Ziel der Arbeit ist es herauszuarbeiten, wie sich die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und daran angeknüpfte gesetzliche Regelungen auf die Fortführung von Unternehmen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, auswirken.
Das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 hat die deutsche Wirtschaft nach wie vor fest im Griff. Der zweite Lockdown gibt Unternehmen vieler Branchen erneut einschneidende Beschränkungen vor und entzieht diesen ihre Geschäftsgrundlage. Die Pandemie bringt sowohl kleine und mittlere Betriebe als auch große Konzerne in eine existenzbedrohende Lage. Bereits im Frühjahr zeichnete sich ab, dass ohne einen Eingriff in das aktuell geltende Recht eine Insolvenzwelle droht. "Wir wollen verhindern, dass Unternehmen nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil die von der Bundesregierung beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen". Im März 2020 verabschiedete der deutsche Bundestag, neben umfangreichen Maßnahmenpaketen das Insolvenzaussetzungsgesetz (§ COVInsAG). Ziel dieses Instrumentes ist es, den schwerwiegenden, wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie entgegenzuwirken. Den überschuldeten und zahlungsunfähigen Unternehmen soll durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht mehr Zeit für Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen verschafft und eine Pleitewelle verhindert werden. Daher lautet die forschungsleitende Frage: Welche Chancen und Risiken ergeben sich für deutsche Unternehmen durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Rahmen des COVInsAG?
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Insolvenztatbestände in Deutschland
2.1.1 Zahlungsunfähigkeit – § 17 InsO
2.1.2 Überschuldung – § 19 InsO
2.1.3 Drohende Zahlungsunfähigkeit – § 18 InsO
2.2 COVID-19 Insolvenzaussetzungsgesetz – § COVInsAG
3 Chancen
3.1 Zeitgewinn für Sanierungs- & Restrukturierungsmaßnahmen
3.2 Vorübergehende Haftungsprivilegien für Schuldner und Gläubiger
4 Risiken
4.1 Vertrauensverlust am Markt durch Zombieunternehmen
4.2 Verschiebung einer wachsenden Insolvenzwelle in Deutschland
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Insolvenztatbestände
Abbildung 2: Vier-Phasen-Modell der Unternehmenskrise
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 hat die deutsche Wirtschaft nach wie vor fest im Griff. Der zweite Lockdown gibt Unternehmen vieler Branchen erneut einschneidende Beschränkungen vor und entzieht diesen ihre Geschäftsgrundlage. Die Pandemie bringt sowohl kleine und mittlere Betriebe als auch große Konzerne in eine existenzbedrohende Lage. Bereits im Frühjahr zeichnete sich ab, dass ohne einen Eingriff in das aktuell geltende Recht eine Insolvenzwelle droht. „Wir wollen verhindern, dass Unternehmen nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil die von der Bundesregierung beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen“1.
Im März 2020 verabschiedete der deutsche Bundestag, neben umfangreichen Maßnahmenpaketen das Insolvenzaussetzungsgesetz (§ COVInsAG). Ziel dieses Instrumentes ist es, den schwerwiegenden, wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie entgegenzuwirken. Den überschuldeten und zahlungsunfähigen Unternehmen soll durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht mehr Zeit für Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen verschafft und eine Pleitewelle verhindert werden. Daher lautet die forschungsleitende Frage:
Welche Chancen und Risiken ergeben sich für deutsche Unternehmen durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Rahmen des COVInsAG?
Ziel der Arbeit ist es herauszuarbeiten, wie sich die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und daran angeknüpfte gesetzliche Regelungen auf die Fortführung von Unternehmen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, auswirken.
Der Arbeit wird die Bestimmung der verschiedenen Insolvenztatbestände vorangestellt, um die Thematik des Insolvenzrechts besser zu verstehen. Anschließend wird das COVID-19 Insolvenzaussetzungsgesetz sowie dessen Geltungsbereich näher erläutert.
Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse ausgewählter Chancen und Risiken. Hierbei wird, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, nicht auf alle gesetzlichen Regelungen, die im Zusammenhang mit der Insolvenzantragsaussetzung stehen, eingegangen. Als positiver Effekt wird der verlängerte Zeitraum, der für Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen genutzt werden kann, beleuchtet. Bezugnehmend auf die gesetzlichen Erleichterungen im Rahmen des COVInsAG werden Haftungsrisiken, die sowohl für Schuldner als auch Gläubiger eingeschränkt wurden, dargestellt.
Diesen beiden Punkten wird zum einen der Vertrauensverlust, der sich durch die steigende Anzahl von Zombieunternehmen am Markt ergibt, als Risiko gegenübergestellt. Zum anderen wird die wachsende Insolvenzwelle, die sich durch das COVInsAG zeitlich verschiebt, analysiert. Abschließend wird das Erarbeitete zusammengefasst und mögliche Zukunftsentwicklungen prognostiziert.
Da es sich bei dem Corona-Virus und der damit verbundenen Pandemie um ein neuartiges Problem handelt, werden aus Gründen der Aktualität vermehrt digitale Quellen herangezogen.
