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Die Pädagogik nach Maria Montessori im Vergleich zum Situationsansatz

©2022 Hausarbeit 15 Seiten

Zusammenfassung

Über die Jahre haben sich zahlreiche pädagogische Grundannahmen entwickelt, aus denen verschiedenste pädagogische Konzepte hervorgegangen sind. Während eine Vielzahl von pädagogischen Grundannahmen über die Zeit unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse verworfen oder verändert wurden, werden einige Konzepte noch bis heute angewendet. Darunter die Pädagogik der Reformpädagogin Maria Montessori und der Situationsansatz nach Jürgen Zimmer. Heute steht für Eltern die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Kinder im Mittelpunkt ihres Anspruches an Erziehung, wodurch Montessori-Einrichtungen immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Gleichzeitig zeigt sich das Bild, dass der situationsorientierte Ansatz in beinahe allen Bereichen pädagogischer Einrichtungen wiederzufinden ist. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich folgende Forschungsfrage: Worin bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Montessori-Pädagogik und dem Situationsansatz? Um dieser Frage nachzugehen und pädagogische Konzepte verstehen zu lernen, wird in dieser Arbeit zunächst ein kurzer Überblick über die Geschichte der Entwicklung der Pädagogik, die bereits in der Antike ihre Anfänge zeigt, gegeben. Hierbei werden markante Meilensteine in der Geschichte der Pädagogik in Deutschland bis zum 20. Jh. aufgeführt. Mit der Betrachtung Maria Montessoris und ihrer reformpädagogischen Ansätze werden das Ende des 19. Jh. schwerpunktartig thematisiert und Einblicke in ihr pädagogisches Konzept gegeben. Dies findet unter Betrachtung der anthropologischen Grundannahmen, dem Bild vom Kind und der Umsetzung ihres Konzeptes in die Praxis statt.

Abschließend wird Montessoris Konzept im Vergleich zum Situationsansatz, mit dem Augenmerk auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und vermeintlichen Schwächen, kritisch betrachtet. Ziel dieser Arbeit ist es, die Montessori-Pädagogik, unter Einbezug des historischen Kontextes der Pädagogik und deren Entwicklung kennenzulernen und weitergehend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den pädagogischen Grundannahmen des heute in Deutschland weitverbreiteten Situationsansatzes aufzuzeigen. Dabei wird eine Beurteilung dieser Konzepte aufgrund des Umfangs der Arbeit nicht vorgenommen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Historie der Pädagogik
2.1 Von der Antike bis zur Gegenwart
2.2 Maria Montessori als Reformpädagogin

3 Die Grundsätze der Montessori-Pädagogik
3.1 Anthropologische Grundannahmen
3.1 Das Bild vom Kind
3.3 Pädagogische Praxis

4 Die Montessori-Pädagogik und der Situationsansatz – Eine Gegenüberstellung

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Über die Jahre haben sich zahlreiche pädagogische Grundannahmen entwickelt, aus denen verschiedenste pädagogische Konzepte hervorgegangen sind. Während eine Vielzahl von pädagogischen Grundannahmen über die Zeit unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse verworfen oder verändert wurden, werden einige Konzepte noch bis heute angewendet; darunter die Pädagogik der Reformpädagogin Maria Montessori und der Situationsansatz nach Jürgen Zimmer. Heute steht für Eltern die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Kinder im Mittelpunkt ihres Anspruches an Erziehung, wodurch Montessori-Einrichtungen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig zeigt sich das Bild, dass der situationsorientierte Ansatz in beinahe allen Bereichen pädagogischer Einrichtungen wiederzufinden ist. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich folgende Forschungsfrage: Worin bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Montessori-Pädagogik und dem Situationsansatz?

