Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die ambulante Kinder- und Jugendhilfe
Zusammenfassung
Zunächst wird auf die ambulante Kinder- und Jugendhilfe und die Adressat*innen dieser eingegangen. In diesem Zusammenhang werden die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Aufgabenbereiche und die Tagesstruktur dargelegt. Darüber hinaus wird der chronologische Verlauf der Maßnahmen der Covid-19-Pandemie festgehalten, um einen besseren zeitlichen Überblick zu erhalten. Im darauffolgenden Schritt werden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Adressat*innen beleuchtet. Interessant ist hierbei die Situation rund um das Thema Homeschooling. Auch zu betrachten ist die innerfamiliäre Situation, die psychische Situation und Zukunftsperspektiven der Adressat*innen und die Entwicklung des Medienkonsums seit Beginn der Pandemie. Zuletzt wird ein Fazit aus den gewonnenen Erkenntnissen gezogen und die Fragestellung beantwortet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die ambulante Kinder- und Jugendhilfe
2.1 Gesetzliche Grundlagen
2.2 Adressat*innen
2.3 Aufgabenbereiche und Tagesstruktur der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe
3. Die Entwicklung der Covid-19 Pandemie
4. Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Adressat*innen
4.1 Homeschooling
4.2 Familiäre Situation
4.3 Medienkonsum
4.4 Psychische Auswirkungen
4.5 Zukunftsperspektiven
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anteil der Lernzeit (Günther et. Al. 2020, S. 9)
Abbildung 2: Lernfortschritt (Günther et. Al. 2020, S. 10)
Abbildung 3: Psychische Belastung (Günther et. Al. 2020, S. 11)
Abbildung 4: Stimmung und Belastung (Andresen et. Al. 2021, S. 48)
1. Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit habe ich mich mit den Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die ambulante Kinder- und Jugendhilfe befasst, da diese Thematik mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse und die Berichterstattung der Nachrichten sehr präsent ist. Nach Schütz und Luckmann hat die Welt, in der wir leben, einen Einfluss auf die subjektive Lebenswelt (vgl. Luckmann, Schütz 1984). Dementsprechend hat die Covid-19 Pandemie nicht nur Auswirkungen auf gesamtgesellschaftliche Prozesse und Situationen, sondern auf jedes einzelne Individuum. Die Relevanz der Thematik zeigt sich ebenfalls in der Präsenz des Themas in den Medien. In der Tagesschau wurde am 02.03.2021 berichtet, dass der Therapiebedarf junger Menschen laut eines Arztreports der Barmer weiter steigt (vgl. Tagesschau 2021). Hier hat sich für mich die Frage ergeben, ob dieser verzeichnete Anstieg mit der Covid-19 Pandemie im Zusammenhang steht. Im Rahmen meiner Tätigkeit in einer Kinder- und Jugendwohngruppe konnte ich regelmäßig wahrnehmen, dass sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Mitarbeiter*innen seit der Pandemie unzufrieden wirkten und dies auch oftmals kundtaten. Das Klima litt augenscheinlich sehr unter der bestehenden Covid-19 Pandemie und den damit zusammenhängenden Maßnahmen. Zugleich schien die Situation direkt in den Familien noch prekärer zu sein als in den stationären Einrichtungen. Diese Vermutung ergab sich aufgrund meines Praktikums, welches ich zu Beginn des Jahres in einem ambulanten Jugendhilfe-Team der Stadt Hannover absolvierte. Auch hier klagten die Mitarbeiter*innen gleichermaßen über Einschränkungen ihrer Arbeit. Das Wohlbefinden der Kinder schien sehr schlecht. Viele Kinder/ Jugendliche hielten verabredete Treffen nicht ein oder versäumten Schulaufgaben und Konferenzen. Auch die Eltern äußerten ihre Überforderung mit der Situation und waren laut der Fachkräfte schwerer zu greifen und unzuverlässiger. Die Mitarbeiter*innen versicherten mir, dass die Situation, die aktuell zu beobachten war, vor Beginn der Pandemie nicht vorherrschte und die Arbeit derzeit gänzlich anders aussehe. Begründungen hierfür wurden mir viele genannt, jedoch keine wissenschaftlich fundierten. Daher ergab sich für mich die Frage, welche Herausforderungen die Maßnahmen der Covid-19 Pandemie für die Adressat*innen der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe mit sich bringen. Dieser Frage werde ich mit Hilfe dieser Hausarbeit nachgehen und hoffe auf bereits durchgeführte Studien zu stoßen, die erkenntnisbringend in Bezug auf die Fragestellung sind. Zunächst werde ich auf die ambulante Kinder- und Jugendhilfe und die Adressat*innen dieser eingehen. In diesem Zusammenhang werde ich die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Aufgabenbereiche und die Tagesstruktur darlegen. Darüber hinaus wird der chronologische Verlauf der Maßnahmen der Covid-19 Pandemie festgehalten, um einen besseren zeitlichen Überblick zu erhalten. Im darauffolgenden Schritt werde ich die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Adressat*innen beleuchten. Interessant ist hierbei die Situation rund um das Thema Homeschooling. Auch zu betrachten ist die innerfamiliäre Situation, die psychische Situation und Zukunftsperspektiven der Adressat*innen und die Entwicklung des Medienkonsums seit Beginn der Pandemie. Zuletzt werde ich ein Fazit aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen und meine Fragestellung beantworten.
