Dieser Essay soll herausarbeiten, welche psychologischen Verhaltensmuster Sabine Czernys Dilemma zugrunde liegen, wie diese erkannt werden können und wie die sogenannten „Bezugsnormen“ im Unterricht optimal in Bezug auf Leistung und Motivation eingesetzt werden können.
Im Bundesland Bayern hat die Beurteilungspraxis einer Lehrerin für Furore gesorgt. Sabine Czerny, eine Grundschullehrerin mit zehnjähriger Berufserfahrung inklusive Fortbildungen, wurde vom Schulamt wegen zu guter Noten ihrer Schüler abgemahnt. War je-doch Sabine Czernys Klasse durch Zufall leistungsfähiger als die Parallelklassen? Oder war die Abmahnung des Schulamts begründet? Waren die Aufgaben zu leicht? Resultierten die außergewöhnlichen Noten aus einer abnormen Beurteilungspraxis?
Inhalt
Einleitung zu Bezugsnormen - Der Fall Sabine Czerny
Moglichkeiten und Grenzen von Bezugsnormen
Fazit und Ausblick zu Bezugsnormen
Einleitung zu Noten
Vor- und Nachteile von Noten
Fazit zu Noten
Reflexion uber die Relevanz fur professionelles Handeln
Literaturverzeichnis
BEZUGSNORMEN UND NOTEN
Einleitung zu Bezugsnormen - Der Fall Sabine Czerny
Im Bundesland Bayern hat die Beurteilungspraxis einer Lehrerin fur Furore gesorgt. Sabine Czerny, eine Grundschullehrerin mit zehnjahriger Berufserfahrung inklusive Fortbildungen, wurde vom Schulamt wegen zu guter Noten ihrer Schuler abgemahnt (Behler, 2010). War je- doch Sabine Czernys Klasse durch Zufall leistungsfahiger als die Parallelklassen? Oder war die Abmahnung des Schulamts begrundet? Waren die Aufgaben zu leicht? Resultierten die auBergewohnlichen Noten aus einer abnormen Beurteilungspraxis?
Dieser Essay soll herausarbeiten, welche psychologischen Verhaltensmuster Sabine Czernys Dilemma zugrunde liegen, wie diese erkannt werden konnen und wie die sogenann- ten „Bezugsnormen“ im Unterricht optimal in Bezug auf Leistung und Motivation eingesetzt werden konnen.
Moglichkeiten und Grenzen von Bezugsnormen
Eine Kernaufgabe von Lehrer*innen ist das Beurteilen von Leistungen und Sozialverhalten der Schuler*innen. Dieser Teil der Hausarbeit befasst sich ausschlieBlich mit den Bewer- tungsmaBstaben und thematisiert explizit nicht die Beurteilungsform, beispielsweise Noten oder Verbalbeurteilungen. Der anschlieBende Teil reflektiert uber die Funktion sowie uber Vor- und Nachteile von Noten.
In der Schule kommt der Beurteilungssituation insofern eine groBe Bedeutung zu, da die Qualitat der Beurteilungen uber die gesellschaftliche Anerkennung der Absolvent*innen entscheidet (Brunstein & Heckhausen, 2006).
Um Sabine Czernys Dilemma hinsichtlich verschiedener Aspekte beurteilen zu kon- nen, soll zunachst ein Blick auf die rechtliche Lage geworfen werden. Das Hamburger Ab- kommen der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1964 legt fest, dass die Notenvergabe in Schulen auf sachliche Kriterien beruhen soll. Ein*e Schuler*in erhalt eine vier, wenn die BEZUGSNORMEN UND NOTEN
Leistungen im Regelfall ausreichend waren. Dies geschieht ohne den Einfluss eines Ver- gleichs mit Mitschuler*innen. „Daruber hinaus wird ausdrucklich auf die Moglichkeit der so- genannten padagogischen Notengebung hingewiesen, indem individuelle Entwicklungsten- denzen in den Noten ihren Niederschlag finden und insgesamt eine ermutigende Perspektive aufgezeigt werden soll“ (Spinath, 2007, S. 187).
