Zur Benachteiligung der Nachkommen der "Gastarbeiter" auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Zusammenfassung
Die Pioniermigranten wurden für die untersten Stufen der beruflichen und betrieblichen Hie-rarchien angeworben und so im untersten Segment des Arbeitsmarktes beschäftigt. Größtenteils verblieben sie dort auch in der gesamten Phase ihrer Erwerbstätigkeit, da ihre Sprachkenntnisse, ihr Bildungs- und Qualifikationsniveau zu gering waren, um eine andere Position auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen . Daraus ergaben sich geringere Einkommen und schlechtere Wohnbedingungen als weitere Kennzeichen ihrer sozialen Lage (Hoffmann-Nowotny, 1987; Heckmann, 1992; Geissler 2006). Strukturell gelten daher die Arbeitsmigranten der ersten Generation als unzureichend integriert.
Hier geht es nun darum, wie sich die Lage der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder und Enkel dieser Pioniergeneration darstellt. Haben sie den „Aufstieg“ auf dem deut-schen Arbeitsmarkt geschafft? Hat eine intergenerationale, soziale Mobilität stattgefunden oder ist eine strukturelle Verfestigung der Benachteiligung zu beobachten? Wenn man davon ausgeht, dass sich Assimilationsprozesse über mehrere Generationen vollziehen, wäre zu erwarten, dass die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder der Arbeitsmigranten eine bessere Arbeitsmarktposition aufweisen als ihre Eltern.
Leseprobe
Die Einwanderungsgeschichte der Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg ist besonders ge- prägt durch die Gruppe der „Gastarbeiter“, der nach Deutschland angeworbenen Arbeits- migranten1, und ihrer Familienangehörigen. Diese bilden seit Beginn der Anwerbung bis heu- te einen quantitativ bedeutenden Teil in der Gesellschaft Deutschlands. Ihre Einwanderung hatte und hat Auswirkungen einerseits auf ihre individuelle Lebenssituation und andererseits auf die bundesrepublikanische Gesellschaft. Untersuchungen über Art und Bedeutung der sozialstrukturellen Lage dieser Gruppe wurden in zahlreichen soziologischen Studien vorge- nommen. In seiner bedeutenden migrationstheoretischen Auseinandersetzung beschrieb Hoffmann-Nowotny die sozialstrukturelle Positionierung der angeworbenen Arbeitsmigranten mit dem Begriff der „Unterschichtung“. Demnach traten diese Einwanderer in den entschei- denden Dimensionen der Sozialstruktur, also berufliche Stellung, Einkommen und Wohnsitu- ation, in die untersten Positionen derselben ein. (Hoffmann-Nowotny, 1987).
Die Pioniermigranten wurden für die untersten Stufen der beruflichen und betrieblichen Hie- rarchien angeworben und so im untersten Segment des Arbeitsmarktes beschäftigt. Größten- teils verblieben sie dort auch in der gesamten Phase ihrer Erwerbstätigkeit, da ihre Sprach- kenntnisse, ihr Bildungs- und Qualifikationsniveau zu gering waren, um eine andere Position auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen (Bender/Seifert 2000, 55). Daraus ergaben sich geringere Einkommen und schlechtere Wohnbedingungen als weitere Kennzeichen ihrer sozialen Lage (Hoffmann-Nowotny, 1987; Heckmann, 1992; Geissler 2006). Strukturell gelten daher die Arbeitsmigranten der ersten Generation als unzureichend integriert.
Hier geht es nun darum, wie sich die Lage der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder und Enkel dieser Pioniergeneration darstellt. Haben sie den „Aufstieg“ auf dem deut- schen Arbeitsmarkt geschafft? Hat eine intergenerationale, soziale Mobilität stattgefunden oder ist eine strukturelle Verfestigung der Benachteiligung zu beobachten? Wenn man davon ausgeht, dass sich Assimilationsprozesse über mehrere Generationen vollziehen, wäre zu er- warten, dass die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder der Arbeitsmigranten eine bes- sere Arbeitsmarktposition aufweisen als ihre Eltern.
„Insbesondere die Kinder der Einwanderer (2. Generation), die im Zielland aufge- wachsen und zur Schule gegangen sind, müssten aufgrund besserer Sprachkenntnisse, aber auch weil sie über inländische Bildungszertifikate verfügen, bessere Arbeits- marktchancen haben.“
(Bender und Seifert 2000:55)
Die Identifizierung der 2. Generation
Restriktive Einbürgerungsbestimmungen (kein Rechtsanspruch, hohe Kosten bis 1993) und bei den Pioniermigranten vorherrschende Rückkehrabsichten führten dazu, dass wenige von ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen. Sie bildeten damit eine homogenere und leichter identifizierbare Gruppe als ihre Nachkommen.
Will man Aussagen über einen Aspekt der sozialstrukturellen Position, wie in diesem Essay über die Arbeitslage, der 2. Generation der Arbeitsmigranten machen, muss dies stets mit dem Wissen geschehen, dass die Identifizierung der Mitglieder dieser Gruppe viel schwieriger ist. Eingebürgerte Migranten etwa fallen aus der statistischen Erfassung und es kommt zu undif- ferenzierten, verzerrten Zahlen. So tauchen gut ausgebildete, eingebürgerte Migrantenkinder in der statistischen Auswertung nicht auf, denn sie sind als „Deutsche“ registriert.2
Vor diesem Hintergrund und anhand der vorhandenen Daten (Querschnittsvergleiche zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, Zeitreihenvergleiche) kann man daher nur annäherungsweise Aussagen über die Entwicklung von einer Generation zur nächsten machen.
Berufliche Stellung
Vergleichende Zahlen zur beruflichen Stellung von erwerbstätigen Ausländern3 im Jahr 1991 und 2000 geben Hinweise auf berufliche Aufstiegsprozesse bei Migranten aber auch auf nach wie vor bestehende Benachteiligungen im Vergleich zu Einheimischen (Westdeutsche). So bestehen zu beiden Zeitpunkten beispielsweise enorme Differenzen zu den Einheimischen in den Anteilen der Un- und Angelernten. Während über die Hälfte der Ausländer dieser Gruppe zuzuordnen sind (im Jahr 2000 52%), trifft dies nur auf ca. ein fünftel der Westdeutschen zu.
Innerhalb der Gruppe der Ausländer ging in dem untersuchten Zeitraum der Anteil der Un- und Angelernten um 4% und der der Facharbeiter um 5% zurück, während deutlich mehr Ausländer nun im Bereich der mittleren Dienstleistung arbeiten (plus 6%). (Geissler 2006: 242). Diese Zahlen geben Hinweise auf vertikale Mobilitätsprozesse, hinter denen sich mögli- cherweise auch intergenerationale Unterschiede in der Arbeitsmarktposition verbergen.
[...]
1 Die Bundesrepublik schloss am 20. Dezember 1955 mit Italien das erste Anwerbeabkommen ab. Es folgten Abkommen mit Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und dem ehemaligen Jugoslawien (1968).
2 Vgl. Methodische Anmerkung bei Geissler 2006: 244
3 Berücksichtigt sind hierbei nur erwerbstätige Personen aus den früheren Anwerbeländern Türkei, Italien, Ex-