Die nachfolgende Arbeit untersucht insbesondere die „abgewandelte, negative“ Semantik der jiddischen Lehnwörter mauscheln, Mischpoke, zocken und koscher. Dabei soll der Fokus darauf gelegt werden, welche Bedeutungskomponenten für das jeweilige Lehnwort im Deutschen Referenz Korpus (DeReKo) gefunden werden können.
Mauscheln, zocken, malochen, pleite, Mischpoke. Alle diese Wörter wurden aus dem Jiddischen in die deutsche Sprache entlehnt und teilen eine auffällige Gemeinsamkeit: ihre negative, teils pejorative Semantik. Diese wurde ihnen durch die Entlehnung in die deutsche Sprache zugeschrieben.
Die ersten jiddischen Worte fanden Ende des 15. Jahrhunderts Einzug in deutsche Texte. Der Sprachkontakt betraf nicht nur die obere soziale Schicht sondern auch die vagantes, eine Bezeichnung für fahrende Studenten, die unter anderem Diebes- und Gauner-Kreisen angehörten. Jiddische Wörter wurden in deren Jargon und dadurch in das Rotwelsche aufgenommen. Der religiös motivierte Antisemitismus gegen Juden trug dazu bei, dass die Semantik der Wörter teilweise stark ins Negative verschoben wurde. Im 18. Jahrhundert wurden westjiddische Begriffe zudem von Christen in Parodien und Polemiken verwendet.
Die Propaganda der Nationalsozialisten verstärkte die negative Haltung gegenüber dem Jiddischen – sie sahen in den entlehnten jiddischen Wörtern des Rotwelschen einen Beweis für die Kriminalität der Juden. Nicht zuletzt glaubten sie an die Verhunzung und „Verstümmelung“ (Schleicher 2007) der deutschen Sprache durch den Einfluss der Juden. Sie bezeichneten den Klang des Jiddischen als mauscheln und als jüdeln/jiddeln.
Auch heute wird auf die problematische Verwendung von Wörtern jiddischen Ursprungs hingewiesen. In dem Artikel „Antisemitismus in der Sprache Mauscheln, Mischpoke, Semit*innen: Wie judenfeindlich ist unsere Sprache?“ (Die Zeit 2020) unterscheidet Ronen Steinke zwischen „guten“ und „unguten jiddischen Slangwörtern“. Der Unterschied bestehe darin, dass die Wörter so verwendet werden, wie sie Jiddischsprechende verwenden würden, oder dass sie „im Deutschen eine abgewandelte, negative Bedeutung haben.“ (Die Zeit 2020)
Inhaltsverzeichnis
1. Einfuhrende Uberlegungen
2. Linguistische Analyse
2.1 Mauscheln
2.1.1 „Mauscheln in Hinterzimmern“
2.1.2 Betrugen und Tricksen
2.2 Mischpoke
2.2.1 „Wir sind keine Mischpoke, sondem das mundige Volk.“
2.3 Zocken
2.3.1 „Zocken im Netz“
2.3.2 Wortfeld ,,eine hollische Sucht“
2.3.3 „Gnadenloses“ Abzocken
2.4 Koscher
2.4.1 „Nicht ganz koscher“
3. Fazit
4. Bibliographie
5. Anhang
5.1 Korpustreffer
1. Einfuhrende Uberlegungen
Mauscheln, zocken, malochen, pleite, Mischpoke. Alle diese Worter wurden aus dem Jiddischen in die deutsche Sprache entlehnt und teilen eine auffallige Gemeinsamkeit: ihre negative, teils pejorative Semantik. Diese wurde ihnen durch die Entlehnung in die deutsche Sprache zugeschrieben.
Die ersten jiddischen Worte fanden Ende des 15. Jahrhunderts Einzug in deutsche Texte. Der Sprachkontakt betraf nicht nur die obere soziale Schicht sondern auch die vagantes, eine Bezeichnung fur fahrende Studenten, die unter anderem Diebes- und Gauner-Kreisen angehorten. (Schleicher 2007:160) Jiddische Worter wurden in deren Jargon und dadurch in das Rotwelsche aufgenommen. (Kiefer 2004:3266) Der religios motivierte Antisemitismus gegen Juden trug dazu bei, dass die Semantik der Worter teilweise stark ins Negative verschoben wurde. Im 18. Jahrhundert wurden westjiddi- sche Begriffe zudem von Christen in Parodien und Polemiken verwendet. (Schleicher 2007:161f.)
