Die in Hannah Arendts Hauptwerk, der Vita Activa entfaltete politische Theorie verdankt wesentlich Gedanken den Seminaren, welche Arendt noch als Studentin in Marburg bei dem jungen Professor Heidegger besucht hatte, der zu dieser Zeit mitten in den Vorbereitung seines Epoche machenden Werks Sein und Zeit stand. Arendt hat diese Schuld zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe von Vita Activa in einem Brief an Heidegger erklärt und darauf hingewiesen, dass eine Widmung aufgrund der von Liebe und Politik erschütterten gemeinsamen Erfahrungen nicht möglich sei. Das Resultat war ein fünfjähriges Schweigen seitens des beleidigten Heideggers.
Sicherlich ist die persönliche Beziehung dieser beiden prominenten Intellektuellen, die in Liebe gegründete lebenslange Freundschaft zwischen der politischen Denkerin und dem Philosophen, durch welche das Geschick Deutschlands im 20. Jahrhundert in nuce gespiegelt ist, von außergewöhnlicher Faszination. Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll jedoch allein die theoretische Verwandtschaft stehen.
Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Abhängigkeit des Arendtschen Denkens von Heideggers Fundamentalontolgie muss der Begriff von Welt sein, wie er in Sein und Zeit entfaltet wird. In ihrer 1954 gehaltenen Vorlesung „Concern with Politics in Recent European Philosophical Thought“ schreibt Hannah Arendt über ihren Mentor: „Es ist fast unmöglich, das Heideggersche Denken, soweit es von politischer Relevanz sein mag, zutreffend zu beschreiben, ohne seinen Begriff und seine Analytik der ‚Welt’ zu entfalten.“ Arendt glaubte, dass Heidegger mit seiner Fundamentalanalyse des Mensch-Seins in Begriffen des In-der-Welt-Seins zwar die ungekannte Möglichkeit eines philosophisch produktiven Nachdenkens über den politischen Bereich geschaffen, zugleich aber durch seine eigene phänomenologische Auslegung des In-der-Welt-Seins die „alten Vorurteile des Philosophen gegen die Politik als solche“ zum Ausdruck gebracht habe. Wie soll man die Behauptung verstehen, Heidegger habe mit seinem Begriff der „Welt“ den Zugang zu den Phänomenen des Politischen zugleich eröffnet und versperrt?
Gliederung
I. Einleitung
II. Heideggersche Grundlagen
A. Die Welt
B. Das Man
C. Die Sorge
III. Arendts kritische Rezeption Heideggers
A. Die uneigentliche Welt Homo Fabers
B. Die eigentliche Welt der Öffentlichkeit
C. Öffentlichkeit vs. Sein zum Tode
IV. Schlussbetrachtung
V. Bibliographie
A. Primärliteratur
B. Sekundärliteratur
I. Einleitung
In der Festschrift zu Martin Heideggers 80. Geburtstag schildert Hannah Arendt die Geschichte von Thales und der thrakischen Bauernmagd, die mit ansah, wie der „Weise“, in die Sterne blickend in den Brunnen fiel, und deshalb in schallendes Gelächter ausbrach, dass einer, der den Himmel kennen wollte, nicht mehr wisse, was zu seinen Füßen liegt.[1] Arendt schließt der Anekdote die Vermutung an, dass unter den Philosophen allein Kant fähig gewesen sei, in das gemeine Lachen einzustimmen und fährt fort, die Begeisterung ihres Lehrers für das nationalsozialistische Terrorregime mit dem Hinweis auf die Weltabgewandtheit des Denkers und Platos ebenso rätselhaften Enthusiasmus für die sizilianische Tyrannei zu entschuldigen. Mit dem befreienden Lachen der Magd möchte man hinzufügen.
Die in Hannah Arendts Hauptwerk, der Vita Activa entfaltete politische Theorie verdankt wesentlich Gedanken den Seminaren, welche Arendt noch als Studentin in Marburg bei dem jungen Professor Heidegger besucht hatte, der zu dieser Zeit mitten in den Vorbereitung seines Epoche machenden Werks Sein und Zeit stand. Arendt hat diese Schuld zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe von Vita Activa in einem Brief an Heidegger erklärt und darauf hingewiesen, dass eine Widmung aufgrund der von Liebe und Politik erschütterten gemeinsamen Erfahrungen nicht möglich sei. Das Resultat war ein fünfjähriges Schweigen seitens des beleidigten Heideggers.[2]
Sicherlich ist die persönliche Beziehung dieser beiden prominenten Intellektuellen, die in Liebe gegründete lebenslange Freundschaft zwischen der politischen Denkerin und dem Philosophen, durch welche das Geschick Deutschlands im 20. Jahrhundert in nuce gespiegelt ist, von außergewöhnlicher Faszination. Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll jedoch allein die theoretische Verwandtschaft stehen.
Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Abhängigkeit des Arendtschen Denkens von Heideggers Fundamentalontolgie muss der Begriff von Welt sein, wie er in Sein und Zeit entfaltet wird. In ihrer 1954 gehaltenen Vorlesung „Concern with Politics in Recent European Philosophical Thought“[3] schreibt Hannah Arendt über ihren Mentor: „Es ist fast unmöglich, das Heideggersche Denken, soweit es von politischer Relevanz sein mag, zutreffend zu beschreiben, ohne seinen Begriff und seine Analytik der ‚Welt’ zu entfalten.“[4] Arendt glaubte, dass Heidegger mit seiner Fundamentalanalyse des Mensch-Seins in Begriffen des In-der-Welt-Seins zwar die ungekannte Möglichkeit eines philosophisch produktiven Nachdenkens über den politischen Bereich geschaffen, zugleich aber durch seine eigene phänomenologische Auslegung des In-der-Welt-Seins die „alten Vorurteile des Philosophen gegen die Politik als solche“ zum Ausdruck gebracht habe.[5] Wie soll man die Behauptung verstehen, Heidegger habe mit seinem Begriff der „Welt“ den Zugang zu den Phänomenen des Politischen zugleich eröffnet und versperrt?
II. Heideggersche Grundlagen
A. Die Welt
Bekanntermaßen vertritt Heidegger in Sein und Zeit die Auffassung, dass Menschen die einzigen Wesen auf der Erde sind, für die die Frage nach dem Sein konstitutive Bedeutung hat. Dasein ist „dadurch ontisch ausgezeichnet, dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.“[6] Das heißt zunächst schlicht und einfach, dass sich jeder von uns, solange er lebt, ständig wahrnehmend, fühlend, denkend, vorstellend, wollend, träumend, redend und handelnd auf Dinge und Sachverhalte bezieht. Zugleich wird er sich dieser Weise seiner Bezugnahme und seiner Eigenschaft als reflektierendes Subjekt bewusst und erfährt sich so als jemand, für den sowohl die Dinge und Sachverhalte, als auch die Weisen seiner Bezugnahme auf diese Dinge nicht selbstverständlich sind. Sie werden ihm selbst fragwürdig. Der Mensch ist daher ontisch dadurch ausgezeichnet, dass er Fragen stellt nach den Dingen und Sachverhalten und nach sich selbst, dass er das Vorhandensein der Dinge und Sachverhalte in der Welt genauso wie sein eigenes Vorhandensein und seine Art der Bezugnahme auf die Welt verstehen will und muss. Da der Mensch gar nicht anders in der Welt sein kann, denn als jemand, der erst noch die richtige Beziehung zu den Dingen und sich selbst gewinnen und alle Dinge und Sachverhalte und sich selbst erst noch verstehen will und muss, geht es ihm „in seinem Sein um dieses Sein selbst“. Er muss aus seinem Leben erst noch etwas machen.
Wenn auch der Ausgangpunkt dieser Überlegung - nämlich dass der Mensch ursprünglich dadurch ausgezeichnet ist, dass er als reflektierendes, zweifelndes Wesen sein eigenes Dasein zum Gegenstand macht - durchaus in der Tradition der Kartesischen Epistemologie gesehen werden kann, ist das Projekt Heideggers doch insgesamt als stichhaltige Polemik gegen die erkenntnistheoretische Ausgangsposition Descartes zu verstehen. Die Hypostasierung des Erkennens durch den Begriff der res cogitans, wie sie Descartes in den Meditationen betreibt, etabliert einen Dualismus von (Erkenntnis-)Subjekt und Welt (res extensa) indem eine immanent relationale Beziehung verdinglicht und das Erkenntnissubjekt einer fremden Objekt-Welt gewissermaßen gegenübergestellt wird.[7] Eben jene Missachtung der relationalen Beziehung von Subjekt und Objekt, bzw. der Versuch res cogitans unabhängig von res extensa zu betrachten, ist der Ansatzpunkt für Heideggers folgenreiche Kritik an der traditionellen Ontologie.
