Die Behandlung von Clubs
2.1 Definitionen und theoretische Konzepte
2.1.1 Der Begriff „Club“
2.1.2 Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Kreativwirtschaft
2.1.3 Der Ansatz der Machtressourcen organisierter Interessengruppen
2.2 Methodik
2.2.1 Feststellung der Öffnungsmöglichkeiten in den Bundesländern
2.2.2 Analyse des Einflusses organsierter Interessen auf die Öffnungsoptionen von Clubs
2.3 Analyse
2.3.1 Analyse der Öffnungsoptionen für die Öffnung von Clubs und die Durchführung von Tanzlustbarkeiten
2.3.2 Einzelfallanalyse für das Bundesland Berlin
2.4 Diskussion der Analyse
3 Fazit
4. Literaturverzeichnis
Abstract
Die Arbeit untersucht für das Jahr 2021 die unterschiedlichen Öffnungsmöglichkeiten von Musikclubs in den Bundesländern der BRD während der Corona-Pandemie. Musikclubs sind Orte, an denen Veranstalter regelmäßig ein ausgewähltes Livemusik-Programm präsentieren. Es wird die Frage beantwortet, ob die variierende Konzentration der Machtressourcen der organisierten Interessengruppe „Clubbetreiber:innen“ die Unterschiede verursacht hat. Ebenfalls wird untersucht, ob bestimmte Parteien die Interessen dieser Gruppe stärker vertreten als andere. Zur Messung der Öffnungsmöglichkeiten wurden die Corona-Schutzverordnungen der Länder in einem ordinalskalierten Punktesystem bewertet und verglichen. In einer Einzelfallanalyse für den Stadtstaat Berlin wurde untersucht, ob die Handlungen und Forderungen der Interessengruppe oder ihre Vertreter:innen zu einer entsprechenden Politikformulierung geführt haben. Die Untersuchung ergab, dass die Machtressourcen der Interessengruppe „Clubbetreiber:innen“ in Berlin stark ausgeprägt waren und sie die Auflagen für den Clubbetrieb beeinflusst haben. Dieses Ergebnis kann durch intervenierende Drittvariablen nicht auf andere Bundesländer übertragen werden. Es wurde kein Beleg dafür gefunden, dass bestimmte Parteien die Interessengruppe deutlich stärker repräsentieren.
1 Einleitung
Immer mehr alternative Clubs werden in Berlin durch aggressive Stadtplanung verdrängt. Unternehmer und Untergrund sind sich jedoch einig: Berlin braucht den subkulturellen Nährboden dringend - nicht zuletzt als Standort-Anreiz (Luetzow 14.07.2001).
Der Diskurs um die Verdrängung von Veranstaltungsorten, die ihrem Publikum das Erleben ausgewählter Musik ermöglichen (fortan „Clubs“ genannt), wird seit den 2000er Jahren in Teilen Deutschlands geführt. Das Phänomen wird als „Clubsterben“ bezeichnet. Der Grund für die Gefährdung von Diskotheken, Clubs und andere Livemusikstätten liegen in ihrer Einstufung in der Baunutzungsverordnung. Dort werden sie mit Spielhallen, Bordellen und ähnlichen Vergnügungsstätten gleichgesetzt. Dies gefährdet die Existenz dieser Orte, da Vergnügungsstätten nicht in allen Stadtgebieten betrieben werden dürfen, sie von den Bebauungsplänen ausgeschlossen sind und bei Auseinandersetzungen rechtlich im Nachteil sind. In diesen und vielen anderen Fällen sind sie häufig gezwungen entweder zu schließen oder sich vorgegebenen Bedingungen zu fügen. In der Vergangenheit kam es aus diesem Grund immer wieder zu Schließungen und wenigen Neueröffnungen. (vgl. Raiselis/Sachse 2020, 121).