Die Propaganda der Nationalsozialisten verstarkte die negative Haltung gegenuber dem Jiddischen - sie sahen in den entlehnten jiddischen Wortern des Rotwelschen einen Beweis fur die Kriminalitat der Juden. Nicht zuletzt glaubten sie an die Verhun- zung und „Verstummelung“ (Schleicher 2007:165) der deutschen Sprache durch den Einfluss der Juden. Sie bezeichneten den Klang des Jiddischen als mauscheln und als judeln/jiddeln. Dass die „angreichert[e]“ (Lohr 2014:186) Sprache auch fur den Anti- semitismus der Nationalsozialisten und fur die Shoa zeugt, zeigt der judische Dichter Paul Celan, indem er bewusst ein „judelndes“ (Boschenstein, Schmull 1999:129) Pro- sastuck verfasst, welches er als ein „Mauscheln“ (Janz 1976:229) mit dem Philosophen Theodor W. Adorno bezeichnet.
Auch heute wird auf die problematische Verwendung von Wortern jiddischen Ursprungs hingewiesen. In dem Artikel „Antisemitismus in der Sprache Mauscheln, Mischpoke, Semit*innen: Wie judenfeindlich ist unsere Sprache?“ ( Die Zeit 2020) unterscheidet Ronen Steinke zwischen „guten“ und „unguten jiddischen Slangwor- tern“. Der Unterschied bestehe darin, dass die Worter so verwendet werden, wie sie Jiddischsprechende verwenden wurden, oder dass sie „im Deutschen eine abgewan- delte, negative Bedeutung haben.“ ( Die Zeit 2020)
Die nachfolgende Arbeit untersucht insbesondere die „abgewandelte, negative“ Semantik der jiddischen Lehnworter mauscheln, Mischpoke, zocken und koscher. Dabei soll der Fokus darauf gelegt werden, welche Bedeutungskomponenten fur das jeweilige Lehnwort im Deutschen Referenz Korpus (DeReKo) gefunden werden kon- nen.
2. Linguistische Analyse
Die Analyse erfolgt mit Hilfe des Deutschen Referenzkorpus des IDS Mannheim. Das Korpus geht bis 1772 zuruck. Fur die Analyse wird neben einer qualitativen Analyse der semantischen Aspekte ebenso unterstutzend das quantitative Kookkurrenz-Tool des Web-Analyse-Programms COSMAS II verwendet. Unter Kookkurenzen werden „Wortverbindungen“ verstanden, „die uberzufallig oft in einer bestimmten Datenba- sis auftreten.“ (Lemnitzer 2006: 147f.) Je hoher der LLR[1]-Wert einer Kookkurrenz ist, desto signifikanter ist diese.
Aus den Trefferergebnissen des DeReKo wurde eine zufallige Auswahl von 200 Treffern exportiert und ausgewertet. Davon sind jeweils ungefahr 20 Beispiele im Anhang dieser Arbeit enthalten und werden fur die linguistische Analyse exempla- risch angefuhrt.
Beispiele aus dem Korpus werden im Folgenden mit laufender Ziffer verzeichnet:
M Mauscheln
MI Mischpoke
Z zocken/abzocken
K koscher
2.1 Mauscheln
Mauscheln wurde im 17. Jahrhundert uber die rotwelsche Bezeichnung Mauschel,armer Jude‘ von der Koseform zu Mausche, was wiederum die jiddische Form von Mose (Moses) ist, entlehnt. (Pfeifer 1993)
Eine erste Untersuchung zweier Zeitschnitte im DeReKo zeigt, dass es vor 1959 keine Treffer fur mauscheln im ausgewahlten Korpus gibt.
1 Log Likelihood Ratio
2.1.1 „Mauscheln in Hinterzimmern“
Ein bedeutungstragender Aspekt von mauscheln ist das ,Heimliche‘, das ,Verborgene‘. Im Korpus finden sich die Ausdrucke „Mauscheln in Hinterzimmern“ (M19), das Mauscheln „hinter verschlossenen Turen“ (M1, M2, M6). Die Kookurenz-Analyse gibt verschlossenen, Hinterzimmern und Turen an.
Insbesondere im politischen Kontext, in Berichten uber Politiker und deren Geschaf- te, sowie uber Geschafte von Banken, wird mauscheln verwendet. Ebenso findet sich im Kontext der „Reichen und Machtigen“ (M15) das Wort.
