Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die Wahrnehmung des Islams in Deutschland auf Basis von geschichtlichen Ereignissen und Studien zu geben und den Rechtspopulismus in seiner Gestalt und Strategie als Hemmnis für eine multiplurale Gesellschaft zu analysieren.
Im ersten Schritt wird die Historie des Islams in Deutschland kurz skizziert und anschließend die Studienlandschaft zu Positionen gegenüber dem Islam analysiert. Das nächste Kapitel beleuchtet den Rechtspopulismus in seiner Gestaltung und Strategie. Ebenso wird ein genauer Blick auf die Frage nach Religion in diesem Kontext und die Medien- und Genderproblematik geworfen. Daraufhin werden im nächsten Kapitel mögliche Lösungsansätze erläutert, die das Zusammenleben erleichtern und verbessern. Abschließend gibt es in einem Fazit eine Zusammenfassung und einen Ausblick auf weitere Forschungsfelder.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Islam und Deutschland
2.1 Geschichtliche Skizzierung
2.2 Studienübersicht zur Wahrnehmung des Islam
3. Der Rechtspopulismus in Deutschland
3.1 Rechtspopulistische Strategien
3.2 Religion und Rechtspopulismus
3.3 Medien- und Genderproblematik
4. Lösungsansätze
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Was glaubt ihr denn. Wer wir sind. Was wir glauben. Was glaubt ihr denn. Wer wir sind. Wo wir wohnen. Wo wir schlafen. Wo wir arbeiten. Wo wir beten. Wo wir uns zeigen. Wo wir uns verstecken. Was glaubt ihr denn, wo es einen besseren Platz geben könnte. Was glaubt ihr denn, wo wir nicht stören. [...] Was glaubt ihr denn, wer ihr seid. Was glaubt ihr denn, wer wir sind. Warum wir Bärte tragen, Locken, Hüte, Tücher, Hosen, Röcke, Ringe, Kreuze, Bänder um den Arm. Tattoos.
Warum wir den Kopf bedecken, warum wir den Kopf nicht bedecken [.].1
Dieses Gedicht zeigt das Kernelelement des Diskurses um das vermeintlich Fremde in Deutschland. Die Fragen rund um das Thema „Islam und Deutschland“ sind häufig nur durch ein Entweder-oder gekennzeichnet. Auf diese Art wird eine künstliche Bipolarität erzeugt. Spannungen innerhalb der Gesellschaft sind vorprogrammiert.2
Jürgen Habermas spricht im Kontext der Säkularität Deutschlands von einer „postsäkularen Gesellschaft“ und widerspricht somit der Annahme, dass mit einer voranschreitenden Modernisierung auch die Säkularisierung einhergehe.
Ebenso wird die postmoderne Gesellschaft vom Religiösen erneut beeinflusst und geprägt. Religion bietet hier Heimat und Sinn in einer Welt, die in Zeiten der Globalisierung zunehmend unübersichtlich und bedrohlich wirkt.3
In der Suche nach Gleichgesinnten liegt eine große Missbrauchsgefahr, zum Beispiel durch rechte Gruppierungen, Salafist*innen und andere Gruppen mit einem exklusivistischen Weltbild.
Ziel dieser Arbeit ist es einen Überblick über die Wahrnehmung des Islams in Deutschland auf Basis von geschichtlichen Ereignissen und Studien zu geben und den Rechtspopulismus in seiner Gestalt und Strategie als Hemmnis für eine multiplurale Gesellschaft zu analysieren.
Im ersten Schritt wird die Historie des Islams in Deutschland kurz skizziert und anschließend die Studienlandschaft zu Positionen gegenüber dem Islam analysiert. Das nächste Kapitel beleuchtet den Rechtspopulismus in seiner Gestaltung und Strategie. Ebenso wird ein genauer Blick auf die Frage nach Religion in diesem Kontext und die Medien- und Genderproblematik geworfen. Daraufhin werden im nächsten Kapitel mögliche Lösungsansätze erläutert, die das Zusammenleben erleichtern und verbessern. Abschließend gibt es in einem Fazit eine Zusammenfassung und einen Ausblick auf weitere Forschungsfelder.
2. Der Islam und Deutschland
Die Frage nach der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland ist eine der Kernfragen des theologischen, soziologischen und politischen Diskurses.
Wolfang Schäubles Worte - „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas. Er ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft“4 - anlässlich der Islam Konferenz 2006 bilden die Grundlage, auf der einige Politiker*innen einen Zusammenhang zwischen Deutschland und dem Islam in Debatten hergestellt haben.
