Kaum ein Gerichtsgebäude kommt ohne eine Darstellung der Justitia
aus, an bedeutenden Plätzen sieht man Germanias oder Britannias und
auch andere Allegorien sind allgegenwärtig in der Öffentlichkeit. Gemeinsam
ist fast allen allegorischen Darstellungen, dass es sich um
weibliche Darstellungen handelt, männliche Allegorien sind kaum bzw.
gar nicht zu finden. Dabei ist gerade diese Weiblichkeit, die überall in
der Öffentlichkeit zu finden ist, ein deutliches Zeichen für Geschlechterdifferenz:
Weibliche Allegorien personifizieren Ideale, die zu erstreben
sind, jedoch richtet sich die durch sie verkörperte Aufforderung zum Erreichen
der dargestellten Ideale ausnahmslos an Männer.
Besonders hervorzuheben ist auch, dass viele der weiblichen Allegorien
Waffen, zumeist Schwerter, tragen, obwohl selbst die moderne Gesellschaft
die „Frau in Waffen“ als Ausnahme betrachtet. Gerade Waffen
stellen ein den Männern vorbehaltenes Instrument dar, wodurch die Diskrepanz
zwischen der Weiblichkeit allegorischer Darstellungen und ihrer
Bedeutung noch hervorgehoben wird.
Betrachtet man allerdings Beiträge, die sich mit Allegorien beschäftigen,
so stellt man fest, dass dieser scheinbaren Paradoxie kaum Bedeutung
geschenkt wird. Die meisten Veröffentlichungen beschränken sich
darauf, Darstellungsformen einzelner Allegorien aufzuzählen1, oder aber
zwar das Problem zu erkennen, nicht jedoch Lösungsvorschläge zu unterbreiten.
In dieser Untersuchung soll zunächst die Geschichte der Allegorie im
Allgemeinen sowie Antworten auf die Frage nach ihrer Weiblichkeit von
der Antike bis zur Moderne dargestellt werden, bevor die erarbeiteten
Deutungsansätze am Beispiel der Personifikation der Gerechtigkeit, der
Justitia, umgesetzt und die Aktualität dieses Topos beschrieben werden
soll.
1 So z.B. Kissel, der einen Überblick über die Erscheinungsformen der Justitia gibt, aber
nur in einem Nebensatz zu den Gründen ihrer Weiblichkeit Stellung nimmt (Kissel,
Otto Rudolf: Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der
bildenden Kunst. München 1984).
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Weiblichkeit der Allegorie als Paradoxon
1. Die Geschichte der Allegorie
2. Erklärungen für die Weiblichkeit von Allegorien
a. Thesen von der Antike bis zur Moderne
b. Thesen in der Moderne unter Einbeziehung von Gender-
Aspekten
a) Die Ausübung einer Besänftigungsfunktion durch die
Allegorie
b) Der weibliche Körper als Projektionsfläche
g) Die Unverletzlichkeit der jungfräulichen Allegorie
d) Der weibliche Körper als leerer Zeichenkörper
3. Justitia als Beispiel der Jungfrau in Waffen
a. Die Geschichte der Justitia als Personifikation der
Gerechtigkeit
b. Analyse der Justitia als weibliche Allegorie
a) Der Sieg des Guten über das Böse
b) Das durch Justitia geschaffene Gewaltmonopol der Justiz
c. Übertragung des Justitia-Topos auf moderne Fantasy- Szenarien
III. Schlussbemerkungen
I. Einleitung
Kaum ein Gerichtsgebäude kommt ohne eine Darstellung der Justitia aus, an bedeutenden Plätzen sieht man Germanias oder Britannias und auch andere Allegorien sind allgegenwärtig in der Öffentlichkeit. Gemeinsam ist fast allen allegorischen Darstellungen, dass es sich um weibliche Darstellungen handelt, männliche Allegorien sind kaum bzw. gar nicht zu finden. Dabei ist gerade diese Weiblichkeit, die überall in der Öffentlichkeit zu finden ist, ein deutliches Zeichen für Geschlechterdifferenz: Weibliche Allegorien personifizieren Ideale, die zu erstreben sind, jedoch richtet sich die durch sie verkörperte Aufforderung zum Erreichen der dargestellten Ideale ausnahmslos an Männer.