Was jahrzehntelang galt - das Mauscheln in Hinterzimmern, das Schmieden von Seil- schaften zwischen Sparkassen, Landesbankern und Politikern, das solidarische Schwei- gen - das ist ihm nun zum Verhangnis geworden im politischen Geschaft. (M19)
Die bildlich-metaphorische Darstellung des ,Hinterzimmers‘ als Raumlichkeit evo- ziert die ,Absprache im Geheimen, bei der es nicht mit ,rechten‘ Dingen zugeht. Umgekehrt findet sich im Korpus: „Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, braucht man nicht hinter verschlossenen Turen zu mauscheln“ (M2). Exemplarisch in Zusam- menhang mit dem korrupten Politiker Silvio Berlusconi fallt die Aussage: „Mauscheln mit der Mafia.“ (M14) Mauscheln bedeutet hier demnach ,geheime/undurchsichtige Geschafte machen‘.
Die negativen Implikationen des Mauschelns werden ebenso unmittelbar genannt. Es fallen Begriffe wie „Neid“ und „Hass“, der gesaht wird.
Worte von boshaften Leuten, die im Dunkeln mauscheln und mit boswilligen Behaup- tungen Unfrieden stiften und damit Neid, Missgunst und Hass saen, hatten ihn erschreckt, erzurnt und mit Sorge erfullt, sagte Diethelm. (M8)
Die „Sorge“, die ausgehend von den mauschelnden Menschen wachst, lasst das Mau- scheln als ein Problem erscheinen. Auch die Forderung eines Verbotes unterstutzt die- se Wahrnehmung: „Mauscheln im stillen Kammerlein gehort verboten.“ (M17) Eben- so werden die negativen Konsequenzen von mauscheln betont:
„[...] das Mauscheln in Hinterzimmern, das Schmieden von Seilschaften zwischen Spar- kassen, Landesbankern und Politikern, das solidarische Schweigen - das ist ihm nun zum Verhangnis geworden im politischen Geschaft.“ (M19)
Es konnen im Korpus kontrastierte Begriffs-Paare wie ,mauscheln‘ - ,offene Kommu- nikation‘ gefunden werden: „Er versichert: «Wir mauscheln nicht sondern kommuni- zieren offen.»“ (M7) Ebenso wird Vertrauen und mauscheln sich ausschliefiend gegenuber gestellt: „»Wenn ich mauscheln wurde, wurde ich Vertrauen missbrau- chen« DFB-Manager Oliver Bierhoff“(M11)
2.1.2 Betrugen und Tricksen
Statistisch auffallig finden sich einige andere Verben im unmittelbaren Umfeld des Wortes mauscheln. Die Kookkurenz-Analyse gibt einen LLR-Wert von 260 fur das Tricksen, einen Wert von 195 fur tricksen und einen Wert von 77 fur mogeln im Umfeld von mauscheln an.
Der Kontext erstreckt sich auch hier von Politik und Lobbyismus bis zu Bankgeschaf- ten:
Kurt Beck und Andrea Ypsilanti haben der SPD durch ihr Lavieren bereits jetzt schon schwer geschadet. Auf diese Weise wird das Mauscheln und Tricksen, das sich scheinhei- lig als Suche nach Losungen oder notige Offenheit oder wie auch immer tarnt, zum tra- genden Prinzip. Was fur eine Einladung zum Wahlverzicht!“ (M14)
Tricksen, mauscheln, kungeln: Der Einfluss der Lobbyisten in Berlin ist grofier denn je. (M13)
Das Mogeln und Mauscheln in diesem Stellvertreter-Zoff muss aufhoren. Die Anbah- nung der Wahl ist windig. Doch ohne die Vorziehung wird's nicht gehen. Und fur die Zeit danach wunschen wir uns wieder mal: klare Verhaltnisse und reuige Sunder. (M14)
Die Begriffe „verschlossene Turen“ (M1, M2, M5, M6, M9, M16), „Hinterzimmerpoli- tik“ „in Hinterzimmern“ (M4, M19), „Vertrauen missbrauchen“, „betrugen“/„tricksen“ (M12, M13, M15) finden sich im Zusammenhang mit mauscheln. Durch die Verwen- dung wird demnach auch die Unaufrichtigkeit und die Unehrlichkeit der mauscheln- den Person impliziert. In den meisten Fallen wird auf eine unehrliche Politik, bzw. auf unehrliche Akteuere wie Politiker und Lobbyisten hingedeutet.
