In der aktuellen Forschung ist man sich uneins, ob es sich beim spartanischen Staat nun um einen totalitären handelte oder nicht, weshalb diese Arbeit lediglich als ein weiterer Versuch gewertet werden darf, eine Antwort auf diese Frage zu geben.
Sparta. Der Stadtstaat im Süden der Peloponnes ist heute noch für viele der Inbegriff eines totalitären Staates, der absolute Gegenspieler des demokratischen Athens. Sparta ist für die meisten Idealtypus eines Militärstaates, eines Staates, in dem alles darauf hinausläuft, einen Menschen für den Staate zu produzieren. Prototypus eines Staats, in dem der Spartiat selber als Herrenmensch über die Unterworfenen regiert und über sie verfügt, wie er denn mag. So bezeichnete Hitler Sparta schon als den „klarsten Rassenstaat der Geschichte.“
Doch handelte es sich bei Sparta tatsächlich um einen durchweg totalitären Staat, in dem nicht der Bürger, sondern einzig und allein der Staat im Vordergrund stand? In dem nicht der Mensch Politik, sondern die Politik den Menschen machte? Und handelte es sich bei dem spartanischen Staat und seiner lykurgischen Ordnung tatsächlich um ein totalitäres System? Diese Frage, ob die spartanische Verfassung und Gesellschaft nach der Gesetzgebung des Lykurg totalitär waren, werde ich versuchen, in meiner Arbeit zu beantworten. Um diese Frage beantworten zu können, werde ich zunächst herausarbeiten, was Totalitarismus überhaupt ist. Ich werde wesentliche Merkmale totalitärer Staaten darlegen, um so schlussendlich zu einer Definition des Begriffs „Totalitarismus“ zu kommen.
Dann werde ich die spartanische Verfassung und Gesellschaft untersuchen und darlegen, wie diese überhaupt aussah. Am Ende meiner Arbeit werde ich prüfen, ob das spartanische System die Merkmale eines totalitären Staates aufweist und es sich damit um ein totalitäres System handelt oder eben nicht. Da es an spartanischen Primärquellen mangelt und uns weitgehend nur Werke athenischer Verfasser erhalten sind, werde ich vor allem die Schrift „Die Verfassung der Spartaner“ von Xenophon und Auszüge der Biografie des Plutarch über Lykurg analysieren, um zu einem Ergebnis zu kommen, wie genau die spartanische Verfassung und Gesellschaft denn tatsächlich aussah.
Inhaltsverzeichnis
1 .Einleitung
2. Definition des Begriffs „Totalitarismus“ - was ist totalitare Herrschaft?
3.Die Verfassung und Gesellschaft Spartas
3.1 Das Konigtum
3.2 Die Gerusia
3.3 Die Volksversammlung
3.4 Die Ephoren
3.5 Spartiaten, Perioken und Heloten
3.6. Spartanische Erziehung, Leben und Gesetze nach Lykurg
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Sparta. Der Stadtstaat im Suden der Peloponnes ist heute noch fur viele der Inbegriff eines totalitaren Staates, der absolute Gegenspieler des demokratischen Athens. Sparta ist fur die meisten Idealtypus eines Militarstaates, eines Staates, in dem alles darauf hinauslauft, einen Menschen fur den Staate zu produzieren. Prototypus eines Staats, in dem der Spartiat selber als Herrenmensch uber die Unterworfenen regiert und uber sie verfugt, wie er denn mag. So bezeichnete Hitler Sparta schon als den „klarsten Rassenstaat der Geschichte.“r Doch handelte es sich bei Sparta tatsachlich um einen durchweg totalitaren Staat, in dem nicht der Burger, sondem einzig und allein der Staat im Vordergrund stand? In dem nicht der Mensch Politik, sondem die Politik den Menschen machte? Und handelte es sich bei dem spartanischen Staat und seiner lykurgischen Ordnung tatsachlich um ein totalitares System? Diese Frage, ob die spartanische Verfassung und Gesellschaft nach der Gesetzgebung des Lykurg totalitar waren, werde ich versuchen, in meiner Arbeit zu beantworten. Um diese Frage beantworten zu konnen, werde ich zunachst herausarbeiten, was Totalitarismus uberhaupt ist. Ich werde wesentliche Merkmale totalitarer Staaten darlegen, um so schlussendlich zu einer Definition des Begriffs ^Totalitarismus^ zu kommen. Dann werde ich die spartanische Verfassung und Gesellschaft untersuchen und darlegen, wie diese uberhaupt aussah. Am Ende meiner Arbeit werde ich prufen, ob das spartanische System die Merkmale eines totalitaren Staates aufweist und es sich damit um ein totalitares System handelt oder eben nicht. Da es an spartanischen Primarquellen mangelt und uns weitgehend nur Werke athenischer Verfasser erhalten sind1 2, werde ich vor allem die Schrift „Die Verfassung der Sparlaner" von Xenophon und Auszuge der Biografie des Plutarch uber Lykurg analysieren, um zu einem Ergebnis zu kommen, wie genau die spartanische Verfassung und Gesellschaft denn tatsachlich aussah. In der aktuellen Forschung ist man sich uneins, ob die es sich beim spartanischen Staat nun um einen totalitaren handelte oder nicht, weshalb meine Arbeit lediglich als ein weiterer Versuch gewertet werden darf, eine Antwort auf diese Frage zu geben.
