In medizinischen Katastrophenfällen, bei denen weniger Ressourcen zur Verfügung stehen als benötigt werden, kommt das sogenannte Prinzip der Triage zum Einsatz. In der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie spielt Triage eine so große Bedeutung wie lange nicht mehr. Doch hierbei müssen ethische Handlungsvorgaben sowie Verteilungsgerechtigkeit geachtet werden. Die vorliegende Arbeit informiert über die grundsätzliche Einführung in das Thema der Triage und über die moralischen Probleme, die sich hinsichtlich Ressourcenknappheiten im Gesundheitssystem ergeben. Es folgt eine Einschätzung einer Triage in der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie sowie eine Beurteilung der rechtlichen Lage in Deutschland. Es wird über die Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Triage-Prozesses diskutiert und gefordert, dass ein entsprechend rechtlicher, allgemeingültiger Rahmen geschaffen werden sollte.
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Einführung in das Thema der Triage
2.1 Ursprung und Begriffserklärung
2.2 Kriterien für Triage
2.3 Ethische Problematiken von Triage
3 Triage in der COVID-19-Pandemie
3.1 Ressourcenknappheit in der Pandemie
3.2 Extremfall Italien
3.3 Rechtliche Lage in Deutschland zu Triage
4 Praktische Anwendung einer Pandemie-Triage
4.1 Triage-Prozess des Universitätsklinikums Augsburg
4.2 Triage-Team
5 Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Triage-Prozesses
6 Fazit
Abbildungsverzeichnis
Literatur
Kurzfassung
In medizinischen Katastrophenfällen, bei denen weniger Ressourcen zur Verfügung stehen als benötigt werden, kommt das sogenannte Prinzip der Triage zum Einsatz. In der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie spielt Triage eine so große Bedeutung wie lange nicht mehr. Doch hierbei müssen ethische Handlungsvorgaben sowie Verteilungsgerechtigkeit geachtet werden. Die vorliegende Arbeit informiert über die grundsätzliche Einführung in das Thema der Triage und über die moralischen Probleme, die sich hinsichtlich Ressourcenknappheiten im Gesundheitssystem ergeben. Es folgt eine Einschätzung einer Triage in der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie sowie eine Beurteilung der rechtlichen Lage in Deutschland. Es wird über die Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Triage-Prozesses diskutiert und gefordert, dass ein entsprechend rechtlicher, allgemeingültiger Rahmen geschaffen werden sollte.
Schlagwörter : Triage, Hausarbeit, COVID-19-Pandemie, Ressourcenknappheit, Triage-Prozess
1 Einleitung
Seit knapp zwei Jahren berichten Medien in fast allen Ländern weltweit über die aktuelle Pandemie, ausgelöst durch das SARS-CoV-2-Virus. In einigen Ländern herrscht in den intensivmedizinischen Stationen ein Massenfall an Patienten1, die mit dem neuartigen Corona-Virus erkrankt sind. Die Intensivstationen kommen somit an ihre Grenzen, weiterhin erkrankte Patienten zu versorgen. Medizinischen Ressourcen wie Beatmungsgeräte, Schutzausrüstungen und vor allem medizinisches Fachpersonal übersteigen aktuell die Verfügbarkeit.
Bei knappen Ressourcen und einem starken Andrang von Patienten oder Verletzten, müssen Mediziner in einem zeitlich geringen Abstand darüber entscheiden, welche Patienten priorisiert behandelt werden sollen. Dieser Entscheidungsprozess wird Triage genannt. Es existiert zum aktuellen Zeitpunkt der Pandemie keine einheitlichen Vorgaben, wie Triage in Deutschland hinsichtlich der COVID-19-Pandemie gestaltet werden sollte. Diese Hausarbeit beschäftigt sich deshalb mit den Problemen der aktuellen, unterschiedlichen Triage-Verfahren und argumentiert für die Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Rahmens.
Im Rahmen dieser Hausarbeit soll zunächst das allgemeine Prinzip der Triage vorgestellt sowie auf ethische Problematiken, die Triage mit sich bringt, eingegangen werden. Anschließend wird die Bedeutung der Triage am Beispiel der derzeitigen COVID-19-Pandemie deutlich gemacht und die aktuelle rechtliche Lage in Deutschland erläutert. Daraufhin wird ein Beispiel vorgestellt, wie ein Triage-Prozess konkret aussehen kann in Hinblick auf COVID-19. Abschließend soll die Einführung einer bundeseinheitlichen Triage-Regelung diskutiert werden und insbesondere auf deren Notwendigkeit hingewiesen werden.