2. Die ambulante Kinder- und Jugendhilfe
Die ambulante Kinder- und Jugendhilfe ist eine Leistung der Hilfen zur Erziehung des SGB VIII (vgl. SGB VIII, § 27ff). Sie ist eine Hilfe innerhalb der Familie und soll bei Problemen direkt vor Ort helfen (vgl. Evangelischer Erziehungsverband e. V. 2009, S. 16). Mit diesem Leistungsangebot „reagiert die Gesellschaft auf Problemlagen Minderjähriger, zu deren Lösung oder zumindest Linderung es eine intensive Unterstützung des Minderjährigen und seiner Familie im sozialpädagogischen Sinne“ (Heintz, Seithe 2014, S.31) in ihrer Lebenswelt benötigt.
2.1 Gesetzliche Grundlagen
Der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung für Sorgeberechtigte besteht, „wenn diese Schwierigkeiten haben, eine dem Wohle des Kindes entsprechende Erziehung umzusetzen“ (Heintz, Seithe 2014, S.31). Dies ist unter anderem der Fall, wenn die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. § 1 SGB VII) im Rahmen der individuellen Lebenssituation, insbesondere in der Familie, nicht gewährleistet werden kann (vgl. Heintz, Seithe 2014, S.37), denn jeder junge Mensch hat ein Recht hierauf (vgl. Nomos 2020, S. 1798). Relevant für die Arbeit der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe sind insbesondere die §§ 30, 31 aber auch die §§ 34, 41 und teilweise der § 29 des SGB VIII. Die Fachkräfte arbeiten auf Grundlage des § 31 SGB VIII als Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) mit den Familien vor Ort in ihrer Lebenswelt und erarbeite gemeinsame Ziele, die als Leitlinie des Hilfeprozesses dienen. Fachkräfte der ambulanten Hilfen übernehmen außerdem Erziehungsbeistandschaften gemäß § 30 SGB VIII. Erziehungsbeistände/Betreuungshelfer*innen legen den Fokus auf die Arbeit mit dem Kind oder Jugendlichen. Allerdings ist das Familiensystem auch hier zu berücksichtigen. In Einzelfällen wird die Arbeit auch nach § 29 SGB VIII, der sozialen Gruppenarbeit, ausgerichtet. Wenn die psychosozialen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen durch Lernen in einer Gruppe gefördert und entwickelt werden können, so ist die fallbezogene soziale Gruppenarbeit eine adäquate Hilfeform (vgl. Landeshauptstadt Hannover 2018, S. 9).
Die Besonderheit einiger Träger ist, dass sie über eine oder mehrere MoB1 -Wohnungen verfügen (vgl. Landeshauptstadt Hannover 2018, S. 9), sodass diesbezüglich der § 34 SGB VIII greift und Jugendliche in einer Wohnung ambulant betreut werden können (vgl. Nomos 2020, S. 1807). Da die Fachkräfte im Berufsalltag viele Berührungspunkte mit dem Thema der Kindeswohlgefährdung haben, ist weiterhin der § 8a SGB VIII relevant und ein zentraler Inhalt der Arbeit in der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe. Auf dieser rechtlichen Grundlage haben Fachkräfte einen Schutzauftrag bei einer Kindeswohlgefährdung. Gemäß Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG (i.V.m. der elterlichen Sorge gemäß § 1626 Abs. 1 BGB) besitzen die Eltern das Erziehungsvorrecht (vgl. Jordan et. Al. 2015, S. 323). Dieses besagt, dass die Pflege und Erziehung der Kinder und Jugendlichen das natürliche Recht der Eltern sind und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Eltern haben demnach die Freiheit ihre Erziehung nach eigenen Vorstellungen und nach eigenem Ermessen auszugestalten. Dieses Erziehungsvorrecht genießen sie jedoch nur bis zur Schwelle des § 1666 BGB (vgl. Nomos 2020, S. 669), denn wenn das körperliche, seelische oder geistige Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet sind (§ 1666 Abs. 1 BGB) und darüber hinaus die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind die Gefahr abzuwenden, so muss das Familiengericht Maßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz treffen (vgl. § 1666a BGB), die zur Abwehr der Gefahr führen. Der Staat hat somit zwar kein Mitspracherecht bei der Erziehungsgestaltung, er wacht jedoch gemäß Artikel 6 Abs. 2 S. 2 GG über die Ausübung der Pflege und Erziehung (vgl. Jordan et. Al. 2015, S. 318) und greift dann aktiv ein, wenn eine Gefährdung des Kindes im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB vorliegt.
