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Sozialraumorientierung, Vernetzung und Sozialanwaltschaft

von K. Schreib (Autor:in)
©2022 Einsendeaufgabe 19 Seiten

Zusammenfassung

In dieser Einsendeaufgabe werden drei verschiedene Themen behandelt. Die erste Aufgabe behandelt das SONI-Modell. Das SONI-Modell ist ein praxisnahes Konzept und beschreibt verschiedene Handlungsfelder innerhalb eines Sozialraumes.
Die zweite Aufgabe beinhaltet das Konzept der Street Corner Society. Bei diesem Konzept geht es um die gezielte Beobachtung. Die Fachkraft beobachtet den Sozialraum eines Klienten auf vier verschiedenen Ebenen. Diese werden im weiteren Verlauf differenziert dargestellt.
Die dritte Aufgabe befasst sich mit der Methodenarbeit und der Anwendung in der Praxis.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Aufgabe 1

Aufgabe 2

Aufgabe 3

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: In Anlehnung an das Buch sozialer Raum und soziale Arbeit von Früchtel F.; Budde W.; Cyprian G.

Aufgabe 1

Früchtel beschreibt den Sozialraum als ein von Individuen geformter Bereich, der in einem spezifischen sozialen Kontext steht. Hierbei liegt der Fokus nicht auf den geografischen Grenzlinien, sondern vielmehr auf dem Verständnis über die Entwicklung wie der spezifische Raum entstanden ist und welche Interessen und Pläne dahinterstehen. Soziale Räume beinhalten verschiedene Gestaltungsfaktoren, wie die materiellen Ressourcen, das Wissen, den Rang und die Zugehörigkeit, sowie den Einschluss oder die Ausgrenzung. Diese Elemente sind für die Praxis bedeutungsvoll, da diese die Aufgabe hat, soziale Räume zu öffnen, umzugestalten und zu verbinden. (Früchtel, Budde & Cyprian, 2013)

Die Sozialraumorientierung gewinnt ihre Wirkung durch einen Mehrebenenansatz, welcher aus einander ergänzenden Maximen in verschiedenen Handlungsfeldern besteht. Damit diese voneinander getrennt werden können, um sie analytisch zu betrachten, wurde das SONI-Modell erstellt. Das SONI-Modell ist ein praxisnahes Konzept und beschreibt verschiedene Handlungsfelder innerhalb eines Sozialraumes. Es umfasst die Sozialstruktur, die Organisation, das Netzwerk und das Individuum. Die Arbeitsfelder ergänzen sich gegenseitig. Die nachhaltigste und wirkungsvollste Arbeit in der Sozialraumorientierung erhält man, wenn alle vier Handlungsfelder zusammenarbeiten. Die Systeme sind eine Art Arbeitsteilung der Gesellschaft, die in Teilbereichen spezifische Aufgaben erfüllen sollen und funktionsabhängig voneinander handeln. Dies ist jedoch nicht einfach umzusetzen, da die Arbeitsfelder ein unterschiedliches Maß an Intensität erfordern. Aus diesem Grund blenden die Praxisfelder der sozialen Arbeit oft Teile des Modelles aus und beschränken sich auf eines, maximal zwei. In der Einzelfallarbeit kann es beispielsweise sein, dass die Ursachen für strukturelle Probleme nicht beleuchtet werden, sondern in die Individuen hineinverlagert werden. In der stationären Arbeit kann es passieren, dass das soziale Netzwerk der Bewohner*innen ausgeblendet wird, da die Heimversorgung ausreichend ist und die Pflegekräfte rund um die Uhr als Ansprechpartner*innen fungieren. Die Angehörigen spielen in solchen Situationen eine geringere Rolle. (Früchtel, Budde & Cyprian, 2013)