Besonders hervorzuheben ist auch, dass viele der weiblichen Allegorien Waffen, zumeist Schwerter, tragen, obwohl selbst die moderne Gesellschaft die „Frau in Waffen“ als Ausnahme betrachtet. Gerade Waffen stellen ein den Männern vorbehaltenes Instrument dar, wodurch die Diskrepanz zwischen der Weiblichkeit allegorischer Darstellungen und ihrer Bedeutung noch hervorgehoben wird.
Betrachtet man allerdings Beiträge, die sich mit Allegorien beschäftigen, so stellt man fest, dass dieser scheinbaren Paradoxie kaum Bedeutung geschenkt wird. Die meisten Veröffentlichungen beschränken sich darauf, Darstellungsformen einzelner Allegorien aufzuzählen[1], oder aber zwar das Problem zu erkennen, nicht jedoch Lösungsvorschläge zu unterbreiten.
In dieser Untersuchung soll zunächst die Geschichte der Allegorie im Allgemeinen sowie Antworten auf die Frage nach ihrer Weiblichkeit von der Antike bis zur Moderne dargestellt werden, bevor die erarbeiteten Deutungsansätze am Beispiel der Personifikation der Gerechtigkeit, der Justitia, umgesetzt und die Aktualität dieses Topos beschrieben werden soll.
II. Die Weiblichkeit der Allegorie als Paradoxon
Bilder des Weiblichen als Personifikation eines höheren Ideals sind weit verbreitet, werden aber nur selten bewusst wahrgenommen. Hinter diesen Bildern verbirgt sich jedoch eine lange Tradition, sowohl in ihrer Gestaltung als auch in ihrer Erläuterung. Ihre Spuren lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen, und ebenso alt sind auch die Versuche, das scheinbare Auseinanderklaffen von Signifikat und Signifikant zu erklären, ein Gegensatz, der erst durch die Ikonographie deutlich wurde.
1. Die Geschichte der Allegorie
Der Begriff „Allegorie“ leitet sich vom griechischen „άllo agoreύo“ her, was „ich sage etwas anderes“, „andere Rede“ bedeutet.[2] Mit dem Begriff „Allegorie“ wird eine Rede bezeichnet, die eine andere Bedeutungsebene enthält.[3]
Ihren Ursprung hat die Allegorie in der altgriechischen Mythologie. Diese Mythen mussten bereinigt werden, um die Deutung eines „Hintersinns“ zu erleichtern. Dies geschah durch das rhetorische Prinzip der Allegorese, so dass eine Art Substitution stattfand: Die „Narrativen Gegebenheiten“ wurden ersetzt durch „symbolische Äquivalente“.[4] Dadurch konnte man aus den mit den Göttern assoziierten Erzählungen allgemeingültige Prinzipien ableiten. Die waren nun nicht mehr mit den Namen und Geschichten der Götter verknüpft, sondern hatten kein Gesicht und keine Geschichte, so dass eine Einschreibung dieser allgemeinen Prinzipien möglich wurde.[5] Speziell die Weiblichkeit der Allegorie lässt sich bis Athene zurückverfolgen, die das Modell für jungfräuliche weibliche Allegorien darstellt.[6]
Ihre weitere Entwicklung erstreckte sich über die römische Moralphilosophie, in der die Personifikation die vorherrschende Form der Allegorie wurde[7], bis zu der sich anschließenden Tradition des Christentums, in der sich die allegorische Interpretation vor allem auf den vierfachen Schriftsinn der Bibel bezog.[8] Zu der Zeit bildete sich aber auch der Komplex der Tugenden und Laster heraus.[9]
Später entstanden dann vor allem allegorische Darstellungen von Nationalstaaten, die zum Teil bis heute populär geblieben sind, betrachtet man zum Beispiel Frankreich und seine Marianne.