Aus den gesetzlichen Bestimmungen wird deutlich, dass Eltern einen Rechtsanspruch auf eine Hilfe zur Erziehung und somit auch auf eine ambulante Hilfeform haben, falls diese im individuellen Fall am adäquatesten ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. In manchen Fällen besteht sogar eine Pflicht der Inanspruchnahme einer solchen Hilfeleistung, um im Gefährdungsfall drastischeren Maßnahmen, wie dem Sorgerechtsentzug oder einer Inobhutnahme, zu prävenieren. Weiterführend ist zu beleuchten, welche konkreten Problemlagen der Adressat*innen zu einer Inanspruchnahme einer ambulanten Hilfe führen können.
2.2 Adressat*innen
Die Problemlagen der Familien der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe sind sehr unterschiedlich und vielfältig. Viele wenden sich mit dem Problem der Überforderung in der Erziehung, der Überlastung im Familienalltag oder Verhaltensauffälligkeiten seitens des Kindes an den ASD2 beziehungsweise KSD3 (vgl. Diakonisches Werk Mönchengladbach o.J., o.S.) und wünschen sich eine Unterstützung, da sie den Weg aus ihrer individuellen Krise als Familie nicht mehr eigenständig meistern können.
Schulversagen, Schulverweigerung und Schulabbruch seitens der Kinder und Jugendlichen sind Verhaltensweisen, die Eltern häufig überfordern können (vgl. Heintz, Seithe 2014, S. 40). An dieser Stelle wird die ambulante Kinder- und Jugendhilfe unterstützend tätig und versucht diese Probleme gemeinsam mit der Familie zu lösen. Des Öfteren treten in den Familien, auch aufgrund von Überforderung, Gewalt gegen Minderjährige durch Elternteile auf. Bestehende Gewalt gegenüber Minderjährigen macht eine ambulante Unterstützung ebenfalls notwendig (vgl. Heintz, Seithe 2014, S. 40). Bevor einschneidendere Maßnahmen gewählt werden, wird mit Hilfe der ambulanten Hilfe versucht, die Gewalt seitens der Eltern abzuwenden. Zu weiteren Problemlagen der Adressat*innen der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe gehören Kindesvernachlässigung, eine ansteigende Suizidversuchsrate der jüngeren Altersgruppen (15-25 Jahre), hoher Alkoholkonsum beziehungsweise Alkoholabhängigkeit und Arbeitslosigkeit bzw. Langzeitarbeitslosigkeit der Sorgeberechtigten. Insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit kann zu starker Verschlechterung der Familienatmosphäre und einer Einschränkung von Kontakten führen (vgl. Heintz, Seithe 2014, S. 41). Die dramatische Zunahme der Verschuldung der Privathaushalte führt ebenfalls dazu, dass Familien zu Adressat*innen der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe werden (vgl. Heintz, Seithe 2014, S. 41-42) und Unterstützung benötigen. Zu ergänzen ist hierzu, dass „Kinder, die in Armut aufwachsen, [...] erhebliche Nachteile im späteren Leben [haben]. Sie brechen häufiger die Schule ab und haben dadurch schlechtere] Berufschancen. Zudem sind sie überdurchschnittlich häufig von Gesundheitsproblemen, Drogenkonsum und Kriminalität betroffen" (Heintz, Seithe 2014, S. 39). Hier wird deutlich, dass Armut ein mehrdimensionales Problem darstellt, dessen Folgen auf verschiedenen Ebenen von der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe bearbeitet werden müssen.
