In der Arbeit soll der lexikalische Wandel im Deutschrap exemplarisch anhand eines Vergleichs ausgewählter Datensätze aus den Jahren 2009 und 2019 analysiert werden. Es wird untersucht, ob ein solcher Wandel tatsächlich vorliegt und ob er eventuell durch den aktuell von vielen Jugendlichen verwendeten Multiethnolekt bedingt wird.
Um einen Zusammenhang feststellen zu können, soll zunächst näher auf das Phänomen des Multiethnolekts eingegangen werden, dem sich die Forschung erst seit einigen Jahren intensiv widmet. Anschließend wird das Genre HiopHop und dessen Kernelement, der Rap, näher beleuchtet. Durch die Erhebung des Wortmaterials, das aus den Datensätzen gewonnen wird, sollen schließlich die thematischen Bereiche erfasst werden, die durch die jeweiligen neu eingeführten Wörter benannt werden. Es lässt sich somit möglicherweise eine (soziolinguistische) Funktion erkennen. Anschließend werden die Lexeme in Bezug zu dem Multiethnolekt gesetzt. Zum Schluss soll der Frage nachgegangen werden, welche Gründe es hier für einen lexikalischen Wandel geben könnte.
Inhalt
1. Einleitung
2. Jugendsprachen und Multiethnolekt
2.1. Jugendsprachen im Wandel der Zeit
2.2. Der Multiethnolekt
3. HipHop und Deutschrap
4. Methode
4.1. Korpusauswahl und Problematik
5. Das Korpus
5.1. Analyse der Datensätze
5.1.1. Quantitative Analyse
5.1.2. Qualitative Analyse
6. Mögliche Gründe für Multiethnolekt im Deutschrap
7. Konklusion
8. Literatur
1. Einleitung
Der Rap, auch Sprechgesang genannt, gilt als „populärste[s] Element“ (Androutsopoulos 2003: 111) des HipHop1. In den Armenvierteln von New York entstanden, kann dieser Musikstil heute auf eine vierzigjährige Geschichte zurückblicken. Auch in Deutschland wurde der HipHop ab den 1980er Jahren durch Filme wie Wild Style (1982) oder Beat Street (1984) bekannt und „hat sich […] im Laufe der Jahre zu einem breitgefächerten Phänomen entwickelt“ (Umlauf 2015: 24). Ein wesentlicher Faktor für seine anhaltende Popularität ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass der Rap, wie keine andere Musikrichtung, persönliche Erfahrungen der Interpreten thematisiert. Dies machte ihn von Beginn an zu einem Sprachrohr ethnischer Minderheiten, die so ihre Kritik gegenüber dem politischen, wie auch gesellschaftlichen System zum Ausdruck bringen konnten.
Im Unterschied zu seiner Funktion im amerikanischen Sprachraum, diente der Sprechgesang hierzulande zunächst eher der Unterhaltung einer bürgerlichen Mittelschicht. Wegbereiter des deutschen HipHop waren vor allem die Fantastischen Vier mit Hits wie Die da?! (1992), in dem sich die vier Interpreten gegenseitig von der Begegnung mit ihrer Traumfrau erzählen. Allerdings hat sich die Themenwahl im Laufe der Jahre zunehmend verändert. So existiert heute eine große Vielfalt an verschiedenen Genres wie z. B. dem Conscious-Rap, dem Porno-Rap, dem Gangsta-Rap u. a.
Doch ist es nicht nur der thematisierte Gegenstand, der einem ständigem Wandel unterworfen ist, sondern auch die Sprache, die diesen bezeichnet. Rappten die deutschen Pioniere zu Beginn noch auf Englisch und später auf Deutsch, so findet man heute ein breites Spektrum an Lexemen verschiedenster Sprachen in den einzelnen Deutschrap-Liedern. Vor allem handelt es sich hierbei um Ausdrücke aus dem Türkischen, Arabischen, sowie dem Russischen.
In diesem Zusammenhang scheint der Einfluss des Multiethnolekts2 eine entscheidende Rolle zu spielen. Dieser wird primär (jedoch nicht ausschließlich) von Jugendlichen verwendet, die in Deutschland leben3 und einen Migrationshintergrund aufweisen. Viele von ihnen können sich, aufgrund ihrer Alltagserfahrungen, vor allem mit den Themen, die im Bereich des Gangsta- bzw. Straßen-Rap poetisch verarbeitet werden, identifizieren (vgl. Knuters 2018; Spreckels 2006). Häufig geht es in den Texten um soziale Ausgrenzung, Erfahrungen mit Gewalt, innere Wut oder um den Traum eines finanziellen Aufstiegs und das erlangen von Statussymbolen.