Die Autoren unterscheiden zwischen System (Sozialstruktur und Organisation) und Lebenswelt (Netzwerk und Individuum). Unter Lebenswelt versteht man ein Konglomerat aus der sozialen Herkunft, dem Umfeld und der Gruppenzugehörigkeit. Hieraus resultieren viele Erfahrungen und Ressourcen. Die Lebenswelt leistet Sozialisation und Sozialintegration für die nachhaltige Herausbildung von Identitäten. Sie richtet sich nach dem Einverständnis, der Kommunikation und Verständigung aus. Das System wird als Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung verstanden, in dem spezifische Funktionen für die Gesellschaft von Teilsystemen übernommen werden. (Marlene-Anne Dettmann, 2017)

Das SONI-Modell verweist auf verschiedene Akteure und potentielle Kooperationen. Jedes einzelne Feld bearbeitet einen anderen Kontext der sozialen Arbeit und entwickelt diesbezüglich Ziele der Sozialraumorientierung. Die Sozialstruktur verweist auf die grundlegenden Wirkungszusammenhänge einer Gesellschaft, in die jedes Individuum eingebunden ist. Sie befasst sich mit Bearbeitung von sozialen Problemen, welche mithilfe verschiedener Methoden und Techniken aufgezeigt werden. Die Organisation meint den institutionellen Kontext. Dieser bezieht sich auf Zuständigkeiten, Finanzierungssysteme, sowie Aufbau- und Ablauforganisationen und darauf bezogene Konzepte. Das Ziel des Arbeitsfeldes ist neue Hilfeleistungen anzubieten, welche wahrgenommen werden können. Das Netzwerk beinhaltet die sozialen Verknüpfungen aller Personen eines sozialen Raumes. Diese sind automatisch Adressaten der sozialen Arbeit, damit integrierende Lösungen zu erreichen sind. Die verschiedenen Netzwerke einer Person halten den Sozialraum zusammen. Das Individuum meint subjektive Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, Erfahrungen, Stärken, sowie Ressourcen und den Lebensstil jedes Einzelnen. Ziel dieses Handlungsfeldes ist Möglichkeiten der Entwicklungen zu finden und die individuelle Lebenswelt der Adressaten zu verbessern. In der sozialraumorientierten Arbeit werden bei der Planung, der Intervention, den Projekten und Evaluationen alle Felder berücksichtigt. Dies lässt sich als Methodenmix begreifen, welcher Handlungsstrategien aus verschiedenen Feldern kombiniert. (Früchtel, Budde & Cyprian, 2013)

Handlungsfeld: Das Individuum

Das Handlungsfeld „Individuum“ bezieht sich vorwiegend auf den Einzelfall. Die daraus resultierenden Arbeiten finden mit Einzelpersonen, kleinen Gruppen oder Familien statt. Die Einzelfallarbeit ist ein professionelles Handeln, welches Veränderungen herbeiführt, sobald Adressat*innen und Fachkräfte miteinander arbeiten, gemeinsam Ziele und Pläne erarbeiten und diese, wenn möglich, umsetzen. Es geht um die Veränderung von angeeigneten Verhaltensmustern sowie die damit verbundene Wirkung in Bezug auf verschiedenste Umweltfaktoren. Das Handlungsfeld „Individuum“ umfasst verschiedene Techniken. Mit den Rahmenbedingungen sind die strukturellen Unterschiede in der Positionsmacht von Fachkräften und Adressat*innen gemeint. Diese gilt es auszugleichen, um den Betroffenen die Chance bieten zu können, effektiv an Hilfeprozessen mitarbeiten und diese gestalten zu können. Die Technik „Heimspiele organisieren“ entwickelt eine Unterstützungshilfe mit Kriterien und Reflexionshilfen zur Analyse des Arbeitssettings. Sie bringen Vorschläge, die die Position der Adressat*innen stärken kann. Der Familienrat ist ein Verwaltungsverfahren, in dem Angehörige, Verwandte oder Freund*innen bei Entscheidungen und Lösungsvorschlägen mitarbeiten und mitentscheiden. Damit aktiviert er die sozialen Netzwerke der Beteiligten. Die Fachkräfte sind dabei nicht die Experten, sie agieren vielmehr als Organisator*innen und Verhandlungspartner*innen. Sie unterstützen die Angehörigen bei strukturellen Problemen und bieten die nötige Orientierung. Eine weitere wichtige Technik ist die Herausarbeitung und Nutzung von Stärken. Diese arbeitet man mithilfe des „Ressourcencheck“ heraus. Dabei nimmt man den einzelnen Menschen in den Blick und arbeitet die persönlichen Stärken heraus. Dies ist zum Beispiel mit der Genogrammarbeit möglich. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Ressourcen, welche in den Netzwerken der Adressat*innen stecken. Zwischenmenschliche Beziehungen können rekonstruiert und damit Unterstützungsressourcen herausgefiltert werden. (Früchtel, Cyprian & Budde, 2013)