Die bereits genannten „Bezugsnormen“ werden in der einschlagigen Fachterminologie der padagogischen Psychologie als ein Standard definiert, „mit dem ein Resultat verglichen wird, wenn man es als Leistung wahrnehmen und bewerten will“ (Rheinberg & Fries, 2018, S. 56). Auf eventuelle abweichende rechtliche Besonderheiten im Bundesland Bayern durch das foderale Bildungssystem wird an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen. Der in der Definition genannte Standard kann fundamental unterschiedliche Ursprunge besitzen, bei- spielsweise die Orientierung an Bestleistungen innerhalb der Vergleichsgruppe, die Orientie- rung an eigenen Leistungsfortschritten bei Stationsarbeiten oder die Orientierung an einem Erwartungshorizont bei Klassenarbeiten.
An dieser Stelle deuten sich die drei qualitativ unterschiedlichen Bezugsnormen be- reits an. Die „Soziale Bezugsnorm“ vergleicht die Leistung einer Person mit der Leistung an- derer Personen in der Vergleichsgruppe. Dies wird auch als interindividueller Vergleich be- zeichnet. Der haufigste Anwendungsbereich dieser Bezugsnorm ist der Sport (Spinath, 2007). Die soziale Bezugsnorm ist vorteilhaft, wenn die dauerhaft Besten bestimmt werden sollen sowie ein Konkurrenzdruck erzeugt werden soll. Nachteilig ist der klasseninterne Bezugsrah- men und die Nichtsichtbarmachung der gemeinsamen sowie individuellen Lernfortschritte (Rheinberg, 2014). AuBerdem konnen Verabredungen innerhalb einer Vergleichsgruppe zu irrationalen Bewertungen fuhren, da bei schlechten Leistungen aller Schuler*innen alle Schu- ler*innen die beste Beurteilung bekommen mussten.
Die „Individuelle Bezugsnorm“ vergleicht die Leistung einer Person mit einer fruheren Leis- tung derselben Person. Dies ist auch unter der Bezeichnung „intraindividueller Vergleich“ be- kannt und besitzt eine temporale Komponente. Im Sport ist diese Bezugsnorm bei der „Kon- trolle der Leistungsentwicklung eines Sportlers anzutreffen“ (Spinath, 2007, S. 187). Die Vor- teile der individuellen Bezugsnorm werden in der Motivation v. a. leistungsschwacherer Schuler*innen, in einer moglichen anderungssensiblen Leistungsruckmeldung und in der Re- duktion von Misserfolgsangsten (Brunstein & Heckhausen, 2006) gesehen. Die Nachteile be- stehen in der dauerhaften Ausblendung bestehender oder sich verandernder Leistungsunter- schiede. AuBerdem konnen in der reinen Anwendung der individuellen Bezugsnorm ebenfalls irrationale Beurteilungen zustande kommen (Rheinberg, 2014), indem einer*m konstant sehr guten Schuler*in eine schlechtere Beurteilung zuteilwird als einer*m Schuler*in mit leichten Verbesserungen im unteren Leistungsanforderungsbereich.
Die „Sachliche/kriteriale Bezugsnorm“ vergleicht die Leistung mit einem inhaltlich begrundeten oder im Vorfeld definierten Standard. Im Sport stellen Qualifikationen oder Min- destweitwurflange kriteriale Bezugsnormen dar (Spinath, 2007). Die kriteriale Bezugsnorm besitzt Vorteile in Bezug auf die Erfullung eines Mindeststandards. Die Vergabe von Noten sollte beispielsweise nach der kriterialen Bezugsnorm erfolgen. Allerdings werden analog zur sozialen Bezugsnorm Leistungsentwicklungen ausgeblendet und die Beurteilung bezieht sich auf eng umschriebene Fahigkeiten (Rheinberg, 2014). Die kriteriale Norm besitzt eine ideale Komponente, wohingegen die soziale und die individuelle Bezugsnorm den Realnormen zu- geordnet werden (Rheinberg & Fries, 2018).
Wie konnen die drei Bezugsnormen bestmoglich in Bezug auf Leistung im Schulun- terricht eingesetzt werden? Die Effekte von Bezugsnormen auf die Motivation von Schu- ler*innen wurden in verschiedenen Studien untersucht. Trudewind und Kohne (1982) konnten in ihrer Studie folgenden Zusammenhang beweisen.
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