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Digitaler Zugang der Gewerkschaft zum Betrieb am Beispiel von E-Mails

©2022 Seminararbeit 34 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit beginnt mit der Vorstellung der Anspruchsgrundlagen für Zugangsrechte der Gewerkschaften. Der Hauptteil der Arbeit behandelt den Zugang tariffähiger Gewerkschaften über betriebliche E-Mail-Adressen. Im Anschluss werden kurz die Unterschiede beim Zugang nicht tariffähiger Gewerkschaften erläutert. Die Darstellung schließt mit zusammenfassenden Thesen und einem Ausblick.

Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung in der Arbeitswelt vorangetrieben. Tätigkeiten werden dezentralisiert und die Kommunikationsformen reformiert. Die Arbeit wird auch in Zukunft vermehrt aus dem "Home-Office" erfolgen, sodass die Arbeitnehmer fast nur noch digital miteinander und mit dem Arbeitgeber kommunizieren. Daneben sind neue Formen der
Erwerbstätigkeit entstanden, die ausschließlich auf digitalen Kommunikationsformen basieren, wie die Arbeit als Essenslieferant, Taxifahrer oder "crowdworker" über sog. "Plattformökonomien". Der Betrieb verschwindet als örtliche Stelle oder verliert an Bedeutung.

Das hat zur Folge, dass die Arbeitnehmer gewerkschaftliche Plakate oder schwarze Bretter nicht mehr zur Kenntnis nehmen und Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern nicht mehr zustande kommen. Die gewerkschaftliche Arbeit und Interessenvertretung verlieren somit an Bedeutung. Gleichzeitig verlieren viele Gewerkschaften Mitglieder und damit an Durchsetzungskraft. Werbung und Information sind daher essenziell. Doch wie können die Gewerkschaften die Arbeitnehmer in der "neuen Arbeitswelt" weiterhin gleich effektiv erreichen? Hat die Gewerkschaft als Pendant zum analogen Zugangsrecht auch ein digitales Zugangsrecht zum Betrieb?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Gliederung

Gliederung

Literaturverzeichnis

A. Einleitung

B. Anspruchsgrundlagen für Zugangsrechte der Gewerkschaft
I. Betriebsverfassungsrechtliches Zugangsrecht, § 2 II BetrVG
II. Verfassungsrechtliches Zugangsrecht, Art. 9 III GG

C. Digitaler Zugang tariffähiger Gewerkschaften über E-Mails
I. Herausgabe der E-Mail-Adressen
1. Namentliche E-Mail-Adressen
a) Beschäftigungskontext, § 26 BDSG
b) Wahrung berechtigter Interessen, Art. 6 I 1 Buchst. F. DS-GVO
aa) Berechtigtes Interesse
(1) Ausschließlich mobile Arbeit
(2) Gewöhnliche Kommunikation per E-Mail
(3) Betriebe mit ausschließlich analoger Kommunikation
(4) Zwischenergebnis
bb) Interessenabwägung
c) Ergebnis zu C.1.1
2. E-Mail-Verteiler
3. Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers
4. Ergebnis zu C.1
II. Duldung der E-Mails
1. Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers, Art. 14 I GG
a) Vergleich mit analogem Postverteilungssystem
b) IT-Sicherheit
c) Besondere Beziehung
d) Grenzen
e) Ergebnis zu C.II.1
2. Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, Art. 2 I GG
a) Betriebsstörung
aa) Lektüre der E-Mails als Betriebsstörung
bb) Lektüre der E-Mails keine Betriebsstörung
b) Gewerkschaft zurechenbar
c) Ergebnis zu C.II.2
3. Rechte der Arbeitnehmer
a) Negative Koalitionsfreiheit, Art. 9 III GG
b) Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG..
c) Ergebnis zu C.II.3

D. Digitaler Zugang nicht tariffähiger Gewerkschaften über E-Mails 23
I. Voraussetzungen
II. Digitale Zugangsrechte
1. Verfassungsmäßiges Recht
2. Praktische Konkordanz
a) Spam-Gefahr
b) Große Bedeutung der Koalitionsfreiheit, Art. 9 III GG
c) Abwägungsergebnis

E. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung in der Arbeitswelt vorange- trieben.1 Tätigkeiten werden dezentralisiert und die Kommunikationsformen reformiert. Die Arbeit wird auch in Zukunft vermehrt aus dem „Home- Office“ erfolgen, sodass die Arbeitnehmer fast nur noch digital miteinander und mit dem Arbeitgeber kommunizieren.2 Daneben sind neue Formen der Erwerbstätigkeit entstanden, die ausschließlich auf digitalen Kommunikati­onsformen basieren, wie die Arbeit als Essenslieferant, Taxifahrer oder „crowdworker“ über sog. „Plattformökonomien“.3 Der Betrieb verschwindet als örtliche Stelle oder verliert an Bedeutung.4

Das hat zur Folge, dass die Arbeitnehmer gewerkschaftliche Plakate oder schwarze Bretter nicht mehr zur Kenntnis nehmen und Gespräche mit Ge­werkschaftsvertretern nicht mehr zustande kommen.5 Die gewerkschaftliche Arbeit und Interessenvertretung verlieren somit an Bedeutung. Gleichzeitig verlieren viele Gewerkschaften Mitglieder und damit an Durchsetzungs- kraft.6 Werbung und Information sind daher essenziell.7 Doch wie können die Gewerkschaften die Arbeitnehmer in der “neuen Arbeitswelt” weiterhin gleich effektiv erreichen? Hat die Gewerkschaft als Pendant zum analogen Zugangsrecht auch ein digitales Zugangsrecht zum Betrieb?

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat beim Arbeitsgericht Nürnberg Klage auf Herausgabe der dienstlichen E-Mail­Adressen, hilfsweise einer Sammeladresse sowie auf einen Zugang zum Intranet, gegen den Konzern Adidas erhoben.8 Mit dem Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie (ADK) hat die IG BCE bereits die erste Sozialpartnerschaft zum digitalen Zugangsrecht geschlossen.9 Besondere Bedeutung hat die Frage nach digitalen Zugangsrechten im Rahmen der bevorstehenden Betriebsratswahlen.10 Im Koalitionsvertrag11 vom 24.11.2021 heißt es, dass ein „zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht“, geschaffen werden soll. Bedeutet das, dass ein digitales Zugangsrecht mo­mentan gerade noch nicht besteht?

Die vorliegende Arbeit beginnt mit der Vorstellung der Anspruchsgrundla­gen für Zugangsrechte der Gewerkschaften. Der Hauptteil der Arbeit be­handelt den Zugang tariffähiger Gewerkschaften über betriebliche E-Mail­Adressen. Im Anschluss werden kurz die Unterschiede beim Zugang nicht tariffähiger Gewerkschaften erläutert. Die Darstellung schließt mit zusam­menfassenden Thesen und einem Ausblick.

Ebenfalls denkbar wäre ein Zugang betriebsangehöriger Gewerkschaftsmit­glieder über das betriebliche Intranet12 oder über eine sog. „Yammer“- Gruppe als Form der 2-way-communication.13 Aufgrund der weitgehend parallelen Wertungen würde jedoch ein näheres Befassen den Umfang der Arbeit sprengen.

B. Anspruchsgrundlagen für Zugangsrechte der Gewerkschaft

Zugangsrechte der Gewerkschaften ergeben sich aus § 2 II BetrVG und aus der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 III GG.

I. Betriebsverfassungsrechtliches Zugangsrecht, § 2 II BetrVG

Gemäß § 2 II BetrVG hat die im Betrieb vertretene Gewerkschaft ein physi­sches Zugangsrecht zum Betrieb zur Wahrnehmung betriebsverfassungs­rechtlicher Aufgaben und Befugnisse. Die Aufgaben der Gewerkschaft im Betrieb umfassen ihre Kreationsrechte, Teilnahme- und Beratungsrechte aus §§ 46 I, 31 BetrVG, die Gestaltungsrechte nach § 3 BetrVG und die Kon­trollrechte hinsichtlich Rechtsverstößen im Betrieb.14 Werbe- und Informa­tionsmaßnahmen sind hingegen nicht von § 2 II BetrVG erfasst. Das Zu­gangsrecht zum Zwecke der Wahrnehmung der Aufgaben ist außerdem rein physischer Natur.15 Die Norm gewährt mithin keinen unmittelbaren An­spruch auf digitalen Zugang zum Betrieb.