2. Erklärungen für die Weiblichkeit von Allegorien
Bereits zu den Anfängen der allegorischen Entwicklung wurde versucht, eine Erklärung für die Weiblichkeit der dargestellten Prinzipien zu finden. Jedoch wurde erst in der modernen Zeit verstärkt auf die Diskrepanz zwischen der Weiblichkeit der Allegorie und der Männlichkeit dessen, was sie darstellt, im Rahmen der Gender-Studies eingegangen.
a. Thesen von der Antike bis zur Moderne
Auch heute noch kann man die geläufigste Erklärung für die Weiblichkeit der Allegorie, nämlich die des grammatikalischen Geschlechts, in vielen Lexika finden.[10] Diese These führt auf den indogermanischen Ursprung der europäischen Sprachen zurück, da dort die weibliche Form morphologisch von der männlichen abhängt und vielfach Wirkungen und Handlungen, die von anderen ins Werk gesetzt werden, bezeichnet, weshalb etwa im Griechischen abstrakte Begriffe mit femininen Suffixen gebildet wurden.[11] Zu bemerken ist dabei allerdings, dass diese Vorstellung von Sprache auch von der sozialen (Vor-)Stellung der Frau in der Gesellschaft abhängig ist und so eine Wechselwirkung zwischen der Grammatik und der patriarchalen Ordnung herrscht.[12]
Neben dieser häufig genannten These versuchte bereits Philo von Alexandria im ersten Jahrhundert vor Christus eine logische Begründung für die Weiblichkeit der verkörperten Ideale zu finden:
„Denn auch die Tugenden haben sämtlich weibliche Namen, ihre Kräfte und Handlungen aber sind die vollkommener Männer. Da nun dasjenige Prinzip, das auf Gott folgt, an zweiter Stelle steht, mag es auch unter allen übrigen Dingen das ehrwürdigste sein, so hat es gleichermaßen zum Unterschiede von dem Schöpfer des Alls, als einem männlichen Wesen, einen weiblichen Namen erhalten, infolge seiner Ähnlichkeit mit den übrigen Dingen. Denn stets hat das Männliche Vorrang, das Weibliche ist mangelhaft und steht zurück.“[13]
Im 17. Jahrhundert befasste sich Cesare Ripa mit der Problemstellung, als er die Allegorien in seiner „Iconologia“[14] lexikalisch verfügbar machte. So schrieb er über die „Stärke“ („fortezza“):
„Sie sollte eine Dame sein, nicht weil damit behauptet werden soll, ein starker Mann solle weiblichen Verhaltensweisen nahe kommen, sondern um die Figur der Art und Weise anzupassen, wie wir sprechen; oder aber, da jede Tugend eine Erscheinung des Wahren, Schönen und Erstrebenswerten ist, an dem der Geist Entzücken empfindet, und wir Schönheit im allgemeinen den Damen zuschreiben, können wir durchaus eines durch das andere darstellen; oder aber weil der starke Mann – so wie jene Frauen, die sich der Freuden enthalten, für die die Natur sie geneigt gemacht hat, den Ruhm außerordentlicher Tugendhaftigkeit erwerben und bewahren –, indem er, von Tugend entflammt, seinen Körper aufs Spiel setzt und sein Leben in Gefahr bringt, guten Ruf, Ruhm und höchste Wertschätzung erwirbt.“[15]
Ripa verbindet also die Regeln der Grammatik mit der platonischen Vorstellung von Schönheit als Widerspiegelung alles Göttlichen und von Frauen als besonders schönen Wesen sowie mit der christlichen Vorstellung, dass Frauen umso stärker, je besser es ihnen gelingt, gut zu sein, da sie moralisch schwächer seien als Männer.[16]
b. Thesen in der Moderne unter Einbeziehung von Gender-Aspekten
Erst im Zuge feministischer Bewegungen wurde die Frage nach der Weiblichkeit der Allegorie und der Diskrepanz zwischen der Darstellung und dem Dargestellten wieder aufgegriffen. Nun wurde vor dem Hintergrund von Women’s und Gender Studies nach Antworten gesucht.
