Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin zu untersuchen, ob die Epistokratie in Brennans Sinne eine geeignete Regierungsform für heutige politische Systeme darstellt. Hierbei dient Brennans Werk „Against Democracy“ als Grundlage der Argumentation für die Epistokratie, während die zahlreichen Rezensionen und Kritiken dazu ein kritisches Licht auf Brennans Sichtweise zum einen und zur Epistokratie zum anderen werfen sollen. Der Fokus wird hinsichtlich der Demokratiekritik auf Brennans Wählerkritik gelegt. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen verlangt der kapazitive Rahmen dieser Arbeit eine Einschränkung der Untersuchungspunkte aus Brennans umfassenden Werk. Zum anderen belegt Brennan seine Kritik zum Wählerverhalten im Vergleich zu seinen anderen Kritikpunkten am stärksten durch empirische Evidenzen, wodurch eine kritische Analyse zugänglicher gemacht wird. Weiterhin ist seine Kritik zum demokratischen Wählerverhalten das wohl wesentlichste und schwerwiegendste Argument für sein Verständnis von Epistokratie, das es zu beleuchten gilt. Somit besteht der erste Abschnitt dieser Arbeit darin, das Werk Brennans in seinen Grundaussagen und seiner Struktur vorzustellen und zusammenzufassen. Im weiteren Verlauf fokussiert sich diese Arbeit auf Brennans wesentlichen Argumentationspunkten. Diese sind zum einen seine Argumente zum Wählerverhalten und zum anderen seine Prämissen über die Epistokratie, deren Prinzipien und möglichen Auslegungsformen. Nachdem die Sichtweise Brennans gegenüber der Demokratie bzw. dem Wählerverhalten und der Epistokratie aufgezeigt wurde, widmet sich der nächste Abschnitt dieser Arbeit der gegenübergestellten Kritik an Brennan und der Epistokratie. Hierbei konzentriert sich diese Arbeit auf die am häufigsten kritisierten Punkte an Brennans Argumentation bzw. der Epistokratie. Diese liegen zum einen in der Kritik der Diagnose, also der methodischen Vorgehensweise Brennans im Allgemeinen und zum anderen in der Kritik in der Therapie, also Brennans Lösungsvorschlag der Epistokratie. Im letzten Abschnitt gilt es dann, im Zuge einer Zusammenfassung die Argumente für eine Epistokratie nach Brennans Verständnis abzuwägen und ein Resümee zu ziehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Jason Brennan: „Against Democracy“
2.1 Zum Wahlerverhalten
2.2 Zur Epistokratie
3. Kritische Auseinandersetzung
3.1.Kritik an der Vorgehensweise
3.2 Kritik am Losungsvorschlag
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Kurz vor der US-Amerikanischen Prasidentschaftswahl 2016, die der umstrittene Kan- didat Donald Trump gewann, veroffentlichte der Politikwissenschaftler Jason Brennan sein demokratiekritisches Werk „Against Democracy“ (2016). Im Zuge der wachsenden gesellschaftlichen Differenz weltweit hinterfragt der Politologe die elektorale Kompe- tenz der Wahler und spricht sich gegen das allgemeine Wahlrecht aus (vgl. Brennan 2017: 8, Folkerts 2018: 473). Brennan befurwortet eine Epistokratie, sprich eine Herr- schaft der Wissenden und lasst damit jahrhundertalte Fragen der demokratischen Elite- theorien wieder aufbluhen: Ist die Volksherrschaft die richtige Herrschaftsform in der Politik? Konnen gebildete Menschen besser uber das Gemeinwohl, sofern es eines gibt, entscheiden, als Ungebildete? Sollte das Stimmrecht nur gebildeten Burgern zustehen? Bereits Platon als Pionier der Philosophenherrschaft beschaftigte sich in seinem Klassi- ker „Politeia“ mit diesen Fragen und sprach sich fur eine Herrschaft der Philosophen aus (vgl. Hoffe 2005: 335ff.). Spater vertrat unter Anderem John Stuart Mill Ansatze der Epistokratie, indem er den Gebildeten ein hoheres Stimmengewicht als ungebildeten Burgern zusprach (vgl. Mill 1971).
