Einsatz und Auswirkungen von KI-Applikationen in der Altenpflege in der Volksrepublik China
Zusammenfassung
Zu Beginn der Arbeit werden die Veränderungen der chinesischen Gesellschaft beschrieben, um das inhaltliche Fundament der nachfolgenden Kapitel zu legen. Im dritten Teil werden Einsatzmöglichkeiten von KI-Robotertechnik in der Altenpflege aufgezeigt sowie im vierten Kapitel grundsätzliche Fragen der Ethik in Bezug auf die Pflege von Senioren durch KI beleuchtet. In den letzten beiden Kapiteln erfolgt eine kritische Betrachtung der Limitationen dieser Arbeit sowie im Anschluss ein Gesamtfazit der Ergebnisse der vorausgegangenen Kapitel.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Veränderungen der chinesischen Gesellschaft
2.1 Demographische Entwicklungen
2.2 Übergang der familiären Pflege zu neuen Strukturen
3 Einsatzfelder von KI und heutiger Stand der Technik
4 Ethische Betrachtung
5 Kritische Würdigung
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Demographischer Wandel in China, 1950-2050
1 Einleitung
“Elderly people really want to connect with other people and I think giving them primitive, fake, inanimate and non-emotional robots to interact with is a cruel thing that we should not do as human beings.”, lautete die Antwort des chinesischen Experte Kai-Fu Lee auf die Frage nach dem Einsatz von Technologie in der Altenpflege, die vielerorts diskutiert wird (Channel News Asia, 2019). Künstliche Intelligenz (KI) zum heutigen Stand beeinflusst bereits weite Teile der Zivilgesellschaft. Sogenannte Pflegeroboter übernehmen mit Hilfe von selbstoptimierenden Algorithmen Aufgaben und Abläufe zur Entlastung von Senioren.
Über den ganzen Globus verteilt entstehen Ideen und Konzepte, auch den Herausforderungen alternder Bevölkerungen durch technische Innovation Herr zu werden. Die Volksrepublik China, welche in den letzten Jahrzehnten einen rasanten und nie da gewesen Sprung vom Agrarstaat zu einer maturierten Industrienation vollzogen hat, unternimmt besondere Anstrengungen, um technologische Antworten auf die aktuellen und zukünftigen Probleme des demographischen Wandels zu finden.
Daher wird diese Arbeit einen Versuch zur Klärung folgender Kernfragen unternehmen:
- Welche Anwendungsfälle von KI-Applikationen gibt es zum heutigen Zeitpunkt und welche Lösungen dafür entstehen in der Volksrepublik China?
- Welche ethischen Fragestellungen ergeben sich aus dieser Technologie?
Zu Beginn der Arbeit werden die Veränderungen der chinesischen Gesellschaft beschrieben, um das inhaltliche Fundament der nachfolgenden Kapitel zu legen. Im dritten Teil werden Einsatzmöglichkeiten von KI-Robotertechnik in der Altenpflege aufgezeigt sowie im vierten Kapitel grundsätzliche Fragen der Ethik in Bezug auf die Pflege von Senioren durch KI beleuchtet. In den letzten beiden Kapiteln erfolgt eine kritische Betrachtung der Limitationen dieser Arbeit sowie im Anschluss ein Gesamtfazit der Ergebnisse der vorausgegangenen Kapitel.
2 Veränderungen der chinesischen Gesellschaft
Das folgende Kapitel soll grundlegend in die demographische Veränderung und die Altenpflege der Volksrepublik China einführen, die bedeutsamen Parameter der Transformation bereitstellen und die daraus resultierenden Herausforderungen der Gesellschaft aufzeigen, um die Abhandlungen in den nachfolgenden Abschnitten dieser Arbeit besser greifbar zu machen.
2.1 Demographische Entwicklungen
Die Bevölkerung und Gesellschaft Chinas sieht sich mit einem gravierenden Alterungsprozess konfrontiert. Im Zuge der zunehmenden Industrialisierung und Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu einer der bedeutenden Wirtschaftskräfte des Planeten erreichen das Reich der Mitte die Herausforderungen einer Verschiebung der Demographie. Der starke Trend ist ein Ergebnis der signifikant gesunkenen Sterberate in jungen Jahren sowie der abnehmenden Geburtenraten. Die Sterberate zwischen den Jahren 1950 und 2015 sank von 22,2 auf 7,2 je 10.000 Einwohnern der Volksrepublik, die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt erhöhte sich dabei von 44,6 Jahre auf 75,3 Jahre. Die UN erwartet einen Anstieg auf etwa 80 Jahre in 2050. In den besagten 65 Jahren ist eine Abnahme der Geburtenrate pro Frau von 6,11 auf 1,66 zu verzeichnen (WHO, 2015). Diese Entwicklung sind plakativ in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Demographischer Wandel in China, 1950-2050 (WHO, 2015).