Um dieser Frage nachzugehen und pädagogische Konzepte verstehen zu lernen, wird in dieser Arbeit zunächst ein kurzer Überblick über die Geschichte der Entwicklung der Pädagogik, die bereits in der Antike ihre Anfänge zeigt, gegeben. Hierbei werden markante Meilensteine in der Geschichte der Pädagogik in Deutschland bis zum 20. Jh. aufgeführt. Mit der Betrachtung Maria Montessoris und ihrer reformpädagogischen Ansätze werden das Ende des 19. Jh. schwerpunktartig thematisiert und Einblicke in ihr pädagogisches Konzept gegeben. Dies findet unter Betrachtung der anthropologischen Grundannahmen, dem Bild vom Kind und der Umsetzung ihres Konzeptes in die Praxis statt. Abschließend wird Montessoris Konzept im Vergleich zum Situationsansatz, mit dem Augenmerk auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und vermeintlichen Schwächen, kritisch betrachtet.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Montessori-Pädagogik, unter Einbezug des historischen Kontextes der Pädagogik und deren Entwicklung kennenzulernen und weitergehend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den pädagogischen Grundannahmen des heute in Deutschland weitverbreiteten Situationsansatzes aufzuzeigen. Dabei wird eine Beurteilung dieser Konzepte aufgrund des Umfangs der Arbeit nicht vorgenommen.

2 Historie der Pädagogik

Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der Pädagogik gegeben. Aufgrund der Fülle an über die Jahre entstandenen pädagogischen Grundannahmen und Konzepten, lässt sich der historische Verlauf der Pädagogik hier nur durch eine Auswahl an pädagogischen Ansätzen exemplarisch darstellen. Dabei wird die Reformpädagogik am Beispiel Maria Montessoris näher betrachtet.

2.1 Von der Antike bis zur Gegenwart

Erziehung in Form einer Weitergabe kulturell erwünschter Verhaltensweisen von der älteren an die jüngere Generation ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst (Böhm, 2014, S. 11). Die Basis für ein pädagogisches Bewusstsein wurde dagegen in der Antike gelegt. In dieser geht man erstmals über eine unreflektierte Nachahmung der Älteren als Form der Erziehung mit, dem bloßen Ziel der Eingliederung in das soziale Gefüge hinaus; es entsteht die Idee der „paideia“ (Erziehung, Bildung) (Gudjons & Traub, 2016, S. 78-79). Das Ziel der „paideia“ besteht neben der Vermittlung politischen Wissens, in der Ausbildung der Tugend des Menschen („areté“). Sokrates erkennt zu dieser Zeit, dass sich die persönliche Einstellung nicht durch Außenstehende lehren lässt und nutzt das persönliche Gespräch als erzieherische Methode (Lischewski, 2014, S. 5). Im Mittelalter werden dann mit der Verbreitung des christlichen Glaubens, insbesondere durch Karl den Großen und seine Bildungsreform, Klöster zu wichtigen Bildungsstätten (Lischewski, 2014, S. 32). Bildung ist jedoch nicht für das gesamte Volk vorgesehen, sondern Privileg der Kleriker (Gudjons & Traub, 2016, S. 80).

Im folgenden Renaissance-Humanismus sprechen Jules Michelet und Jacob Burckhardt von der „Entdeckung des Menschen“ (Böhm, 2014, S. 44). Große Leitidee ist es, den Menschen als eigenständiges und individuelles Wesen anzusehen. Der Gedanke, der Mensch könne die Welt durch seine Denkfähigkeit gestalten, verbreitet sich (Gudjons & Traub, 2016, S. 79). Das Ziel der Bildung zu dieser Zeit besteht darin, den Menschen zu einer lebenspraktischen, sinnvollen Urteilsfähigkeit zu befähigen (Lischewski, 2014, S. 69). Die Rhetorik, als Kunst des überzeugenden Redens, gewinnt im Zuge dessen an pädagogischer Bedeutung (Böhm, 2014, S. 45). Der Humanist Erasmus von Rotterdam macht weiterführend mit seinen Worten: „Zum Menschen wird man nicht durch Geburt, sondern durch Erziehung“ (Böhm, 2014, S. 45), die Notwendigkeit der Sozialisation durch Erziehung deutlich. Dieser Gedanke wird in der folgenden Aufklärungspädagogik weiterentwickelt.