In der vorliegenden Arbeit soll der lexikalische Wandel im Deutschrap exemplarisch anhand eines Vergleichs ausgewählter Datensätze aus den Jahren 2009 und 2019 analysiert werden. Es wird untersucht, ob ein solcher Wandel tatsächlich vorliegt und ob er eventuell durch den aktuell von vielen Jugendlichen verwendeten Multiethnolekt bedingt wird. Um einen Zusammenhang feststellen zu können, soll zunächst näher auf das Phänomen des Multiethnolekts eingegangen werden, dem sich die Forschung erst seit einigen Jahren intensiv widmet. Anschließend wird das Genre HiopHop und dessen Kernelement, der Rap, näher beleuchtet. Durch die Erhebung des Wortmaterials, das aus den Datensätzen gewonnen wird, sollen schließlich die thematischen Bereiche erfasst werden, die durch die jeweiligen neu eingeführten Wörter benannt werden. Es lässt sich somit möglicherweise eine (soziolinguistische) Funktion erkennen. Anschließend werden die Lexeme in Bezug zu dem Multiethnolekt gesetzt. Zum Schluss soll der Frage nachgegangen werden, welche Gründe es hier für einen lexikalischen Wandel geben könnte.
2. Jugendsprachen und Multiethnolekt
Da der Multiethnolekt als eine jugendsprachliche Variante gilt, soll zunächst das Phänomen der Jugendsprachen, dem vor allem in der heutigen Zeit eine besondere Aufmerksamkeit zukommt, konzis dargestellt werden.
2.1. Jugendsprachen im Wandel der Zeit
Der Gebrauch einer „eigenen“ Sprache unter jungen Leuten kann bereits für das 18. und 19. Jahrhundert verzeichnet werden. Damals wurde unter angehenden männlichen Akademikern die sogenannte Studentensprache gesprochen, die Elemente des Französischen, Rotwelsch, Lateinischen und „grammatischer eigenart [sic] enth[ie]lt“ (Heyne 1896: 255). In diesem Zusammenhang begann auch deren wissenschaftliche Erforschung, wenn auch zunächst unter dem Oberbegriff der Sondersprachforschung. Auf dem Feld der Sprachwissenschaft, sowie in den Medien, wurden diese „Sondersprachen“ jedoch stets ambivalent diskutiert. Viele sahen und sehen in der Jugendsprache, die häufig als eine homogene starre Einheit behandelt wird, eine Bedrohung für die Standardsprache, die es, vor allem für die Sprachpuristen, vehement gegen alle Abweichungen zu verteidigen gilt. Der renommierte Linguist Jannis Androutsopoulos (1998: 4) merkt hierzu an, dass „was als ,prototypische Jugendspracheʼ wahrgenommen wird […] immer wieder in Bezug auf subkulturelle Jugendgruppen gebracht [wird]“. Die „Jugend“ stellt eher ein Konstrukt von verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Diskursen dar, als eine eigenständige Gruppe. Sie dient bis heute als Projektionsfläche gesellschaftlicher Ängste und Wünsche. Bereits in den 50er und 60er Jahren konnte im Zuge neuer, US-amerikanischer Musikeinflüsse wie dem Jazz und dem Rockʼn Roll, Kritik an einem angeblichen moralischen Verfall der jungen Leute, die eine solche Art von Musik bevorzugen, festgestellt werden. Diese neue Generation, die es, wie bereits ihre Eltern, gewohnt war, sich den patriarchalen Strukturen zu Hause unterzuordnen, fühlte sich nun durch den neuen Zeitgeist inspiriert. Die Jugendlichen wollten aus den alten Mustern ausbrechen und mit Gleichgesinnten beisammen sein. Ihr revolutionäres Verhalten, sowie die neuartige Kultur aus Übersee bereitete den älteren Generationen Sorgen.