Deshalb forderten die Parteien die Linke, Bündnis90/Die Grünen und die FDP bereits Ende des Jahres 2019 bzw. Anfang des Jahres 2020, Clubs als Kulturstätten anzuerkennen (vgl. BT- Drs. 19/14156; BT-Drs. 19/15121; BT-Drs. 19/16833). Am 04.05.2021 beschloss der zustände Ausschuss des Bundestages (BT) in einem fraktionsübergreifenden Antrag der Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, die Linke und den Bündnis90/Die Grünen, Clubs als Kulturstätten anzuerkennen und diese bei der Stadtentwicklung einzubeziehen. Diese Einstufung wurde von der LiveMusikKommission e.V. (kurz: LiveKomm), dem Bundesverband der Musikspielstätten in Deutschland, seit Jahren gefordert. Ein entsprechendes Gesetz dazu wurde bisher nicht entworfen (vgl. BT-Aussch-Drs. 19(24)171, 2; vgl. LiveMusikKommission e.V. 07.05.2021; vgl. BT-Aussch.-Drs. 19/24838).
Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, konnten Clubs in Deutschland lange Zeit kein Musik-und Tanzveranstaltungen durchführen, da die Infektionsgefahr zu hoch ist. In der Folge sehen viele Clubbetreiber:innen ihre Orte noch stärker bedroht (vgl. Küster 19.06.2021; Poulakos/Köhler 28.08.2021; Mühlbeyer 29.06.2021). Die Bundesregierung stellt seit März 2020, dem Beginn der pandemisches Lage in Deutschland, finanzielle Hilfen zur Verfügung. Da diese häufig nicht ausreichen, bevorzugten Clubbetreiber:innen die Schaffung von infektions-gesicherten Öffnungsperspektiven (vgl. Lina 30.05.2021).
Über das Jahr 2021 konnten Clubs in den Bundesländern zu verschiedenen Zeitpunkten und zu unterschiedlichen Auflagen Veranstaltungen durchführen (vgl. k.V. 2021b). Der Grund für die unterschiedlichen Öffnungsmöglichkeiten von Clubs in den Ländern ist unbekannt. Allerdings legt die Annahme nahe, dass organisierte Interessengruppen einen Einfluss auf die politische Behandlung von Clubs ausüben können, da die Bundestagsparteien die „Club“-Defini- tion der LiveKomm übernahmen. Um zu untersuchen, ob diese auch während des Jahres 2021 einen Einfluss auf Öffnungsauflagen der Clubs gehabt haben, lautet die Forschungsfrage:
Hat die Konzentration der Machtressourcen der Interessensgruppe „Clubbetreiber:innen“
einen Einfluss auf unterschiedlichen Öffnungsmöglichkeiten für Musikclubs in den Bundes-
ländern während des Jahres 2021?
Ausgehend von dieser Frage und der geschilderten Theorie werden die folgenden Hypothesen untersucht:
H1: Die Stärke der Machtressourcen der Interessensgruppe „Clubbetreiber:innen“ hatte im Jahr 2021 einen erheblichen Einfluss darauf wann und zu welchen Bedingungen der Clubbetrieb ermöglicht wird.
H2: Die politische Repräsentation der Interessensgruppe der Clubbetreiber:innen ist abhängig von der Stärke und der Regierungsbeteiligung bestimmter Parteien in den Länderparlamenten.
Zunächst wird dafür der Begriff des Clubs für die vorliegende Arbeit definiert und zweitens die wechselseitigen Auswirkungen von der Corona-Pandemie und des Clubbetriebes beschrieben. Drittens wird der Theorieansatz der Machtressourcen der organisierten Interessengruppen für die Arbeit vorgestellt. Es folgt der Methodenteil, der erläutert, wie die Clubpolitik in den einzelnen Ländern bewertet wird. Er beinhaltet ebenfalls die Systematik eines qualitativen Vergleichs dreier Bundesländer. Dieser wurde in der Arbeit aufgrund fehlenden Informationsmaterials nicht durchgeführt und stattdessen eine Einzelfallanalyse eines Bundeslandes durchgeführt. Daraufhin vergleicht der erste Teil der Analyse die Corona-Politik aller Bundesländer. Es folgt die Fallanalyse des Stadtstaats Berlin um zu analysieren, ob die Organisation von Interessengruppen und ihrer Machtressourcen in Berlin zu den gegebenen Öffnungsbedingungen für Clubs geführt haben. Die Ergebnisse werden im vorletzten Teil diskutiert um abschließend die Forschungsfrage zu beantworten.