2 Theoretische Grundlagen
Der theoretische Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit der näheren Bestimmung der beiden Insolvenztatbestände Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Der Vollständigkeit halber wird auch kurz auf die drohende Zahlungsunfähigkeit eingegangen. Diese spielt jedoch für den weiteren Verlauf der Arbeit keine Rolle. Des Weiteren wird das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz und dessen Kernelement, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, eingehend beleuchtet.
2.1 Insolvenztatbestände in Deutschland
Ein Unternehmen kann aufgrund vielfältiger Ursachen in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Ist ein Unternehmen nicht mehr sanierungsfähig, ist der Geschäftsleiter verpflichtet einen Insolvenzantrag zu stellen, sobald einer der Eröffnungsgründe vorliegt. Im deutschen Insolvenzrecht wird zwischen der Zahlungsunfähigkeit, der Überschuldung sowie der drohenden Zahlungsunfähigkeit unterschieden.
2.1.1 Zahlungsunfähigkeit – § 17 InsO
Nach §17 InsO ist die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens ein allgemeiner Insolvenzeröffnungsgrund. Ein Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn die fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr beglichen werden können bzw. die Zahlungen gänzlich eingestellt wurden. Der Eröffnungsgrund wird als allgemein betitelt, da jeder Rechtsträger Insolvenz anmelden kann (§ 15 InsO). Dies umfasst natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften. Bei vorliegender Zahlungsunfähigkeit besteht eine Insolvenzantragspflicht unverzüglich, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens binnen drei Wochen (§ 15a InsO). Dabei wird sowohl den Gläubigern als auch den Schuldnern ein Insolvenzantragsrecht eingeräumt.2
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom 24.05.2005 ist von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners zehn oder mehr Prozent beträgt und diese nicht nur von vorübergehender Natur ist. Es muss ein dauernder Mangel an Liquidität vorliegen, der in nächster Zeit nicht vollständig oder fast vollständig behoben werden kann. Für die Behebung der Zahlungslücke wird grundsätzlich ein Zeitraum von drei Wochen angesetzt.3 Ausnahmen sind möglich: Ist die Lücke größer als zehn Prozent und zur Behebung werden mehr als drei Wochen benötigt, kann ein Schuldner trotzdem als zahlungsfähig gelten. Dafür müssen alle Gläubiger mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitnah befriedigt werden können und Ihnen muss ein Abwarten zumutbar sein.4
2.1.2 Überschuldung – § 19 InsO
Die Überschuldung entspricht dem zweiten Insolvenztatbestand. Gemäß §19 Abs. 2 Satz 1 InsO wird von Überschuldung gesprochen, wenn das Vermögen des Schuldners nicht ausreicht, um seine bestehenden Verbindlichkeiten zu begleichen. Das Unternehmen gilt als nicht überschuldet, wenn dessen Fortführung größtenteils als wahrscheinlich gilt.
Im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit betrifft die Überschuldung nur juristische Personen (§19 Abs. 1 InsO) sowie Personengesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (§19 Abs. 3 Satz 1 InsO). Die Überschuldung stellt demnach nur für Unternehmen, bei denen die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist, einen Insolvenzgrund dar. Folgende Rechtsformen können beispielsweise von Überschuldung betroffen sein: GmbH, AG, GmbH & Co. KG sowie Vereine und Genossenschaften.5 Gemäß § 15a InsO besteht bei eingetretener Überschuldung ebenfalls eine Insolvenzantragspflicht spätestens binnen drei Wochen.
2.1.3 Drohende Zahlungsunfähigkeit – § 18 InsO
Wenn ein Schuldner zum Zeitpunkt der Fälligkeit seine vorhandenen Zahlungsverbindlichkeiten sehr wahrscheinlich nicht begleichen kann, droht ihm Zahlungsunfähigkeit (§18 Abs. 2 InsO). Dieser Tatbestand gilt entsprechend §18 Abs. 1 InsO ebenfalls als ein Insolvenzeröffnungsgrund. Im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung handelt es sich bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit leidglich um ein Antragsrecht des Schuldners. (Abb. 1). Durch dieses Recht soll ein Anreiz geschaffen werden, zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Insolvenzantrag zu stellen und mit Hilfe eines Insolvenzplans das Unternehmen nachhaltig zu sanieren sowie zukunftsfähig zu restrukturieren.6
Abbildung 1: Insolvenztatbestände
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
2.2 COVID-19 Insolvenzaussetzungsgesetz – § COVInsAG
Die Corona-Krise bringt viele deutsche Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische, in eine existenzbedrohende Lage. Zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen hat der deutsche Bundestag am 27. März 2020 das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz, auch genannt COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz, verabschiedet.
[...]
1 Lambrecht, C., 2020.
2 Vgl. Sikora, K., Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 309.
3 Vgl. BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, S. 1.
4 Vgl. Ebd.
5 Vgl. Knecht, T., Hommel, U., Wohlenberg, H., Unternehmenskrise, 2018, S. 21.
6 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., 2018, S. 14.