Auf Grundlage dieser Werke hat Brennan nun seine eigene Schrift veroffentlicht, in der er dem Leser zum einen die Dysfunktionalitaten der Demokratie aufzeigen will, und zum anderen sein Verstandnis von Epistokratie dem Leser naherbringen mochte. Sein Hauptkritikpunkt besteht darin, dass viele epistemischen Voraussetzungen in heutigen Demokratien nicht gegeben seien, wodurch heutige Demokratien defizitar seien. Aus diesem Grund schlagt er die Epistokratie vor, die die epistemischen Dysfunktionalitaten heutiger Demokratien beheben soll.
Brennan sorgte mit seinen provokanten Thesen fur groBen medialen Aufruhr (vgl. Man- newitz 2018: 22, Leggewie 2017, Jacobsen 2017). Mit seinen abschlagigen Ansichten zur Demokratie nimmt er eine oppositionelle Stellung gegen sonst eher demokratiebe- furwortenden Anschauungen ein, was eine kritische Analyse aus politikwissenschaftli- cher und -theoretischer Perspektive besonders spannend macht.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht folglich darin zu untersuchen, ob die Episto- kratie in Brennans Sinne eine geeignete Regierungsform fur heutige politische Systeme darstellt. Hierbei dient Brennans Werk „Against Democracy“ als Grundlage der Argumentation fur die Epistokratie, wahrend die zahlreichen Rezensionen und Kritiken dazu ein kritisches Licht auf Brennans Sichtweise zum einen und zur Epistokratie zum ande- ren werfen sollen. Der Fokus wird hinsichtlich der Demokratiekritik auf Brennans Wah- lerkritik gelegt. Dies hat mehrere Grunde: Zum einen verlangt der kapazitive Rahmen dieser Arbeit eine Einschrankung der Untersuchungspunkte aus Brennans umfassenden Werk. Zum anderen belegt Brennan seine Kritik zum Wahlerverhalten im Vergleich zu seinen anderen Kritikpunkten am starksten durch empirische Evidenzen, wodurch eine kritische Analyse zuganglicher gemacht wird. Weiterhin ist seine Kritik zum demokrati- schen Wahlerverhalten das wohl wesentlichste und schwerwiegendste Argument fur sein Verstandnis von Epistokratie, das es zu beleuchten gilt.
Somit besteht der erste Abschnitt dieser Arbeit darin, das Werk Brennans in seinen Grundaussagen und seiner Struktur vorzustellen und zusammenzufassen.
Im weiteren Verlauf fokussiert sich diese Arbeit auf Brennans wesentlichen Argumenta- tionspunkten. Diese sind zum einen seine Argumente zum Wahlerverhalten und zum anderen seine Pramissen uber die Epistokratie, deren Prinzipien und moglichen Ausle- gungsformen.
Nachdem die Sichtweise Brennans gegenuber der Demokratie bzw. dem Wahlerverhal- ten und der Epistokratie aufgezeigt wurde, widmet sich der nachste Abschnitt dieser Arbeit der gegenubergestellten Kritik an Brennan und der Epistokratie. Hierbei kon- zentriert sich diese Arbeit auf die am haufigsten kritisierten Punkte an Brennans Argumentation bzw. der Epistokratie. Diese liegen zum einen in der Kritik der Diagnose, also der methodischen Vorgehensweise Brennans im Allgemeinen und zum anderen in der Kritik in der Therapie, also Brennans Losungsvorschlag der Epistokratie. Im letzten Abschnitt gilt es dann, im Zuge einer Zusammenfassung die Argumente fur eine Epis- tokratie nach Brennans Verstandnis abzuwagen und ein Resumee zu ziehen.
