Im aktuellen Forschungskontext untersucht die vorliegende Arbeit kritisch, ob die gewählte Bezeichnung des Gnadenstuhls von Riemenschneider in der Sammlung Bollert vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungserkenntnisse weiterhin korrekt ist. Dazu wird zunächst die Ikonographie des Trinitätsbildes sowie die bezeichnenden Begriffe „Gnadenstuhl“, „Notgottes“ und „Tinitarische Pietà“ definiert und voneinander abgegrenzt. In einem weiteren Schritt wird die gewählte Skulptur im Detail beschrieben und auch im Kontext ähnlicher Skulpturen der selben Bildhauerwerkstatt erläutert. Im Fazit wird die Forschungsfrage aufgegriffen und anhand der zuvor erarbeiteten Erkenntnisse beantwortet.
Tilman Riemenschneider, beziehungsweise seine Werkstatt, gilt als einer der herausragenden Künstler der deutschen Spätgotik, der seit annähernd 200 Jahren konstant populär bleibt. Die fast durchweg religiösen Werke faszinieren durch emotionale Ausdruckskraft, meditative Innenschau und Versenkung sowie technischer Perfektion. Auch im Bayerischen Nationalmuseum in München sind die Riemenschneider Werke ein Anziehungspunkt, sodass ihnen seit 1950 ein eigener Saal gewidmet wird. Räumlich getrennt werden darüber hinaus einige, nicht weniger beeindruckende, Riemenschneider Werke der Sammlung Bollert dargestellt, unter anderem der sogenannte Gnadenstuhl: Der thronende Gottvater präsentiert seinen toten Sohn Christus.
Dieses mittelalterliche Bildkonzept findet aktuell neue Aufmerksamkeit. Die Ausstellung (2021/2022) der LUDWIGGALERIE und des Suermondt-Ludwig-Museums sowie die in dem Zusammenhang erschienene Publikation „Der Schmerz des Vaters? Die Trinitarische Pietà zwischen Gotik und Barock“ beleuchten das spätmittelalterliche Bildkonzept von dem Gottvater und seinem totem Sohn und nehmen begriffliche Abgrenzungen vor. In der Forschung wurde die Ikonografie des Trinitätsbildes seit 1920 zwar schon unter verschiedenen Forschungsfragen beleuchtet, eine umfassende aktuelle Untersuchung mit Gegenüberstellung der verschiedenen Darstellungstypen und Bezeichnungen liegt jedoch erst mit der Publikation zur oben genannten Ausstellung vor.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Ikonographie des Trinitatsbildes und begriffliche Definition
3. Trinitarische Pieta versus Gnadenstuhl
4. Beschreibung der Skulptur
5. Riemenschneider Gnadenstuhle im Vergleich
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsteil
9. Abbildungsnachweis
1. Einleitung
Tilman Riemenschneider, beziehungsweise seine Werkstatt, gilt als einer der heraus- ragenden Kunstler der deutschen Spatgotik, der seit annahernd 200 Jahren konstant popular bleibt. Die fast durchweg religiosen Werke faszinieren durch emotionale Aus- druckskraft, meditative Innenschau und Versenkung sowie technischer Perfektion. Auch im Bayerischen Nationalmuseum in Munchen sind die Riemenschneider Werke ein Anziehungspunkt, sodass ihnen seit 1950 ein eigener Saal gewidmet wird. Raum- lich getrennt werden daruber hinaus einige, nicht weniger beeindruckende, Riemen- schneider Werke der Sammlung Bollert dargestellt, unter anderem der sogenannte Gnadenstuhl: Der thronende Gottvater prasentiert seinen toten Sohn Christus.1
Dieses mittelalterliche Bildkonzept findet aktuell neue Aufmerksamkeit. Die Ausstellung (2021/2022) der LUDWIGGALERIE und des Suermondt-Ludwig-Museums sowie die in dem Zusammenhang erschienene Publikation „Der Schmerz des Vaters? Die Trinitari- sche Pieta zwischen Gotik und Barock“ beleuchten das spatmittelalterliche Bildkonzept von dem Gottvater und seinem totem Sohn und nehmen begriffliche Abgrenzungen vor.2 In der Forschung wurde die Ikonografie des Trinitatsbildes seit 1920 zwar schon unter verschiedenen Forschungsfragen beleuchtet, eine umfassende aktuelle Untersu- chung mit Gegenuberstellung der verschiedenen Darstellungstypen und Bezeichungen liegt jedoch erst mit der Publikation zur oben genannten Ausstellung vor.3
Im aktuellen Forschungskontext untersucht die vorliegende Arbeit kritisch, ob die ge- wahlte Bezeichnung des Gnadenstuhls von Riemenschneider in der Sammlung Bollert vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungserkenntisse weiterhin korrekt ist. Dazu wird zunachst die Ikonographie des Trinitatsbildes sowie die bezeichnenden Begriffe „Gnadenstuhl“, „Notgottes“ und „Tinitarische Pieta“ definiert und voneinander abge- grenzt. In einem weiteren Schritt wird die gewahlte Skulptur im Detail beschrieben und auch im Kontext ahnlicher Skulpturen der selben Bildhauerwerkstatt erlautert. Im Fazit wird die Forschungsfrage aufgegriffen und anhand der zuvor erarbeiteten Erkenntnisse beantwortet.