Eine vergleichbare Interessenlage für eine analoge Anwendung des § 2 II BetrVG scheitert an der Beschränkung des § 2 II BetrVG auf anlassbezoge­ne Aufgaben der Gewerkschaft nach dem BetrVG. Tätigkeiten wie dauer­hafte, nicht anlassbezogene Werbung oder Information der Gewerkschaft sind folglich auch nicht in analoger Anwendung von § 2 II BetrVG erfasst sind.16 Eine einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage besteht damit nicht.17

II. Verfassungsrechtliches Zugangsrecht, Art. 9 III GG

Jedoch regelt § 2 III BetrVG die Zugangsrechte von Gewerkschaften im Betrieb nicht abschließend.18 Gemäß Art. 9 III GG sind Koalitionen und damit Gewerkschaften umfassend in ihrem Bestand, ihrer inneren Ordnung und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung geschützt.19

Früher entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG)20 hinsichtlich gewerk­schaftlicher Mitgliederwerbung restriktiv. Im Sinne der sognannten Kernbe- reichslehre21 war von Art. 9 III GG nur das „Unerlässliche“ an Werbung und Information der Gewerkschaft geschützt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Kernbereichslehre im Jahr 1995 aufgegeben.22 Nunmehr umfasst Art. 9 III GG alle Verhaltensweisen, die koalitionsspezifisch sind.23 Die Koalitionen dürfen selbst entscheiden, mit welchen Mitteln und Tätig­keiten sie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern.24

Als Grundvoraussetzung für die Durchsetzungsfähigkeit und den Bestand der Gewerkschaft und damit für die Erfüllung der Aufgaben aus Art. 9 III GG dient die digitale Information über das Tarifgeschehen unmit­telbar und die Werbung per E-Mail mittelbar, der „Förderung der Arbeits­und Wirtschaftsbedingungen“.25 Somit sind die Tätigkeiten vom Schutzbe­reich des Art. 9 III GG erfasst.

Schranken findet Art. 9 III GG ausschließlich in kollidierendem Verfas- sungsrecht.26 Als kollidierendes Verfassungsrecht kommen die Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 2 I, 14 GG, die informationelle Selbstbestimmung der Arbeitnehmer aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG sowie die negative Koaliti­onsfreiheit der Arbeitnehmer aus Art. 9 III GG als „Gemeinwohl“27 in Be- tracht.28

C. Digitaler Zugang tariffähiger Gewerkschaften über E-Mails

Für einen digitalen Zugang über E-Mails müsste die tarifzuständige Ge­werkschaft in einem ersten Schritt vom Arbeitgeber die Herausgabe der be­trieblichen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer verlangen können und in einem zweiten Schritt E-Mails an die Arbeitnehmer zum Zwecke der Infor­mation und Werbung versenden dürfen.29

I. Herausgabe der E-Mail-Adressen

Es ist zwischen der Herausgabe namentlicher E-Mail-Adressen und der Herausgabe eines E-Mail-Verteilers zu differenzieren.30

1. Namentliche E-Mail-Adressen

Dienstliche E-Mail-Adressen sind meist nicht pseudonymisiert, sondern nach der Struktur vorname.nachname@firma.de aufgebaut.31 Mit der Über­mittlung der E-Mail-Adressen an die Gewerkschaft würde die Gewerkschaft daher alle Namen der Beschäftigten erfahren. Wie § 2 II WO zeigt, besteht aber nur in Ausnahmefällen das Recht für die Gewerkschaft an Informatio­nen über die Arbeitnehmer zu gelangen.32 Außerdem ist in der Betriebsver­fassung kein Auskunftsanspruch zum Zwecke der Mitgliederwerbung vor- gesehen.33

Die Rechtfertigung einer Beeinträchtigung durch Art. 9 III GG kann entfal­len, wenn dem Verhalten der Gewerkschaft Gemeinwohlbelange entgegen- stehen.34 Die Herausgabe der dienstlichen E-Mail-Adressen könnte dem­nach ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die informationelle Selbstbe­stimmung der Arbeitnehmer gemäß Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG sein.35 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine bedeutsame Ausprä­gung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit eigenständiger Bedeutung.36 Der Einzelne hat demnach die Befugnis grundsätzlich selbst über die Preis­gabe und die Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.37 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung findet seine Ausgestaltung im Datenschutzrecht.