2. Jason Brennan: „Against Democracy“
Jason Brennan hat mit seinem Werk „Against Democracy“ (2016) polarisiert. Die Demokratie sei dysfunktional, fehlerhaft und produziere schlechte Ergebnisse. Aufgrund mangelnder Kompetenz des GroBteils der Burger wurden ungerechte und falsche Wahl- entscheidungen getroffen werden, worunter die Bevolkerung leide. Mit solchen demo- kratiekritischen AuBerungen ruft Brennan zum Umdenken auf. Sein Werk „Against Democracy“ teilt sich dabei in neun Kapitel auf. Die ersten beiden Kapitel handeln vom fehlerbehafteten Wahlerbild. Dabei unterteilt er die Burger in drei grobe Kategorien und zeigt anhand von empirischen Belegen ihr Unwissen und ihre bewusste oder unbewuss- te Unfahigkeit auf, rational zu wahlen. Kapitel 3 und 4 beschaftigen sich mit prozedura- listischen Kritikpunkten gegen die Demokratie. So zeigt Brennan in Kapitel 3 auf, wie kontraproduktiv politische Partizipation fur die Burger sei. Dies begrundet er unter an- derem damit, dass politisches Engagement dazu fuhre, sich korrumpieren zu lassen oder sich nur einseitig zu informieren. AuBerdem erhohe es das Konfliktpotenzial bei ver- schiedenen Gruppierungen (vgl. Brennan 2017: 103ff.). In Kapitel 4 schwacht Brennan die Demokratie ab indem er ihr eines der groBten Alleinstellungsmerkmale neben ande- ren politischen Herrschaftssystemen abspricht: Die autonome Entscheidungsmacht des Menschen. Brennan behauptet, die Demokratie wurde ganz im Gegenteil das Individu- um sogar entmachten, da es sich, unabhangig von seiner getroffenen Wahl (welche im Ubrigen auch nicht im Einvernehmen mit der Bevolkerung als Partizipationsmogllich- keit entschieden wurde) letztendlich den beschlossenen Gesetzten unterwerfen musste (vgl. ebd.: 142ff.).
Im funften Kapitel seines Werks relativiert Brennan die symbolische Bedeutung der Demokratie und reduziert sie auf ihren rein instrumentellen Wert, der fur ihn ausschlag- gebend ist (vgl. ebd.: 200ff.). Im sechsten Kapitel konzediert Brennan den Wahlern das Recht auf eine kompetente Regierung und beginnt damit gleichzeitig, sein Verstandnis von Epistokratie zu untermauern, indem er die Kriterien einer Epistokratie aufbringt (vgl. ebd.: 247ff.). Wiederum kritisiert Brennan in Kapitel 7 die Demokratie indem er verschiedene Argumente zur uberlegenen Kompetenz der Demokratie aufgreift und diskutiert. Dabei kommt er zu dem vorsichtigen Entschluss, dass ein Kompetenzmangel der Demokratie zumindest nicht geleugnet werden konnte (Folkerts 2018: 472, vgl. Brennan 2017: 298ff.).
Das vorletzte Kapitel in Brennans Werk dient dazu, Moglichkeiten und Wege zur Epis- tokratie aufzuschlusseln. Dafur zeigt er verschiedene Moglichkeiten und Auslegungs- formen von epistokratischen Herrschaftssystemen und deren jeweiligen Vorzuge auf (Folkerts 2018: 472f., vgl. Brennan 2017: 351ff.).
SchlieBlich rundet Brennan sein Werk mit dem letzten Kapitel ab, indem er zwei popu- lare Probleme der Epistokratie aufgreift und diskutiert. Das erste diskussionswurdige Problem sei die Frage der Kompetenz, wohingegen sich das zweite Problem mit der Gefahr der stetigen Machtverteilung in einer Epistokratie beschaftigt (Folkerts 2018: 473, Brennan 2017: 396ff.). Einen endgultigen Entschluss, ob nun die Demokratie oder die Epistokratie besser funktioniert, fasst Brennan jedoch nicht. Dazu fehle es ihm an Prazedenzfallen epistokratischer Regime in seinem Sinne, sodass er spekulieren musste, ob die Epistokratie (oder die Demokratie) besser funktioniert. Auch bedenkt er den kri- tischen Aspekt, dass wahrscheinlich beide Systeme, sowohl die Epistokratie als auch die Demokratie, in der Realitat Problemen des Machtmissbrauchs, Skandalen und Regie- rungszusammenbruchen unterliegen wurden. Aus diesem Grund kommt er zum modera- ten Entschluss, dass die Epistokratie der Demokratie nur dann vorzuziehen ist, wenn sie summa summarum gerechtere Ergebnisse als die Demokratie liefert (Brennan 2017: 355ff.).
