Die vorliegende Arbeit nimmt diese Aussage ernst und stellt sich zur Aufgabe, im bescheidenen Sinne die Funktion reformatorischer Kirchenlieder für die Institutionalisierung der neuen, also lutherischen Kirche im 16. Jahrhundert zu untersuchen. Hierfür wird sich an der soziologischen Begriffsdefinition "Institutionalisierung" nach Berger und Luckmann aus Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit orientiert. Der Analyseschwerpunkt liegt auf den Gesangbuchvorreden Luthers, die einen Einblick darin geben, welche Funktion Luther selbst in den Liedern und im Gesang gesehen hat. Es wird hiernach keinesfalls der Anspruch erhoben, den historischen Institutionalisierungsprozess der neuen Kirche zu ergründen. Vielmehr soll untersucht werden, inwiefern sich mithilfe der soziologischen Definition von "Institutionalisierung" die Erkenntnisse der Analyse der Gesangbuchvorreden interpretieren lassen.
Die Forschungsfrage lautet demnach wie folgt: Zeigen sich in den Gesangbuchvorreden Luthers Aspekte, die darauf hinweisen, dass den reformatorischen Liedern im Sinne der Definition nach Berger und Luckmann eine "institutionalisierende" Funktion zukommt? Um sich der Beantwortung dieser Fragestellung zu nähern, soll zunächst ein historischer Überblick über die Entwicklung des reformatorischen Gesangs bzw. über die Relevanz der reformatorischen Lieder illustriert werden. Dieser Überblick soll historisch in die Thematik einführen und die bedeutende Stellung des reformatorischen Liedes hervorheben. In einem nächsten Schritt werden Luthers zentrale reformatorische Einsichten zusammengefasst, um jene Einsichten für die darauffolgende Analyse fruchtbar zu machen. Diese ordnet sich chronologisch nach den Gesangbuchvorreden Luthers – beginnend mit der Vorrede des Wittenberger Gesangbuches von 1524. Im vierten Kapitel wird der Institutionalisierungsbegriff nach Berger und Luckmann herausgearbeitet. Mithilfe dieser Begriffsbestimmung sollen die Ergebnisse der Analyse im fünften Kapitel interpretiert werden. Des Weiteren soll das lutherische Lied Nun freut euch, lieben Christen g’mein exemplarisch behandelt werden. Den Abschluss dieser Arbeit soll ein Fazit bilden, welches die gewonnenen Erkenntnisse resümiert.
Inhalt
1. Einleitung ... 3
2. Die Reformation und ihre Lieder ... 4
3. Eine Analyse der Gesangbuchvorreden Luthers ... 6
3.1 Luthers reformatorische Einsichten ... 6
3.2 Die Vorrede des Wittenberger Gesangbuches ... 7
3.3 Die Vorrede zu der Sammlung der Begräbnislieder 1542 ... 8
3.4 Vorrhede auff alle gute Gesangbücher: D: M: L: ... 10
3.5 Die Vorrede zum Babstschen Gesangbuch 1545 ... 10
4. Institutionalisierung ... 11
5. Die Institution „Kirche“ und die institutionalisierende Funktion der Lieder ... 14
5.1 Nun freut euch, lieben Christen g’mein ... 16
6. Fazit ... 17
Literaturverzeichnis ... 19
1. Einleitung
Die im 16. Jahrhundert einsetzende Reformation und die damit verbundene Institutionalisierung der neuen Kirche gelten ohne Zweifel als markanter Umbruch in der Geschichte der westlichen Welt. Dieser Umbruch wurde von vielen Faktoren maßgeblich unterstützt bzw. begünstigt. Eine wichtige Funktion sieht Claussen in den Liedern der Reformation:
„Die Reformation war die erste große Liedbewegung der Neuzeit. Ihren epochalen Erfolg, die massenhafte Verbreitung ihrer Botschaft, verdankte sie nicht nur den neuartigen Predigten oder der Weltneuerfindung des Buchdrucks, sondern ebenso ihren Liedern.“ [1]
Lieder waren Claussen zufolge mit dafür verantwortlich,„dass eine neue Kirche entstehen konnte.“ [2] Die vorliegende Arbeit nimmt diese Aussage ernst und stellt sich zur Aufgabe, im bescheidenen Sinne die Funktion reformatorischer Kirchenlieder für die Institutionalisierung der neuen, also lutherischen [3] Kirche im 16. Jahrhundert zu untersuchen. Hierfür wird sich an der soziologischen Begriffsdefinition „Institutionalisierung“ nach Berger und Luckmann aus Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit orientiert. Der Analyseschwerpunkt liegt auf den Gesangbuchvorreden Luthers, die einen Einblick darin geben, welche Funktion Luther selbst in den Liedern und im Gesang gesehen hat. Es wird hiernach keinesfalls der Anspruch erhoben, den historischen Institutionalisierungsprozess der neuen Kirche zu ergründen. Vielmehr soll untersucht werden, inwiefern sich mithilfe der soziologischen Definition von „Institutionalisierung“ die Erkenntnisse der Analyse der Gesangbuchvorreden interpretieren lassen. Die Forschungsfrage lautet demnach wie folgt:
Zeigen sich in den Gesangbuchvorreden Luthers Aspekte, die darauf hinweisen, dass den reformatorischen Liedern im Sinne der Definition nach Berger und Luckmann eine „institutionalisierende“ Funktion zukommt?
