Die Hausarbeit lässt sich am ehesten als ein Aspekt der Medienwirkungsforschung mit Fokus auf den Verflechtungen von Medien und Macht kategorisieren. Bisherige Arbeiten zur Thematik konzentrierten sich vorrangig auf juristische, staats- und verfassungsrechtliche Sichtweisen. Der Schwerpunkt dieser Abhandlung soll hingegen auf der Betrachtung eines Gesetzes, dessen Wirkung auf spezifische Massenmedien und den resultierenden individuellen sowie gesellschaftlichen Veränderungen liegen.
Die Hausarbeit richtet den Blick von einem Gesetz auf die dadurch regulierten Medien. Dabei werden neben positiven Effekten jener Regulierung vor allem diskutable Veränderungen aufgegriffen. Die Rede ist vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und seinen (medien-)soziologischen Folgen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Diskussionsgrundlage – Eine Einordnung
3. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)
3.1. Gesetzesinhalt
3.2. Novellierungstendenzen
4. Soziologische Veränderungen als Folge der Gesetzgebung
4.1. Bedrohung der demokratischen Gesellschaft?
4.1.1. Die Möglichkeit der „Einschüchterung“
4.1.2. Begrenzung politischer Kompetenz und Aktionismus
4.1.3. Mediale Machterweiterung und soziale Wirklichkeiten
4.2. Sicherheit für die demokratische Gesellschaft?
4.2.1. Gestaltung einer gleichberechtigten Kommunikation
4.2.2. Begrenzung von Narrativen
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Die folgende Diskussion lässt sich am ehesten als ein Aspekt der Medienwirkungsforschung mit Fokus auf den Verflechtungen von Medien und Macht kategorisieren. Bisherige Arbeiten zur Thematik konzentrierten sich vorrangig auf juristische, staats- und verfassungsrechtliche Sichtweisen. Der Schwerpunkt dieser Abhandlung hingegen soll auf der Betrachtung eines Gesetzes, dessen Wirkung auf spezifische Massenmedien und den resultierenden individuellen sowie gesellschaftlichen Veränderungen liegen. Die Ausarbeitung nähert sich der „Wechselwirkung von Medien und Gesellschaft“(Jäckel 2010: 277), indem sie den Blick von einem Gesetz auf die dadurch regulierten Medien richtet und dabei, neben positiven Effekten jener Regulierung, vor allem diskutable Veränderungen aufgreift. Die Rede ist vomNetzwerkdurchsetzungsgesetz(NetzDG) und seinen (medien-)soziologischen Folgen.
2. Diskussionsgrundlage – Eine Einordnung
In Abgrenzung zu vormodernen Industriegesellschaften, in denen wenige Medien- und Elitenakteure den öffentlichen Diskurs prägten, zeichnet sich die Postmoderne durch ihre „neue Art der Öffentlichkeit“(Scholtz 2020: 267)und „neueArt der Mediatisierung“(Bidlo 2018: 179)aus. Die Bevölkerung fungiert nicht mehr nur als „passiver Rezipient und Käufer“, sondern kann öffentliche Angelegenheiten eigenständig mitgestalten(Scholtz 2020: 267). Die Gesellschaft bewegt sich in Richtung einer Netzwerkgesellschaft, in der sich das Internet als praktikable, wenn auch hoch komplexe und vielfältige Medienform, durchgesetzt hat(vgl. ebd.: 268). Die gegenwärtige Mediatisierung, ausgelöst und verstärkt durch Digitalisierung, Vernetzung und kommunikative Wandlungsprozesse, beschreibt Oliver Bidlo(2018: 176)„durch eine neue Form der Ästhetik (Aisthesis), die von Produktion, Distribution und Rezeption gekennzeichnet ist“.
„Das Internet ermöglicht mediales Produktionshandeln für jeden“(Scholtz 2020: 267). Kommunikationssysteme wachsen und die „Medien werden zum Rückgrat der sozialen Kommunikation“(Jäckel 2010: 278). Damit gestalten sie den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Wahrnehmungs- und Sinnzuschreibungen des Individuums(vgl. Bidlo 2018: 188). Durch die veränderte Kommunikation ergeben sich nicht nur auf Ebene der zwischenmenschlichen Interaktion neue soziale Phänomene, vielmehr wandelt sich das soziale Handeln(vgl. Scholtz 2020: 267-272).