Im 17. und 18. Jh. feiert man große Erfolge in der Wissenschaft (Böhm, 2014, S. 56-57). Das Vertrauen in die menschliche Vernunft und das Ablösen von Autoritäten, insbesondere von der Kirche, sind die zentralen Aspekte in der Epoche der Aufklärung. Immanuel Kant begründet die „selbstverschuldete Unmündigkeit“ der Menschen mit einem Mangel an Mut und Entschlossenheit, von ihrem Verstand selbstständig Gebrauch zu machen (Kant, 1784, S. 481). Er spricht dem Menschen somit die Fähigkeit zum Selbstdenken zu und fordert ihn dazu auf, diese zu nutzen. 1819 gewinnt die Elementarpädagogik durch Pestalozzis Konzept der ganzheitlichen Bildung, das vom Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“ spricht, an Bedeutung, wodurch auch die Entwicklung geistiger und praktischer Fähigkeiten in die Erziehung einbezogen werden (Lischewski, 2014, S. 201).

Angestoßen durch Humboldt, kommt es im 19. Jh. in Deutschland zu einer Neugestaltung des Bildungskonzeptes (Gudjons & Traub, 2016, S. 94). Durch die Umsetzung der Schulpflicht und die Trennung von Bildung und Ausbildung, gilt die Elementarschule nicht weiter als „Schule des armen Volkes, sondern [als] Schule der Grundlagen der menschlichen Bildung für alle Kinder“ (Gudjons & Traub, 2016, S. 95). Schulen orientieren sich fortan an dem Leistungsprinzip und sind nicht mehr an ständische Privilegien gekoppelt. Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jh., entstehen im Protest gegen diese Formalisierung des Unterrichts, neue pädagogische Ansätze, welche sich verstärkt für eine handlungsorientierte Bildung aussprechen (Gudjons & Traub, 2016, S. 101). Bis zum Beginn des Nationalsozialismus entwickeln sich folglich verschiedene reformpädagogische Ansätze, wie jener von Maria Montessori, welcher in Kapitel 2.2 näher aufgeführt wird.

Alle Ideen einer dem Kind zugewandten Erziehung werden im Nationalsozialismus zunichte gemacht (Gudjons & Traub, 2016, S. 108-112). Erziehung ist geprägt durch Drill und strenge Rollenanpassung und umfasst eine militärische Erziehung für Jungen und eine mutter- und dienstideologische Erziehung für Mädchen. Die 50er Jahre gelten dann der Wiederherstellung traditioneller Bildungsstrukturen, die punktuell an den reformpädagogischen Ansätzen anknüpfen. Im Westen Deutschlands (DDR) steht Bildung und Erziehung unter politischer Führung, mit dem Ziel, die sozialistische Lebensweise nach der marxistisch-leninistischen Ideologie durchzusetzen. Durch das 1949 in der DDR festgeschriebene Recht auf Bildung, sollen Bildungsbenachteiligungen entgegengewirkt und eine systemkonforme Jugend hergestellt werden. Nach dem Mauerfall 1989 orientieren sich die Bildungssysteme der „Neuen Länder“ stark an den westlichen Prinzipien. Als Distanzierung vom autoritären Erziehungsstil der NS-Zeit, wendet man sich gegen Ende der 60er Jahre dem antiautoritären Erziehungsstil nach Alexander Sutherland Neill zu, in welchem Kinder zu freien, glücklichen Menschen erzogen werden (Kuhlmann, 2013, S. 197).

In den 1960er und 1970er Jahren wächst die zuvor als geisteswissenschaftlich und erziehungsphilosophisch betriebene Pädagogik zu einer empirisch, soziologisch und lerntheoretisch fundierten Erziehungswissenschaft heran, wodurch sich die Strömung der kritischen Pädagogik bis heute in Deutschland verbreitet hat (Kuhlmann, 2013, S. 213).