Schnell griffen die Medien das Thema auf und bestimmen bis heute den Diskurs maßgeblich mit. Durch ihre Art der Kommunikation trugen, bzw. tragen sie dazu bei, bestehende Vorurteile zu schüren. So lautet z. B. der Titel einer Monografie von Michael Haller aus dem Jahr 1981: Aussteigen oder rebellieren – Jugendliche gegen Staat und Gesellschaft . Eva Neuland, eine der bekanntesten Jungendsprach-ForscherInnen (vgl. Neuland 2018: 22) merkt hierzu an, dass das Bild von aufmüpfigen Jugendlichen, sowie das Unterstellen ihrer Dialogunfähigkeit deren Unmündigkeit gegenüber (politischen) Institutionen sichern soll. Die von den Medien inszenierte Darstellung eines jugendlichen Sprachverfalls und einer ablehnenden Haltung gegenüber der Gesellschaft lässt sich auch an abwertenden Bezeichnungen wie „Comicsprache“ oder „Null-Bock-Generation“ erkennen, wie sie in den Medien häufig auftauchen. Auf diese Weise soll das Engagement der jungen Leute, die sich für verschiedene Belange einsetzten, die nicht unbedingt systemkonform sind, vereitelt werden (vgl. Neuland 2018: 22).
Um die „Sprache der Jugendlichen“ besser verstehen zu können, versuchten Forscher und Medien seit jeher systematische Strukturen, wie Wortbildungsverfahren aufzudecken und diese der (nicht eingeweihten) Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es zeigt sich aber auch, dass viele dieser einst neu erfundenen, bzw. gebildeten Wörter heute nicht mehr im Gebrauch sind, weder unter Jugendlichen noch unter Erwachsenen. Dazu gehören z. B. Wörter wie knorke für gut oder steiler Zahn für eine attraktive Frau. Andere Wörter hingegen, die zu ihrer Zeit für Entsetzen unter den Erwachsenen sorgten, sind heute im allgemeinen Sprachgebrauch fest verankert, wie z. B. das Wort „wahnsinnig“ in seinem Gebrauch als intensivierendes Adjektiv.4 Dies zeigt deutlich, dass es auch hier, ebenso wie in der Standardsprache, einen ständigen Wandel gibt. Dennoch bleibt das öffentliche Interesse an den eigenwilligen Sprachmustern ungebrochen. Im Laufe der Zeit ist sogar ein regelrechter Markt an Publikationen zu dem Thema Sprache und Jugend entstanden. Jährlich werden neue Produkte herausgebracht, die helfen sollen, in das unbekannte Terrain vorzudringen und sich hierdurch einen Teil der Jugendkultur anzueignen. So wird seit 2008 von dem Langenscheidt-Verlag jährlich nach einem „Jugendwort des Jahres“ gesucht, wobei es hier auch Zweifel bezüglich der tatsächlichen Verwendung der gewählten Wörter unter Jugendlichen gibt. Ferner existiert eine Vielzahl an Jugendsprach-Lexika, wie z. B. „Endgeil: das voll korrekte Lexikon der Jugendsprache“ von Hermann Ehmann (2005) aus der Beckʼschen Reihe.
Auch im Bereich der Wissenschaft erfreut sich der Gegenstand Jugend/ Jugendsprachen einer immer größeren Beliebtheit.5 Die Anzahl an SprachwissenschaftlerInnen, die sich auf die Jugendsprachforschung spezialisieren, nimmt beständig zu. Doch trotz allem Forschungseifer konnte bisher keine einheitliche Definition zu dem Untersuchungsgegenstand gefunden werden. Diesbezüglich konstatiert Neuland (2007: 13), dass die Forschung sich nicht einig ist „[…] ob Jugendsprachen linguistisch als eine Varietät, als sprachliche Register oder als subkulturelle Sprachstile zu bestimmen sind […]“.
