Möglichkeiten heilpädagogisch-therapeutischer Angebote für geistig behinderte Menschen mit einer Alkoholproblematik
Zusammenfassung
Missbräuchlicher Alkoholkonsum kann zu psychischen und sozialen Problemen führen, von denen auch Menschen mit einer geistigen Behinderung nicht befreit sind. Gerade Menschen mit einer sogenannten Doppeldiagnose (Intelligenzminderung und psychische Erkrankung) sollen von Alkoholproblemen besonders betroffen sein.
Um der Fragestellung gerecht zu werden, beschreibt zunächst Kapitel 2 dieser Arbeit geistige Behinderung und Alkoholismus. Alkoholismus wird klassifiziert und aus psychologischer Sichtweise betrachtet. Zudem liegt der Fokus auf Prävalenz von Alkoholmissbrauch geistig Behinderter, sowie auf den Ursachen und Risikofaktoren dieser
Thematik. Das anschließende Kapitel nimmt Bezug auf therapeutische Maßnahmen für Menschen mit einer Alkoholproblematik und erläutert diese im Einzelnen. Kapitel 4 begutachtet die Relevanz der Thematik für Heilpädagogik. Im letzten Kapitel wird diese Hausarbeit kritisch reflektiert.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
1. Einleitung
2. Geistige Behinderung und Alkoholismus
2.1 Alkoholismus – Terminologie und Klassifikation
2.2 Alkoholismus – aus psychologischer Sicht
3. Therapeutische Mal3nahmen für geistig behinderte Menschen mit einer Alko-
holproblematik
3.1 Psychotherapie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung
3.2 Therapeutische Mal3nahmen
3.2.1 Orientierung
3.2.2 Diagnostik
3.2.3 Planung der Interventionsmal3nahme
3.2.4 Spezielle Therapien
3.2.5 Nachsorge und Rückfallprävention
4. Relevanz für die Heilpädagogik
5. Kritische Schlussbemerkung
6. Literatur
1. Einleitung
Mit Alkoholismus bzw. alkoholkranken Menschen wird oft auch eine schwierige oder problematische Lebenssituation assoziiert. Somit ist bei der Betrachtung geistig behinderter Menschen (wenn in dieser Arbeit von geistiger Behinderung gesprochen wird, sind Menschen mit Intelligenzminderung (IQ 55 - 70) gemeint) auch der Rückschluss auf einen höheren Risikofaktor bzgl. eines problemati-schen Alkoholkonsums naheliegend. Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit ge-nau dieser Problematik und hinterfragt ob diese Annahmen der Wirklichkeit ent-sprechen. Bestehen Kausalitäten zwischen übermäßigen Alkoholkonsum und geistiger Behinderung?
Missbräuchlicher Alkoholkonsum kann zu psychischen und sozialen Problemen führen, von denen auch Menschen mit einer geistigen Behinderung nicht befreit sind. Gerade Menschen mit einer so genannten Doppeldiagnose (Intelligenz-minderung und psychische Erkrankung) sollen von Alkoholproblemen beson-ders betroffen sein.
Um der Fragestellung gerecht zu werden, beschreibt zunächst Kapitel 2 dieser
Arbeit geistige Behinderung und Alkoholismus. Alkoholismus wird klassifiziert und aus psychologischer Sichtweise betrachtet. Zudem liegt der Fokus auf Prä-valenz von Alkoholmissbrauch geistig Behinderter, sowie auf den Ursachen und Risikofaktoren dieser Thematik. Das anschliel3ende Kapitel nimmt Bezug auf therapeutische Mal3nahmen für Menschen mit einer Alkoholproblematik und er-läutert diese im Einzelnen. Kapitel 4 begutachtet die Relevanz der Thematik für Heilpädagogik. Im letzten Kapitel wird diese Hausarbeit kritisch reflektiert.
