Die schichtabhängige Verteilung der Bildung wird in dieser Arbeit zum Thema. Genauer befasst sich diese Arbeit mit der sozialen Reproduktion im Bildungswesen. Es wird verdeutlicht, dass dem Bildungswesen, vor allem dem deutschen, bei der sozialen Reproduktion eine entscheidende Rolle zukommt. Besonderes Augenmerk wird dabei darauf gelegt, inwieweit die Selektion in der Schule auch eine soziale Auslese darstellt.
"Jedem Kind muss – ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen der Eltern – der Bildungsweg offenstehen, der seiner Bildungsfähigkeit entspricht", so lautet ein von der Kultusministerkonferenz 1960 beschlossener Grundsatz. Diesem wird jedoch im Bildungswesen widersprochen, denn schulische Auslese stellt, ob gewollt, geduldet oder ungewollt, immer auch eine soziale Auslese dar.
Je höher die Sozialschicht der Eltern ist, desto eher besuchen die Kinder bessere Schulen. Dies gilt im internationalen Vergleich besonders für Deutschland. In fast keinem anderen westeuropäischen Land sind die individuellen Bildungschancen so stark abhängig von der sozialen Herkunft wie in Deutschland. Der starke Einfluss der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler auf ihre Bildungschancen wurde in Deutschland vor allem durch die PISA-Studie 2000 festgestellt und hat sich seitdem verstärkt auch in der öffentlichen Diskussion etabliert. Ein zentrales Ergebnis der Studie war der Nachweis des engen Zusammenhangs zwischen der sozialen Herkunft und des Kompetenzerwerbs in Deutschland. Die PISA-Studie zeigte auf, dass Deutschland, bezogen auf den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungsteilhabe und den schulischen Erfolg, eine unrühmliche Spitzenposition zukommt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zur sozialen Reproduktion nach Pierre Bourdieu
2.1 Das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital
2.2 Die Reproduktion des Klassensystems durch das Bildungswesen
3. Der leistungsfremde soziale Filter nach Rainer Geißler
4. Soziale Auslese beim Übergang auf weiterführende
Schulen
5. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Jedem Kind muss – ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen der Eltern – der Bildungsweg offenstehen, der seiner Bildungsfähigkeit entspricht“ (KMK – Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2015, S. 5), so lautet ein von der Kultusministerkonferenz 1960 beschlossener Grundsatz. Diesem wird jedoch im Bildungswesen widersprochen, denn schulische Auslese stellt ob „gewollt, geduldet oder ungewollt [...][immer auch eine]soziale Auslese[Hervorhebung im Original]“ (Geißler 2014, S. 333, Erstauflage 1992) dar.
„Je höher die Sozialschicht der Eltern ist, desto eher besuchen die Kinder bessere Schulen“ (Hollstein 2008, S. 2605). Dies gilt im internationalen Vergleich besonders für Deutschland. In fast keinem anderen westeuropäischen Land sind die individuellen Bildungschancen so stark abhängig von der sozialen Herkunft wie in Deutschland (vgl. ebd.). Der starke Einfluss der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler auf ihre Bildungschancen wurde in Deutschland vor allem durch die PISA-Studie 2000 festgestellt und hat sich seitdem verstärkt „auch in der öffentlichen Diskussion etabliert“ (Solga 2008, S. 15). Ein zentrales Ergebnis der Studie war „der Nachweis des engen Zusammenhangs zwischen [...] der sozialen Herkunft und des Kompetenzerwerbs in Deutschland“ (Wenzel 2011, S. 61). Die PISA-Studie zeigte auf, dass Deutschland, bezogen auf den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungsteilhabe und den schulischen Erfolg, „eine unrühmliche Spitzenposition“ (ebd., S. 60) zukommt.
Zwar hat der festgestellte starke Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsteilhabe in der zuletzt durchgeführten PISA-Studie 2015 abgenommen, jedoch zeigt auch diese „einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem sozialen Status der Eltern und den PISA-Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler“ (KMK 2016). Die Abhängigkeit der in der PISA-Studie 2015 gezeigten Leistungen von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler hat sich „von einem Differenzwert von 106 Punkten (2000) zu einem Differenzwert von 66 Punkten (2015) verringert, liegt aber [immer noch] über dem OECD-Durchschnitt“ (ebd.).
Die beschriebene schichtabhängige Verteilung der Bildung soll in dieser Hausarbeit zum Thema werden. Genauer soll sich diese Hausarbeit mit der sozialen Reproduktion im Bildungswesen befassen. Es soll verdeutlicht werden, dass dem Bildungswesen, vor allem dem deutschen, bei der sozialen Reproduktion eine entscheidende Rolle zukommt. Besonderes Augenmerk soll dabei darauf gelegt werden, inwieweit die Selektion in der Schule auch eine soziale Auslese darstellt.