2.2 Maria Montessori als Reformpädagogin

Ellen Keys Veröffentlichung „Das Jahrhundert des Kindes“, aus dem Jahre 1900, wird mit ihren systemkritischen Inhalten als Beginn der Reformpädagogik angesehen (Schumacher, 2020, S. 12-13). Die Reformpädagogik im Sinne einer „‚Hochzeit‘ reformpädagogischen Denkens“ wird jedoch über die Zeitspanne von 1890 bis zum Beginn des Nationalsozialismus datiert. Bereits davor unterstützen unter anderem Rousseau und Pestalozzi eine Pädagogik, die den jungen heranwachsenden Menschen in den Mittelpunkt pädagogischer Überlegungen stellt. Diese Leitidee wird von den Reformerinnen und Reformern weiter ausgeführt und zeigt sich in neuen Sichtweisen auf das Kind. Sie respektieren es als eigenständiges Individuum, sprechen ihm Rechte zu und würdigen die Kindheit als „besondere Form des Lebens“ (Hedderich, 2011, S. 20). Mit dieser Vorstellung positionieren sich die Reformpädagoginnen und -pädagogen gegen das drillartige Vermitteln von lebensfernem Buchwissen und streben ein kindorientiertes und liberales Bildungsideal an (Schumacher, 2020, S. 15). Im Zuge der sich 1921 gegründeten internationalen Organisation „New Education Fellowship“ kommen renommierte klassische Vertreter der Reformpädagogik zusammen und setzen sich für eine Verbreitung und Umsetzung der reformpädagogischen Ansätze ein - unter ihnen John Dewey, Jean Piaget, Martin Buber und auch Maria Montessori.

Maria Montessori prägte als eine der wenigen Frauen die Geschichte der Pädagogik nachhaltig (Schumacher, 2020, S. 18-23). Geboren wird sie am 31.08.1870 in Italien. Nachdem sie entgegen der allgemein geltenden Zulassungsregelungen und unter äußerst diskriminierenden Bedingungen als erste Frau in Rom ihr Medizinstudium absolviert, arbeitet sie als Assistenzärztin in der kinderpsychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik. Neben ihrer Arbeit studiert sie pädagogische Klassiker wie Comenius, Pestalozzi und Fröbel und wendet sich durch persönliche Schlüsselerlebnisse im Rahmen ihrer Arbeit mit psychisch kranken Kindern immer mehr dem Arbeitsfeld der Pädagogik zu. 1907 eröffnet sie ihr erstes Kinderhaus „Casa dei Bambini“ („Haus der Kinder“) (Hedderich, 2011, S. 15). Dort sammelt sie Eindrücke, die sich zum Zentrum ihrer Pädagogik entwickeln (Hedderich, 2011, S. 15–17). Sie erlebt die Kinder in Auseinandersetzung mit dem von ihr entwickelten Sinnesmaterial als eigenaktiv und kommt zu der Erkenntnis: „Werden Kindern geeignete Materialien gegeben, dann arbeiten sie freiwillig, konzentriert und motiviert. Kinder tragen [somit] in sich die Kraft, ihre Entwicklung voranzutreiben“ (Hedderich, 2011, S. 15). 1909 veröffentlicht Maria Montessori ihr erstes Buch mit dem Titel „Il methodo della padagogica“ („Die Methode der wissenschaftlichen Pädagogik“) und widmet sich fortan der Ausbildung von Erzieherinnen. Nach ihrem Tod im Jahre 1952 führen ihr Sohn Mario und ihre Enkelin Renilde ihre Arbeit fort, sodass heute schätzungsweise 22 000 Montessori-Einrichtungen in 110 Ländern, in denen rund 660 000 Kinder und Jugendliche nach den pädagogischen Leitsätzen Maria Montessoris erzogen und unterrichtet werden, existieren.

3 Die Grundsätze der Montessori-Pädagogik

Maria Montessoris pädagogisches Konzept entwickelte sich auf der Basis ihrer Biografie, indem sie ihre Beobachtungen und Erlebnisse wissenschaftlich untermauerte und ihr pädagogisches Konzept auf dieser Grundlage weiterentwickelte (Schumacher, 2020, S. 28). Dabei legte sie ein großes Augenmerk auf die praktische Umsetzung ihrer Überlegungen, wodurch ihr spezifisches pädagogisch-didaktisches Konzept entstand. Dieses wird im Folgenden schwerpunktartig betrachtet.

