Das „Dritte Reich“ stellt in seiner beispiellosen Schreckensherrschaft, dem barbarischen Vernichtungskrieg mit seinen globalen Ausmaßen und seinem bis in akademische Ebenen durchdachten Rassenwahn ein bislang in seiner Komplexität einzigartiges Phänomen dar.
In dieser Arbeit, die auf einem in der Hochschule Niederrhein gehaltenen Referatsvortrag basiert, sollen einige Aspekte des „Euthanasieprogramms“ des NS-Regimes dargestellt werden. Dies ist hier nur in einer didaktisch reduzierten Form möglich. Ein Versuch, das Denken der Verantwortlichen zu beschreiben und gegebenenfalls zu erklären, soll in keiner Weise als eine Sympathiebekundung oder Entschuldigung, geschweige denn eines Verharmlosen gesehen werden. Im Folgenden wird der Fokus auf die Vernichtung der psychisch Kranken gelegt.
GLIEDERUNG:
1 Anmerkungen
2 Der Beginn der Vernichtung psychisch Kranker im „Dritten Reich“
3 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen zwischen 1933 und 1945
4 Grundlagen der Massenmotivation zur Aushebelung der Menschenrechte
5 Grundlagen zur Ausgrenzung psychisch Kranker und Behinderter
6 Die Entstehung des Euthanasieprogramms in Nazi-Deutschland
7 Ergänzende Erklärungsansätze des moralisch gerechtfertigten Massenmordes in Analogie zu den heutigen Neonazis
QUELLEN:
1 Anmerkungen
Das „Dritte Reich“ stellt in seiner beispiellosen Schreckensherrschaft, dem barbarischen Vernichtungskrieg mit seinen globalen Ausmaßen und seinem bis in akademische Ebenen durchdachten Rassenwahn ein bislang in seiner Komplexität einzigartiges Phänomen dar.
In dieser Arbeit, die auf einem in der Hochschule Niederrhein vorgetragenen Referatsvortrag basiert, sollen einige Aspekte des „Euthanasieprogramms“ des NS-Regimes dargestellt werden. Dies ist hier nur in einer didaktisch reduzierten Form möglich. Ein Versuch, das Denken der Verantwortlichen zu beschreiben und gegebenenfalls zu erklären, soll in keiner Weise als eine Sympathiebekundung oder Entschuldigung, geschweige denn eines Verharmlosen gesehen werden. Im Folgenden wird der Fokus auf die Vernichtung der psychisch Kranken gelegt.
2 Der Beginn der Vernichtung psychisch Kranker im „Dritten Reich“
Im Weiteren sollen bereits zu Beginn einige der schrecklichen Ergebnisse von Aushebelung bzw. „Umleitung“ der Moral während des „Dritten Reichs“ beschrieben werden: Die Vernichtung der psychisch Kranken, die als „Testlauf“ zur Massenvernichtung von Juden und anderen Menschen zu betrachten ist. Später wird dann ein Erklärungsversuch unternommen.
Im Jahr 2008 wurde in Deutschland eine Gedenkstätte eröffnet, die mit „Grauen Bussen“ aus Beton an die grauen Busse erinnern soll, in denen zwischen Januar und Dezember 1940 nach Grafeneck (bei Reutlingen) mehr als 10.000 Menschen gebracht wurden: Psychisch Kranke und Behinderte, die dort von den Nazis vergast wurden. (vgl. http://nachrichten.t-online.de/c/14/08/99/94/14089994.html)
Bereits dieses Verbrechen war perfekt durchdacht und organisiert: Nur wenige Meter vom Vergasungsschuppen entfernt wurde ein Krematorium eingerichtet. Sogar ein eigenes Standesamt erhielt Grafeneck - damit die ungeheure Zahl der Todesfälle keinen Standesbeamten in der Umgebung aufschreckt. Die Planer dieser Kampagne befanden sich in Berlin, an der „Tiergartenstraße 4“, weshalb das Unterfangen den Decknamen „Aktion T4“ bekam. (vgl. http://nachrichten.t-online.de/c/14/08/99/94/14089994.html)
Insgesamt fielen dem Rassenwahn der Nazis über 100.000 Geisteskranke zum Opfer. Adolf Hitler persönlich ermöglichte das staatliche Morden im Jahr 1939 mit einem Ermächtigungsschreiben.
Ein Einzelschicksal von dem Insassen Theodor K. zeigt, dass die Opfer (zumindest teilweise) wussten, was geschah bzw. bevorstand: „Ehe der Schizophrene zusammen mit 74 anderen Patienten in die Gaskammer getrieben wird, schreibt er noch das Wort ,Mörder’ auf einen Keks. Seine Eltern erhalten die verzweifelte Nachricht mit dem Nachlass.“ (http://nachrichten.t-online.de/c/14/08/99/94/14089994.html)
Im Dezember 1940 wurde Grafeneck nach elf Monaten geschlossen, es hatte seinen Zweck erfüllt. „Als ,Anstalt A’ war Grafeneck Modell für den systematischen Mord an Behinderten - und später für den Völkermord an den Juden.“ (http://nachrichten.t-online.de/c/14/08/99/94/14089994.html)
Das Personal der so genannten „Aktion T4“ baute später die Vernichtungslager in Polen auf.