Die Landeshauptstadt Hannover (LHH) zählt in ihrer Konzeption zur ambulanten Kinder- und Jugendhilfe ähnliche Problemlagen auf, führt diese jedoch an einigen Stellen noch etwas präziser aus. Zu den Adressat*innen der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe gehören laut der LHH Eltern oder Alleinerziehende, die sich aufgrund von bestimmten Lebensumständen nicht in der Lage sehen, ohne Unterstützung der ihnen zugewiesenen Erziehungsverantwortung nachzukommen. Fachkräfte haben folglich die Aufgabe Potenziale der Eltern in Bezug auf ihr Erziehungsverhalten zu aktivieren und behalten dabei immer einen ressourcenorientierten Blick (vgl. Heimverbund der LHH 2012, S. 1). Eine pädagogische Unterstützung kann auch bei Konflikten im Elternhaus, Anzeichen beginnender Vernachlässigung, psychischen Auffälligkeiten, Suchtproblemen oder/und Schulproblemen angebracht sein. Weiterführend gibt es auch bei den Adressat*innen der ambulanten Hilfen der LHH oft Gewalterfahrungen sowie Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch, die eine Hilfe notwendig machen (vgl. LHH 2018, S. 4). Gewaltbereitschaft und Delinquenz seitens der Jugendlichen können beispielsweise die Unterstützung der Eltern durch Fachkräfte in der Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe begründen (vgl. LHH 2018, S. 4). Bei Organisations- und Alltagsschwierigkeiten beispielsweise im Zusammenhang mit Behörden, Institutionen und Vermietern werden die Eltern und Jugendlichen nachhaltig unterstützt, diese eigenständig wahrnehmen zu können. Darüber hinaus finden Einzelkontakte mit Kindern und Jugendlichen statt, bei denen vorwiegend schulische oder berufliche Fragen geklärt, die Beziehungen zu den Eltern und anderen Familienmitgliedern reflektiert oder Schwierigkeiten im sozialen Umfeld thematisiert und bearbeitet werden (vgl. Landeshauptstadt Hannover 2018, S. 4). Es wird davon ausgegangen, dass die Adressat*innen jeweils ein individuelles Potenzial besitzen sich positiv entwickeln zu können. Daher ist die Stärkung der individuellen Ressourcen der Adressat*innen fundamentaler Bestandteil der Arbeit der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe (vgl. LHH 2018, S. 4).
2.3 Aufgabenbereiche und Tagesstruktur der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe
Die ambulante Kinder- und Jugendhilfe bezieht sich nicht nur auf „die Schwierigkeiten eines einzelnen Kindes/Jugendlichen, auch wenn der Anla[...][ss] der Hilfe das „Kindeswohl" ist" (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999, S.7). Die Hilfe betrifft das ganze Familiensystem und „orientiert sich an dessen sozialem Netzwerk mit seinen Erziehungs-, Beziehungs-, sozialen und materiellen Problemen und Ressourcen. [...] Die konkrete Ausgestaltung der Hilfe entwickelt sich in der Zusammenarbeit von Familie und Fachkraft" (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999, S. 7). Meist findet die Arbeit vor Ort im Haushalt der Familien statt. „Das Ziel [...] ist, Eltern, Kindern und Jugendlichen bei der Überwindung von persönlichen, erzieherischen und sozialen Schwierigkeiten Unterstützung zu bieten. Eigene Fähigkeiten sollen (wieder-) entdeckt werden und neuer Mut und Kraft zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mobilisiert werden" (Diakonisches Werk Mönchengladbach o.J., o.S.). Mit den ambulanten Hilfen können Fachkräfte tätig werden, bevor das Kind oder der*die Jugendliche nicht mehr in seiner*ihrer Familien leben kann (vgl. Ritschel 2021, S. 61).
Fachkräfte bieten dabei „einen inneren und äußeren Rahmen, in dem der Mensch sich entwickeln kann" (vgl. Ritschel 2021, S. 60-61). Im inneren Rahmen wird dem Individuum Wissen und methodisches Denken zur Verfügung gestellt und im äußeren Rahmen haben Fachkräfte „einen politischen Anspruch, Bedingungen mitzugestalten, anzusprechen und anzustoßen, damit die Gesellschaft offener und emphatischer wird und soziale Ungleichheit sichtbar wird" (Ritschel 2021, S. 60-61).
Für diese Hilfeform zur Erziehung ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Familien und den Helferinnen notwendig, damit persönliche Aspekte zur Sprache kommen. Neue Impulse, die in die Familie gegeben werden und Wertschätzung des aktuellen Tuns müssen sich die Waage beim Unterstützen der Familie halten, denn Eltern sind Expertinnen ihrer eigenen Lebenssituation und somit auch Expertinnen ihres Kindes (vgl. LHH 2018, S. 4). Mit dieser pädagogischen Haltung gelingen „Veränderungen in Familien, die aus sich heraus neue Verhaltensweisen anwenden und das Schicksal der eigenen Kinder ins Positive" (Ritschel 2021, S. 62) wenden. Allerdings müssen Fachkräfte auch Entscheidungen treffen, die einen weiteren Verbleib des Kindes oder Jugendlichen in der Familie nicht mehr ermöglichen (vgl. Ritschel 2021, S. 62), falls die bestehende oder drohende Gefahr in der Familie nicht anders abgewendet werden kann.