2. Geistige Behinderung und Alkoholismus
Wie in der Einleitung bereits angesprochen, gibt es bestimmte Lebenssituatio-nen, die für eine Alkoholgefährdung fördernd seien können. In Bezug auf geisti-ge Behinderung und Abhängigkeit bzw. Missbrauch von Suchtmitteln werden im Folgenden der Alkoholismus und die Folgen von Alkoholkonsum thematisiert. Aul3erdem werden mögliche Risikofaktoren besprochen, die gerade für Men-schen mit geistiger Behinderung und einer Alkoholproblematik von Bedeutung sind.
2.1 Alkoholismus – Terminologie und Klassifikation
Mit Alkoholismus ist sowohl der Alkoholmissbrauch als auch die Alkoholabhän-gigkeit gemeint. In der Fachliteratur existieren weitere Begriffe, wie z.B. Alko-holkrankheit oder Alkoholsucht für diesen Terminus. In der Internationalen Klas-sifikation psychischer Störungen (im Folgenden ICD-10 genannt) beschreibt die Gruppe F 10 psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch Alkohol. Nach ICD-10 darf die Diagnose Abhängigkeit nur gestellt werden, wenn drei o-der mehr der folgenden Kriterien im letzten Jahr gleichzeitig über mindestens einen Monat oder wiederholt Bestand zutreffend waren:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: vgl. ICD-10, www.dimdi.de
Das Diagnoseschema der American Psychiatric Association DSM-IV nimmt zu den „Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen“ die von Al-kohol verursachten Verhaltensmuster hinzu und beachtet mehr als bei der ICD-10 die soziale Probleme des Alkoholmissbrauchs (vgl. MANN & SCHWÄRZLER, In: THOMASIUS, 2000, S.2).
Eine körperliche Alkoholabhängigkeit besteht dann, wenn sich nach Abstinenz ein Entzugssyndrom ausbildet; typisch sind z.B. Schlafstörung, Schreckhaftig-keit, Angst und Erbrechen, außerdem vegetative Zeichen, wie Blutdruckerhö-hung und Pulsbeschleunigung. Von Delirium tremens spricht man, wenn zu die-sen Symptomen noch zeitliche Orientierungsstörungen und optische Halluzina-tionen hinzu kommen.
Eine psychische Abhängigkeit bildet sich „allmählich“ durch wiederholte und freiwillige Aufnahme von Alkohol aus (vgl. MANN & SCHWÄRZLER, In: THOMASIUS, 2000, S.2). Des Weiteren nennt die ICD-10, außer der Alkoholabhängigkeit, noch die akute Alkoholintoxikation (vorrübergehender Zustand nach Alkoholein-nahme mit körperlichen und psychischen Veränderungen) und die Diagnose des schädlichen Gebrauchs, die bei Gesundheitsschädigung vorliegt.
Für die Bearbeitung der vorliegenden Fragestellung sind nicht nur die Definitio-nen bzgl. der Abhängigkeit von Wichtigkeit. Sondern um später ein differenzier-tes Bild geistig behinderter Menschen mit einer Alkoholproblematik zeichnen zu können, werden die Begriffe Alkoholrausch, riskanter und schädlicher Alkohol-gebrauch vorgestellt.
Bezeichnend für einen Alkoholrausch sind Ausfallerscheinungen. Charakteristi-sche Ausfallerscheinungen bei Alkoholeinwirkung auf das nicht vorgeschädigte Gehirn des Menschen sind u.a.:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: vgl. REKER, In: KLAUß, 2003, S.5
Suchtmittelkonsum wird als Riskant bezeichnet, wenn die Möglichkeit einer kör-perlichen Schädigung oder einer psychischen und sozialen Beeinträchtigung besteht. Die British Medical Association hat einen Grenzwert für wenig riskanten Alkoholkonsum formuliert, welcher bei zwei sog. Standartgetränken (ca. 20g Al-kohol) pro Tag, liegt. Zehn Prozent der Deutschen geben an, mehr als 40 Gramm Alkohol täglich zu sich zu nehmen (vgl. www.krebsgesellschaft.de). In der „Repräsentativerhebung zum Gebrauch psychoaktiver Substanzen in Deutschland“ (2000) konnte ermittelt werden, dass zwölf Prozent der 18 - 59 jährigen einen riskanten Alkoholgebrauch aufweisen (vgl. psydok.sulb.uni-saarland.de). Schädlicher Alkoholgebrauch (vier Prozent der Befragten) liegt dann vor, wenn Schädigungen der körperlichen und/oder seeli-schen Gesundheit vorliegen, aber eine Abhängigkeit jedoch nicht oder noch nicht besteht (vgl. REKER, In: KLAUß, 2003, S.5).