2. Ikonographie des Trinitatsbildes und begriffliche Definition
Das Trinitatsbild dient seit dem Mittelalter der Verbildlichung des Mysteriums der Heili- gen Dreifaltigkeit. Diese besondere Form, bei der der Gottvater dem Betrachter seinen toten Sohn Christus prasientiert, erfahrt seit dem 14. Jahrhundert groBe Beliebtheit. In einigen Varianten zeigt der Gottvater den an das Kreuz genagelten Erloser, in anderen Darstellungen umfasst er direkt den leblosen Korper seines Sohnes. Der Gottvater wird dabei mal stehend, mal thronend gezeigt. Als Symbol des Heiligen Geistes dient die oft separat gearbeitete Taube, die in vielen Fallen uber der Schulter Christi montiert war. In vielen plastischen Wiedergaben des Themas ging diese jedoch verloren.4
Der Begriff „Notgottes“ wurde 1936 von Georg Troescher fur den Bildtyp des Gottvaters, der dem Betrachter den Schmerzensmann, den toten, vom Kreuz abge- nommenen Sohn, prasientiert, in die Kunstgeschichte eingefuhrt. Seit der Publikation von Troescher wurde die Bezeichnung „Notgottes“ teilweise verwendet, um den Bildtyp mit dem Schmerzensmann von der Variante mit dem Kruzifix, dem sogenannten „Gna- denstuhl“ abzugrenzen.5 Jedoch wurde der Begriff „Notgottes“ in der Literatur vielfach kritisch diskutiert. So gilt der Begriff Not Gottes im Lexikon fur Theologie und Kirche aus 1962 als eine volkstumliche Ubersetzung der Todesangst Christi am Olberg. Er- kenntnisse aus 2016 machen die Verwendung dieses Begriffes fur das Trinitatsbild mit Schmerzensmann obsolet, da mit Notgottes vielmehr die Todesangst Christi und der auf die Passion verweisende Kelch gemeint sei.6
Der Begriff „Gnadenstuhl“ ist die haufigste Bezeichnungsweise fur diesen Bild- typus und geht auf Luther zuruck. Dieser ubersetzte die Formulierungen in der Vulgata „thronum gratiae“ und „propitiatorium“ mit dem Begriff Gnadenstuhl. Ausgehend von dieser Ubersetzung wurde der Deckel der Bundeslade, ein heiliger Kultgegenstand der Israeliten, mit Gnadenstuhl bezeichnet. Im Alten Testament ist mit Gnadenstuhl der Ort gemeint, wo Gott sich dem Volk offenbarte und wo das Blut des Opfertiers vom Hohe- priester zur Versohnung aufzutragen ist. Wohingegen im Neuen Testament der Begriff Gnadenstuhl vielmehr auf Christus selbst verweist, durch den Gottes Gnaden erlangt werden. Bildquellen aus dem 16. Jahrhundert, u.a. das seit 1945 verschollene Relief des Wurzburger Bildhauers Peter Dell d. A. aus dem Jahre 1548, wiesen darauf hin, dass mit dem Begriff Gnadenstuhl der Bildtypus gemeint ist, in dem der Gottvater den gekreuzigten Christus halt. In die Kunstgeschichte wurde der Begriff „Gnadenstuhl“ je- doch erst deutlich spater eingefuhrt, durch den Kunst- und Kirchenhistoriker Franz Xa- ver Kraus, der von 1878 bis 1901 an der Universitat Freiburg wirkte. Dieser jedoch be- zog sich anders als Dell nicht auf den Gottvater mit Kruzifix, sondern vielmehr auf den Gottvater, der