Die Arbeitsinhalte einer Fachkraft, die in der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe tätig ist, sind von Tag zu Tage unterschiedlich (vgl. Ritschel 2021, S. 62). Zwischen vier und sechs Terminen pro Tag mit Familien, Einzelpersonen und Institutionen, die alle individuell gestaltet werden, kennzeichnen den Alltag (vgl. Ritschel 2021, S. 62). Da Termine in Absprache mit den Klient*innen gemacht werden beginnt und endet der Arbeitsalltag zeitlich immer unterschiedlich (vgl. Ritschel 2021, S. 62). „Es gibt keine feste Arbeitszeit" (Ritschel 2021, S. 62). Darüber hinaus besteht sehr viel Freiheit und Spielraum in der Arbeitsgestaltung, da sich die Arbeit an den Bedarfen der Klient*innen orientiert (vgl. Ritschel 2021, S. 62). Flexibles Handeln angepasst an die jeweilige Situation und das System der Familie ist gefragt (vgl. Ritschel 2021, S. 63). Karolin Ritschel, Sozialpädagogische Familienhilfe, beschreibt ihren Arbeitsalltag wie folgt: „So habe ich bei einem Termin eine klassische Erziehungsberatung, bei der es um den Umgang zwischen Eltern und Kind geht. Beim nächsten Termin begleite ich ein Elterngespräch in der Schule, weil die Mutter unsicher ist, ob die Schule und sie die gleiche Sprache sprechen. Danach fahre ich zu einer Familie, wo ich mit einer Kollegin eine therapeutische Beratung durchführe [...] Oder ich habe einen Termin mit einer jungen Klientin, bei dem wir kochen und Hausaufgaben machen - und die Probleme eines Teenagerlebens besprechen. Dazwischen habe ich Telefonate mit anderen Institutionen" (Ritschel 2021, S. 62-63). Es wird deutlich, dass Fachkräfte in diesem Arbeitsfeld die Fähigkeit benötigen, ihren Tagesablauf selbst zu gestalten und zu strukturieren. Außerdem wird den Fachkräften ein hohes Maß an Flexibilität und Autonomie abverlangt, da häufig unvorhergesehene Situationen oder Krisen in den Familien auftauchen können (vgl. Ritschel 2021, S. 64). Karoline Ritschel beschreibt sich selbst als Schatzsucherin, da sie die Haltung vertritt, „dass in jedem der Familienmitglieder bereits die Lösungsansätze und Ressourcen vorhanden sind" (Ritschel 2021, S. 64), die gemeinsam nur gefunden und gestärkt werden müssen.
Fachkräfte, wie Karoline Ritschel, arbeiten an Leistungs- und Gefährdungsfällen. Im Gefährdungsfall wird vom KSD/ASD ein Schutzplan erstellt, indem Aufträge für die Arbeit der ambulanten Hilfe verankert sind. Im Leistungsfall sind die individuell vereinbarten Ziele der Arbeitsinhalt. Durch eine enge Kooperation zwischen dem KSD/ASD und den Jugendhilfeträgern soll die Hilfe für die Adressat*innen optimiert werden (vgl. LHH 2018, S. 6). „Die Grundlage für die Arbeit [.] ist das Hilfeplangespräch (HPG)" (LHH 2018, S. 7). Das HPG soll alle 6 Monate stattfinden. In diesem Rahmen können Adressat*innen ihre Ziele äußern, sodass sich die Arbeit darauf aufbauend an den Zielen, den Willen und Bedarfen der Klient*innen orientieren kann. Die Erreichung der Ziele wird in Abständen von sechs Monaten mit allen Beteiligten reflektiert. Durch eine engmaschige Begleitung werden Eltern nach dem Ansatz der „Hilfe zur Selbsthilfe" unterstützt und in ihrer Erziehungsverantwortung gestärkt (vgl. LHH 2018, S. 5). „Zur Klärung und Reflexion der aktuellen Situation [der Familien] können Biographiearbeit und Familiengespräche eine Methode sein“ (LHH 2018, S. 5), denn so kann das gesamte Familiensystem mit all seinen Beziehungen für die Fachkräfte sichtbar gemacht werden. In der Praxis wird ein partizipativer Ansatz auf Augenhöhe gelebt, bei dem die Adressat*innen selbst Expert*innen ihrer Lebenssituation sind (vgl. LHH 2018, S. 7). Stehen beispielsweise zu Beginn der Hilfe keine Handlungsziele, sondern nur Richtungsziele, so können die Adressat*innen Handlungsziele gemeinsam mit den Fachkräften mit Hilfe unterschiedlicher Methoden dialogisch erarbeiten.
Weiterhin ist es wichtig, Kindern und Jugendlichen das soziale Umfeld zu erhalten. Daher engagieren sich die Fachkräfte der ambulanten Hilfen vor Ort in den die Familien und arbeiten demnach sozialraumorientiert (vgl. LHH 2018, S. 6). „Die Räumlichkeiten [.] befinden sich in zentraler Lage im jeweiligen Sozialraum und sind somit für die Adressat[*innen] [.] gut erreichbar“ (LHH 2018, S. 11). Fachkräfte können somit nicht nur die persönlichen und sozialen Ressourcen, sondern ebenfalls die sozialräumlichen Ressourcen für eine nachhaltige Hilfe nutzen. Um die Lebensbedingungen der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien zu optimieren, beteiligen sich die ambulanten Hilfen am Gemeinwesen. Im Vordergrund steht dabei für die Fachkräfte die Aneignung des sozialen Raums sowie die Pflege von Netzwerken und die Kooperation beispielsweise mit anderen Trägern. Der Schutz des Kindeswohls ist demnach ein umfassender gesellschaftlicher Auftrag, den mehrere Institutionen gemeinsam verfolgen und bei dem die Prävention gleichermaßen relevant geworden ist, wie die Intervention bei einer Kindeswohlgefährdung (vgl. Jordan et. AL. 2015, S. 320).