2. Unterschiede in der Politik der Bundesländer: Die Behandlung von Clubs
2.1 Definitionen und theoretische Konzepte
2.1.1 Der Begriff „Club“
Gemäß der LiveKomm stellt eine „Live-Musikspielstätte (auch: Musikclub)“ einen Ort dar, der ein kuratiertes Musikprogramm aufweist und mindestens 24 Konzerte im Jahr veranstaltet. Als Konzerte sind Veranstaltungen definiert, auf denen Live-Musik gespielt wird oder überwiegend künstlerische DJs auftreten. Dem Musikprogramm wird dabei mindestens die gleiche Bedeutung zuteil wie anderen Programmpunkten. Der Ort soll es maximal 2000 Zuschauern gleichzeitig ermöglichen das Programm zu erleben und ist auf eine Fläche von 1000 m[2] begrenzt. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache spricht zudem von einem „[...] Veranstaltungsort für musikalische Darbietungen in intimen Rahmen“ (k.V. k.J.a). Die Live- Komm ergänzt, dass dort im geschützten Rahmen Musik gehört, dazu getanzt und sich ausgetauscht werden kann (vgl. Glückler/Sadoval Lopez 2019, 4-9; vgl. BT-Aussch-Drs. 19(24)171, 2-3).
Aufgrund der genauen Definition von Clubs durch die LiveKomm, dem Aufgreifen dieser in der forschungsrelevanten Literatur und dem Bezug der Bundestagsfraktionen auf diese wird für diese Arbeit der Begriff des Clubs definiert als Kulturstätte für die Durchführung von Veranstaltungen zum Erleben eines kuratierten Live-Musik-Programms mit der Möglichkeit zum Tanz und des Austausches im intimen Rahmen.
2.1.2 Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Kreativwirtschaft
Mit der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus in Deutschland gehörte die Schließung der Clubs mit zu den ersten beschlossenen Maßnahmen von Bund und Ländern, um die Pandemie einzudämmen (vgl. Bundesregierung 2020). Im Zeitraum vom 06.05.2020, als die Zahl der Neuinfizierten abnahm, bis zum 28.10.2020, als die Infektionszahlen erneut exponentiell zunahmen, lag die Entscheidung, einen Clubbetrieb zu ermöglichen, wieder bei den Ländern. Die sogenannte „Hotspot-Strategie“ der Bundesregierung, die am 16.07.2020 beschlossen wurde, sah zu bestimmten Infektionszahlen strengere Auflagen oder ein Verbot von Öffnungen für Club-Betriebe vor (vgl. Braun 2020, 5; vgl. Müller 2020). Dadurch war es den Betreiber:innen nicht möglich langfristig zu planen, da diese keinen Vor-Corona-Betrieb zuließen und dadurch häufig nur ein unwirtschaftlicher Betrieb ermöglicht wurde. Der Grund für die besonders starken Einschränkungen in diesem Bereich war vor allem auf das nachweislich hohe Infektionsrisiko zurückzuführen, das in den zumeist geschlossenen Räumen mit unzureichendem Frisch- luftaustausch und der Anwesenheit vieler Menschen besteht (vgl. k.V. 15.11.2021). Clubs inhärent ist zudem, dass das Einhalten von Abständen sowie das Tragen eines Mund-NasenSchutzes von Menschen unter dem Einfluss von Rauschmitteln nicht gewährleistet werden kann. Bund und Länder beschlossen zwar ein Programm für Überbrückungshilfen und weitere wirtschaftliche Hilfeleistungen, dennoch sehen viele Betreiber:innen ihre Orte in ihrer Existenz weiterhin bedroht (vgl. Mayer 19.02.2021). Die Gefährdung, die für Clubs so ohnehin schon bestand, wuchs dadurch weiter. Mit der schnellen Entwicklung von Impfstoffen und ihrer Ausgabe im Jahr 2021 und dem erneuten Abfall von Neuinfektionen erlaubten die Bundesländer im Sommer 2021 den Stätten ihre Arbeit regelmäßig zu besseren Auflagen wieder aufzunehmen, als noch im Jahr 2020 der Fall.