Dass wir den Dingen und Sachverhalten der Welt als Erkenntnissubjekte primär kognitiv oder theoretisch begegnen, stellt Heidegger in Sein und Zeit grundsätzlich in Frage und hält dem entgegen, dass wir Menschen immer schon in der Welt sind, also einen vorwissenschaftlichen Umgang mit der Welt haben. Niemand existiert isoliert für sich selbst, sondern sieht sich von vorneherein mit allen möglichen Dingen, wie Bäumen, Häusern, Büchern, Tieren, Verkehrsampeln und nicht zuletzt anderen Menschen konfrontiert. Die Welt, in der Menschen da sind, steht ihnen nicht als die Summe der Einzelgegenstände gegenüber (wie die Kartesische Epistemologie sie verstanden wissen will), sie ist vielmehr ein „Charakter des Daseins selbst“[8], eben weil ein Leben in völliger Isolation undenkbar ist. Bevor wir beginnen, uns theoretisch mit den Dingen zu beschäftigen, d.h. auch vor jeder philosophischen Ontologie, haben wir immer schon etwas zu tun, müssen uns immer um etwas kümmern und uns die Dinge besorgen, die wir zum Leben brauchen. Konsequenterweise fasst Heidegger daher die unzähligen Weisen des alltäglichen mit etwas Beschäftigtseins, der Bezugnahme auf etwas unter dem nahe liegenden Titel „Besorgen“: „Weil zu Dasein wesenhaft das In-der-Welt-sein gehört, ist sein Sein zur Welt wesenhaft Besorgen“.[9]
Die Notwendigkeit sich um sein Leben zu kümmern ist demnach eine grundlegende Strukturbedingung menschlichen Daseins (in der Terminologie von Sein und Zeit ein „Existenzial“), analog etwa zu Gehlens Charakterisierung des Menschen als Mängelwesens[10], welches aufgrund seiner „stiefmütterlichen“ Ausstattung durch Mutter Natur darauf angewiesen ist, seine natürlichen Mängel durch planendes, auf die Zukunft bezogenes Handeln, selbsttätig zu überwinden. Heidegger schreibt in diesem Sinne, „Das Dasein ist ‚in’ der Welt im Sinne des besorgend-vertrauten Umgangs mit innerweltlich begegnendem Seiendes.“[11] Das entscheidende dieser Betrachtung ist der Bezug, der dadurch zwischen Individuum und Welt hergestellt ist; die Welt ist uns längst vertraut, ihr Sinn ist uns schon vorgegeben. Heidegger nennt das das „apriorische Perfekt“.[12] Bevor wir den theoretisch distanzierten Blick des Wissenschaftlers einnehmen, der die Phänomene objektiv beobachtet, misst und analysiert, sind wir in der Weise wie wir Seiendes zu unseren Zwecken nutzen immer schon in die Zusammenhänge der Welt eingebunden. Die Dinge begegnen uns nicht in erster Linie als Objekte der theoretischen Welterforschung, sondern vielmehr als Bestandteile der vielfältigen, alltäglichen Tätigkeiten des Besorgens. Wir greifen auf sie zu, um etwas mit ihnen anzufangen, wir benutzen sie, weshalb für die Art und Weise, wie uns Seiendes als Gegenstand des Besorgens begegnet, die Gegenstände stehen, die wir im Alltag als „Werkzeuge“ bezeichnen. Sie dienen uns immer in Hinblick auf ein bestimmtes Ziel, sie sind uns zu einem bestimmten Zweck „zur Hand“, sie lassen sich in einem bestimmten Sinne handhaben.
Ein Hammer, so das berühmte Beispiel aus Sein und Zeit, ist nicht aufgrund seiner dinglichen Eigenschaften ein Hammer, sondern weil er eine bestimmte Funktion in Bezug auf unsere Interessen erfüllt. „Zeug ist wesenhaft ‚etwas, um zu…’“[13]. Nur in diesem funktionalen Zusammenhang ist der Hammer auch ein Hammer. In anderen Zusammenhängen ist er wieder etwas ganz anderes, z. B. eine Gefahrenquelle, unnötiger Ballast, eine Lärmquelle, herumliegendes Gerümpel usw. Mit anderen Worten, wir fassen einen Gegenstand je nach der Art und Weise auf, wie er gerade in Bezug auf unsere Besorgungen steht. Oder um es in den Worten Martin Heideggers zu sagen: Wir betrachten „Zeug“ nach seiner jeweiligen „Bewandtnis“.[14]
„Die Welt“ ist somit also nicht die Summierung der vorhandenen Einzelgegenstände, vielmehr stehen die Gegenstände immer in Relation zueinander und bilden das Ganze einer Welt, indem sie sich in den verschiedenen Weisen des Besorgens funktional, im Hinblick auf ein ‚Wo-Zu’ ergänzen und aufeinander verweisen.
[...]
[1] Hannah Arendt: „Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt“ „Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt“, in: Menschen in finsteren Zeiten, S. 172-184. Gersthofen 1968. S. 182.
[2] Vgl. Hannah Arendt/ Martin Heidegger: Briefe 1925-1975, hg. von U. Ludz. Frankfurt am Main 1998. S. 149.
[3] Hannah Arendt: „Concern with Politics in Recent European Philosophical Thought“, in: Jerome Kohn (Hrsg.), Arendt. Essays in Understanding, 1930-1964, New York 1994, S. 428 ff.
[4] Ebd., S. 446.
[5] Ebd.
[6] Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 2001, § 4, S. 12.
[7] Vgl. Dana R. Villa: Arendt and Heidegger. The Fate of the Political, Princeton 1996, S. 121.
[8] Sein und Zeit, a.a.O., § 14, S. 64.
[9] Ebd., § 12, S. 57.
[10] Arnold Gehlen bezeichnet in seinem anthropologischen Hauptwerk den Menschen in Anschluss an Nietzsche als das „nicht festgestellte Tier“, da er im Unterschied zum Tier nicht durch die Ausstattung mit hochspezialisierten Organen und Instinkten in einen artspezifischen Lebensraum eingepasst ist, sondern sich die Grundlagen seiner Existenz durch die Erschaffung einer zweiten Natur, einer Kultur, erst erarbeiten muss. Vgl. Arnold Gehlen: Der Mensch, Frankfurt am Main 1962.
[11] Sein und Zeit, a.a.O., § 23, S. 104.
[12] Ebd., § 18, S. 85.
[13] Ebd., § 15, S. 68.
[14] Vgl., ebd. § 18.