3.1 Anthropologische Grundannahmen

Maria Montessori entwickelt eine „Kosmische Theorie“ nach welcher sich das Leben aller Lebewesen nach einem kosmischen Plan vollzieht.

Diese erkennt in der ganzen Schöpfung einen einheitlichen Plan, von dem nicht nur die verschiedenen Formen der Lebewesen, sondern auch die Entwicklung der Erde selbst abhängt. […] Das Leben schreitet nach einem kosmischen Plan voran, und der Sinn des Lebens ist nicht, Vollkommenheit auf einer unbegrenzten Bahn des Fortschritts zu erlangen, sondern einen Einfluss auf die Umgebung auszuüben und ein bestimmtes Ziel in ihr zu erreichen. (Montessori, 2017b, S. 221)

Als Teil des Ganzen nimmt der Mensch Einfluss auf seine Umgebung, was sich wiederum auf die Lebensmöglichkeiten aller auswirkt. Montessori sieht den vorrangigen Sinn des menschlichen Daseins darin, den gesellschaftlichen Notlagen entgegenzuwirken und zur Vollkommenheit des Kosmos beizutragen (Schumacher, 2020, S. 30). In ihren pädagogischen Ansätzen stellt die Vermittlung einer wertschätzenden Haltung und die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein folglich ein übergeordnetes Ziel dar.

Montessoris anthropologisches Verständnis kennzeichnet darüber hinaus ein großes Vertrauen in die vorgeburtlichen Kräfte der Kinder und ihren Entwicklungsleistungen (Montessori, 2017b, S. 103). Religion versteht sie dabei als ein notwendiges Fundament für die Entwicklung des Menschen, das in jedem als universales Empfinden von Geburt an existiert (Montessori, 2017b, S. 213).

3.1 Das Bild vom Kind

Montessori vermittelt das Bild des Kindes als „Baumeister des Menschen“. Sie geht davon aus, dass jedes Kind die Schöpfung Gottes in sich trägt (Montessori, 2017b, S. 103). Diese spiegelt sich in der Einzigartigkeit jedes Individuums wider und zeigt sich in der frühen Kindheit in Form einer intrinsischen Motivation zur Gestaltung des Selbst (Schumacher, 2020, S. 33). Ihrer Ansicht nach „bestehen [im Kind] also angeborene Neigungen, der eigenen Natur entsprechend zu wachsen und sich zu entwickeln“ (Montessori, 2017b, S. 81).

Montessoris Annahmen nach, durchläuft der Mensch statt nur einer, zwei embryonale Phasen und unterscheidet sich dadurch von den anderen Lebewesen (Schumacher, 2020, S. 32). Während sich in der ersten, vorgeburtlichen embryonalen Phase der physische Embryo nach einem genetischen Bauplan im Mutterleib ausbildet, entwickelt sich in der zweiten, nachgeburtlichen embryonalen Phase der psychische Embryo. Diese Phase wird von äußeren Faktoren beeinflusst, die in den ersten drei Lebensjahren auf den Säugling bzw. das Kleinkind wirken. In dieser zweiten embryonalen Phase begründet sich die nach Maria Montessori bestehende Entwicklungsoffenheit des Menschen.