Einigkeit über diese Zugehörigkeit gibt es keine. Nach Einführung des Begriffs der „Leitkultur“ Anfang der 2000-er Jahre weist Horst Seehofer noch im Jahr 2018 darauf hin, dass für ihn der Islam nicht zu Deutschland gehöre, da Deutschland christlich geprägt sei. Laut Seehofer würden die Muslim*innen aber selbstverständlich Teil Deutschlands sein.5
Auffallend an diesem kurzen, exemplarischen Einblick in die Politik ist, dass es eine Definitionsproblematik gibt und Uneinigkeit darüber herrscht, wie genau sich Deutschland zusammensetzt.
Einen Höhepunkt dieser Debatte innerhalb Deutschlands stellt die „Thilo Sarrazin Debatte“ dar. Ein wichtiger Punkt innerhalb dieses Diskurses ist die Frage warum ein Leitmedium wie der Spiegel dieses Buch als „publikationswürdig“ hielt.6
Aussagen wie „[...] je weniger muslimisch die Muslime sind [...] desto besser integrierbar sind sie“7 prägen seitdem den politischen und gesellschaftlichen Diskurs und geben Muslim*innen in Deutschland somit das Gefühl fremd in der eigenen Heimat zu sein.
Diese Fragestellungen über die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland stellen den Islam als ein Phänomen und Problem des 21. Jahrhunderts dar und ignorieren die Geschichte des Islams in Deutschland. Ebenso werden der Islam und seine Anhänger*innen „permanent als Problem dargestellt“.8
Die ideologische Fixierung auf Unterschiede gründet sich auf eine lange Geschichte. Die Opposition von „Orient“ und „Okzident“ entstand im antiken Rom und wurde in der Europakonzeption der Romantik weiter vertieft. Christlich-jüdische Wertvorstellungen wurden islamischen gegenübergestellt.9
Darüber hinaus wird in diesem Diskurs häufig vergessen, dass keine Religion zum säkularen Staat „gehört“. Eine Religion ist nicht an ein Land oder eine Kultur gebunden.10
Demnach gehört nach dem Verständnis der Säkularität keine Religion - weder Islam noch das Christentum - zu Deutschland.
Der Islam wird in Deutschland vor allem unter dem Kriterium „Einwanderungsreligion“ betrachtet. Die Vielfalt der Muslim*innen in Deutschland ergibt sich aus der ethnischen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer Richtung des Islams und ihrer Staatsangehörigkeit. So fühlen sich 2015 23 Prozent der Einwander*innen aus muslimisch geprägten Ländern keiner Religion zugehörig, 45 Prozent haben die deutsche Staatsbürgerschaft, 55 Prozent haben die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes oder besitzen eine andere. 74 Prozent der Einwander*innen waren Sunniten, 13 Prozent Aleviten, 7 Prozent Schiiten und 2 Prozent gehörten der Ahmadiyya Bewegung an.11 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in diesen Debatten häufig nur Nicht-Muslim*innen zu Wort kommen und den Diskurs tragen.
2.1 Geschichtliche Skizzierung
Das Bild vom Islam innerhalb Deutschlands hat sich über viele Jahrzehnte ohne persönlichen Kontakt entwickelt.
Als osmanisch-muslimische Kriegsgefangene gerieten sogenannte Beutetürken durch die Versklavung im 17.Jahrhundert nach dem „Großen Türkenkrieg“ (1683-1699) nach Deutschland. Die Versklavung muslimischer Kriegsgefangener endet im 18. Jahrhundert und seitdem gelangten Muslim*innen in offizieller Form nach Deutschland, wie zum Beispiel durch die Aufnahme in die preußische Armee (1732).12 Bis in das 20. Jahrhundert blieben Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland eine Randgruppe. In der Weimarer Republik wurde die „Moslemische Gemeinschaft“ durch Anhänger des Lahore-Zweigs der Ahmadiyya-Bewegung gegründet und die älteste, bestehende Moschee in Berlin-Wilmersdorf erbaut.13
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Muslim*innen verfolgt, welche gegen das Rassegesetz verstießen. Es gab allerdings keine systematische Verfolgung. 1942 wurde das Islamische-Zentral Institut in Berlin gegründet, welche als Brücke zwischen dem Islam und dem NS-Staat dienen sollte und den Islam für die Zwecke des Nationalsozialismus instrumentalisierte. Zwischen dem Ende des II. Weltkriegs und den 1960er Jahren wuchs die Anzahl der Muslim*innen nur gering und es bildeten sich nur in Hamburg, München und Aachen Zentren.14
Ab den 1960ern gab es einen rasanten Anstieg, allerdings ohne genaue Zahlen, da es für Muslim*innen in Deutschland keine Aufnahmeriten wie in den christlichen Kirchen gibt. Ebenso schlossen Wissenschaftler*innen von der Staatsangehörigkeit auf die Religion, weshalb diese Ergebnisse verzerrt sind.15