2.1.3 Der Ansatz der Machtressourcen organisierter Interessengruppen
Die unterschiedliche Corona-Politik der Bundesländer spiegelt sich auch in den ungleichen Möglichkeiten des Clubbetriebes wider. Die LiveKomm hat die Gründung des Parlamentarischen Forums „Nachtleben & Clubkultur“ initiiert, in jedem Bundesland existiert mindestens ein Sub-Verband und mit Drucksache (Drs.) 19/24838 wurde das Anliegen der LiveKomm, Clubs als Kulturstätten anzuerkennen, auch von politischen Parteien auf Bundesebene gefordert. Daher haben Interessensverbände auf die Öffnungsschritte in der Coronakrise möglicherweise ebenfalls einen großen Einfluss gehabt (vgl. BT-Aussch.-Drs. 19/24838; vgl. Live- MusikKommission e.V. 2020; vgl. k.V. k.J.b). Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit der Machtressourcen-Ansatz organisierter Interessen genutzt um zu untersuchen, ob die unterschiedliche Gestaltung der Regelungen gegenüber Clubs daher rühren, dass die Machtressourcen dieser Interessengruppen in den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt sind.
Der Machtressourcen-Ansatz sieht die Ursache der Politikformulierung in dem Ergebnis der Auseinandersetzung gesellschaftlicher Gruppen. Ursprünglich wurde die Theorie von Korpi entwickelt und geht davon aus, dass der Ausbau des Sozialstaats durch die Auseinandersetzung der Gruppen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber erklärt wird (vgl. Korpi 1983, 16). Der Staat ist dabei weder Akteur noch Instrument, sondern beeinflusst den Weg, wie Machtressourcen genutzt werden können und wird wiederum wechselseitig von der Benutzung ebendieser beeinflusst (vgl. Korpi 1983, 19).
Determinanten für die Machtressourcen einer Gruppe, und damit ihrer Möglichkeit die Politik zu beeinflussen, sind ihre außerparlamentarische Konfliktfähigkeit, ihr außerparlamentarischer Organisationsgrad sowie die politische Beteiligung bzw. Repräsentation der Gruppe (vgl. Korpi 1983, 17 und 39-41). Wichtige Indikatoren sind die politischen Ressourcen einer Partei, die die Interessen der Gruppe vertritt, und der außerparlamentarische Einfluss der Gruppe. Zu den politischen Ressourcen gehören unter anderem ihre Repräsentation im Parlament und ihre Beteiligung an der Regierung (vgl. Ebbinghaus 2015, 60). Ausschlaggebend für die Stärke außerparlamentarischer Ressourcen sind unter anderem die Anzahl der Verbände, die Anzahl ihrer Mitglieder aus der Gruppe und der Grad an Marktunabhängigkeit, der aussagt, wie stark wohlfahrtsstaatliche Leistungen von der Teilhabe am Wirtschaftsgeschehen im Staat abhängig sind (vgl. Schmidt/Ostheim 2007, 40; Esping-Andersen 1990, 22). Je stärker diese Machtressourcen einer Gruppe im Vergleich zur anderen Gruppe konzentriert sind, desto besser kann sie politischen Einfluss ausüben (vgl. Schmidt/Ostheim 2007, 40-43; vgl. Ebbinghaus 2015, 62). Die Kohärenz von regierenden Parteien und den dazugehörigen gesellschaftlichen Interessengruppen resultiert in einer entsprechenden Politik (vgl. Alvarez et al. 1991, 551-552).
In dem zu untersuchenden Fall steht die Gruppe der Clubbetreiber:innen, die ihre Arbeit wiederaufnehmen wollen, dem Interesse der Länder gegenüber: Ihre Aufgabe Corona-Krisenpo- litik ist es, die Bevölkerung und das Gesundheitssystem zu schützen und gleichzeitig Öffnungsschritte zu beschließen, um Grundrechte der Bürger:innen nicht zu verletzen und um die negativen wirtschaftlichen Folgen eindämmen.
Da es sich bei dieser Pandemie um ein junges Phänomen handelt ist bisher wenig darüber bekannt inwiefern organisierte Interessen die Logik und zeitliche Abfolge von Öffnungsschritten beeinflussen.
Hennig untersuchte 2020 die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei den Lockerungsschritten nach der Schließung der polnisch-deutschen Grenze zu Beginn der Corona-Pandemie, indem sie die mediale Berichterstattung analysierte (vgl. Hennig 2021, 5860). Das verschärfte polnische Grenzregime, welches im März 2020 beschlossen wurde, führte für Pendler aus Deutschland und Polen zu Ein- und Ausreiseproblemen. Nachdem eine politische Annäherung ausblieb organisierten Personennetzwerke und NGOs Proteste gegen die Aus- und Einreisebeschränkungen. Die Zusammenarbeit dieser Akteure mit den Landesregierungen in Deutschland und den lokalen Regierungen in Polen hatte zum Ergebnis, dass die polnische Landesregierung das Grenzregime im Mai lockerte und die Quarantänebestimmung für alle Pendler aufhob (vgl. Hennig 2021, 5863-5868). Dies stellt beispielhaft dar welchen Einfluss zivile Akteure auf die Lockerungen staatlicher Schutzmaßnahmen während der Corona-Krise haben können.