seinen Sohn im SchoB halt. In beiden Fallen wird auf das Suhneopfer des Gottessohnes und die Gnade Gottes durch die Erlosung angespielt, sodass die Bezeichnung Gnadenstuhl laut Preising, Rief und Vogt in beiden Fallen grundsatzlich richtig sei. Da es sich jedoch um zwei verschiedene Bildtypen handelt, mit unterschied- licher Hervorhebung der Passion, wird jedoch eine begriffliche Unterscheidung emp- fohlen. Hier hat sich bislang noch keine einheitliche Terminologie durchgesetzt.7
Preising, Rief und Vogt aktualisieren mit dem Begriff „Trinitarische Pieta“ eine Bezeichnung, die 1973 von Friedrich Gorissen verwendet wurde und vor allem im Eng- lischen und Niederlandischen vorkommt. Diese bezeichnet ein Trinitatsbild mit dem Schmerzensmann, wobei der inhaltliche Schwerpunkt nicht auf dem Gottvater, sondern auf dem Schmerzensmann liegt. Es wird explizit darauf verwiesen, dass der Begriff nicht mit dem Pietatypus verwechselt werden sollte, in dem der thronende Gottvater seinen Sohn, genauso wie Maria, auf seinem SchoB halt.8 Laut Preising, Rief und Vogt sind auch die drei Darstellungen von Tilman Riemenschneider dem Begriff der Trinitari- schen Pieta zuzuordnen, auch wenn der fur den Schmerzensmann typische Verweis auf die Seitenwunde fehlt.9
Da sich der Begriff „Notgottes“, wie zuvor erlautert, in der Kunstgeschichte nicht durchgesetzt hat, wird auf die weitere Betrachtung dieses Begriffs im Rahmen dieser Hausarbeit verzichtet und der Fokus auf die Gegenuberstellung der Begriffe „Gnaden- stuhl“ und „Trinitarische Pieta“ gelegt.
3. Trinitarische Pieta versus Gnadenstuhl
Preising, Rief und Vogt verwenden in ihrer Publikation den Begriff „Gnadenstuhl“, analog zu Peter Dell im 16. Jahrhundert, fur die Darstellung des Gottvaters, der das Kreuz mit Christus vor sich halt und durch die Taube des heiligen Geistes begleitet wird. Die- ser Bildtypus kam im fruhen 12. Jahrhundert auf und wird sowohl als Darstellung der Annahme des Kreuzesopfers und zugleich als Darreichung des Erlosers an den Glau- bigen verstanden. Der Gnadenstuhl verdeutlicht damit das Mysterium der heiligen Messe. Im spaten 13. Jahrhundert lasst sich diese trinitarische Darstellung auch in wei- teren verschiedenartigen Zusammenhangen, wie in Evangeliaren und Bibeln oder an Altarretabeln oder Turen von Sakramentshausern nachweisen. Dieser Bildtypus ist entgegen der Trinitarischen Pieta auch in Italien gegeben. Seit dem fruhen 15. Jahr- hundert entstehen zwar erste Darstellungen der Trinitarischen Pieta mit Christus als Schmerzensmann, das altere Motiv des Gnadenstuhls wird jedoch weiterhin in Malerei und Skulptur umgesetzt.
[...]
1 Vgl. Weniger/Eikelmann/Teuscher 2016, S.14 ff.
2 Vgl. Preising/Rief/Vogt 2021, S. 6.
3 Vgl. ebd. S. 14 f.
4 Vgl. Weniger/Eikelmann/Teuscher 2016, S. 140.
5 Vgl. Preising/Rief/Vogt 2021, S. 5.
6 Vgl. ebd. S. 5 f.
7 Vgl. ebd. S. 16 f.
8 Vgl. ebd. S. 17.
9 Vgl. ebd. S. 32 f.