3 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen zwischen 1933 und 1945
Die Historiker streiten auch heute noch darüber, ob Hitler der Auslöser für die gesellschaftliche Katastrophe war, die das „Dritte Reich“ mit sich brachte, oder ob er Symptom seiner Zeit war. Während die erste These Hitler als folgenschweres „Detail“ betrachtet, Weltkrieg, Judenvernichtung etc. also als Folge einer schicksalhaften Variablen der Geschichte sieht, geht die zweite Annahme davon aus, dass Hitler im Grunde genommen nur ein Platzhalter für eine in jedem Fall auftretende „Führerperson“ gewesen war, die die Zeit um 1933 in jedem Fall hervorgebracht hätte. Unstrittig ist die Vorgehensweise, die Hitler und seine „willigen Helfer“ einsetzten, um ihre Pläne – die letzten Endes von vielen Ideengebern stammten und in Hitlers Manifest „Mein Kampf“ vereint waren - zu realisieren.
Das Deutschland um 1933 muss in seinen historischen Bezügen betrachte werden, um eine fundierte Annäherung zu ermöglichen.
„Obwohl das kaiserliche Deutschland ein autoritärer Staat ohne parlamentarisch-demokratische Tradition war, konnte es doch im Bereich des Rechts auf eine alte, solide Tradition zurückblicken.“ (Ian Kershaw in Olwen Hufton, Seite 246)
Dennoch lassen sich gewisse Grundströmungen bereits bei Bismarck erkennen, die später in weitaus extremerer Ausprägung zum wesentlichen Bestandteil der Tötung von Juden, psychisch Kranken, Behinderten und anderen Menschengruppen herangezogen wurden: „Zu den Techniken, die Bismarck einsetzte, um im formal geeigneten Nationalstaat auch nationale Einheit zu schaffen, gehörte die Ausgrenzung bestimmter Gruppen, die nicht wirklich Teil der nationalen Gemeinschaft, sondern potentielle Staatsfeinde sein sollten.“ (Ian Kershaw in Olwen Hufton, Seite 243) Einen sehr ähnlichen Mechanismus lässt sich auch nach der so genannten „Machtergreifung“ Hitlers beobachten: Das Ausgrenzen bestimmter Gruppen wurde administrativ organisiert und der Öffentlichkeit mit einer Angstkulisse „verkauft“. Dabei ließen die Nationalsozialisten eine wesentlich Hintertür offen, die sie später geschickt für ihre Zwecke zu nutzen verstanden: die Möglichkeit, den Kreis der „Staatsfeinde“ unbegrenzt und nach Belieben auszuweiten.
Als diese Schritte eingeleitet wurden, stellte Deutschland bei weitem nicht den „Willkürstaat“ dar, den es binnen weniger Jahre werden würde. Zu diesem Zeitpunkt musste Hitler mit seinen Parteikollegen zunächst den Artikel 114 der Weimarer Verfassung aushebeln. In diesem hieß es: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig.“ (Ian Kershaw in Olwen Hufton, Seite 236)
Die Nazis bedienten sich einer Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“, die am
28. Februar 1933 den gerade zitierten sowie sechs weitere Abschnitte der 1919 verabschiedeten deutschen Verfassung suspendierte. (vgl. Ian Kershaw in Olwen Hufton, Seite 236) Somit war das grundlegende Recht auf Freiheit aufgehoben, ein Zustand, der bis an das Kriegsende aufrechterhalten wurde. Dieser wesentliche Einschnitt war nur der Grundstein eines „landesweiten Kerkers“, den die Nazis errichteten. Ein Staat mit rechtsfreien Nischen, die schnell von den eigenen Vorstellungen des Regimes bzw. deren ausführenden Kräften gefüllt werden sollten: Am 31. Juli 1933 (also exakt 6 Monate und ein Tag nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg) befanden sich im „Deutschen Reich“ insgesamt 26789 Personen in so genannter „Schutzhaft“. „Die Häftlinge wurden nach verschiednen Kategorien unterteilt: Neben ,Asozialen’ und ,Arbeitsscheuen’ inhaftierte man Homosexuelle, Bibelforscher (= Zeugen Jehovas), Sinti und Roma, herkömmliche Straftäter und politische Gegner.“ ( Matthiessen, Seite 123) Die Mehrzahl war in Konzentrationslagern interniert, deren erstes man bereits im März 1933 in Dachau eingerichtet hatte. Diese Lager entzogen sich vollständig der Kontrolle durch die Justizbehörden und die Reichsinnenminister.
An dieser Stelle kann bereits eine Analogie zum Euthanasieprogramm, das unter anderem psychisch Kranke und Behinderte schlichtweg vernichten sollte, gezogen werden:
Sowohl die Konzentrationslager wie auch das Euthanasieprogramm funktionierten nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten, die es den ausführenden Kräften ermöglichte, die Verbrechen zu begehen. Wesentlich sind dabei zwei Elemente, die in einer Kombination auftraten:
Zum einen sind die Verbrechen moralisch vertretbar. (Wie eine „Mord-Moral“ begründet werden kann, wird im Weiteren ausführlich behandelt.)
Zum anderen sind die Handlungen legalisiert worden, eine Ahndung war nicht (mehr) zu befürchten.
Somit kann beinahe von einem pervertierten Freiheitsbegriff gesprochen werden, da sich die Mörder und Aufseher der KZ frei gelöst von
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