Das Tempo der Alterung ist im Vergleich zu den Bevölkerungen anderer Länder besonders hoch. Die WHO prognostiziert, dass der Anteil der über 60-jährigen sich in den nächsten 25 Jahren verdoppeln wird. Von 12,4% im Jahr 2010 auf 28% in 2040. Dies entspräche 402 Millionen (Mio) Menschen. Davon sind im Jahr 2013 etwa 22,6 Mio Menschen über 80 Jahre, 2050 über 90 Mio (WHO, 2015). Das National Bureau of Statistics of China und die UN erwarten 2040 sogar einen Anteil von mehr als 30% der über 60-jährigen an der Bevölkerung (United Nations, 2017).
Studien der WHO zeigen außerdem auf, dass die Mehrheit der über 60-jährigen in ländlichen Gebieten lebt. In den großen Metropolen wie Beijing oder Shanghai macht diese Gruppe heute nur knapp 10% der Bevölkerung aus. Vor allem in infrastrukturell weniger erschlossenen Gebieten kann oftmals kein ausreichender Zugang zu medizinischer Versorgung und Pflege garantiert werden (WHO, 2015).
2.2 Übergang der familiären Pflege zu neuen Strukturen
Ebenso erlebt die Volksrepublik einen Wandel der Gesellschaft hinsichtlich der Familienstrukturen. Die Urbanisierung und der vermehrte Anteil von Frauen im Arbeitsmarkt sind entscheidende Treiber dafür, dass junge Menschen aus den ländlichen Gebieten in Großstädte abwandern, des Weiteren technologische Entwicklungen sowie der Zugang zu Bildung. Über Jahrhunderte ist die Familie im chinesischen Selbstverständnis stets Anker der Pflege und sozialen Absicherung gewesen. Häufig teilten sich dabei bis zu drei Generationen Wohnraum und Einkommen. Darin begründet sich der traditionell hohe Stellenwert der älteren Menschen in der Gesellschaft (WHO, 2015).
Bereits heute ist das Ergebnis der Veränderungen, dass deutlich seltener jüngere und ältere Generationen, aufgrund des Anspruchs an Privatsphäre, beruflicher Ambitionen sowie des Wunschs, sich nicht langfristig von der Pflege der Älteren abhängig zu machen, in der traditionellen Form zusammenleben. Eltern können sich daher nicht mehr darauf verlassen, dass die arbeitende nachfolgende Generation finanzielle wie körperliche Unterstützung bereitstellt. Dies zieht oft Vereinsamung und soziale Isolation der zurückbleibenden Eltern nach sich (WHO, 2015). Selbst für solche Familien, welche in geographischer Nähe zueinander leben, ergibt sich durch die Ein-Kind-Politik das sogenannte „4:2:1-Problem“, wonach eine junge Person für zwei Eltern sowie vier Großeltern verantwortlich ist (China Business Review, 2012).
Im modernen China sind 90% der Senioren auf die Unterstützung der Familie angewiesen, bereits 7% auf kommunale Pflegedienste und 3% auf stationäre Pflegeheime. Ende des Jahres 2018 verfügte die Volksrepublik nur über 29.800 Altenpflegeeinrichtungen mit etwa 4 Mio. Betten. Bei konstanten Prozentzahlen ergibt dies im Jahr 2025 bereits eine Nachfrage von über 9 Mio Betten. Im Jahr 2030 benötigen 59 Mio Senioren einen kommunalen, mobilen Pflegedienst zu Hause (China Daily, 2019). Die Nachfrage nach Pflegekräfte für die ausreichende Versorgung der alternden Bevölkerung wird also signifikant ansteigen. Auch in China wird es immer schwieriger, ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte für diese Aufgaben zu gewinnen (South China Morning Post, 2019).
Die bevorstehenden Herausforderungen erfordern Maßnahmen, um zukünftigen Pflegeengpässen zu begegnen. Das derzeitige System wird größtenteils vom Markt mit geringen Regularien bestimmt, wodurch eine gesundheitliche Ungleichheit für ältere Chinesen verschärft wird (WHO, 2015).
Neben regulatorischen Maßnahmen kann neue Technologie in Form von selbstoptimierender KI Abhilfe schaffen. Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit Einsatzfeldern und dem aktuellen Stand der Technik.
3 Einsatzfelder von KI und heutiger Stand der Technik
Im Bereich der Pflege sind vielzählige Einsatzfelder für KI denkbar. Ein häufig verwendeter Terminus der wissenschaftlichen Literatur und Medienberichterstattung ist der des Pflegeroboters. Sogenannte Pflegeroboter vereinen eine Vielzahl verschiedener Applikationen für die Interaktion mit älteren Menschen. Im Allgemeinen kann dieser Begriff des in solche Anwendungen unterteilt werden, die physische Hilfestellungen bieten, die den Patienten soziale Gesellschaft leisten und solche, die Gesundheit oder Sicherheit überwachen. Einige entwickelte Roboter decken mehrere dieser Kategorien ab, wodurch klare Trennlinien in der Forschung und Praxis oft verschwimmen (COMEST, 2017).