2 Einführung in das Thema der Triage
In diesem Abschnitt soll zunächst die historische Herkunft erläutert, der Begriff der Triage erklärt sowie die moderne Bedeutung der Triage beschrieben werden. Triage wird grundsätzlich anhand bestimmter Kriterien durchgeführt, auf welche ebenfalls kurz eingegangen werden soll, um eine mögliche praktische Umsetzung zu veranschaulichen. Weiterhin soll auf die ethischen Grundgedanken zu Triage eingegangen sowie einen Überblick über die moralischen Fragen und Problematiken, die sich im Hinblick auf Triage ergeben.
2.1 Ursprung und Begriffserklärung
Der Begriff Triage stammt aus dem französischen Wort „trier“, was so viel wie „sortieren“, „einteilen“ oder „aussuchen“ bedeutet. Dieses System kommt bei einer hohen Zunahme an Notfallpatienten zur Anwendung und beschreibt die bestmögliche Versorgung aller Patienten in einem Katastrophenfall, trotz knapper Ressourcen. Der Ursprung resultiert aus der Militärmedizin zu Zeiten der französischen Revolution. Das medizinische Personal wurde damals aufgrund der Massenschlachten im Revolutionskrieg dazu gezwungen, schnellstmöglich die Verwundeten zu versorgen, damit sie wieder an den Kampfhandlungen teilnehmen konnten. Hierzu musste priorisiert werden, wie die medizinische Hilfeleistung mit unzureichenden Ressourcen gehandhabt wird. Dabei ist ein wichtiges Charakteristikum, dass aufgrund der überhöhten Nachfrage an Versorgungsmaßnahmen nicht alle Patienten die medizinische Versorgung erhalten können, die sie eigentlich benötigten. Es muss also eine Auswahl stattfinden, welche Patienten hinreichend behandelt werden können und welche aufgrund von gewissen Kriterien keine ausreichende Versorgung erhalten können. Es geht im Grunde stets darum, Überlebenswahrscheinlichkeiten mehrerer Patienten gegeneinander abzuwägen bzw. Ressourcen für den Fall mit den höheren Erfolgsaussichten zu verwenden. [1, S. 2]
Auch heute noch spielt das Prinzip der Triage eine wichtige Rolle in der Medizin. Die Notwendigkeit der „modernen Katastrophenmedizin“ wurde insbesondere in der Folge des Elften Septembers wieder präsenter und gewann erneut an Wichtigkeit. Da in kürzester Zeit eine Vielzahl schwer verletzter Menschen eine entsprechende medizinische Behandlung benötigten, und das Gesundheitswesen auf dieses Ereignis nicht vorbereitet war, musste schnell entschieden werden, welche Verletzten versorgt werden konnten. [2, S. 2] Aber nicht nur Katastrophenfälle benötigen eine einheitliche Triage, sondern auch Organtransplantationen unterliegen gewissen Triage-Entscheidungen. [3]
2.2 Kriterien für Triage
Die Grundlage für jede Triage-Entscheidung in der heutigen Zeit besteht erstrangig aus zwei Voraussetzungen: die intensivmedizinische Therapie muss indiziert sein und realistische Erfolgsaussicht haben sowie muss sie dem Willen des Betroffenen entsprechen. [4, S. 174]
Sobald ein Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen hat, die Therapie als aussichtslos eingeschätzt wird und der Patient dauerhaft an einer Intensivstation gebunden sein wird, wird eine intensivmedizinische Therapie nicht indiziert. Die Ressourcen werden in solch einem Fall für Patienten mit höheren Heilungschancen verwendet. [5, S. 3]
Anhand klinischer Kriterien wird im ersten Schritt eines Triage-Prozesses versucht, festzustellen, welcher Patient eine größere Überlebenschance und eine kürzere Dauer einer intensivmedizinischen Therapie aufweist. Folglich wird entschieden, welcher Patient die notwendige medizinische Versorgung erhält. Die Schwierigkeit hier ist, dass Überlebenschancen auf eine objektive Art und Weise antizipiert werden müssen. Triage-Entscheidungen werden deshalb anhand gewisser objektiver Kriterien getätigt, die Aufschluss über gewisse Überlebens- bzw. Heilungschancen geben sollen. [4, S. 174] Ohne diese Kriterien an dieser Stelle bewerten zu wollen, sollen zunächst Beispiele genannt werden, anhand derer Triage-Entscheidungen allgemein gefällt werden könnten.