THEUNISSEN und SCHUBERT (2005, S.181) bewerten den Alkoholismus „als eine der weltweit Verbreitesten Erkrankung und gröl3ten Herausforderung für das Gesundheitswesen.“ MANN und SCHWÄRZLER (2000, S.1) schätzen „Erkrankun-gen, die durch [...] Alkoholmissbrauch [...] entstehen“ im Jahr 2020 als „die weltweit wichtigste Todesursache“ ein (zit. nach MURRAY & LOPEZ 1996). Die ak-tuellen Schätzungen der Deutschen Hauptstellen gegen Suchtgefahren und der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. bestätigen diese Einordnungen. Demnach gelten 2,5 Millionen Bundesbürger als Alkoholabhängig. Pro Jahr sterben in Deutschland ca.40.000 Menschen an Folgen von Alkoholkonsum, ca.2.200 Kinder werden mit alkoholbedingten Schäden geboren (vgl. www.krebs-gesellschaft.de).
Die Einnahme von Alkohol bewirkt unterschiedliche unmittelbare körperliche wie z.B. Erweiterung der Blutgefäl3e, Beeinträchtigung der Koordinierungsfähigkeit, Vergiftung und Schwindel. Die unmittelbaren psychischen Reaktionen können Euphorisierung, Senkung der Hemmschwellen und Aggressivität sein. Aul3er-dem besteht ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Suizid (vgl. MANN & SCHWÄRZLER, In: THOMASIUS, 2000, S.8). Mit fortwährendem Alkoholmissbrauch steigt das Risiko für Folgeerkrankungen. Insbesondere die Alkoholhalluzinose ist unter den psychotischen Folgeerkrankungen von Bedeutung. Kennzeich-nend sind darüber hinaus Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und des Zeit-gefühls (vgl. www.dhs.de). Die Liste an internistischen und neurologischen Fol-geerkrankungen ist zu lang um sie in dieser Arbeit ausformulieren zu können, jedoch kann gesagt werden, dass nach Einschätzung der Deutschen Krebsge-sellschaft jährlich 17.000 Menschen, in Deutschland, an einer Leberzirrhose sterben (vgl. www.krebs-gesellschaft.de).
2.2 Alkoholismus – aus psychologischer Sicht
Bezeichnend für „psychische Abhängigkeit ist u.a. das „Nicht mehr aufhören können“ sowie ein als „übermächtig“ oder „unwiderstehlich“ empfundenes „Ver-langen“ nach einem Suchtmittel“, wie KRYSPIN-EXNER darstellt (vgl. KRYSPIN-
EXNER, In: REINECKER, 1998, S. 356). Grundlagen für diese Empfindungen sind mit lerntheoretischen Überlegungen zu erklären. So steht die Grundannahme, dass in Abhängigkeit zur sozialen Umwelt, der Umgang mit Alkohol ein Lernpro-zess ist. Nach THEUNISSEN und Schubert sind in diesem Kontext Modelllernen, konkrete Konsumerfahrungen und intermittierende Verstärkung, für mehr oder weniger hohen Konsum, wichtige Faktoren. Des Weiteren kann Alkoholkonsum als eine Coping-Strategie angesehen werden. Die euphorisierende Wirkung von Alkohol verstärkt positive Erregungen oder reduziert negative Affekte. Durch diese Ausprägung kommt es zu Strategien der Konsumzufuhr, wie beispiels-weise: „Wenn ich viel Alkohol trinke, kann ich glücklich sein“ (THEUNISSEN & SCHUBERT, In: HENNICKE, 2006, S.185f.).