Die namentlichen E-Mail-Adressen sind personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO38, dessen Weitergabe eine Verarbeitung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO darstellt.39 Grundsätzlich ist daher gemäß Art. 6 I 1 Buchst. A DS-GVO eine vorherige Einwilligung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung erforderlich.40

a) Beschäftigungskontext, § 26 BDSG

Die Gewerkschaft würde keine vorherige Einwilligung der Arbeitnehmer für die Herausgabe der E-Mail-Adressen durch den Arbeitgeber benötigen, wenn die Herausgabe der E-Mail-Adressen eine Datenverarbeitung zum Zweck der Begründung, der Durchführung oder der Beendigung des Be­schäftigungsverhältnisses gemäß § 26 BDSG ist.41 Die Herausgabe der E­Mail-Adressen an die Gewerkschaft müsste der arbeitsvertraglichen Zweck­bestimmung dienen und aus objektiver Sicht zur Erfüllung der Pflichten oder zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Vertrag erforderlich sein.42

Die Herausgabe der E-Mail-Adressen ist eine Datenverarbeitung zum Zweck der Werbung und Information der Arbeitnehmer.43 Eine mögliche Folge der gewerkschaftlichen Werbung kann ein Betritt eines umworbenen Arbeitnehmers sein.44 Ein Beitritt zu der Gewerkschaft kann einen unmittel- baren Einfluss auf die Arbeitsbedingungen haben, indem bei Bestehen eines Tarifvertrags dieser gemäß § 4 I TVG unmittelbar und zwingend gilt.45 Das spricht dafür, dass sich der Zweck der Herausgabe der E-Mail-Adressen im Beschäftigungskontext bewegt.

Andererseits betrifft das Beschäftigungsverhältnis direkt nur die Beziehun­gen zwischen den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber. Mitgliederwerbung und Information durch die Gewerkschaft sind nicht zur Erfüllung der Pflich­ten oder zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Arbeitsvertrag erforder- lich.46

Die Herausgabe der E-Mail-Adressen ist mithin keine Datenverarbeitung i.S.d. § 26 BDSG.

b) Wahrung berechtigter Interessen, Art. 6 I 1 Buchst. F. DS-GVO

Die Gewerkschaft bräuchte ebenfalls keine vorherige Einwilligung der Ar­beitnehmer in die Herausgabe der E-Mail-Adressen durch den Arbeitgeber, wenn die Herausgabe der E-Mail-Adressen gemäß Art. 6 I 1 Buchst. F. DS- GVO eine Datenverarbeitung ist, die zur Wahrung von berechtigten Interes­sen erforderlich ist und wenn die Interessen der betroffenen, geschützten Personen nicht überwiegen.47

aa) Berechtigtes Interesse

Ein berechtigtes Interesse liegt dann vor, wenn es keine objektiv zumutbare Alternative zur Datenverarbeitung gibt.48 Die Verarbeitung muss nicht zwingend notwendig sein.49

Eine objektiv zumutbare Alternative könnte der traditionelle Kommunikati­onsweg der Gewerkschaft über Flyer und das schwarze Brett im Betrieb sein. Die Gewerkschaft muss keine Daten der Arbeitnehmer verarbeiten und greift somit nicht in deren informationelle Selbstbestimmung ein. Folglich handelt es sich um ein milderes Mittel zur Mitgliederwerbung. Die Alterna­tive muss jedoch objektiv zumutbar, also gleich geeignet sein, wie die Her­ausgabe der E-Mail-Adressen.

(1) Ausschließlich mobile Arbeit

Wenn ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitnehmer aufgrund der Organisa­tion im Unternehmen ausschließlich mobil arbeitet, entfällt für sie die Mög­lichkeit an Informationen über das Schwarze Brett zu gelangen oder Flyer entgegen zu nehmen. Der Gewerkschaft ist dann eine Kontaktaufnahme auf traditionellem Wege nicht möglich.50 Hingegen kann die Gewerkschaft problemlos die Arbeitnehmer per E-Mail erreichen. Folglich ist dann die analoge Werbung keine objektiv zumutbare Alternative zur digitalen Wer­bung und der Datenverarbeitung.