Die Genogrammarbeit ist eine Methode aus der Familientherapie und verfolgt das Ziel, ein Verständnis über die Grundüberzeugungen und Werte, welche dem Verhalten zu Grunde liegen, zu erkennen und infolge dessen Lösungen für Probleme zu finden. Es werden selbstverurteilende Gedanken aufgelöst und Ressourcen zur Verhaltensänderung gestärkt. (Martin Hertkorn, 2012)

Der Mensch ist der Hauptbestandteil in der sozialen Arbeit, steht dabei im Mittelpunkt und sollte daher umfassend behandelt werden. Die Wichtigkeit dieses Handlungsfeldes soll im folgenden Fallbeispiel verdeutlicht werden. Das grundlegende Ziel der sozialen Arbeit ist es, die Lebensbedingungen der Adressat*innen so zu gestalten, dass die Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden können. Diese sind individuell, weshalb jeder Fall einzeln betrachtet und bearbeitet werden soll. So auch der Fall von Herr X. Er ist 14 Jahre alt, wohnt in einer alten, kleinen Wohnung an einem Stadtrand. Herr X besucht die Schule unregelmäßig, wiederholt zum zweiten Mal eine Klasse und hält sich vorwiegend im Jugendhaus auf. Die Mitarbeitenden des Jugendhauses beobachten bei Herrn X in regelmäßigen Abständen Wutanfälle, gefolgt von anschließendem Weinen. Er möchte nicht darüber sprechen und sich auch nicht mit den vorhandenen Angeboten ablenken lassen. Dies führt dazu, dass Herr X zunehmend wütender wird und die Situation für ihn immer aussichtsloser. Die Mitarbeitenden wissen, sie sollten, wenn möglich, etwas tun um ihm zu helfen.

Im Rahmen der Sportsozialarbeit bietet das Jugendhaus zweimal pro Woche ein Training im Kampfsportstudio an. Dort praktizieren ausgebildete Sensei Kickboxen und Boxen. Ziel der Sportsozialarbeit ist es einen lebensweltorientierten, ganzheitlichen Blick auf den Menschen zu erhalten, positives Erleben und Ressourcen der Adressat*innen herauszufiltern und zu stärken. Der Sport soll als Medium für die Unterstützungen Einzelner dienen. Er fördert die eigene Lebensbewältigung und baut Zugangsbarrieren ab. (Rudolf Bieker, 2020)