Psychologische Theorien, die Alkoholismus betreffen, sind in die unterschiedli-chen Disziplinen der Psychologie gegliedert. Keines dieser Konzepte hat allge-meine Gültigkeit. Eine Alkoholikerpersönlichkeit kann die Psychologie nicht be-stimmen. Eine Typologie von Alkoholkonsumenten stellt JELLINEK 1960 auf. Aus der Analyse von 2.000 Fragebögen anonymer Alkoholiker konnte er fünf Präg-nanztypen feststellen:
- Der Alpha-Typus ist der Konflikt- oder Problemtrinker, er trinkt also hauptsächlich aus psychologischen motivierten Gründen. Mengenkon-trollprobleme sind nicht vorhanden und die Fähigkeit zur Abstinenz ist vorhanden.
- Der Beta-Typus konsumiert Alkohol aus soziokulturellen Hintergründen. Man spricht hier vom Gelegenheitstrinker, der keine Substanzabhängig-keit aufweist.
- Der Gamma-Typus ist psychisch Alkoholabhängig. Er hat die Kontrolle über Trinkmenge verloren und die Möglichkeit über längere Zeit Abstinent zu sein verloren. Im Rausch trinkt der Gamma-Typus bis keine wei-tere Alkoholzufuhr mehr möglich ist.
- Von Delta-Alkoholismus wird bei Konsum in sozioökonomischen Kon-text gesprochen. Der Delta-Typus konsumiert täglich eine relativ hohe Menge an Alkohol und weist daher eine körperliche Abhängigkeit auf.
- Der Epsilon-Alkoholismus ist durch episodisches Trinken gekenn-zeichnet. Zwischen den Alkoholexzessen liegen Phasen der Abstinenz (KRYSPIN-EXNER, In: REINECKER, 1998, S.363).
„Jellineks ,Disease concept of alcoholism' [...] hat bis heute die Diskussion um das Phänomen ,Alkoholismus' international bestimmt“ (ebd.).
Vorwiegend für den Gamma-Typus beschreibt Jellinek vier Verlaufsphasen. In der präalkoholischen Phase werden die positiv belohnenden Konsequenzen des Trinkens erlebt, Probleme oder Frustration kann durch Alkohol ausgegli-chen werden. Die Prodromalphase ist nach Jellinek durch mal3loses Trinken, dessen Verheimlichung und anschliel3ender Schuldgefühle gekennzeichnet. Die Kritische Phase zeichnet sich durch Kontrollverluste über das Trinken, Selbst-vorwürfe und häufige Stimmungsschwankungen, Interessenverlust, morgendli-ches Trinken, zeitweise Enthaltsamkeit, Einbul3en zwischenmenschlicher Be-ziehungen, Konflikte am und mit dem Arbeitsplatz sowie ersten körperlichen Symptomen aus. Die chronische Phase bezeichnet die ausgebildete Alkoholab-hängigkeit (ebd., S.363ff).
Als Psychotherapeutische Behandlungsansätze kommen verhaltenstherapeuti-sche sowie tiefen- und gesprächspsychologische Verfahren in Betracht. Im Fo-kus der derzeitigen Versorgung stehen eklektische Ansätze, in denen die ver-schiedenen Verfahren kombiniert werden. Gesprächspsychotherapeutische Verfahren seien allerdings nur in der Phase der Urteilsbildung nützlich. Für wei-tere Therapieziele im Bereich der Lebensgestaltung, der Selbstbehauptung und der Entspannung seien verhaltenstherapeutische Programme von gröl3erem Nutzen (vgl. BÜHRINGER & FERSTL, In: BAUMANN & PERREZ, 1998, S.806).
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