(2) Gewöhnliche Kommunikation per E-Mail

Selbst wenn die gewöhnliche Kommunikation im Betrieb per E-Mail statt­findet, Einladungen zu betrieblichen Veranstaltungen per E-Mail versandt werden und der Arbeitgeber ausschließlich per E-Mail kommuniziert, wer­den die Arbeitnehmer, selbst wenn sie in der Betriebsstätte anwesend sind, das schwarze Brett nicht mehr als Informationsquelle wahrnehmen. Die Gewerkschaftsvertreter haben bei abwechselnden Home-Office-Zeiten, El­tern- und Teilzeiten geringe Chancen die Arbeitnehmer in der Betriebsstätte anzutreffen oder Flyer zu verteilen. Im Vergleich zur gewerkschaftlichen E­Mail ist ein Aushang am schwarzen Brett dann zwar ein milderes aber kein gleich geeignetes Mittel zur Mitgliederwerbung. Ein Verweis auf eine ge­werkschaftliche Homepage als milderes Mittel zur Werbung und Informati­on genügt nicht.51

Die Gewerkschaft darf grundsätzlich selbst entscheiden auf welchen Wegen sie werben und informieren will und ist nicht auf die Sphäre außerhalb des Betriebs verwiesen.52

Außerdem erklärt der Gesetzgeber ausdrücklich im Eckpunktepapier zur Stärkung der Tarifbindung53, dass neben dem persönlichen Kontakt die Nut­zung elektronischer Kommunikationssysteme der Gewerkschaften der „Re­gelfall“ sei. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaft ein „zeitgemäßen Recht“ sei.54 Beschäftigte seien immer weniger in Betriebsstätten als im Netz erreichbar.55

Das spricht dafür, dass in Betrieben, in denen die gewöhnliche Kommunika­tion per E-Mail stattfindet, die Gewerkschaft ein berechtigtes Interesse an der Herausgabe der namentlichen E-Mail-Adressen hat.

(3) Betriebe mit ausschließlich analoger Kommunikation

Anders ist das berechtigte Interesse hingegen in Betrieben zu bestimmen, in denen die digitale Kommunikation nicht die primäre Kommunikationsform ist. Das sind meist produktionsmittelreiche Betriebe, in denen die Arbeit­nehmer an Maschinen arbeiten und über keinen betriebseigenen Laptop ver­fügen. Selbst wenn die Arbeitnehmer in den Betrieben eine geschäftliche E-Mail-Adresse haben, erfolgt darüber meist nicht die überwiegende be­triebliche Kommunikation. Die Gewerkschaft kann daher die Arbeitnehmer noch auf traditionellen Wegen erreichen.56

In diesen Fällen ist die analoge Werbung demnach eine objektiv zumutbare Alternative zur Datenverarbeitung.57

Betriebe mit ausschließlich analoger Kommunikation werden jedoch immer seltener, sodass ihre Relevanz in der Diskussion um digitale Zugangsrechte minimal ist und in Zukunft nicht mehr vorhanden sein wird. Zudem liegt der

[...]


1 Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1210.

2 Vgl. HSI/ Däubler, S. 28.

3 Arbeitsrecht/ Hümmerich/Lücke/Mauer, § 1 Rn. 395 ; Kocher/Hensel, NZA 2016, 984.

4 Bereits Hanau, NJW 2016, 2614.

5 LAG Berlin-Brandenburg, 14.11.2018 - 17 Sa 562/18, NZA-RR 2019, 287; Hanau, NJW 2016, 2614.

6 Vgl. für DGB-Gewerkschaften: Statista: Anzahl der Mitglieder des Deutschen Gewerk­schaftsbunds (DGB) von 1994 bis 2020, https://de.statista.com/statistik/daten /studie/3266/umfrage/mitgliedszahlen-des-dgb-seit-dem-jahr-1994/, zuletzt abgerufen am: 13.2.2022.

7 So auch: Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1210.

8 Handelsblatt, IG BCE verlangt von Adidas die Herausgabe von E-Mail-Adressen der Mitarbeiter, https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rechtsstreit-ig-bce-verl angt-von-adidas-die-herausgabe-von-e-mail-adressen-der-mitarbeiter/26902246. html?ticket=ST-4 411 649-v9MVsSEFJSr2D5ePsBp9-ap6A, zuletzt abgerufen am: 12.2.2022.

9 IGBCE: Deutschlandweit erste Sozialpartnervereinbarung zum digitalen Zugangsrecht, https://igbce.de/igbce/adk-und-ig-bce-schliessen-sozialpartnervereinbarung-189342, zu­letzt abgerufen am: 10.1.2022.