2.2 Mischpoke
Das Wort Mischpoke geht auf das jiddische Wort mischpocho,Familie, Verwandt- schaft, Sippschaft' zuruck und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts entlehnt. (Pfeifer 1993). Antisemitisch wurde das Wort als „verachtlich fur Judensippe“ verwendet. (Meyers Grofies Konversations-Lexikon 1908: 895) In Osterreich und Deutschland ist auch die Variante Mischpoche gebrauchlich, jedoch wird in Deutschland haufiger der Ausdruck Mischpoke gebraucht. (Variantenworterbuch des Deutschen 2016: 477)
Im DeReKo finden sich 633 Treffer fur das Wort Mischpoke und 324 Treffer fur Mischpoche. Fur die Analyse werden Treffer unter der Suche Mischpoke ausgewertet. Das erste Mal wird Mischpoke 1961 im Korpus verwendet.
2.2.1 „Wir sind keine Mischpoke, sondern das mundige Volk.“
Mit der Bezeichnung Mischpoke ist in den meisten Fallen keine familiare Zusammen- gehorigkeit gemeint - es finden sich nur wenige Aussagen, in denen Mischpoke nach der jiddischen Bedeutung ,Familie‘ verwendet wird: „Weihnachten ohne Mischpoke ist uberlebbar!“ (MI17); „Obwohl sich Neffe und Onkel mehr als 40 Jahre nicht gese- hen hatten. Aber Mischpoke bleibt Mischpoke.“ (MI7)
Allgemein kann eine abwertende Haltung des Sprechenden gegenuber einer Gruppe, die als Mischpoke bezeichnet wird, wahrgenommen werden:
Ich habe Angst vor dem Suden. Diese "Ich tret dir in den Arsch, Cowboy"-Mentalitat.
Diese zynischen Grofimauler. Diese militarisch-industrielle Mischpoke, die ihr Geld mit Blut, Ol und Kriegen macht.(MI1)
Kolns Oberburgermeisterin Henriette Reker (parteilos) aufierte gar, sie habe "mit grofier Emporung" die Coronademonstration "einer rechtsextremen und verschworungstheore- tischen Mischpoke in unserer Stadt wahrgenommen".(MI3) Gemeint ist eine bestimmte Gruppe, die oftmals durch eine politische oder ideologi- sche Ausrichtung als zusammengehorig markiert wird. Gemeint sein kann aber auch eine Gruppe, die denselben Migrationshintergrund hat und aufgrund dessen abwer- tend als Mischpoke bezeichnet wird:
Den Nurnberger Neonazi Rainer Biller holen jetzt einige Zeilen ein, die er im November 2011 geschrieben hat. Er postete ein Foto des Donerstandes in der Scharrerstrafie, in dem der Nurnberger Ismail Yasar am 9.Juni 2005 von Mitgliedern des NSU erschossen wurde. Daneben schrieb Biller: „Tod dem Doner, es lebe die Nurnberger Bratwurst.“ [...] Aufierdem liefi sich Biller zu dem Satz hinreifien: „Wenn wir Gluck haben, verschwinden erst die Donerbuden und dann der Rest von der Mischpoke.“ (MI16)
Die Bezeichnung wird auch als eine Schimpfwort-gleichende Bezeichnung aufgefasst: „Der AfD-Chef, der im 1400-Einwohnerort Mertloch wohnt, beschimpft die Demonstranten erst als rot-grune Mischpoke“ (MI6); „Das geht auch besorgten Bur- gern so, welche oftmals in die rechte Ecke gestellt und schon mal als Mischpoke oder Pack bezeichnet werden.“ (MI5)
Die negative, pejorative Konnotation des Begriffs, die expressive Bedeutung, wird durch Adjektive wie „heuchlerisch“ (MI8), „verkorkst“ (MI9), „rechte“ (MI10), „geld- gierig“ (MI11), „lastig“ (MI12) verstarkt.
Auch die deutliche Abgrenzung einer Gruppe (hier exemplarisch die Pegida-De- monstranten) von der Bezeichnung als Mischpoke deutet auf die abwertende Seman- tik des Begriffs hin: „"Wir sind keine Mischpoke, sondern das mundige Volk."“(MI13).
[...]