Die Covid- 19- Pandemie stellt für alle Menschen eine Herausforderung dar. Insbesondere für die Adressaat*innen der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe ergeben sich hieraus jedoch neue Probleme, die die bereits bestehende Krise in der Familie verschärfen oder erweitern können. Um zu klären, welche Auswirkungen die Maßnahmen der Covid- 19 Pandemie auf die Adressat*innen haben, ist zunächst die genaue Entwicklung der Covid-19 Pandemie zu erörtern.
3. Die Entwicklung der Covid-19 Pandemie
Covid-19 steht für die Abkürzung „Corona virus disease 2019“, also für die seit 2019 aus dem Coronaerreger entstandene Krankheit. Unter Corona ist die Virenfamilie gefasst. Zu ihr gehören sieben Coronaviren, die Menschen krank machen können (vgl. Brockhaus 2021).
Am 27. Januar 2020 erreichte das Covid-19 Virus Deutschland. In Bayern hatte sich ein Mann mit der Atemwegserkrankung aus China angesteckt. Der deutsche Gesundheitsminister, Jens Spahn, äußerte, dass laut Einschätzung des RKI (Robert-Koch-Institut) die Gefahr für die Gesundheit in Deutschland jedoch sehr gering sei (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2021, o.S.). Am 31. Januar kehrten circa 100 Personen aus Wuhan, dem Epizentrum des Virus, nach Deutschland zurück. Die Menschen wurden daraufhin isoliert. Stand 12. Februar 2020 lag der Schwerpunkt der Erkrankung weiterhin in China, allerdings waren nun weltweite Auswirkungen spürbar. In vielen Ländern der Welt sind zu diesem Zeitpunkt bereits Fälle aufgetreten (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2021, o.S.). Am 24. Februar 2020 äußerte Jens Spahn, dass sich die Einschätzung bezüglich der Gefahr des Virus geändert habe. Mit Blick auf die sich verschärfende Lage in Italien wurde das Virus nun als Epidemie eingestuft. Ab dem 26. Februar traten nun auch erstmals Infektionen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2021, o.S.). Am 12.03.2020 erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die weltweite Ausbreitung des COVID-19-Virus zu einer Pandemie (vgl. WHO 2020, o.S.). Infolgedessen trat am 22. März 2020 der am 16.03.2020 beschlossene erste Lockdown in Deutschland in Kraft. „Die Schulen wurden in Deutschland, [aber auch] Österreich und der Schweiz ab Mitte März geschlossen (in der Mehrheit ab dem 16. März, bei einigen einen Tag später oder bereits ein paar Tage vorher)“ (Günther et. Al. 2020, S. 15). Universitäten und Hochschulen stellten auf Onlinelehre um. Es ließ sich aufgrund des Föderalismus jedoch ein unterschiedliches Vorgehen der Bundesländer, z.B. hinsichtlich Ferienregelungen, unterschiedlichen Formen der Betreuung und der Anwesenheit von schulischen Mitarbeiter*innen sowie hinsichtlich der Methoden des Lernens, erkennen. Zunächst gab es für die Schüler*innen Aufgaben zur Wiederholung und keinen neuen Unterrichtsstoff (vgl. Günther et. Al. 2020, S. 15). Am 27.03.2020 trat das erste von insgesamt vier Gesetzen zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft (vgl. Robert Koch Institut 2021, o.S.). Mit Hilfe der beschlossenen Maßnahmen sollte die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden. Es wurde zu diesem Zeitpunkt zwar keine allgemeingültige Ausgangssperre verhängt, es bestand jedoch ein Kontaktverbot. „Die Bürgerinnen und Bürger [...] [wurden] angehalten, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren“ (Die Regierung 2020a, o.S). Im öffentlichen Bereich galt es einen Mindestabstand von mindestens 1,5 Metern zu Personen, die außerhalb des eigenen Haushalts leben, einzuhalten (vgl. Die Regierung 2020a, o.S). Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete außerdem, dass „[d]er Aufenthalt im öffentlichen Raum [...] nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet“ (Die Regierung 2020a, o.S) ist. Gastronomie, abgesehen vom „Außerhausverkauf“, Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege und religiöse Gebäude wurden geschlossen (vgl. Die Regierung 2020a, o.S). Die Reduzierung sozialer Kontakte galt zunächst für zwei Wochen. Am 15. April hob Bundeskanzlerin Angela Merkel diese zeitliche Begrenzung jedoch auf und verlängert das Kontaktverbot bis Anfang Mai (vgl. Kodzo 2021, o.S.). Schulen und Kitas sollten weiterhin bis zur schrittweisen Öffnung am 3. Mai 2020 geschlossen bleiben. Die Maskenpflicht für Geschäfte und Fahrten mit dem ÖPNV4 wurde von der Bundesregierung am 29. April 2020 beschlossen. Sie galt in allen Bundesländern (vgl. Kodzo 2021, o.S.). Dieser erste Lockdown dauerte insgesamt sieben Wochen, vom 22. März 2020 bis zum 04. Mai 2020 (vgl. Kodzo 2021, o.S.).