10 Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758, 1759.

11 Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, S. 71, https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173 eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1, zuletzt abge­rufen am: 11.1.2022.

12 Siehe auch: NK/ Däubler, § 19 Rn. 547y; Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758, 1761; Klebe/Wedde, ArbuR 2000, 401, 407; Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1212.

13 Siehe auch: Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1211.

14 NP/ Däubler, § 2 Rn. 45 ff.

15 Gola, MMR 2005, 17, 20; Hopfner/Schrock, DB 2004, 1558, 1561.

16 BAG, 28.2.2006 - 1 AZR 460/04, BAGE 117, 137; ErfKJKoch, BetrVG § 2 Rn. 4.

17 Vgl. Dumke, RdA 2009, 77.

18 BVerfG, 17.2.1981 - 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220; ErfK/ Koch, BetrVG § 2 Rn. 7.

19 Münch/Kunig/ Winkler, GG Art. 9 Rn. 141-156.

20 Vgl. BAG, 14.2.1967 - 1 AZR 494/65, BAGE 19, 217.

21 Vgl. BVerfG, 30.11.1965 - 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303, 320.

22 BVerfG, 14.11.1995 - 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352; str. ob „Aufgabe der Kernbe­reichslehre“ oder „Ausräumen von Missverständnissen“, näher Schwarze, JA 2007, 150f.

23 BVerfG, 14.11.1995 - 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352.

24 BVerfG, 10.9.2004 - 1 BvR 1191/03, BVerfGK 4, 60.

25 BAG, 20.1.2009 - 1 AZR 515/08, BAGE 129, 145; Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1210.

26 BeckOK ArbR/ Besgen, BetrVG § 2 Rn. 41.

27 BAG, 20.1.2009 - 1 AZR 515/08, BAGE 129, 145; Mehrens, BB 2009, 2086, 2087.

28 BAG, 28.7.2020 - 1 ABR 41/18, NZA 2020, 1413 Rn. 22; ErfK/ Linsenmaier, GG Art. 9 Rn. 41.

29 Vgl. Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1211.

30 So auch Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758.

31 IT-ArbR/ Neu, Rn. 349.

32 Ebd.

33 Ebd.

34 BAG, 20.1.2009 - 1 AZR 515/08, Rn. 42, 51ff., BAGE 129, 145; Mehrens, BB 2009, 2086, 2087.

35 DWWS/ Wedde, DS-GVO Art. 6 Rn. 102.

36 ErfK/ Schmidt, GG Art. 2, Rn. 41.

37 BVerfG 19.4.2016 - 1 BvR 3309/13, BVerfGE 141, 186.

38 Paal/Pauly/ Ernst, DS-GVO Art. 4 Rn. 14.

39 Paal/Pauly/ Ernst, DS-GVO Art. 4 Rn. 20, 30.

40 Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1212.

41 Vgl. Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758, 1760; a.A. Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1212.

42 Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209, 1213.

43 Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758, 1760.

44 Ebd.

45 Ebd.

46 So Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209.

47 Paal/Pauly/ Gräber/Nolden, BDSG § 26 Rn. 8; Düwell/Brink, NZA 2017, 1081, 1082.

48 DWWS/ Wedde, DS-GVO Art. 6 Rn. 94 m.w.N.

49 Ebd.

50 Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758, 1760.

51 So auch: ArbG Frankfurt a.M., 12.4.2007 - 11 Ga 60/07.

52 BVerfG, 10.9.2004 - 1 BvR 1191/03, BVerfGK 4, 60.

53 Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesmi­nisteriums für Finanzen zur Stärkung der Tarifbindung, März 2021, https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arbeitsrecht/fairer- mindestlohn.pdf?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am: 7.1.2022.

54 Koalitionsvertrag 2021 - 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 71, https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a672005 9cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am: 11.1.2022.

55 BT-Drs. 19/16843, S. 8.

56 Vgl. BAG, 20.1.2009 - 1 AZR 515/08, BAGE 129, 145.

57 Hjort/Mamerow, NZA 2021, 1758, 1761.

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783346644763
ISBN (Buch)
9783346644770
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Bucerius Law School - Hochschule für Rechtswissenschaften in Hamburg
Erscheinungsdatum
2022 (Mai)
Note
16 Punkte
Schlagworte
digitaler zugang gewerkschaft betrieb beispiel e-mails
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