a ) Die Ausübung einer Besänftigungsfunktion durch die Allegorie
Zunächst beschäftigte sich Caecilie Rentmeister unter Bezugnahme auf Ernest Bornemanns Untersuchung „Das Patriarchat“[17] 1976 mit dieser Fragestellung. Berücksichtigt wurde, dass weibliche Allegorien gerade in Gesellschaften, in denen Frauen eine untergeordnete Stellung einnehmen, eine lange Tradition haben. Laut Rentmeister haben diese Allegorien im Patriarchat eine Besänftigungsfunktion.[18] So werden weibliche Allegorien interpretiert als „Gestalten, die aus dem Mutterrecht übernommen worden sind“, und als „Rechtfertigung für die Unterdrückung der Frau“.[19] Dadurch, dass weibliche Allegorien und die durch sie dargestellten Prinzipien in der männlich beherrschten Gesellschaft verehrt werden, können reale Frauen durch Geringschätzung unterdrückt werden.[20]
[...]
[1] So z.B. Kissel, der einen Überblick über die Erscheinungsformen der Justitia gibt, aber nur in einem Nebensatz zu den Gründen ihrer Weiblichkeit Stellung nimmt (Kissel, Otto Rudolf: Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der bildenden Kunst. München 1984).
[2] Vgl. Nünning, Ansgar (Hrsg): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Weimar 1998. S. 7.
[3] Vgl. Warner, Marina: In weiblicher Gestalt. Die Verkörperung des Wahren, Guten und
Schönen. Reinbeck bei Hamburg 1989, S. 13.
[4] Vgl. Wenk, Silke. Versteinerte Weiblichkeit. Allegorien in der Skulptur der Moderne. Köln 1996. (= Literatur – Kultur – Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturge- schichte. Bd. 5.) S. 56 f. (Zit.: Wenk, Versteinerte Weiblichkeit).
[5] Vgl. Gall, Ulrike: Weibliche Personifikationen in Allegorien des Industriezeitalters. Motivhistorische Studien zu Kontinuität und Wandel bildlicher Verkörperungen
1870 – 1912. Konstanz 1999. S. 107 f.
[6] Vgl. Warner, a.a.O. S. 17.
[7] Vgl. Gall, a.a.O. S. 109; sowie Warner, a.a.O. S. 122.
[8] Vgl. Nünning, Ansgar, a.a.O. S. 7.
[9] Vgl. Gall, a.a.O. S. 109.
[10] So auch Kissel, der diese These in einem Nebensatz anführt (Kissel, a.a.O. S. 28).
[11] Vgl. Warner, a.a.O. S. 105 f.
[12] Vgl. Warner, a.a.O. S. 106. Von einem solchen Zusammenhang ist im Rahmen der damaligen Geschlechtertheorie auch Johann Joachim Winckelmann ausgegangen, der
die natürlichen Geschlechterzuweisungen seiner Zeit mit den entsprechenden Unter- scheidungen in der Sprache begründet, die wiederum das Geschlecht der Allegorie
bestimmt (Gall, a.a.O. S. 105 f.).
[13] Philo von Alexandria: Über die Flucht und das Finden. In: Werke. Bd. VI. Berlin
1962. S. 66, zit. nach Warner, a.a.O. S. 101
[14] Ripa, Cesare: Iconologia. Mailand 1602.
[15] Vgl. Ripa, a.a.O. “Fortezza”, zit. nach Warner, a.a.O. S. 102.
[16] Vgl. Warner, a.a.O. S. 102.
[17] Bornemann, Ernest: Das Patriarchat. 1975.
[18] Vgl. Rentmeister, Caecilie: Berufsverbot für die Musen. In: Ästhetik und Kommuni-
kation. 25. September 1976. S. 94.
[19] Bornemann, a.a.O., zit. nach Rentmeister, a.a.O. S. 94.
[20] Anders sieht dies Wenk, die fragt, inwieweit die männlichen Machthaber durch das
Aufstellen von weiblichen Plastiken besänftigt werden müssten, da diese Skulpturen
nicht für Frauen gemacht worden seien (Wenk, Silke: Warum ist die (Kriegs-)Kunst
weiblich? Frauenbilder in der Plastik auf öffentlichen Plätzen in Berlin. In: Kunst +
Unterricht 101/1986. S. 9. (Zit.: Wenk, Warum ist die (Kriegs-)Kunst weiblich?).