2. Definition des Begriffs „Totalitarismus“ - was ist totalitare Herrschaft?
Zur Klarung der Frage, ob die spartanische Verfassung und Gesellschaftsordnung totalitar waren, werde ich mich mit dem Begriff„Totalitarismus“ auseinander setzen. Denn mit diesem Begriff wurde zu verschiedenen Zeiten Verschiedenes assoziiert. Es gibt namlich keine klare Definition des Begriffs, die allgemein gilt. So hat man nach Buchheim Ende der 1920er Jahre noch jeden Staat als einen „totalitaren“ bezeichnet, der „nicht parlamentarisch, sondern autoritar regiert wurde."' Mit den Ereignissen im Europa der 30er und 40er Jahredes zwanzigsten Jahrhunderts erfolgte ein Umdenken, sodass man schlieblich auch Gleichschaltung sowie die „Uniformierung des Lebens“ und die politische Polizei als Merkmale dessen ausmachte, was heutzutage als „totalitar“ verstanden wird.3 4 Ein weiteres Merkmal einer totalitaren Regierung sei Terror, der dazu dienen soil, „ihre ideologischen Doktrinen und die aus ihnen folgenden praktischen Lugen in die Wirklichkeit umzusetzen: Terror wird zur spezifisch totalen RegierungsformT5 Die Masse der Bevolkerung versucht eine totalitare Regierung durch gezielte Propaganda zu gewinnen.6 7Zur totalitaren Herrschaft gehort auch der ^Anspruch auf die uneingeschrankte Verfugbarkeit der Welt und somit auch des sozialen Lebens..." So sind u.a. in totalitaren Staaten Dinge wie Privateigentum und Freizugigkeit verboten.8 9Nach Buchheim wirft das totalitare Regime uber die alte Gesellschaft das „Gitternetz seiner Ideologic, das Schema der neuen Gesellschaft, die es kunstlich herstellen will."" Auch herrscht totale Kontrolle:
Das Regime gestattet ihnen nicht nur nicht, sichfrei zu entfalten, sondern will aus ihnen andere machen, als sie von Natur aus sind, es engt sie nicht nur in ihrer Freiheit ein, sondern versucht, sie zu uberfremden. Das gilt mehr noch alsfur die Gegnerfur die erklarten Anhanger des Regimes, weil diese immer angstlich besorgt sein mussen, sich aufder jeweils geraden in Geltung befindlichen Generallinie zu bewegen. Kein Winkel des offentlichen noch desprivalen Lebens bietet Sicherheit vor Kontrolle; allenthalben kann man sich unversehens verdachtig machen. Beifall, Entrustung, Begeisterung und Einsatzbereitschaftwerden kunstlichproduziert/'"
Nach Arendt kennen wir die totalitare Herrschaft in „ihrer vollen Bedeutungf nicht, da ein solcher Zustand erst erreicht sei, wenn diese Herrschaft die Erde und einen jeden, der sie bewohnt, erobert hatte.10 11 Ein totalities Regime habe das Ziel, eine neue Gesellschaft zu konstruieren.12 So kann das Leben unter einem totalitaren wie folgt aussehen:
DieMenschen unter totalitarer Herrschaft sind immer im Einsatz, immer angestrengt. Sie
durfen sich nicht mehr als diejenigen zeigen, die sie wirklich sind, sondern mussen in
einerAtmospharedesfalschenPathos, derFreudlosigkeit, desMifitrauens standig
vorgeschriebene Rollen spielen und daraufbedacht sein, ihre Loyalitat unter Beweis zu
stellen.13
Der Begriff „totalitaf/„Totalitarismus“ ist also komplex. Die These, ein totalitarer Staat sei jeder von einem Diktator bzw. autoritar regierter Staat, ist m. E. nicht haltbar. So kann nach Buchheim eine Diktatur namlich auch ein Jegitimierter Bestandteil republikanischer Verfassungen“ sein, bei der i.d.R. ein Staatschef vorubergehend unbeschrankte Vollmachten erhalt und ma&gebliche Grundpfeiler der Verfassung vorubergehend au&er Kraft gesetzt werden.14 Ein autoritares Regime dagegen ist eine Diktatur ohne zeitliche Beschrankung. Hier wird eine Verfassung nicht vorubergehend au&er Kraft gesetzt, sondern generell beseitigt.15 16 Diese Merkmale machen diese Regime aber noch lange nicht totalitar, obwohl sie durchaus stark in das Leben des Menschen eingreifen und ihn ,,nicht immer nach se/nemGew/ssen“handelnlassen.Die autoritare Herrschaft jedoch will ,,nicht uneingeschrankt uber das Gewissen des Menschen verfugen.^5 Denn eine totalitare Herrschaft hat das Ziel, ..die Weltgeschichte zu verandern“ und einen „neuen Menschen mit neuen Eigenschaften hervorzubringenf17 In einer Art „Schulung“ soil dieser neue Mensch geschaffen werden. Diese „Schulung“ steht au&erdem im Widerspruch zu der uns bekannten Erziehung:
Im Gegensatz zurErziehung, die eine spontane und freie Entfaltung dermenschlichen
Person voraussetzt und diese vorallem forded und reguliert, ist die Schulung
Dressuraufbestimmte berechenbare daherin einen Funktionszusammenhang
einkalkulierbare Denk- und Verhaltensweisen, also ein sozialtechnisches
Werkzeug.™
Dies alles ist bei Diktaturen bzw. autoritaren Regimen nicht der Fall.18 19 20 21 Ein weiteres richtungsweisendes Merkmal totalitarer Herrschaft ist auch die Tatsache, dass Totalitarismus und Politik in „denkbar grofitem Gegensatz zueinander sleheii."- So ist die Politik namlich das „Resultat des Planens und Wollens vieler""'. wahrend die totalitare Herrschaft einen einzigen Plan, der alles umfasst, verwirklicht und darauf bedacht ist, nur den eigenen Willen zum ..Grundgesetz des sozialen l.ebens" zu machen.22 So findet unter einer totalitaren Herrschaft also eine „Entpolitisierungf statt, weil ..die Quellen des politischen Lebens verschuttet werdenF23
Zusammenfassend lasst sich uber totalitare Herrschaft sagen:
[...]; der totalitareMachthaber leugnet die Personalitat und will keine Freiheit dulden,
sondern uber dieMenschen verfugen wze uber Material und sie seinen Zwecken
entsprechend einsetzen. [... ] die totalitare Herrschaft verwirklicht einen einzigen, alles
umfassenden Plan und erhebt ihren Willen zum Grundgesetz des sozialen Lebens. Sie
betreibt nicht die Kunst desMoglichen, die sich mit dem Vorlaufigen als einem Preis der
Freiheit abfindet, sondern setzt sich Unmogliches zum Ziel: Sie will Geschichte machen
und mit sozialtechnischenMafinahmen absolut verfugbare und endgultige gesellschaftliche
Verhaltnisse schaffen.24
Auch versucht die totalitare Herrschaft,
sich das Unverfugbare verfugbar zu machen. Sie zerstort die alten Sozialelemente und setzt neue kunstliche in Gang. Gruppen, die als schadlich gelten, merzt sie aus; sie 'versucht, neue Eliten zu bilden, und scheut auch nicht davor zuruck, mit Drogen oder Operationen in denpersonalen Kern des Einzelmenschen verandernd einzugreifen.25
In Bezug auf die Langlebigkeit eines totalitarem Regimes ist der gemeinsame Tenor der, dass „gerade politisch erfahrene Beobachter dem totalitaren Regime zunachst einen baldigen Zusammenbruch prophezeien [...] denn nach den uberkommenen Vorstellungen und Mafistaben zerstort dieses Regime alle Voraussetzungen, die einer Regierung Dauer verleihen konnen.“26
5 Daraus ergibt sich folgende Definition: Die totalitare Herrschaft versucht, durch Dressur einen neuen Menschen zu schaffen, der so denkt und handelt, wie es ihren Interessen entspricht. Sie versucht, der Masse durch Propaganda ihre Ideologic aufzuzwingen. Ein Mensch unter totalitarer Herrschaft ist all seiner Freiheiten beraubt und kann nicht mehr so leben und handeln, wie er es von Natur aus wurde. Totalitare Regierung ist gleichbedeutend mit uberall wahrender Uberwachung. Totalitarismus und Politik stehen im absoluten Gegensatz zueinander. Wo Totalitarismus herrscht, fmdet Entpolitisierung statt. AuBerdem ist eine totalitare Regentschaft zum scheitern verurteilt, da sie alles, was eine Regierung braucht, um dauerhaft zu bestehen, zerstort.