Diese Arbeit untersucht, welchen Effekt die Interessensorganisation eines Wirtschafts- und Kulturzweiges, deren Betriebsöffnungen eine potenziell hohe epidemiologische Gefahr darstellen, auf die Abfolge und den Umfang der Öffnungsschritte in Deutschland hat.
2.2 Methodik
2.2.1 Feststellung der Öffnungsmöglichkeiten in den Bundesländern
Um einen Überblick über das Feld der unterschiedlichen Öffnungspolitiken gegenüber Clubs zu erhalten wird zunächst für alle Bundesländer bewertet, zu welcher Qualität sie die Öffnung von Clubs und die Durchführung von Tanzveranstaltungen erlaubt haben.
Dafür werden zunächst die Corona-Schutzverordnungen der Landesregierungen bezüglich ihrer Regelungen für Clubs analysiert (vgl. Anhang III für die Übersicht der Verordnungen). Dies dient dazu, einen Überblick zu erstellen, welche Auflagen und Restriktionen für Clubs in Deutschland gelten können. Maßgeblich dafür, dass die Regelungen für Veranstaltungen und Clubs aufgenommen werden, ist die Frage, ob Veranstaltungen mit der Möglichkeit zum Tanz (Tanzlustbarkeiten) erlaubt sind und Einrichtungen wie Clubs und Diskotheken der Betrieb nicht untersagt ist. Begründet ist dies in der aufgestellten Definition, dass Clubs und Diskotheken im Allgemeinen einen Ort darstellen, an dem getanzt werden kann. Zweitens werden die gesamten für den Clubbetrieb relevanten Regelungen zu Items zusammengefasst um die Bedingungen für den Betrieb in den Bundesländern abbilden zu können. Ebenso wird das Gültigkeitsdatum der Verordnungen aufgenommen, um zu erfassen in welchem Zeitraum die Regelungen gültig waren. Drittens gilt es, die Ausprägung der Items zu erfassen. Dies geschieht in einem ordinalskalierten Punktesystem, welches die Zustände für die volle, teilweise oder nicht vorhandene Einschränkung durch eine Auflage abbildet und bewertet. Je weniger einschränkend eine Maßnahme ist, desto besser wird die Öffnungsmöglichkeit bewertet (2 Punkte). Eine starke Einschränkung durch ein Auflage bedeutet null Punkte, da die Öffnung einer Kulturstätte unter sehr strengen Bedingungen, selbst wenn eine Öffnung prinzipiell möglich ist, für viele Betreiber:innen aus finanziellen oder ideellen Gründen unattraktiv ist (0 Punkte). Die Gesamtsumme der Punkte der Items (siehe Tabelle 1) wird addiert. Die Gesamtpunktzahl drückt die Qualität aus, zu der Clubs unter diesen Bedingungen öffnen können und wird über den Zeitraum (in Tagen) ihrer Gültigkeit multipliziert, um am Ende eine Aussage darüber treffen zu können, wie Clubs im Zeitraum 01.01.2021 bis 10.10.2021 öffnen konnten. Im Anhang ist für jedes Item dargelegt, unter welchen Voraussetzungen die jeweilige Ausprägung gilt. Um im Zeitverlauf sehen zu können, wie sehr sich die Optionen für die Veranstaltungsbetriebe verändert haben, wird dies im Zeitraum 01.05.2021 bis 10.10.2021 im ersten Analyseteil durch ein Liniendiagramm dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1. Item- und Ausprägungsbezeichnungen.