Besitzt ein Patient bspw. eine Vorerkrankung, kann dies als ein Indiz dafür herangezogen werden, dass seine Überlebenschancen bei einer entsprechenden Behandlung niedriger stehen als bei einem Patienten, der bis zu diesem Zeitpunkt bei bester Gesundheit war. In diesem Fall zählen relevante Vorerkrankung bei der Bewertung des Patienten mit ein. [6, S. 80-87]
Ebenso kann das Alter der zu behandelnden Personen in die Triage-Entscheidung miteinfließen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit eines 85-jährigen Patienten kann aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und der schlechteren Regenerationsfähigkeit seines Körpers demnach als geringer eingeschätzt werden als bspw. die eines 25-jährigen Patienten. [6, 95-97]
Als weiteres Kriterium kann der soziale Status von Patienten darüber entscheiden, ob sie bevorzugt behandelt werden sollten. So könnte argumentiert werden, dass eine dreifache Mutter den Vorzug gegenüber einem alleinstehenden Mann erhält, da das Wohl der Kinder mit in die Entscheidung miteingebracht wird. Auch ist denkbar, dass Pflegepersonal, welches eine Behandlung benötigt, bei Triage-Entscheidungen priorisiert wird, da dieses nach erfolgreicher Behandlung wieder bei der weiteren Versorgung von Patienten unterstützen kann. [7, S. 457]
Weiterhin könnte als Kriterium mutmaßliches Eigenverschulden einer Krankheit oder Verletzung herangezogen werden. Ein bestimmter Lebensstil könnte für die nun eingetretene Krankheit verantwortlich sein, welche behandelt werden muss. Folgendes Beispiel macht dies deutlich: zwei Personen benötigen eine künstliche Lunge, einer der Patienten ist Raucher. Es könnte argumentiert werden, dass die Person den Vorzug erhält, die ihre Gesundheit nicht eigenständig mutwillig riskiert hat. [6, S. 139-140]
Sollen aus gewissen Gründen keine Kriterien über eine priorisierte Behandlung einzelner verwendet werden, da diese z. B. aus ethischer Sicht (siehe dazu Abschnitt 2.3) nicht angebracht sind oder eine Zeitersparnis bei der Versorgung erreicht werden soll, könnten Patienten nicht anhand Heilungswahrscheinlichkeiten kategorisiert werden, sondern in der Reigenfolge, wie sie an den behandelnden Ort eintreffen, versorgt werden – frei nach dem Motto: „first come, first served“. Entscheidungen, wer eine adäquate Behandlung erhält, werden praktisch nach dem Zufallsprinzip entschieden werden. Jedoch verspricht dieser Ansatz keine Nutzenmaximierung – es ist also damit zu rechnen, dass weniger Menschen überleben würden, als wenn Patienten anhand ihrer Überlebenswahrscheinlichkeiten oder anderen Kategorien klassifiziert werden. Bei diesem Vorgehen besteht allerdings nicht die Gefahr, dass sich die Verantwortlichen, die die Patienten sichten und entscheiden müssen, wer Zugang zu den medizinischen Ressourcen erhält, hinsichtlich Überlebenswahrscheinlichkeiten irren könnten. [8, S. 527]
2.3 Ethische Problematiken von Triage
Ziel einer Triage ist es, möglichst viele Menschenleben zu retten und dies möglichst anhand von objektiven und gerechten Kriterien. Ein wichtiger Indikator ist dabei, die Überlebenswahrscheinlichkeiten der Patienten gegeneinander abzuwägen und die knappen Ressourcen so zu verteilen, sodass möglichst viele Patienten geheilt werden können. Diesem Verfahren liegt das Prinzip der Ergebnismaximierung zugrunde. Eine möglichst moralisch verantwortbare Durchführung von Triage steht allerdings im Konflikt mit der Einhaltung von Gleichheitsrechten und der Berücksichtigung von Diskriminierungsverboten. [9, S. 2] Insbesondere das oberste Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 des deutschen Grundgesetztes, auf dem das gesamte deutsche Rechtssystem beruht, kann sich mit der Idee eines einheitlichen Triage-Gesetzes widersprechen. Sich gegen die Hilfe eines Patienten zu entscheiden, bricht mit dem obersten moralischen Grundsatz des deutschen Staates, jeden Menschen zu achten und zu schützen. Im Umgang mit Triage muss deshalb stets ethisch bewertet werden, inwiefern gewisse Vorgehensweisen moralisch zu verantworten sind und in welchen Fällen Triage-Prozesse moralisch geboten sind.