3. Die Verfassung und Gesellschaft Spartas
Im Folgenden analysiere ich die spartanische Verfassung und Ordnung nach Lykurg. Ich beschaftige mich deshalb vor allem mit Xenophons Verfassung der Spartanerf Dabei ist es wichtig, zu wissen, dass Xenophons ^Verfassung der Sparlaner" nicht etwa ein Versuch ist, dem Leser ein moglichst objektives Bild der spartanischen Verfassung zu prasentieren, sondern eher versucht Xenophon, zu erklaren, welche Faktoren Sparta zur wohl machtigsten Polis in Griechenland machten.27 Nichts desto trotz ist Xenophons Werk von groBer Wichtigkeit fur das Verstandnis der spartanischen Verfassung. AuBerdem werde ich die Schriften Plutarchs uber die Jykurgische Ordnung" berucksichtigen. Denn die Quellenlage von spartanischer Seite ist auBerst durftig.28 Fur Xenophon und Plutarch war die Ordnung Lykurgs ein Wendepunkt fur Sparta, so schreibt auch Plutarch uber Lykurg, dass dieser die Ordnung der Spartaner anderte und den Staat umgestaltete:
In dieser Absicht reiste er zuerst nach Delphi, opferte und befragte den Gott und brachtejenes
beruhmte Orakel mit heim, in welchem ihn die Pythia einen Gotterliebling nannte, mehr
Gott alsMensch, und ihm aufsein Verlangen nach einer gesetzlichen Ordnung den
Bescheid gab, der Gott gebe und gewahre ihm eine Verfassung. die die beste sei von
alien... 29
Deshalb wird die spartanische Verfassung ..Grofe Rhetra“ gennant, was so viel heiBt wie ..Gesprochenes". „Spruch“,30
[...]
1 A. Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933 (Munchen 1994).
2Xenophon, DieVerfassung derSpartaner, hrsg., ubers. u. erl. von Stefan Rebenich, Texte zur Forschung 70 (Darmstadt 1998).
3 H. Buchheim, Totalitare Herrschaft. Wesen und Merkmale (Munchen 1962).
4 Buchheim 1962, 11.
5 H. Arendt, Elemente und Ursprunge totaler Herrschaft (Frankfurt am Main 1958).
6 Arendt, 1958, 508.
7 Buchheim 1962, 24.
8 Ebenda, 24.
9 Ebenda, 24 .
10 Buchheim 1962, 13f.
11 H. Arendt -1. Nordmann , Uber den Totalitarismus. Texte Hannah Arendts aus den Jahren 1951 und 1953 (Dresden 1998).
12Buchheim 1962, 18.
13 Ebenda, 13.
14 Ebenda, 25.
15 Ebenda, 25.
16 Ebenda 26.
17 Ebenda, 25.
18 Ebenda, 17.
19 Ebenda, 25.
20 Ebenda, 83.
21 Ebenda, 83.
22 Ebenda, 83.
23 Ebenda, 83 f.
24Buchheim 1962, 83.
25Buchheim 1962, 15f.
26Buchheim 192, 13.
27Xenophon, Die Verfassung der Spartaner, hrsg., ubers. u. erl. von Stefan Rebenich, Texte zur Forschung 70 (Darmstadt 1998).
28 Rebenich 1998, 2.
29 Plut. Lyc. 5,3.
30 A. Mayr, Die Idealstaatsmodelle in Platons Nomoi und Xenophobe Kyrupadie, Hieron, Die Verfassung der Spartaner und Die Verfassung der Athener, sowie die politischen Systeme Spartas und Athens im Vergleich (Munchen 2016).