Am 30.10.1961 wurde das Anwerbeabkommen der deutschen und türkischen Regierung verabschiedet welches im Vergleich zu den Anwerbeabkommen mit anderen Ländern die größten Folgen für Deutschland hatte.16
In den frühen 1970ern orientierte sich die Mehrheit auf kultureller und religiöser Ebene an ihren Herkunftsländern, da ein längerer Aufenthalt in Deutschland nicht vorgesehen war. Erwartungsgemäß sollten Migrant*innen sich entweder säkularisieren oder nach einem kurzen Aufenthalt in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Im November 1973 wurde das Anwerbeabkommen durch die wirtschaftliche Rezession aufgekündigt und aus der Arbeitsmigration wurde eine Ansiedlung auf Dauer.17 Durch die Aufkündigung kam es außerdem zum Familiennachzug und zum Anstieg der Asylgesuche. Ende der 1970er und Anfang der 1980er entstanden Moscheegemeinden und muslimische Verbandstrukturen, wobei der Islam weiterhin vorerst nur als Angelegenheit von Ausländer*innen wahrgenommen wurde.18 Alle Organisationen bekennen sich zur deutschen Rechtsordnung, vertreten jedoch intern unterschiedliche religiöse Standpunkte.19
Grund für die Institutionalisierung war vor allem das Errichten von Gebetshäusern. Später entwickelten sich um die Moscheen herum spezielle Märkte und Geschäfte in denen zum Beispiel halal eingekauft werden konnte.20
Viele der migrierten Türk*innen pflegten weiterhin Kontakt zur Türkei, die ihre Diasporapolitik pflegte um politischen, ökonomischen und kulturellen Einfluss zu erhalten. Seit 1984 gab es durch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) einen Wandel im Verständnis von Arbeitsmigration dahingehend, dass es keine Rückkehr in die Türkei beinhaltet.21
Die Institutionalisierungsprozesse sind stärker von der Aufnahmegesellschaft und deren religiösen, politischen und rechtlichen Gegebenheiten abhängig als von den Überzeugungen, die von den Einwander*innen mitgebracht werden - „In this sense, every society gets the brand of Islam it deserves.“22
[...]
1 Bicker, Björn: Was glaubt ihr denn. Urabn Prayers. Schriftenreihe Band 1738. Bpb. Bonn 2016. S.6 20.Im Folgenden zitiert als „Bicker 2016“ mit entsprechender Seitenangabe.
2 Vgl. Weidner, Stefan: Vom Nutzen und Nachteil der Islamkritik für das Leben. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 13-14/2011, 28.03.2011, Titel: Islam in Deutschland, S. 9-15, hier: S. 9.
3 Vgl. Bicker 2016, S. 238f.
4 Schäuble: Islam ist Teil Deutschlands. Internetpublikation: https://www.welt.de/politik/article156022/Schaeuble-Islam-ist-Teil-Deutschlands.html. Erschienen am: 28.09.2006. Eingesehen am: 12.08.2020.
5 Vgl. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland". Internetpublikation: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-03/horst-seehofer-islam-deutschland. Erschienen am: 16.03.2018. Eingesehen am: 12.08.2020.
6 Amirpur, Katajun: Die Voraussetzungen für das Gespräch und Hemmnisse des Dialogs zwischen Christen und Muslimen aus muslimischer Perspektive.
In: Rohe, Mathias; Engin, Havva et. al. (Hrsg.): Christentum und Islam in Deutschland. Grundlagen, Erfahrugnen und Perspektiven des Zusammenlebens. Bonn: 2015, S.448-470, hier: S.S.456. Im Folgenden zitiert als „Amirpur 2015“ mit entsprechender Seitenangabe.
7 Ebd., S.458.
8 Ebd., S.457.
9 Vgl. Ebd., S.467.
10 Vgl. Rohe, Mathias: Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. 2. Aufl. München: 2018, S.308. Im Folgenden zitiert als „Rohe 2018“ mit entsprechender Seitenangabe.
11 Vgl. Aumüller, Jutta: Islam und Politik - Akteure, Themen und Handlungspotenziale. In: Christentum und Islam in Deutschland. Grundlagen, Erfahrungen und Perspektiven des Zusammenlebens, hrsg. von Mathias Rohe; Hava, Engin et. al. Bonn:2015, S.398-425, hier: S.398ff.
12 Vgl. Rohe 2018, S.53-56.
13 Vgl. Großbölting, Thomas: Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945. Bonn: 2013, S.204. Im Folgenden zitiert als „Großbölting 2013“ mit entsprechender Seitenangabe.
14 Vgl. Ebd.
15 Vgl. Ebd., 204f.
16 Vgl. Ebd., S.205.
17 Vgl. Ebd., S.206.
18 Vgl. Rohe 2018, S.67f.
19 Vgl. Ebd., S.131; 159.
20 Vgl. Großbölting 2013, S.207.
21 Vgl. Rohe 2018, S.69.
22 Rath, Jan: Western Europe and its Islam. Leiden: 2001, S.287.