Vor allem der subkulturelle Aspekt spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Waldemar Vogelsang (vgl. 1997: 439) stellt fest, dass den Jugendlichen heute eine große Anzahl an subkulturellen Gruppen zur Verfügung steht, denen sie sich anschließen können. Jede dieser Gruppen drückt sich durch eine individuelle Symbolik, Handlungsweise und auch Sprache aus. Dabei findet heute auch viel Interaktion im virtuellen Raum, auf Online-Plattformen, statt. Hier, wo man sein Gegenüber nicht immer sehen kann, spielt die Beherrschung der jeweils angewandten Jugendsprache eine besonders wichtige Rolle. Denn einige dieser Varianten wurden gruppenintern derart abgewandelt, dass sie für Außenstehende kaum mehr verständlich sind. Diese Abwandlungen, die für viele, vor allem die Eltern und andere Angehörige der älteren Generation nicht erschließbar sind, bieten eventuell eine Alternative für den sich abflachenden Generationenkonflikt, der in den Medien vielfach thematisiert wurde. Denn die Eltern der heutigen Jugendlichen stammen bereits selbst aus einer Zeit, in der Normen aufgebrochen wurden. Heutzutage werden Schimpfwörter nicht mehr als so schlimm erachtet, wie noch vor vielen Jahren. Auch die Kleidung stellt in den meisten Familien kein Konfliktpotential mehr dar (vgl. Neuland 2018: 31). Um sich dennoch abgrenzen zu können, müssen sich die jungen Leute andere Wege suchen, zum Beispiel durch ein innovatives Sprechverhalten. Es scheint, als sei die Varietät des Multiethnolekts eine dieser Innovationen, die hierfür gerne übernommen werden. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund, weshalb sich dieser einer wachsenden Beliebtheit unter einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen erfreut. Im folgenden Kapitel soll deshalb untersucht werden, was ein Multiethnolekt ist und wer seine Sprecher sind.
2.2. Der Multiethnolekt
Kiezdeutsch: Ein neuer Dialekt entsteht. So lautet ein in Forschung und Medien viel diskutiertes Werk von Heike Wiese, einer Professorin für Linguistik an der Humboldt-Universität in Berlin. Kiezdeutsch, Kanaksprak oder auch Türkendeutsch sind eher konnotierte Begriffe für den neutraleren Ausdruck Multiethnolekt . Eine Definition findet man bei Vanessa Siegel (2018: 5) „[…] eine Varietät […], die von Sprecher/innen verschiedener Kulturen und Sprachen gesprochen wird“. Diese Definition wird jedoch bereits im nächsten Satz relativiert, da sie nicht die Gesamtkomplexität des Gegenstandes erfassen würde. Der bereits erwähnte Sprachforscher Androutsopoulos wiederum spricht von [der] Erfindung ›des‹ Ethnolekts und unterstellt das diskursive Konstruieren „eine[r] Einheit, die man abgrenzen, inventarisieren und didaktisch aufbereiten kann“ (Androutsopoulos 2011: 93). Es ist offensichtlich, dass der hier thematisierte Gegenstand nicht einfach zu fassen ist, bzw. seine Existenz womöglich erst noch wissenschaftlich belegt werden muss. Fakt ist allerdings, dass sich im Laufe der letzten Jahre eine neue Ausdrucksweise unter einer bestimmten Gruppe von jugendlichen verbreitet hat, die es so vorher noch nicht gab. In den Fokus der Öffentlichkeit rückte dieses neue Sprachphänomen zunächst durch das 1995 erschienene Werk Kanak Sprak – 24 Mißtöne von Rande der Gesellschaft , des Schriftstellers Feridun Zaimoğlu. Es beinhaltet Interviews mit Türken, die in Deutschland leben und eine Parallelwelt repräsentieren, die für mangelnde Integration, Kriminalität und menschliche Abgründe steht. Die fiktiven Interviewpartner sprechen ein von der Standardsprache abweichendes Deutsch.
[...]
1 Die drei weiteren sind „Breakdance“, „Graffiti“ und „Djing“ (vgl. z. B. https://www.srf.ch/radio-srf-virus/festival/hip-hop-lebt-fuer-immer-dank-diesen-4-elementen. Letzter Zugriff: 25.02.20).
2 Zur näheren Beschreibung des Multiethnolekts siehe Punkt 2.2.
3 Das Phänomen der Ethnolektbildung ist jedoch auch in anderen Ländern zu beobachten, wie z. B. Rinkebysvenska in Schweden oder Straattaal in den Niederlanden.
4 So heißt es in einem Artikel der Wochenzeitschrift Die Berner Woche von 1941: „Haben Sie, Väter und Mütter, eigentlich den Jargon Ihrer Kinder auch schon mal ein wenig beachtet? dass [sic] alles ,tschentʻ, ,wahnsinnigʻ, ,verrücktʻ, ,gerissenʻ und neuerdings ,ohnmächtigʻ ist?“
5 Vgl. z. B. Ziegler, Arne (2018): Jugendsprachen: aktuelle Perspektiven internationaler Forschung .
Berlin; Boston.