Im Fall von Herrn X soll der Sport dabei helfen, sich auf seine Gefühle zu konzentrieren, ihnen freien Lauf lassen, sodass er zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage ist, über seine Bedürfnisse und Wünsche zu sprechen. Herr X erklärt sich einverstanden, das Kickboxen auszutesten und geht fortan regelmäßig ins Training. Schon nach zwei Wochen kann man erkennen, dass er wesentlich ruhiger ist und verbal nicht ausgleist. Die Mitarbeitenden sehen das als Fortschritt und geben ihm noch Zeit, bevor sie ihn auf die vorigen, teilweise immer noch anhaltenden, Wutanfälle ansprechen. Durch den Sport wird Herr X zugänglicher und zunehmend selbstbewusster, er wirkt zufriedener. Er erzählt, dass er in der Schule geärgert und geschlagen werde, dies sei auch der Grund für seine unregelmäßigen Besuche, welche auch zur Klassenwiederholungen führen. Er habe das Gefühl, Schuld zu sein und dass er es verdiene, geschlagen zu werden. Im Kickboxen darf er seiner Wut freien Lauf lassen und fühlt sich von den anderen Mitgliedern angenommen. Die Mitarbeitenden des Jugendhaus, welche ein vertrauensvolles Verhältnis zu Herrn X haben, schlagen ihm vor, ein Genogramm zu erarbeiten. Dies soll ihn befähigen, seine eigenen Werte und Normen herauszufinden und seine persönlichen Ressourcen aufzuschreiben. Im weiteren Verlauf soll das Genogramm eine Unterstützung sein, welches ihm hilft, seine selbstverurteilenden Gedanken aufzulösen und Kraft aus seinen eigenen Ressourcen zu schöpfen. Infolgedessen solle Herr X wieder regelmäßig zur Schule gehen und ggf. die Hilfe der Lehrer einfordern und die Situation zuhause öffnen. Das führt dazu, dass Herr X seine sozialen Netzwerke aktiviert und Hilfeleistungen erhalten kann. Des Weiteren soll er sein Netzwerk ausbauen, indem er vermehrt Kontakte zu den Mitgliedern des Kampfsportvereins pflegt. Dies könnte zu neuen Freundschaften und somit zu einem größeren sozialen Netzwerk führen.

Handlungsfeld: Das Netzwerk

Die Definition nach Früchtel meint, dass die Netzwerke den Sozialraum zusammenhalten. Die Sozialraumorientierung schließt im Handlungsfeld „Individuum“ an die Kompetenzen und den Willen der Adressat*innen an. Doch diese allein reichen für die Problemlösung nicht aus. Um nachhaltige Lösungen zu erzielen, agieren die Fachkräfte und Adressat*innen in sozialen und professionellen Netzwerken. Dies dient der Stärkung und Motivation der Bürger*innen. Die sozialen Beziehungen zwischen Menschen und verschiedenen Organisationen bilden ein Netzwerk, auf das man zugreifen kann. Hierbei sind bildlich gesprochen die Menschen die Knotenpunkte und deren Beziehungen die Verbindungsmaschen. Mithilfe dieser Maschen entstehen der Austausch und die Integration von Einzelnen. Aus diesem Grund sind soziale Netzwerke wichtig. Sie dienen der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, der Informationsbeschaffung, der Unterstützung und der Verbindung mit anderen Bürger*innen. Je größer das Netzwerk einer Person ist, desto mehr Knotenpunkte hat diese und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit auf Unterstützung und weitere Hilfeleistungen. Das wiederum führt zu einer nachhaltige und qualitativen Lösungsfindung für die Adressat*innen. (Früchtel, Cyprian & Budde, 2013)