Die Umgebung einer stationären Pflegeeinrichtung oder auch der Einsatz von mobilen Anwendungen im Haus der Senioren weist eine enorme Komplexität und Variantenvielfalt auf. Im nachfolgenden wird diese Arbeit den Begriff des Roboters als Synonym für die geschilderten Applikationen verwenden.
Grundlegend für den Einsatz ist die Fortbewegung innerhalb einer geschlossenen Umgebung, etwa im Haus oder Pflegeheim. Zunächst muss der Roboter den Grundriss der Umgebung kennen, um von einem Ort zum andren zu gelangen. Dabei müssen räumliche Hindernisse wie unregelmäßige Oberflächen oder Höhenunterschiede mit Hilfe von Sensoren erkannt werden (Bouwhuis, 2016).
Die Interaktion mit dem Patienten erfordert visuelle Erkennung, da die KI den Nutzer unter leblosen Objekten und anderen Personen erkennen muss. In diesem Zuge ist auch Spracherkennung und audiovisuelle Erkennung von Bedeutung. Das Sprachverständnis und die klare, verständliche Sprachausgabe sind ebenfalls wichtig. Zum aktuellen Stand können diese Roboter noch keine langfristigen, sinnvollen Gespräche führen. Die ad-hoc Verarbeitung von komplexen, unvorhersehbaren, realitätsnahen verbalen Austauschen ist noch eine Schwierigkeit (Bouwhuis, 2016). Die Gestensteuerung basiert auf Basis neuronaler Netzwerke, unter Verwendung von Algorithmen, die zumeist Silhouetten von älteren Menschen mittels Videosensor extrahieren. Der Nachteil dabei ist jedoch, die Variation im Hintergrund des Betrachtungsfeldes, die sehr unterschiedlich sein kann und zu fehlerhaften Silhouetten führt und somit falschen Ergebnissen führt (Saha et. al, 2013.
KI-basierte Systeme können neben der Umgebung auch den Körper der Personen überwachen. Abbildbare Aufgaben sind etwa die Messung der Temperatur, Nah- rungs- und Getränkeaufnahme und körperliche Aktivitäten wie Gehen. Des Weiteren können Gerüche durch Sensoren überprüft werden, beispielsweise Urin (Bouwhuis, 2016).
Weitere unterstützende Aktivitäten wie Wäschewaschen oder die Zubereitung von Mahlzeiten sind nach aktuellem Stand der Technik noch in weiter Ferne. Das Maß an Unvorhersehbarkeit sowie die Komplexität der Bewegungsabläufe überfordert heutige KI-Applikationen noch (Bouwhuis, 2016). Ein Problemfeld ist außerdem die Konnektivität mit dem Internet. Besonders in ländlichen Gebieten ist die Internetverbindung nicht immer ausreichend sichergestellt. Die KI muss jedoch online sein, um voll funktionsfähig agieren zu können und unerwartete Situationen zu meistern, die über die bisherige Datenbank hinausgehen. Fehlende Konnektivität führt somit zur unzureichender Behandlung der Patienten. Die KI verbessert sich bei zunehmender Anzahl von Gesprächen. Über die Verhaltensweisen und Handlungsmuster junger Benutzer liegen bereits für viele Anwendungsfälle von KI umfassende Nutzungsdaten vor. Die Datengrundlage für ältere Menschen ist aktuell deutlich geringer, was Entwickler vor weitere Herausforderungen stellt, da Datenbanken grundlegend erarbeitet werden müssen. Dies benötigt Zeit und finanzielle Mittel (Quartz, 2019).
In der Volksrepublik China werden Konzepte entsprechend der erläuterten Anwendungsfälle getestet. Eine Firma, die den Seniorenmarkt erschließen möchte, ist AvatarMind. Das Produkt für den Massenmarkt nennt sich iPal und ist ein berührungsund sprachgesteuerter Android. Er kann aktuell rudimentäre Konversation betreiben. Neben der Sprachausgabe können Operngesang, Erinnerungen zur Einnahme von Medizin oder der Wetterbericht abgespielt werden. Die Einsamkeit der älteren Menschen soll außerdem minimiert werden, indem der Roboter Live-Videos mit der entfernten Familie austauschen kann. Weitere Funktionen sind Temperatur-, Geruchs- und Bewegungsüberwachung der Patienten. Gesichtserkennung durch neuronale Netze ist für die Kommunikation und Steuerung von großer Wichtigkeit (China Daily, 2018).
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