In der Öffentlichkeit ist man damals wie heute weit davon entfernt, einen Konsens hinsichtlich des Umgangs mit dieser weiblichen Kopfbedeckung zu finden. Gerade der Diskurs um das Tragen eines Kopftuchs in öffentlichen Behörden schürte erstmalig um die Jahrtausendwende herum eine bis heute anhaltende Debatte. Dies passierte durch eine Lehrerin, die damals darauf insistierte, ihre religiös motivierte Kopfdeckung nicht abzulegen, obwohl ihr damit das Ausüben ihrer Lehrtätigkeit vonseiten der Schule verwehrt wurde. Bezugnehmend auf den letzten Stand meiner Forschungsergebnisse ließ das BVerfG in seinem Urteil, das bis heute unverändert ist, verlauten, dass die Erfüllung religiöser Pflichten (durch das Tragen eines Kopftuches) an Schulen nur dann unterbunden werden dürfe, wenn der Schulfrieden gefährdet und/oder eine Verletzung der staatlichen Neutralität, z.B. durch Indoktrinierung oder Missionierung, offen zu Tage tritt.
Gleichzeitig ist in demselben Urteil zu lesen, dass beides in der Vergangenheit nicht aufgetreten sei. Inwiefern also das eine oder das andere durch diese Form der religiösen Bekleidung ausgelöst werden soll, wird seitens des BVerfG nicht kommentiert und erscheint eher spekulativer Natur zu sein. Dies wirft folgende Fragen auf, denen ich in meiner Arbeit auf den Grund gehe: Ist das Tragen eines islamischen Kopftuches sowohl für den Staat als auch aus islamischer Sicht religiös begründbar? Inwiefern wird der gesellschaftliche Bereich durch das Tragen eines religiös motivierten Kopftuchs stimuliert? Welchen Problemen blicken in Deutschland lebende MuslimInnen aufgrund derartiger Vorhaltungen entgegen und wie wirken sich diese aus?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Kopftuchstreit in Deutschland
3. Das Kopftuch in der islamischen Rechtslehre
3.1 Das Kopftuch im Koran
3.2 Das Kopftuch in den Hadithen
4. Das Dilemma der Induktion – Verallgemeinerung des Kopftuchs
4.1 Ein Abriss deutscher Ressentiments
4.2 Das Bild der muslimischen Frau im Westen
5. Probleme aus Sicht der Kopftuch tragenden Frau und der muslimischen Gemeinde
6. Fazit und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Das islamische Kopftuch - für manche ein symbolträchtiges Kleidungsstück mit latentem Gefahrenpotential, für andere ein Erkennungsmerkmal für Enthaltsamkeit und Orthodoxie. So diametral es auch angesehen wird, dass es in der Vergangenheit für reges Aufsehen auf deutschem Boden gesorgt hat, lässt sich kaum leugnen. In der Öffentlichkeit ist man damals wie heute weit davon entfernt einen Konsens hinsichtlich des Umgangs mit dieser weiblichen Kopfbedeckung zu finden. Dabei erstrecken sich die Streitpunkte in divergenter Manier sowohl auf die private oder berufliche als auch auf die Judikative Sphäre. In richterlichen Urteilsfindungen war jenes Kleidungsstück wiederholt thematisiert worden, wobei nicht immer das Kopftuch selbst, sondern vielmehr die uneinheitliche Rechtsprechung der Grund für Verwirrung sorgte. Gerade der Diskurs um das Tragen eines Kopftuchs in öffentlichen Behörden schürte erstmalig um die Jahrtausendwende herum eine bis heute anhaltende Debatte, und zwar durch eine Lehrerin, die damals darauf insistierte, ihre religiös motivierte Kopfdeckung nicht abzulegen, obwohl ihr damit das Ausüben ihrer Lehrtätigkeit vonseiten der Schule verwehrt wurde. Ihre richterliche Klage gelangte im Anschluss bis vor das Bundesverfassungsgericht1, weil auf Länderebene keine Gesetzesgrundlage herrschte, die das Tragen einer Kopfbedeckung aus religiöser Motivation verbot. Das gab einigen Bundesländern, zu denen auch Berlin gehörte, Grund zum Anlass ein solches Gesetz ins Leben zu rufen. Zur Aufrechterhaltung der Neutralität innerhalb der Institution Schule, in der man fortan eine religiöse oder weltanschauliche Agitation zu eliminieren versuchte, wurde das sogenannte Neutralitätsgesetz verabschiedet. Ein gutes Jahrzehnt später wurde selbiges Gesetz vom BVerfG als unvereinbar mit der Religions- und Bekenntnisfreiheit betitelt, gleichwohl die Länder bis heute nahezu vogelfrei sind, was die Verfahrensweise mit der Neutralitätswahrung an ihren Schulen angeht.