Um aufzuzeigen, wie wichtig das soziale Netzwerk ist, wird das Fallbeispiel einer Sozialpsychiatrie herangezogen. Die Sozialpsychiatrie Sonnenhof ist ein Fachpflegeheim in einem Stadtteil in Baden-Württemberg, in dem Menschen mit einer psychischen Erkrankung wohnen. Das Heim steht gut angebunden am Rande der Stadt, umgeben von einem schönem Ausblick und verschiedenen Obstbäumen auf der anliegenden Wiese. In dem Heim gibt es morgens zwischen 8.00-9.30 Uhr Frühstück, zu Mittag isst man um 12.00 Uhr, im Anschluss daran gibt es von 14.00-15.00 Uhr Kaffee und Kuchen. Das Abendessen findet um 17.30 Uhr statt. Seit vielen Jahren wird das Heim von derselben Großküche bekocht, was für die alte Generation in Ordnung ist. Doch seit einigen Monaten findet ein Wechsel an Bewohner*innen statt, diese sind nun deutlich jünger und agiler. Mit dem Wandel der Bewohner*innen kommt auch der Wandel der Gewohnheiten und Weltansichten. Sie sind aktuell nicht zufrieden, da sie der Meinung sind, es gäbe zu viel und zu ungesundes Essen im Fachpflegeheim. Dies führe dazu, dass die Bewohner*innen immer häufiger „keinen Hunger mehr haben“. Im Pflegeteam kommt dieses Thema immer wieder auf und man beschließt, dass sich etwas ändern muss. Die Mitarbeitenden des Teams setzen sich mit den Bewohner*innen zusammen und erstellen eine Mindmap mit möglichen Veränderungen des Menüs. Des Weiteren wird die Küche angeschrieben, ob die Möglichkeit bestehe, verschiedene Menüs zur Auswahl zu bekommen. Dies kann von der Küche bestätigt werden und ab sofort kann jede Person ihr eigenes Menü auswählen, was zu einer erhöhten Zufriedenheit bei den Bewohner*innen führt. Zusätzlich wurde besprochen, dass der Nachtisch abbestellt wird, da es am Nachmittag Kaffee und Kuchen gibt. Weitere aufzuzählende Möglichkeiten sind das Backen von Kuchen mit dem eigenen Obst, welches auf den Wiesen wächst. Diese Möglichkeit besteht vom Sommer bis hin zum Herbst, da von Apfelbäumen, über Birnenbäume und Zwetschgen alles dabei ist. Hier erstellen die Bewohner*innen eine Liste mit Kuchen, die man backen könnte. Allergien sowie Unverträglichkeiten aller Bewohner*innen und die der Mitarbeitenden werden aufgeschrieben. Einige äußern den Wunsch eines selbstgemachten Obstsalates gerade an den Wochenenden, anstelle eines Kuchens. Die Wochenenden bieten sich an, da der Alltag insgesamt entspannter abläuft und die Mitarbeitenden mehr Zeit für die Bewohner*innen haben und bessere Hilfeleistungen geben können. Die Bewohner*innen freuen sich über das positive Feedback, sowie über die neue Beschäftigung, die das Backen von Kuchen und ernten von Bäumen mit sich bringt. Bisher gibt es in der Einrichtung nur einmal in der Woche eine Koch- und Backgruppe. Diese kann jedoch durch Unterstützung von Ehrenamtlichen und einer weiteren Beschäftigungskraft ausgeweitet werden. Die Kolleg*innen, die aktuell mit den Bewohner*innen zusammenarbeiten, erkundigen sich zusätzlich bei Freunden und Bekannten, ob diese Lust hätten, sich an dem Projekt zu beteiligen und einmal in der Woche an einem bestimmten Tag zum Backen vorbei zu kommen. Daraufhin werden auch Mütter von Kindern aufmerksam. In den Schulen vieler Kinder gibt es Kuchenverkäufe. Diese sind notwendig, wenn die Kinder in ein Schullandheim wollen oder für andere Aktivitäten Geld benötigen. Deshalb erachten die Mütter der Kinder es als sinnvoll, mit den Bewohner*innen des Fachpflegeheimes regelmäßig zu backen. Diese unterstützen durch ihr Gebäck im Gegenzug dann den Kuchenverkauf der Kinder. Dies schafft einen wertvollen und fairen Handel zwischen allen Beteiligten. Die Netzwerke der Bewohner*innen wachsen insgesamt und verfestigen die vorhandenen Knotenpunkte mit den Mitarbeitenden des Heimes. Die Mütter, welche Ehrenamtlich helfen und die Beschäftigungskräfte wachsen als Team zusammen und haben ihr eigenes soziales Netzwerk genutzt, um mehr Interessent*innen für das Projekt zu finden.

