Die Arbeit untersucht den Fortschritt eines Lieferkettengesetzes in Deutschland. Am 24. April 2013 stürzte der Fabrikkomplex Rana Plaza in Bangladesch ein. Der Unfall kostete nicht nur 1136 Arbeiter*innen das Leben, sondern lenkte auch die globale Aufmerksamkeit auf die vorherrschenden Missstände und fehlenden Arbeitsschutzmaßnahmen in den Fabriken. Das Fehlen von existenzsichernden Löhnen, hoher Arbeitsdruck, sexuelle Belästigung und Missbrauch von Frauen sowie Kinderarbeit in den Fabriken sind nur einige wenige Beispiele, mit denen sich die prekäre Lage der Textilbranche in Asien beschreiben lassen.
In diesem Kontext richtete Bundeskanzlerin Angela Merkel die Aufmerksamkeit auf die Verantwortung globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten und fordert effektive Maßnahmen für Prävention, Arbeits- und Menschenrechtsschutz. Gleichzeitig aber versteht sie nachhaltiges und sozialverantwortliches Handeln als Voraussetzung für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.
Es drängt sich natürlich die Frage auf, was sich seit diesem Unglück und der aussichtsreichen Rede im Juli 2015 tatsächlich geändert hat. Ist es deutschen Unternehmen gelungen, den wirtschaftlichen Erfolg auf der einen Seite und die Wahrung von Menschenrechten auf der anderen Seite in Einklang zu bringen?
Schon die erste Annäherung an dieses Thema zeigt deutlich, wie spannungsgeladen die Diskussionen um ein deutsches Lieferkettengesetz sind, die seit Monaten zwischen Politik und Wirtschaft geführt werden. Die viel diskutierte Frage lautet dabei, ob ein solches Gesetz die Ausbeutung gegenüber den Produktionsmitarbeiter:innen überhaupt verhindern kann?
Inhaltsverzeichnis
AbkürzungsverzeichnisII
1. Der globale Welthandel im Spannungsfeld zwischen Gewinnstreben und sozialer Verantwortung
2. Grundlagen des Gesetzesentwurfes
2.1 Hintergrund und Entwicklung fundamentaler Menschenrechte
2.2 Internationale Gesetzgebung
2.3 Nationale Gesetzgebung
2.4 Eckpunkte des Gesetzesentwurfes
3. Bewertungen und Auswirkungen auf wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Ebene
3.1 Möglichkeiten
3.2 Grenzen aus Sicht der deutschen Wirtschaft und gegenüberstellende Betrachtung
4. Zusammenfassung und abschließende Bewertung
5. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Der globale Welthandel im Spannungsfeld zwischen Gewinnstreben und sozialer Verantwortung
„Gute Arbeitsbedingungen und wirksamer Umweltschutz verbessern einerseits die Lebensqualität, sie sind aber – und das ist das Spannende – auch Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Das heißt, es geht nicht nur darum, etwas mehr zu tun, sondern zum Schluss auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.“1
Diese Deklaration der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bezieht sich auf den verheerenden Einsturz des Fabrikkomplex Rana Plaza2 in Bangladesch. Der Unfall kostete nicht nur 1.136 Arbeiter*innen das Leben, sondern lenkte auch die globale Aufmerksamkeit auf die vorherrschenden Missstände und fehlenden Arbeitsschutzmaßnahmen in den Fabriken.3 Das Fehlen von existenzsichernden Löhnen, hoher Arbeitsdruck, sexuelle Belästigung und Missbrauch von Frauen sowie Kinderarbeit in den Fabriken sind nur einige wenige Beispiele, mit denen sich die prekäre Lage der Textilbranche in Asien beschreiben lassen.4
In diesem Kontext richtet die Bundeskanzlerin die Aufmerksamkeit auf die Verantwortung globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten und fordert effektive Maßnahmen für Prävention, Arbeits- und Menschenrechtsschutz.5 Gleichzeitig aber versteht sie nachhaltiges und sozialverantwortliches Handeln als Voraussetzung für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.