Diese Modularbeit ist eine Weiterentwicklung einer von mir bereits publizierten Arbeit, die den Gegenstand des Kopftuchs im Bereich der Fachdidaktik und somit unter einem anderen Schwerpunkt aufgreift, wobei einzelne Quellen aus damaliger Recherche in die vorliegende Arbeit integriert werden. Dies rührt daher, dass eine thematische Überschneidung durch Bezugnahme auf Themenbereiche, die für die Forschungsergebnisse der vorliegenden Arbeit relevant gewesen sind, kaum zu vermeiden war. Sämtliche Verwendungen sind gemäß der Zitierweise aus der Handreichung zur Anfertigung von Modularbeiten der philosophischen Fakultät kenntlich gemacht.
Bezugnehmend auf den letzten Stand meiner Forschungsergebnisse ließ das BVerfG in seinem Urteil2, das bis heute unverändert ist, verlauten, dass die Erfüllung religiöser Pflichten (durch das Tragen eines Kopftuches) an Schulen nur dann unterbunden werden dürfe, wenn der Schulfrieden gefährdet und/oder eine Verletzung der staatlichen Neutralität, z.B. durch Indoktrinierung oder Missionierung, offen zu Tage tritt. Gleichzeitig ist in demselben Urteil zu lesen, dass beides in der Vergangenheit nicht aufgetreten sei. Inwiefern also das eine oder das andere durch diese Form der religiösen Bekleidung ausgelöst werden soll, wird seitens des BVerfG nicht kommentiert und erscheint eher spekulativer Natur zu sein. Dies wirft folgende Fragen auf:
1. Ist das Tragen eines islamischen Kopftuches sowohl für den Staat als auch aus islamischer Sicht religiös begründbar?
2. Inwiefern wird der gesellschaftliche Bereich durch das Tragen eines religiös motivierten Kopftuchs stimuliert?
3. Welchen Problemen blicken in Deutschland lebende MuslimInnen aufgrund derartiger Vorhaltungen entgegen und wie wirken sich diese aus?
Für die Eruierung der ersten Forschungsfrage bedarf es im ersten Teil meiner Arbeit zunächst eines Blickes auf die gesetzliche Lage in Bezug auf die Kopftuch-Debatte in Deutschland, bei der ich zuteilen auf bereits bestehende Forschungsergebnisse meiner vorherigen Arbeit zurückgreife. Hierzu zählen die Erkenntnisse von Hundt (2010) und Meier-Braun und Weber (2017), die mir vorrangig als Türöffner dienen, um mich anschließend im zweiten Teil der Arbeit der Frage nach der religiösen Begründbarkeit des islamischen Kopftuchs aus islamischer Perspektive zu widmen. Mithilfe einer qualitativen Fallstudie von Kanitz (2017) gehe ich dieser Frage exegetisch auf den Grund. Zur Klärung meiner zweiten Forschungsfrage ist der soziologische Ansatz, den ich bereits in meiner anderen Arbeit gewählt habe, ebenfalls unerlässlich. Das Bild der muslimischen Frau mit Kopftuch in einer westlich geprägten Gesellschaft ist nicht zuletzt durch ihre Medienpräsenz, die unter anderem durch oben erwähnte Gerichtsbeschlüsse zustande kommt, von immensen Vorurteilen geprägt. Bevor ich auf das mediale Erscheinungsbild der muslimischen Gemeinde eingehe, greife ich daher meine bereits erworbenen Erkenntnisse, vor allem aber die empirisch semiotische Analyse aus Sahins Dissertation von 2014 und die ethnografisch-soziostilistischen Fallstudie von Keim (2008), durch die ebensolche Vorurteile wissenschaftlich transparent gemacht werden, im dritten Teil der Arbeit bewusst noch einmal auf, um den Bogen von der muslimischen Frau hin zum Kollektiv, hin zur islamischen Religionsgemeinschaft zu schlagen. Dessen gesellschaftliche Stellung hängt zwangsweise von der Ästimation der einzelnen Glaubensangehörigen ab und vice versa. Die daraus resultierenden Probleme, auf die ich im vierten Teil der Arbeit eingehe, sind nicht nur für die Betroffenen, sondern vor allem auch auf gesellschaftlicher Ebene verheerend. Am Ende meiner Arbeit schließe ich mit einem kurzen Ausblick und liefere mögliche Lösungsansätze.