2.2.2 Analyse des Einflusses organsierter Interessen auf die Öffnungsoptionen von Clubs
Nachdem im ersten Analyse-Teil herausgestellt wird, welche Optionen zur Aufnahme des Clubbetriebs durch die Bundesländer geboten werden, folgt zunächst eine Beschreibung der Öffnungsbedingungen in den Ländern. Daraufhin werden drei Bundesländer zur Analyse ausgewählt. Bedingung für die Fallauswahl ist die Unterschiedlichkeit der abhängigen Variable, um einen möglichst differenzierten Vergleich darüber herzustellen, ob die verschieden ausgeprägte Konzentration von Machtressourcen der Interessensgruppen einen Einfluss auf die Öffnungsoptionen hatte. Für die drei Fälle wird qualitativ untersucht, ob in den Bundesländern Verbände, die Clubbetreiber:innen selbst, Parteien oder Politiker:innen die Öffnungspolitik dahingehend beeinflusst haben, dass für Livemusikclubs bessere Bedingungen zur Öffnung bestanden. Dies geschieht durch die Analyse von Berichten und Pressemeldungen von Lobbyverbänden, medialer Berichterstattung zur Interessenvertretung der Clubs durch Vereinigungen oder Parteien, Plenarprotokollen (PlP), Parlamentsdrucksachen und Studien über die Mitgliedschaften von Musikspielstätten in Verbänden.
Die beschriebenen Dokumente werden zeitlich eingeordnet und auf den inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang hin untersucht. Gehen Handlungen der Interessengruppe oder ihrer Vertretenden zeitlich mit einem geforderten Öffnungsschritt einher, wird dies als Indiz dafür gewertet, dass eine Beeinflussung durch sie vorliegt. Analog gilt, dass wenn diese Ereignisse kein politisches Echo, gemessen durch die Qualität der Auflagen, auslösen, von einer niedrigen Machtressourcen-Konzentration ausgegangen werden kann. Debatten in den Länderparlamenten werden als Indikator für stärker ausgeprägte politische Machtressourcen der Gruppe angesehen, jedoch nur als hinreichend stark bewertet wenn die Aussprachen auch zu einer entsprechenden Politikformulierung führen. Belege sind auch ein hohe Zahl an Verbänden und ein großer Anteil von Kulturstätten, die sich in diesen organisieren, der Anteil der Club-Umsätze am Bruttoinlandsprodukt.
Durch wenige Informationen, die durch die Verbände bereitgestellt werden, sparsamer Berichterstattungslage über konkrete politische Arbeit von Verbänden für Clubs und der Abwesenheit von Diskussionen über die Öffnungen der Clubs in den Landesparlamenten, findet das Thema, inwiefern Clubs öffnen dürfen, kaum Beachtung in Deutschland. Die Studienlage zu dem Thema ist gering und befasst sich maximal auf Bundesebene mit Livemusikstätten und ihren Verbänden. Daher kann nicht, wie zunächst geplant, ein umfassender Vergleich dreier Bundesländer durchgeführt werden. Stattdessen soll eine Einzelfallanalyse für das Bundesland durchgeführt geben, zu dem es am meisten Informationen gibt und dessen Politikformulierung gegenüber Clubs besonders gut oder markant ist, um im Zeitablauf zu untersuchen, ob die Ausübung von Macht durch die Clubbetreibenden und ihre Vertreter:innen eine Veränderung bewirkt haben.
Im Folgenden wird daher im ersten Analyseteil dargestellt, wie die abhängige Variable in den Bundesländern ausgeprägt ist und anschließend der Stadtstaat Berlin für eine Einzelfallanalyse ausgewählt, da die Clubpolitik entgegen der Erwartung hinten anderen Bundesländern zurückbleibt, obwohl es ein starker Wirtschaftsfaktor im Land ist. Ebenfalls sind für Berlin viele Materialien verfügbar, die eine Analyse erlauben.
2.3 Analyse
2.3.1 Analyse der Öffnungsoptionen für die Öffnung von Clubs und die Durchführung von Tanzlustbarkeiten
Nach der Analyse der Corona-Verordnungen (vgl. Anhang 2 für eine Übersicht über die Einschränkungen im angegebenen Zeitraum) ergeben sich für die Bundesländer, wie in Tabelle 2 zu sehen, die Gesamtpunkte ihrer Auflagen. Auffällig an den vergebenen Punkten ist insbesondere das gute Abschneiden der östlichen Bundesländer, mit Ausnahme von Berlin, die alle über dem Median von 1273,5 Punkten liegen und zusammen mit Nordrhein-Westfalen (NRW) die ersten sechs Ränge belegen.
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