Es drängt sich natürlich die Frage auf, was sich seit diesem Unglück und der aussichtsreichen Rede im Juli 2015 tatsächlich geändert hat. Ist es deutschen Unternehmen gelungen, den wirtschaftlichen Erfolg auf der einen Seite und die Wahrung von Menschenrechten auf der anderen Seite in Einklang zu bringen?
Trotz dem Einsatz und Zusammenschluss zahlreicher deutscher Organisationen, internationaler Unternehmen sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind die Ergebnisse ernüchternd.
Das Auswärtige Amt gab im Oktober 2020 bekannt, dass weniger als 20 Prozent deutscher Unternehmen die Erwartungen der Bundesregierung bezüglich unternehmerischer Verantwortung bei grenzüberschreitender Tätigkeit erfüllen.6
Auch die Unternehmensbefragung der ‚Kampagne für Saubere Kleidung’ macht deutlich auf den mangelnden Willen, etwas zu verändern seitens der Unternehmen aufmerksam. Die Ergebnisse zeigen einen erheblichen Dissens zwischen den Behauptungen der Bekleidungsindustrie und den tatsächlichen Realitäten, mit denen Arbeiter*innen in den Entwicklungsländern konfrontiert sind.7
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist der Auffassung, dass mit Freiwilligkeit alleine die Herausforderung nicht bewältigt werden kann8 und arbeitet folglich Eckpunkte aus, die als Grundlage für ein deutsches Lieferkettengesetz dienen sollen.9 Hierbei sind zusätzlich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) beteiligt. Diese drei Ministerien sind allerdings, trotz andauernder Verhandlungen bisher zu keiner Einigung bezüglich der grundlegenden Eckpunkte und somit einer offiziellen Grundlage für eine Gesetzgebung gekommen.10 Die Gespräche zu einem Lieferkettengesetz sollen im Januar 2021 zwischen den zuständigen Ministern11 und der Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie dem Vizekanzler Olaf Scholz nochmals aufgenommen werden.12
Schon die erste Annäherung an dieses Thema zeigt deutlich, wie spannungsgeladen die Diskussionen sind, die seit Monaten zwischen Politik und Wirtschaft geführt werden. Die viel diskutierte Frage lautet dabei, ob ein solches Gesetz die Ausbeutung gegenüber den Produktionsmitarbeiter*innen überhaupt verhindern kann?
Der im obigen Fallbeispiel exemplarisch aufgeführte Fabrikeinsturz und die damit aufgedeckten Missstände in der Textilindustrie stehen dabei beispielhaft für jegliche Form von Menschenrechtsverletzungen in der weltweiten Produktion.
2. Grundlagen des Gesetzesentwurfes
2.1 Hintergrund und Entwicklung fundamentaler Menschenrechte
Während einerseits Armut, Hunger und Ungleichheit in den Entwicklungs- und Schwellenländern weltweit zunehmen, gibt es andererseits einflussreiche transnationale Unternehmen13 , die undefinierte und weite Handlungsspielräume zu ihren Gunsten ausnutzen und sich auf eine fehlende, verpflichtende Gesetzgebung zum Schutz der Menschen berufen.14
Wie im Januar 2019 aus dem OXFAM-Bericht zur sozialen Ungleichheit hervorgeht, können sich immer weniger Menschen aus schwerwiegender Armut eigenständig befreien, während aber die Vermögenszuwächse der Reichsten weiterhin zunehmen. Gerade in den weniger entwickelten Ländern des globalen Südens fehlen Finanzierungshilfen und Investitionen, um soziale Ungleichheit und Armut zu verringern. Des Weiteren zeigt der Bericht auf, dass ein gebührenfreies öffentliches Bildungsangebot, medizinische Versorgung und soziale Sicherungsnetze die wichtigsten Ansatzpunkte im Kampf gegen soziale Ungleichheit darstellen.15
Gleichzeitig aber nutzen transnationale Unternehmen die Vorteile der in den siebziger Jahren beschleunigten Politik zur Senkung von Zöllen und Handelsbarrieren aus und betätigen sich einer offensiven Steuervermeidungsstrategie.16 Zudem kommt es zu einer grenzenlosen Lohnkonkurrenz in den Produktionsländern, die nicht vor Zwangs- und Kinderarbeit zurückschreckt, wie beispielsweise auf Kakaoplantagen der Elfenbeinküste.17 Wie aus einem 2020 erschienenen Bericht der International Labour Organization (ILO) hervorgeht, müssen 152 Millionen Kinder derzeit unter unzureichenden Bedingungen arbeiten.