In diesem Abschnitt wurde Brennans Werk in groben Zugen zusammengefasst. Dies hatte vor allem den Zweck, einen Uberblick uber sein Werk und seine Argumentation zu verschaffen, bevor im nachsten Abschnitt ausgewahlte Punkte starker beleuchtet und anschlieBend diskutiert werden. Diese Punkte beziehen sich zum einen auf das inkom- petente Wahlerverhalten, und zum anderen auf Brennans Verstandnis der Epistokratie und den damit einhergehenden Kriterien. Brennans hauptsachliches Argument gegen die Demokratie und fur eine Epistokratie besteht in der Kritik des Wahlerverhaltens. Aus diesem Grund ist dieser Abschnitt fur diese Arbeit besonders relevant und wird weiter- hin behandelt. Des Weiteren ist fur eine kritische Auseinandersetzung mit Brennans Verstandnis von Epistokratie eine ausfuhrliche Deskription dessen notwendig. Die nachsten Abschnitte fokussieren sich somit auf das inkompetente Wahlerverhalten ei- nerseits, und mit Brennans Verstandnis von Epistokratie und dessen Auslegungsformen andererseits.
2.1 Zum Wahlerverhalten
Brennans Demokratiekritik ist vielseitig. In seinem Werk kritisiert er nicht nur die de- mokratische Wahlerschaft, sondern vielschichtige Argumente von Demokratiebefurwor- tern, wie dass die Demokratie dem Individuum Autonomie uber sein Schicksal uberlasst (vgl. Kapitel 4 in Brennan 2017), oder die Demokratie eine hohe semiotische Bedeu- tung hat und deshalb wertvoll ist (vgl. Kapitel 5 in Brennan 2017). Von theoretischen, ideelen und normativen Argumenten bis hin zu empirischen Erkenntnissen fuhrt Brennan eine Bandbreite an Kritikpunkten gegen die Demokratie auf. Dieser Abschnitt be- schaftigt sich und vertieft den wohl schwerwiegendsten Einwand gegen die Demokratie Brennans: Die Inkompetenz der Wahler.
In Anbetracht der zahlreichen individuellen politischen Einstellungen, Ansichten und Meinungen der einzelnen Burger, unterteilt Brennan zur vereinfachten Darstellung die Menschen in drei Gruppen: Die Hobbits, die Hooligans und die Vulkanier (Brennan 2017: 18ff.). Hierbei bilden die Hobbits jene Bevolkerungsgruppe, die weder eine poli- tische Meinung noch etwaige Kenntnisse uber politische oder sozialwissenschaftliche Themen besitzt. Sie sind politisch apathisch (ebd.: 19f.).
Die Hooligans hingegen besitzen klare und eindeutige politische Einstellungen und An- sichten, mit denen sie sich stark identifizieren. Aus diesem Grund lassen sie sich nur schwer von ihren Einstellungen abbringen. Sie sind in ihrer politischen Meinung festge- fahren und voreingenommen, weswegen sie auch andere politische Einstellungen her- abwerten und ablehnen (ebd.: 20).
Die Vulkanier spiegeln den „rationalsten“ Wahler wider, der nur jene Uberzeugungen verfolgt, die er wissenschaftlich belegen kann. Vulkanier interessieren sich zwar fur politische Themen, sind bei der Betrachtung verschiedener Sachverhalte jedoch stets emotionslos und unvoreingenommen. Auch verurteilen sie andere politische Meinungen und Ansichten nicht, sondern wagen fur sich rational anhand wissenschaftlicher Er- kenntnisse ab, ob sie der Meinung zustimmen oder nicht (ebd.: 20f.).
Alle drei Gruppen stellen jedoch lediglich konzeptuelle Idealtypen dar, die in der Reali- tat kaum oder als Mischform auftreten konnen (ebd.: 21). Brennan postuliert des Weite- ren, dass die meisten Menschen entweder Hooligans oder Hobbits sind und versucht dies im weiteren Verlauf anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse zu belegen.
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