Aus philosophischer Sicht lässt sich das Prinzip der Triage einer utilitaristischen Ethik zuordnen. [8, S. 526] Utilitarismus bezeichnet die ethische Auffassung, bei der Handlungen nach ihren Folgen beurteilt und bewertet werden. Ziel ist dabei stets die Glück- bzw. Nutzenmaximierung. Es ist also immer die Handlungsalternative zu befürworten, bei der mit einem höheren Nutzen gerechnet werden kann. [10, S. 348] So ist es mit einem stringenten utilitaristischen Ethikprinzip durchaus möglich, Menschenleben gegeneinander abzuwägen, was jedoch im klaren Wiederspruch zur Moralauffassung des deutschen Staates steht. Das deutsche Rechtsstaatsprinzip besagt nämlich gemäß Artikel 3 GG, dass für alle Bürger die gleichen Gesetze gelten und jeder gleich behandelt werden muss. [11] Triage erfordert jedoch, Abwägungen zu treffen und sich für bzw. gegen die Versorgung bestimmter Menschen auszusprechen. Doch welche Kriterien herangezogen werden können, anhand derer entschieden wird, wer eine medizinische Versorgung erhält, muss einer einheitlichen ethischen Grundlage entsprechen. Es benötigt somit ein einheitliches Gerechtigkeitsverständnis, auf dem Vorgehendweisen basieren.
Intuitiv vermag es in Situationen durchaus sinnvoll erscheinen, begrenzte Ressourcen so effektiv wie möglich einzusetzen. Jedoch gibt es auch eine Reihe Gegenargumente, warum Menschen nicht anhand von Kriterien klassifiziert werden sollten, ob ihnen geholfen wird oder nicht. Triage bietet ein hohes Potential, gesellschaftliche Ungleichheiten zu fördern.
Zum einen erkranken Menschen, die einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status besitzen, deutlich häufiger und schwerwiegender. Dies ist bspw. auf weniger finanzielle Mittel für einen ausreichend gesunden Lebensstil zurückzuführen. Wird Menschen mit geringerem sozialem Status aufgrund gewisser Vorerkrankungen, die ihrem Lebensstil geschuldet sind, deshalb eine medizinische Versorgung abgesprochen, fördert dies weiter das soziale Ungleichgewicht einer Gesellschaft. Menschen, die ohnehin gesellschaftlich bessergestellt sind, werden durch eine priorisierte Behandlung weiterhin „belohnt“. Die gleiche Problematik lässt sich auf Menschen mit Behinderung anwenden. In solchen Fällen könnten Menschen mit Handicap stets bei Triage-Entscheidungen benachteiligt werden. [8, S. 527-528]
Ein Vorgehen, um Ergebnismaximierung zu erreichen – also so viele Leben wie möglich zu retten –, kann daher die innergesellschaftliche soziale Gerechtigkeit stark gefährden. Diesem Spannungsverhältnis sind Triage-Prozesse stets ausgesetzt.
In der praktischen Umsetzung bedeuten Triage-Entscheidungen für das medizinische Fachpersonal, welche im Grunde über Leben und Tod von Patienten bestimmen müssen, eine überaus erhöhte psychische Belastung. In der derzeitigen COVID-19-Pandemie, welche sich über mehrere Jahre erstreckt und bisher kein Ende findet, werden durch die anhaltende Situation diese Belastungen immer stärker. In diesem Fall kann ein vordefinierter Kriterienkatalog bei Entscheidungen helfen und das Fachpersonal muss sich nicht auf seine eigene Entscheidungsfähigkeit berufen. Werden ihre Entscheidungen nämlich durch klare Vorgaben vereinfacht, ist davon auszugehen, dass die mentale Belastung auch sinken wird. Die Verantwortung kann ihnen dadurch in gewisser Weise abgenommen werden und das Personal wird in dieser Hinsicht geschützt. [12, S. 190-197]
[...]
1 In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit grundsätzlich die männliche Form verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechtsidentitäten werden damit ausdrücklich mitberücksichtigt.