Aufgabe 2

William Whyte entwickelte 1936 das Konzept der Street Corner Society. Er lebte in Cambridge auf dem Campus der Harvard University. Er beobachtete den Bostoner Stadtteil North End, welcher damals von italienischen Immigrant*innen bevölkert war. Whyte lebte dort dreieinhalb Jahre, teilweise in einer italienischen Familie. Der wesentliche Teil seiner Beobachtung spielte sich in den Straßenecken (den Street Cornern) ab. Sein entscheidender Erfolg waren die persönlichen Beziehungen, welche er über die Jahre knüpfte. Er weitete sein soziales Netzwerk immer weiter aus und wurde von Freund*innen anderen Bekannten vorgestellt. Whyte konnte feststellen, dass Fragen seinerzeit nicht zielführend waren. Wichtiger war es, von den Mitgliedern der Street Corner angenommen und akzeptiert zu werden. Dann bekam man Antworten auf Fragen, die man nicht einmal stellte. Mit der Zeit entdeckte Whyte an seiner Person Veränderungen. Der Zugang zu seinem alten Netzwerk war schwieriger aufrechtzuerhalten und er wurde immer mehr zu einem nicht beobachtenden Teilnehmer, da er das Lebensgefühl und die alltäglichen Dinge des Lebens des Bostoner Stadtteils mitbekam und dies für ihn zur Selbstverständlichkeit wurde. Des Weiteren bemerkte Whyte, dass das ursprüngliche Ziel, das Verstehen und die Wertschätzung der italienischen Immigrant*innen, durch die allgemeine Verbesserung der Menschen erweitert wurden. Er mobilisierte seinerzeit die verschiedenen Cliquen zu einer Demonstration, um für die Heißwasserversorgung einzustehen. Diese war ausgefallen und mehrere Wochen hatte sich niemand um eine Wiederherstellung der Versorgung gekümmert. Whyte bemerkte nach der Demonstration, dass die kurzfristige Mobilisation zwar den Zweck erfüllte, die Vereinigung der Cliquen jedoch nicht von Dauer war und jede Clique wieder eigene Wege ging. Er bemerkte, dass eine dauerhafte, übergreifende Organisation nur mit aufbauenden Aktivitäten möglich war und rief deshalb eine Softballliga ins Leben. (Früchtel, Budde & Cyprian, 2013)

Bei seinem Konzept geht es um die gezielte Beobachtung. Die Fachkraft beobachtet den Sozialraum eines Klienten auf vier verschiedenen Ebenen. Diese setzen voraus, dass sich die beobachtende Person inmitten des zu untersuchenden Sozialraums befindet. Die erste Ebene bezieht sich auf die einzelnen Menschen im Sozialraum. Die zweite Ebene beschäftigt sich mit den formellen und informellen Gruppen des Sozialraumes. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen, zu den Gruppen und zwischen den Gruppen werden in der dritten Ebene beobachtet, während die vierte Ebene die Verknüpfungen zwischen der sozialstrukturellen Ordnungen und den Verhaltensweisen der Individuen analysiert. Daten über Einzelne sind besonders relevant, wenn diese in Bezug auf ihre Position in der Gesellschaft gesehen werden. Im Laufe der Zeit werden die gesammelten Details mit immer größeren Strukturen in Verbindung gebracht. Es werden Mappen für jede Gruppe angelegt, um die Beobachtungsprotokolle zu ordnen. Am Anfang jeder Mappe wird ein Indexsystem angelegt, welche den Inhalt auf einen Blick erfassen lässt. Im Index inbegriffen sind das Datum, der Gesprächspartner und weitere anwesende Personen, die Zusammenfassung des Inhaltes sowie die Seite in den ausführlichen Protokollen. (Früchtel, Budde & Cyprian, 2013)

Das Ziel der Felderkundung ist das Erforschen der sozialen Wirklichkeit der Menschen. Es gilt die Menschen in ihrem Handeln zu verstehen und wertzuschätzen. Die Fachkräfte sind in der Rolle der Beobachter und der Abendteurer, mit der Aufgabe die fremden Lebenswelten und das kulturelle Gruppenleben kennenzulernen. Die Fachkräfte werden Teil des Sozialen Raumes, indem sie sich auf die unterschiedlichen Lebensstile, sowie die vernetzten Kommunikationsgemeinschaften, die nebeneinander existieren, einlassen. (Früchtel, Budde & Cyprian, 2013)

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Details

Seiten
19
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783346765918
ISBN (Paperback)
9783346765925
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
SRH Hochschule Riedlingen
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Note
2,0
Schlagworte
Früchtel Sozialraum SONI-Modell Street Corner Society Methode Nadelmethode

Autor

  • K. Schreib (Autor:in)

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Titel: Sozialraumorientierung, Vernetzung und Sozialanwaltschaft