Blicken wir auf die Gegenwart, stellt derjenige Teil der Bevölkerung eine Ausnahme dar, der weiterhin ausschließlich analoge Informationsmedien nutzt und sich computervermittelten Kommunikationsformen verwehrt(vgl. Jäckel 2010: 282). Die zu Lebzeiten Vilém Flussers noch utopische Vorstellung einer „telematischen Gesellschaft“, geprägt von gleichberechtigter, vernetzter, den Beziehungsaspekt berücksichtigender Kommunikation nahezu unbegrenzter Reichweite, scheint zumindest technisch mit dem Internet realisierbar(vgl. Bidlo 2019: 08:01-08:44; Marburger 2019: 07:26-07:48). Im Zeitalter vielfältiger Telemediendienstanbieter wie Twitter, Facebook, Whats-App oder You-Tube rücken, neben den Chancen einer vernetzten Gesellschaft, verstärkt auch die Gefahren des Internets und der dargebotenen Dienstleistungen in die Mitte gesellschaftlicher Diskurse. Aktuelle Diskussionen über die scheinbar ausufernden (Hass-)Kriminalität im Netz werden laut und Begriffe wie Shitstorm, Hate Speech oder Fake News gewinnen an politischer Brisanz. Hass- und Hetzreden existieren nicht erst seit Anbeginn des Internets, jedoch entwickelten diese nach Kaspar(vgl. 2017: 63)damit eine neue Qualität. Um auch im digitalen Raum die Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der demokratischen Grundordnung zu wahren, wurden mit dem 2017 verabschiedeten NetzDG inländische Telemediendienstanbieter, die sich bis dato teilweise von ihrer Verantwortung losgesagt hatten, in die Pflicht genommen.
3. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)
Das NetzDG gestaltet die Verantwortlichkeit sozialer Netzwerke und „reagiert damit auf das drängende Problem einer durch Hassrede zunehmend vergifteten Diskussionskultur und deren tatsächliche Bedrohungsfolgen“(Eifert et al. 2020: 5). Dieses Gesetz könnte, fernab seiner rechtlich-demokratischen Zielsetzung, positive wie negative soziologische Veränderungen in der Gesellschaft oder bei den sie bildenden Individuen auslösen. Um potentielle Folgen erörtern zu können, ist es eingangs notwendig, die für die Ausarbeitung relevanten Inhalte des Gesetzes zu skizzieren.
3.1. Gesetzesinhalt
Das derzeitige NetzDG „gilt für Telemediendienstanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen [mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern] im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (soziale Netzwerke)“ (§ 1 Abs. 1 NetzDG). Ausgenommen sind „Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden [und] […] Plattformen, die zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte dienen“ (ebd.).
Laut Gesetzestext sind die Anbieter dazu verpflichtet, ein Beschwerdemanagement einzurichten und zu betreiben. Beschwerden von Nutzer/innen müssen unverzüglich bearbeitet und auf festgelegte rechtswidrige Inhalte hin überprüft werden. Als gesetzliche Verpflichtung ist die Löschung gesetzwidriger Inhalte oder die Sperrung des Zugangs zu diesen definiert, sofern diese „nicht gerechtfertigt sind“. Weiterhin besteht ab einer gewissen Anzahl von Beschwerden eine Berichtspflicht. Der Bericht muss über Anzahl der bearbeiteten Vorgänge, aber auch über Ausgestaltung und Funktionsweise der Beschwerdenbearbeitung informieren(vgl. Hoene 2020: 90-93; § 1-3 NetzDG).
3.2. Novellierungstendenzen
Seit der Verabschiedung des NetzDG im Jahr 2017 wird zunehmend über eine Novellierung des Gesetzes diskutiert. Vermehrt sprechen sich politische Akteure für eine Anzeigepflicht ausgewählter Straftaten aus. Den Telemediendienstanbietern soll eine Meldepflicht auferlegt werden, die vorsieht, dass gewisse rechtswidrige Inhalte nicht nur zu entfernen, sondern gegenüber staatlichen Behörden anzuzeigen sind. Das bislang vernachlässigte Recht auf Überprüfung von Nutzer/innen, deren Inhalte von Löschungen betroffen sind, sollen die sozialen Netzwerke mit einem transparenten „Gegenüberstellungsverfahren“ realisieren(vgl. BMJV 2020, o. V.; Hoene 2020: 92-93).
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