Hiervon sind insgesamt etwa 73 Millionen Jungen und Mädchen von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen. Die Zahl der arbeitenden Kinder weltweit könnte nach Prognosen der ILO durch die COVID-19 Pandemie sogar weiter ansteigen.18
Wie Wötzel ausführt, haben global agierende Unternehmen, die menschenwürdige Sozialstandards ausblenden, zu dieser Entwicklung maßgeblich beigetragen. Zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen und der ILO weisen schon seit Jahren auf die Grenzen und schwerwiegenden Folgen im Zuge der neoliberalen Globalisierung hin, welche sich auf ein Minimum staatlicher Eingriffe stützt. Wachstum, individuelle Freiheit und Wohlstand für alle liegen in den Händen weniger „Global Player“19 , die es verstanden haben, erkennbare Regulierungs- und Durchsetzungslücken zu ihren Vorteilen auszunutzen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen.20
Auf nationaler Ebene existieren zwar Richtlinien und Gesetze, die deutsche Unternehmen dazu auffordern, ihrer unternehmerischen Verantwortung nachzukommen und Menschenrechte sowie Umweltbelange zu wahren. Allerdings fehlt bis heute ein verbindliches und vor allem internationales Regelwerk, dass die sozialen und ökologischen Mindeststandards durchsetzen kann. Dies hat zur Folge, dass sich die strukturellen Probleme in den Produktionsländern bislang nicht verbessert haben.21
2.2 Internationale Gesetzgebung
Die Frage nach dem Zusammenhang wirtschaftlicher Tätigkeit von Unternehmen und der Verletzung von Menschenrechten wurde von den Vereinten Nationen, der OECD22 und der ILO schon früh diskutiert. Die Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung23 , welche die Unterstützung der Entwicklungsländer zum Ziel hatte, wurde bereits 1974 von der UN-Generalversammlung verabschiedet.24
[...]
1 Merkel (03.06.2015) S. 5.
2 Der Gebäudeeinsturz in der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch am 24. April 2013 gehört zu den schwerwiegendsten Fabrikunfällen in der gesamten Textilindustrie.
3 Vgl. Hinzmann (23.04.2018).
4 Vgl. Müller (10/2020) S. 3 f.
5 Vgl. Merkel (03.06.2015) S.5.
6 Vgl. Auswärtiges Amt, Referat Wirtschaft und Menschenrechte (13.10.2020).
7 Vgl. Müller (10/2020), S. 2.
8 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2020).
9 Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)/Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (10.03.2020).
10 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (17.12.2020).
11 Diskussion zwischen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU)
12 Vgl. Business & Human Rights Resource Centre (17.12.2020).
13 Transnationale Unternehmen sind Unternehmen oder Unternehmensteile, die gesellschaftsrechtlich verbunden und grenzüberschreitend tätig sind.
14 Vgl. Priegnitz (2013), S. 1 f.
15 Vgl. Lawson (21.01.2019), 8 f.
16 Vgl. Wötzel (2013), S. 15.
17 Vgl. Hönscheid/Menn (2016) S. 2 ff.
18 Vgl. International Labour Organization (05/2020).
19 Transnationale Unternehmen
20 Vgl. Wötzel (2013), 16 f.
21 Vgl. Burckhardt (2013), S. 11 f.
22 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
23 Die „Charta über die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“ wurde am 12.12.1974 verabschiedet
24 Vgl. Massoud (2018), 10 f.