Um sich dieser Fragestellung anzunähern, soll im Anschluss mithilfe des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, welcher sich besonders intensiv mit dem Thema soziale Reproduktion im Bildungswesen auseinandergesetzt hat, ein thematischer Einstieg stattfinden. Hierbei soll zuerst auf Privilegien der oberen Schichten eingegangen werden, welche ihnen Vorteile im Bildungssystem gegenüber den unteren Schichten bringen, Bourdieu teilt diese Privilegien in Kapitalarten auf. Danach folgt seine Theorie zur sozialen Reproduktion, in welcher er erläutert, wie eine soziale Auslese im Bildungswesen stattfindet. In den beiden darauffolgenden Kapiteln soll die soziale Auslese in der Institution Schule gezielter untersucht werden. Dazu soll mit Rainer Geißler einleitend ein weiterer namhafter Soziologe herangezogen werden, um mit ihm auch Bezug auf das deutsche Schulsystem zu nehmen. Anhand Geißler soll zunächst beschrieben werden, inwieweit in der Schule der sogenannte leistungsfremde Filter wirkt. Im Anschluss daran soll herausgearbeitet werden, wie vor allem der Übergang auf weiterführende Schulen zur Benachteiligung der unteren Schichten im Bildungswesen beiträgt. Zum Schluss soll ein Resümee gezogen werden, in welchem eine letzte kritische Auseinandersetzung mit der sozialen Reproduktion im Bildungswesen stattfinden soll und noch einmal abschließend auf die Frage, inwieweit die Selektion in der Institution Schule auch eine soziale Auslese darstellt, eingegangen werden.
2. Zur sozialen Reproduktion nach Pierre Bourdieu
In diesem Kapitel soll dargelegt werden, welchen enormen Einfluss die soziale Herkunft auf den individuellen Werdegang eines jeden Menschen hat. Um dies zu verdeutlichen soll auch abseits der Fragestellung auf den Einfluss der sozialen Herkunft eingegangen werden. Primäres Ziel ist es jedoch auch in diesem Kapitel aufzuzeigen, inwieweit die soziale Herkunft Einfluss auf den schulischen Werdegang nimmt.
Pierre Bourdieu beschreibt in seinem 1979 erschienenen Buch Die feinen Unterschiede, wie wenig durchlässig die sozialen Schichten sind und nach welchen Regeln sich die Gesellschaft und deren soziale Schichten reproduzieren. Die zentrale Aussage Bourdieus ist die, dass die jeweilige soziale Position eines Individuums sein Handeln und seine Entfaltung in der Gesellschaft bestimmt (vgl. Baumgart 2008, S. 199; Zimmermann 1983, S. 208). Bourdieu sagt, dass unsere Entscheidungen, die wir subjektiv als freie und selbstbestimmte Entscheidungen wahrnehmen, in Wirklichkeit von unseren sozialen Positionen in der Gesellschaft bestimmt werden. Diese schichtspezifische Sozialisation lasse sich nur bedingt beeinflussen (vgl. Zimmermann 1983, S. 206f.).
Welche Vorlieben und welchen Geschmack wir haben, wie wir unsere Wohnung einrichten und welchen Kleidungsstil wir mögen, selbst unsere Art der Körperhaltung und -bewegung sind demnach Ausdruck unserer Position im sozialen Raum. (Baumgart 2008, S. 199)
Kurz gesagt sind Individuen nach Bourdieu mehr oder minder Produkte ihrer sozialen Umwelt, ihr komplettes Handeln sei auf diese zurückzuführen.
2.1 Das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital
Die Chancenungleichheit im Bildungswesen wird, laut Bourdieu, durch „Kapitalakkumulation“ (Bourdieu 1992, S. 217) begünstigt. Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital werde „von einzelnen Aktoren oder Gruppen privat und exklusiv angeeignet“ (ebd.). Dieses Kapital sei vererbbar und so leiste es seinen Beitrag zur sozialen Reproduktion (vgl. ebd., S. 217f.). Bourdieu unterscheidet dieses Kapital wie angesprochen in drei Arten: Das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital und das soziale Kapital. Im Folgenden sollen diese drei Kapitalarten erläutert werden um ein näheres Verständnis über Bourdieus Vorstellung von der sozialen Reproduktion zu bekommen.
Unter ökonomischem Kapital versteht Bourdieu den materiellen Besitz einer Person oder Gruppe, dieses ist unmittelbar in Geld konvertierbar (vgl. ebd., S. 218). Die Weitergabe des ökonomischen Kapitals innerhalb der verschiedenen Milieus trägt laut Bourdieu dazu bei, dass unterschiedliche Milieus auch unterschiedliche Chancen im Bildungswesen haben (vgl. Bourdieu und Passeron 1971, S. 232-241).
Das kulturelle Kapital teilt Bourdieu wieder in drei Formen. Zum einen ist dort das kulturelle Kapital „in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand [Hervorhebung im Original]“ (Bourdieu 1971, S. 218) zu nennen. Dieses umfasst die dauerhaften Eigenschaften der Individuen. Da dieses verinnerlichte Kulturkapital untrennbar mit einer Person verbunden ist, kann es nicht in einer solch pragmatischen Form vererbt werden wie das ökonomische Kapital (vgl. ebd., S. 220).
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