Um sich der Beantwortung dieser Fragestellung zu nähern, soll zunächst ein historischer Überblick über die Entwicklung des reformatorischen Gesangs bzw. über die Relevanz der reformatorischen Lieder illustriert werden. Dieser Überblick soll historisch in die Thematik einführen und die bedeutende Stellung des reformatorischen Liedes hervorheben. In einem nächsten Schritt werden Luthers zentrale reformatorische Einsichten zusammengefasst, um jene Einsichten für die darauffolgende Analyse fruchtbar zu machen. Diese ordnet sich chronologisch nach den Gesangbuchvorreden Luthers – beginnend mit der Vorrede des Wittenberger Gesangbuches von 1524. Im vierten Kapitel wird der Institutionalisierungsbegriff nach Berger und Luckmann herausgearbeitet. Mithilfe dieser Begriffsbestimmung sollen die Ergebnisse der Analyse im fünften Kapitel interpretiert werden. Des Weiteren soll das lutherische Lied Nun freut euch, lieben Christen g’mein exemplarisch behandelt werden. Den Abschluss dieser Arbeit soll ein Fazit bilden, welches die gewonnenen Erkenntnisse resümiert.
2. Die Reformation und ihre Lieder
Wie bereits in der Einleitung vorweggenommen wurde, ist die Reformation zugleich eine neue Liedbewegung, welche die konventionelle Kirchenmusik markant geprägt hat. In der mittelalterlichen Kirche war der sogenannte gregorianische Choral während der Messe die übliche Form des Kirchengesangs. Claussen definiert diesen wie folgt: „Der gregorianische Choral ist […] der einstimmige, nicht von Instrumenten begleitete Vortrag eines biblischen Textes im Gottesdienst.“ [4] Nach heutigem Verständnis sei der gregorianische Choral keine Musik, sondern „klingendes Wort“. [5] Diesen Choral, der in lateinischer Sprache formuliert war, trugen der Priester, Priester- oder Knabenchöre vor. Die Gemeinde war demzufolge nicht hieran beteiligt, „[d]enn die Messe war eben eine Angelegenheit des Priesters, der die Gemeinde zuhörend und betrachtend beiwohnen durfte.“ [6]
Mit der Reformation änderte sich diese Konvention in vielen Kirchen: Das Gemeindelied wurde als ein zentrales Element des Gottesdienstes eingeführt. Luther wollte vor allem das grundlegende Verständnis des Gottesdienstes verändern. Während zuvor der Priester als alleiniger Mittelpunkt der Messe fungierte und der Fokus auf dem Opferkult, also der Eucharistie lag, sollte nun die gesamte Gemeinde mit eingebunden werden. Sowohl die Gemeinschaft als auch der Glaube des Einzelnen sollten im Gottesdienst gestärkt werden. Dies geschah mit der Aufwertung der Predigt – die Predigt wurde zum Zentrum des Gottesdienstes erhoben – und der Einführung des Gemeindegesangs. Dieser neu eingeführte Gesang machte den Gottesdienst populärer; dies lag nicht zuletzt auch daran, dass das geistliche Volkslied mit aufgenommen wurde. Es wurden nun volkssprachliche Verse mit „eingängigeren“ und „emotional lebendigeren“ Melodien gesungen. [7] Claussen hält fest: „Endlich konnte sich das Volk in der Kirche mit den eigenen musikalischen und sprachlichen Mitteln ausdrücken. Es eignete sich den eigenen Glauben nicht nur durch das Hören der Predigt an, sondern auch durch das eigene Singen.“ [8] Freilich mussten diese Gesänge erst eingeübt werden, da es für die Kirchgänger völlig ungewohnt war, am Gesang zu partizipieren. Dies geschah in der Anfangsphase mithilfe von anleitenden Kantoren und subsidiären Chören, welche die Lieder vorsangen, die dann wiederum von der Gemeinde nachgesungen wurden.[9]
[...]
[1] Johann Hinrich Claussen:Gottes Klänge – eine Geschichte der Kirchenmusik. München: 2014, S. 73.
[2] Ebd.
[3] Damit soll unterstrichen werden, dass sich diese Arbeit auf die Reformation in Deutschland bezieht, da entscheidende Unterschiede zwischen den Reformationen in Deutschland und anderen Ländern bestehen.
[4] Johann Hinrich Claussen: Gottes Klänge – eine Geschichte der Kirchenmusik. S. 62.
[5] Vgl. ebd.
[6] Ebd., S. 91.
[7] Vgl. Johann Hinrich Claussen: Gottes Klänge – eine Geschichte der Kirchenmusik. S. 90-93.
[8] Ebd., S. 92.
[9] Vgl. ebd., S. 93-95.