Erste Lockerungen begannen am 4. Mai 2021. Friseursalons und Schulen (Szenario A) öffneten wieder. Am 11. Mai 2021 wurde es auch den Restaurants, Bars und Lokalen gestattet, mit Hygienekonzept wieder zu öffnen (vgl. Kodzo 2021, o.S.). Weitere Lockerungen traten am 15. Juni 2020 ein. Die Beschränkungen wurden weiter aufgehoben, sodass auch Kontaktsportarten wieder möglich waren. Das öffentliche Leben kehrte weitgehend zur Normalität zurück. Einige Beschränkungen, wie die Maskenpflicht und der Mindestabstand blieben jedoch bestehen (vgl. Kodzo 2021, o.S.). Der Zeitraum von Januar 2020 bis Mitte Juni wurde vom Robert-Koch-Institut (RKI) als erste Corona-Welle bezeichnet (RKI 2020, o.S.).
Mit Beschluss vom 28.10.2020 trat dann der sogenannte „Lockdown light" am 02.11.2020 in Kraft. Angesichts steigender Infektionszahlen beschloss Bundeskanzlerin Angela Merkel am 28. Oktober 2020 in einer Videokonferenz mit den Regierungschef*innen der Länder, dass „[d]er Aufenthalt in der Öffentlichkeit [...] ab sofort nur mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes jedoch in jedem Falle maximal mit 10 Personen gestattet" (Die Bundesregierung 2020, o.S.) ist. Diese Kontaktbeschränkungen ließ demnach Treffen von 10 Personen aus zwei Haushalten zu. Zahlreiche Kultur-, Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe mussten erneut schließen, um einer zweiten Welle entgegenzuwirken. Schulen, Kindergärten und Groß- und Einzelhandelsbetriebe blieben jedoch zunächst geöffnet (vgl. Die Bunderegierung 2020, o.S.). „Alle anderen Aktivitäten und Kontaktmöglichkeiten waren [...] erneut erheblich beschränkt" (Andresen et. Al. 2021, S. 19). Die Maskenpflicht im öffentlichen Raum wurde weiter ausgedehnt. Der „Lockdown-light" dauerte insgesamt bis zum 25.11.2020 an (vgl. Die Bunderegierung 2020, o.S.).
Mit Wirkung ab dem 16. Dezember 2020 wurden die Maßnahmen bis zum 10. Januar 2021 weiter verschärft. Bereits beschlossene Maßnahmen blieben bestehen. In einer Telefonkonferenz der Regierung wurde am 13.12.2020 beschlossen, dass „Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten [.] weiterhin auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, jedoch in jedem Falle auf maximal 5 Personen zu beschränken [sind]" (Die Regierung 2020b, o.S.). Kinder unter 14 Jahre waren jedoch in Hinblick auf die Kontaktbeschränkung nicht mitzuzählen. Eine Ausnahme galt an den Weihnachtsfeiertagen vom 24.12.2020 bis einschließlich 26.12.2020. „[W]ährend dieser Zeit [waren] Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen zuzüglich Kindern im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis, also Ehegatten, Lebenspartnern und Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie Verwandten in gerader Linie, Geschwistern, Geschwisterkindern und deren jeweiligen Haushaltsangehörigen zu[ge]lassen, auch wenn dies mehr als zwei Hausstände oder 5 Personen über 14 Jahren bedeutete]" (Die Regierung 2020b, o.S). An Silvester und Neujahr wurde ein bundesweites Versammlungsverbot eingeführt. Weiterhin galt ein Feuerwerksverbot auf öffentlichen, zentralen Plätzen (vgl. Die Regierung 2020b, o.S). Auch der Einzelhandel, mit Ausnahme von systemrelevanten Einrichtungen, wie Lebensmittelgeschäften oder Banken, musste schließen. Schulen und Kindertagesstätten wurden in diesem Zeitraum grundsätzlich geschlossen. Szenario C mit „home-schooling" war erneut, wie im Frühjahr 2020, angesagt und die Präsenzpflicht wurde ausgesetzt. Allerdings gab es Notfallbetreuungen und verschiedene Angebote der Distanzlehre (vgl. Die Regierung 2020b, o.S). Arbeitnehmer*innen sollten, soweit möglich, ihre Arbeit ins „Home-Office" verlegen (vgl. Die Regierung 2020b, o.S). Dieser sogenannte „Harte Lockdown" dauerte vom 13.12.2020 bis zum 25.01.2021 an.