2. Der Kopftuchstreit in Deutschland
Im Jahr 2003 wurde einer ausgebildeten Lehrerin namens Fereshta Ludin, vor Gericht recht gegeben, nachdem sie acht Jahre zuvor das Bundesland, in dem sie lebte, verklagte hatte, da ihr untersagt wurde, während des Lehrens ein Kopftuch zu tragen. Allerdings führte diese Rechtsprechung nicht dazu, dass sie an ihrer Schule mit Kopftuch lehren durfte, sondern schloss eine bis dahin unerkannte Lücke im Rechtssystem, weil das Bundesverfassungsgericht die Bundesländer aufforderte, im Falle eines gewollten Kopftuchverbots ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Gesagt, getan. Unter dem Terminus der Neutralitätswahrung regnete es aus allen Himmelsrichtung im Bundesgebiet Gesetzeserneuerungen, die im Groben LehrerInnen das zur Schau stellen religiöser Symboliken oder religiöser Kleidung während des Unterrichtens untersagte. Eine Dekade später gelang es dann zwei Frauen ebenfalls mit ihrer Klage bis vor das Bundesverfassungsgericht zu kommen, wobei diesmal zugunsten der Kopftuch tragenden Frauen entschieden wurde. Während das verklagte Bundesland, nämlich Nordrhein-Westfalen, sich in ihrer Verteidigung auf die Wahrung des Schulfriedens berief, entgegnete das Bundesverfassungsgericht, dass für die Beanstandung einer Störung des Schulfriedens konkrete Fälle hervorgebracht werden müssten, die eine solche Störung untermauern würden.3 Auch wenn dies wie ein Erfolg für all jene Betroffene klingen mag, herrscht bis heute große Uneinigkeit über die Verfahrensweise mit der Neutralitätswahrung an Schulen. Während einige Bundesländer das Lehren mit Kopftuch uneingeschränkt gestatten, sind Musliminnen in anderen Bundesländern abstrusen Regelungen unterworfen, wie ich in meiner vorherigen Arbeit bereits festhielt. Hundt (2010) zeigt nämlich am Beispiel von Bremen, dass im Zuge der Ausbildung eine Kleidervorschrift bei LehrerInnen als ein Eingriff in die Berufsfreiheit angesehen wird. Weil dies dazu führen kann, dass jemand seine oder ihre Lehrausbildung nicht zu Ende bringen kann, wird dieser Eingriff mithilfe einer zusätzlichen Gesetzesregelung unterbunden.4 Dieses scheinbar wahllose und je nach Bundesland variierende Dekret zeigt aber auch, dass dem islamischen Kopftuch eine gewisse Bedeutsamkeit beigemessen wird. An dieser Stelle möchte ich erneut auf eine Textpassage aus meiner vorherigen Arbeit zurückgreifen, indem ich das Urteil des Bundesverfassungsgericht von 2017 abermals hervorbringe, da dort das islamische Kopftuch und seine religiöse Begründbarkeit aus Sicht einer Bundesbehörde, die auch als Hüterin der Verfassung benamst wird, geschildert wird. Demnach ist das Tragen eines Kopftuchs „nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes, religiöses Gebot zurückzuführen“.5
Nachdem das Missverhältnis im Hinblick auf die gesetzliche Regelung zur Anerkennung religiöser Bekleidung im Lehrberuf durch die einzelnen Bundesländer verdeutlicht wurde, soll im nächsten Kapitel konstatiert werden, auf welchen religiösen Grundlagen das Kopftuch fußt.
3. Das Kopftuch in der islamischen Rechtslehre
3.1 Das Kopftuch im Koran
MuslimInnen handeln, bezogen auf die religiösen Handlungen im Alltag, gemäß der islamischen Rechtslehre.6 Diese stützt sich zum einen auf den Koran, der im islamischen Verständnis als das Wort Gottes gilt und vom Propheten Mohammed zwischen 609 und 632 n. Chr. verkündet wurde und zum anderen auf die Prophetentradition, auch Hadith genannt, in der sich Erzählungen über das Handeln des Propheten (die Sunna) und seine Aussprüche wiederfinden.7
[...]
1 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird das Wort Bundesverfassungsgericht mit BVerfG abgekürzt.
2 Bundesarbeitsgericht, Pressemitteilung Nr. 28/20 (2020)
3 Vgl. Meier-Braun/Weber (2017), ebd.
4 Vgl. Hundt (2010), S. 129
5 Kanzlei Hensche (2017), LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.02.2017 (14 Sa 1038/16) 16 Vgl. Sahin (2014), S. 460 ff.
6 Vgl. Kanitz (2017), S. 195
7 Vgl. ebd.