Im Rahmen des kindlichen Fähigkeitserwerbs spricht Montessori von „sensitiven Perioden“ oder auch „Empfänglichkeitsperioden“ (Montessori, 2017b, 72+94). Diese beschreiben zeitlich begrenzte Abschnitte innerhalb der Entwicklung eines Kindes, in welchen es eine natürlich erhöhte Empfängnis für die Entwicklung und das Lernen bestimmter neuer Fähigkeiten aufweist. Der Erwerb, der in der jeweiligen sensitiven Periode im Fokus stehenden Fähigkeit, scheint dem Kind beinahe mühelos und mit großer Begeisterung zu gelingen. Dafür verantwortlich sei auch der „absorbierende Geist“ des Kindes, der es ihm ermöglicht, unbewusst Eindrücke aus der Umwelt aufzunehmen (Schumacher, 2020, S. 38). Der Erwerb neuer Fähigkeiten ist dabei an äußere Reize gebunden (Montessori, 2017b, S. 95). Bleiben dem Kind die Möglichkeiten bestimmte Erfahrungen zu sammeln in der entsprechenden sensitiven Periode verwehrt, vergeht diese besondere Empfänglichkeit und die Entwicklung des Kindes wird gestört (Montessori, 2017b, S. 77). Die sensitiven Perioden sind somit irreversibel und das Erlernen von Fähigkeiten außerhalb dieser Zeitfenster nur mit Mühe, Willenskraft und Reflexion möglich (Schumacher, 2020, S. 36). Von außen sind diese Empfänglichkeitsperioden der Kinder nur schwer zugänglich. Daher stellt es eine große pädagogische Herausforderung dar, diese als Erwachsener zu erkennen.

Im Zuge dieser sensitiven Perioden kann es zu einem Phänomen kommen, das Maria Montessori als „Polarisation der Aufmerksamkeit“ beschreibt (Montessori, 2017b, S. 83–85). Damit meint sie den Zustand der tiefen Konzentration, in den ein Kind fallen kann, wenn es sich von selbst einer für ihn wichtigen und interessanten Tätigkeit widmet. Die Polarisation der Aufmerksamkeit stellt die Voraussetzung dafür dar, dass das Kind seiner Arbeit als „Baumeister des Menschen“ (Vgl.) nachkommen kann (Schumacher, 2020, S. 44).

3.3 Pädagogische Praxis

Maria Montessori spricht der Umgebung des Kindes eine entscheidende Funktion zur Unterstützung seiner Entwicklung zu (Schumacher, 2020, S. 49–50). Sie verwendet dabei den Begriff der „Vorbereiteten Umgebung“. Die Aufgabe der vorbereiteten Umgebung es ist, dem Kind, seiner aktuellen sensitiven Periode, angemessene Materialien bereit zu stellen und Begegnungen zu ermöglichen. Das Kind soll in der vorbreiteten Umgebung alle Voraussetzungen vorfinden, die es ihm ermöglichen Momente der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ zu erleben, selbst aktiv zu werden und seine Entwicklung voranzutreiben.

Eine Umgebung, die diesen Ansprüchen gerecht wird, ist an folgenden Leitprinzipien ausgerichtet:

1. Sie richtet sich an dem Kind mit seinen kindlichen Empfänglichkeiten aus.
2. Sie bietet dem Kind Freiräume zur individuellen Nutzung und Gestaltung.
3. Sie bietet dem Kind Möglichkeiten für Sozialerfahrungen mit sich selbst und anderen.
4. In ihr kann sich das Kind mit speziellen Materialien und Phänomenen aus der Welt auseinandersetzen.
5. Sie bietet eine klare Ordnung und vermittelt dem Kind dadurch Sicherheit.

Maria Montessori entwickelt darüber hinaus Lerngegenstände, die als Mittel zur Sinnes- und Wahrnehmungsschulung dienen (Montessori, 2017b, S. 125–128). Derartige Entwicklungsmaterialien weisen folgende fünf Kriterien auf; die Isolierung einer einzigen Eigenschaft im Material, die Fehlerkontrolle, die Ästhetik, die Aktivität und die Begrenzung. Auf diese wird aufgrund des Umfanges nicht näher eingegangen. Die als Montessori-Materialien bekannten Lerngegenstände umfassen fünf Materialbereiche; das Sprachmaterial, das Mathematikmaterial, das kosmischen Material, das Sinnes- und Dimensionsmaterial und das Alltagsmaterial.

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Details

Seiten
15
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783346776006
ISBN (Buch)
9783346776013
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
Pädagogik Montessori Situationsansatz Geschichte der Pädagogik
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Titel: Die Pädagogik nach Maria Montessori im Vergleich zum Situationsansatz