Da in Deutschland ab dem 27.12.2020 mit dem Impfen begonnen wurde, bestand Hoffnung auf baldige Besserung der Lage. Jedoch war aufgrund von hohen Infektionszahlen weiterhin Vorsicht geboten. Bundekanzlerin und Regierungschefs beschlossen am 19. Januar 2021 Maßnahmen, wie zum Beispiel die Schul- und KiTa-Schließungen und die „Home-Office-Regelung", bis zum 14.04. beizubehalten (vgl. Bunderegierung (Deutschland) 2021, o.S.). Grundschüler*innen, die Förderschulen GE sowie die Abschlussklassen befanden sich zu der Zeit überwiegend als einzige im Wechselunterricht mit allen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen gemäß Szenario B (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021, o.S.). Die Kitas blieben geschlossen bei bis zu 50 Prozent Notbetreuung. Am 10. Februar 2021 wurde dann beschlossen, dass die Öffnungsschritte nun an die 7-Tage-Inzidenz gekoppelt sind. Eine stabile 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den Ländern galt als Orientierung (vgl. Die Bundesregierung 2021, o.S.).
Um der dritten Welle zu begegnen, wurde ein sogenannter „Brücken-Lockdown" angesetzt. Jens Spahn sagte dazu, dass es nun darum gehe „eine Brücke über das zweite Quartal in den Sommer hineinzubauen und abzusichern. Der Lockdown war der erste Brückenabschnitt und notwendig, um die Infektionszahlen zu senken (um im Bild zu bleiben: wenn die Welle zu hoch ist, hilft die beste Brücke nichts). Den zweiten Brückenabschnitt bildet bei entsprechend niedrigerer Inzidenz ein intensives Testen in allen Lebenswelten. Es ist die Grundlage für schrittweise Öffnungen" (Bundesministerium für Gesundheit 2021, o.S). Seit dem 23. April 2021 gilt in Deutschland das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, mit dem die sogenannte „Corona- Notbremse" in Kraft trat. In allen Landkreisen und kreisfreien Städten waren die strengen Kontaktbeschränkungen nun an eine 7-Tage-Inzidenz, die an drei aufeinander folgenden Tagen über 100 lag (§ 28b Abs. 1 Nr. 1 IfSG) gebunden. Erst ab einer 7-Tage-Inzidenz von fünf aufeinander folgenden Tagen unter 100 waren Lockerungen vorgesehen. Darüber hinaus wurde eine Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr (§ 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG) angesetzt. Lockerungen sind seitdem folglich an einen Inzidenzwert von unter 100 geknüpft ab dem eine stufenweise Öffnung stattfinden konnte (Stufenplan) (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021, o.S.). In vielen Bundesländern, wie unter anderem in Niedersachsen, wurde ab dem 10. Mai 2021 deutlich mehr Präsenz angeboten und ins Szenario B gewechselt (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021, o.S.). Szenario B bedeutet, dass nicht wie im Szenario A ein eingeschränkter Regelbetrieb herrscht, wie im Sommer 2020, sondern dass geteilte Klassen in festen Gruppen mit maximal 16 Personen unterrichtet werden. Der Mindestabstand von 1,5 Metern muss eingehalten werden. Außerdem muss ein regelmäßiges Stoß- und Querlüften stattfinden. Am Sitzplatz sind in allen Jahrgängen, bis auf der Primarstufe, Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen. Eine Präsenzpflicht ist im Szenario B allerdings weiterhin aufgehoben (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021, o.S.). Ab dem 12.04.2021 kam eine Testpflicht mittels Selbsttests für alle Lehrer*innen und Schüler*innen hinzu. Seit Montag, dem 31. Mai 2021 gilt in vielen Teilen Niedersachsens, aber auch in anderen Bundesländern, bei einer konstanten 7-Tage-Inzidenz von unter 50 wieder das Szenario A und an den Schulen somit Präsenzlehre (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021, o.S.) Mit der Öffnung der Schulen gehen durch die Kopplung der Öffnungen an den Inzidenzwert weitere Öffnungen, wie zum Beispiel die Öffnung der Gastronomie, des Einzelhandels und der Fitnessstudios einher (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021, o.S.).
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1 MoB steht für mobile Betreuung
2 ASD steht für Allgemeiner Sozialdienst
3 KSD steht für Kommunaler Sozialdienst
4 ÖPNV steht für öffentlicher Personennahverkehr