Stufen des Glaubens. Die Stufentheorien von Fowler und Oser/Gmünder
Vorstellung, Kritik und Nutzen für die Religionslehrenden in der Schule
Zusammenfassung
Die Arbeit analysiert, welche Stufen in welchem Alter bei den Lernenden zu erwarten sind und welche didaktischen Folgen dieses Wissen für den Lehrenden haben sollte. Es wird reflektiert, inwiefern das Wissen um die Stufen bei der Unterrichtsplanung und -evaluation einbezogen gewinnbringend werden kann.
Leseprobe
Inhalt
Einleitung
1. Jean-Piagets Forschung zur kognitiv-strukturellen Entwicklung
2. Konstruktivistische Theorien über die religiöse Entwicklung
2.1 James Fowler – Die Untersuchungen zur Entwicklung des Glaubens
2.2 Fritz Oser und Paul Gmünder – Die Untersuchungen zur Entwicklung des religiösen Urteils
2.3 Untersuchungsergebnisse von Fowler und Oser/Gmünder
2.3.1 Allgemeine Aussagen
2.3.2 Zu erwartende Stufen bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen
a) Vorschulalter
b) Grundschulalter
c) Jugendalter
d) Erwachsenenalter
2.4 Kritik der Untersuchungen
2.4.1 Kritik des Ansatzes „Stufentheorie“
2.4.2 Kritik an den Untersuchungen von Fowler und Oser/Gmünder
3. Schlussfolgerungen für das Handeln der Religionslehrenden
Mit Blick auf die Stufenmodelle zur Entwicklung der Kinder beitragen
Maxime 1: Sich auf die bei Schüler/innen erwartbaren Stufen einstellen
Maxime 2: Die Methodik anhand des Wissens über Entwicklungsstufen ausrichten
Maxime 3: Bei unterrichtlichen Fehlschlägen eine Analyse der Stufensituation in der Klasse in die Evaluation einbeziehen.
4. Resümee
Literatur
Einleitung
Fritz Oser: „Stufen des religiösen Urteils sagen nichts Direktes über unterrichtliches Handeln aus, auch nicht darüber, was Kindern zu erzählen ist etc. Sie sagen jedoch etwas aus über die Möglichkeiten der Kinder, ihre religiös bedeutsamen Erfahrungen zu interpretieren.“[1]
Ich möchte mit dieser Arbeit Fritz Oser gleichzeitig beipflichten und widersprechen. Beipflichten insofern, als dass ich ihm Recht gebe, dass die von ihm und seinem Kollegen Paul Gmünder entwickelte Stufentheorie „nichts Direktes“ über unterrichtliches Handeln aussagt, sondern primär Aussagen über den Erfahrungshorizont des Kindes macht. Widersprechen möchte ich ihm, da ich der Meinung bin, dass Religionslehrende aus dem Wissen über die kognitiven Stufentheorien durchaus Maximen für ihr unterrichtliches Handeln ableiten können. Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, den Nutzen der Stufentheorien zur religiösen Entwicklung von Fowler und Oser/Gmünder für die/den Religionslehrenden zu betrachten und solche Maximen aufzustellen.
Obwohl die Studien unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte aufweisen, beschäftigen sich beide mit religiöser Entwicklung. Setzt man voraus, dass die Theorien der hier genannten Forscher Wahrheitsgehalt haben (was durch die nachgewiesene praktische Anwendbarkeit trotz Kritik gegeben ist), so muss es auch möglich sein, sie nicht nur nebeneinander, sondern als einander ergänzend zu betrachten. Auf der Kompatibilität der Untersuchungen aufbauend möchte ich den praktischen Folgerungen, die sie für Religionslehrende haben können, nachspüren.
Um die Forschungsergebnisse für die Praxis der Religionslehrenden anwendbar zu machen, werde ich zuerst die Untersuchungen selber vorstellen. Da die Theorien starke Bezüge zu Jean Piagets Arbeit über die Entwicklung des Denkens aufweisen, gebe ich zunächst eine kurze Übersicht über dessen Ergebnisse. Parallelen zu den Forschungen von Erik Erikson zur sozialen und Lawrence Kohlberg zur moralischen Entwicklung sind ebenfalls vorhanden - deren Darstellung würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen. Erwähnen möchte ich noch, dass die auf Piaget basierende Herangehensweise an die religiöse Entwicklung nicht das einzige Konzept ist, das in der Forschung verfolgt wird, möchte mich jedoch hier auf diesen Ansatz beschränken.[2]
1. Jean-Piagets Forschung zur kognitiv-strukturellen Entwicklung
Als Gründungsvater der Theorienfamilie zum kognitiven Strukturalismus in der Entwicklungspsychologie bekannt ist Jean Piaget, geboren 1896, gestorben 1980.[3]
Im Rahmen seiner Forschungen entdeckte er verallgemeinerbare Entwicklungsschritte des Denkens vom Säuglings- bis zum Jugendalter. Bus heute bilden seine Erkenntnisse die Grundlage von Theorien, die sich mit der Entwicklung des menschlichen Denkens und der Intelligenz auseinandersetzen. Hier sollen aus Piagets umfangreichem Werk nur kurz die vier entscheidenden Stadien[4] der kognitiven Entwicklung abgebildet werden, da diese von Fowler und Oser/Gmünder bei der Interpretation ihrer Forschungen zur religiösen Entwicklung herangezogen wurden.
Piagets Grunderkenntnis besagt, dass das Gehirn des Kindes verschiedene Stadien durchläuft, bis es – im besten Fall – über alle kognitiven Operationen verfügt, deren ein Mensch im Laufe seines Lebens fähig sein kann. Kinder[5] entwickeln in aufeinander folgenden Stufen nach und nach verschiedene kognitive Fähigkeiten. Diese zu einem großen Teil empirisch nachprüfbare Erkenntnis spielte und spielt eine entscheidende Rolle für alle, die in ihrem Alltag oder Berufsleben mit der Erziehung und Förderung von Kindern beschäftigt sind, da sie erstmals naturgegebene Grenzen in der Art des Denken von Kindern aufzeigte.
Mit 0-2 Jahren durchläuft ein Kleinkind das sensumotorische Stadium. Es lernt, seinen Körper bewusst zu steuern und erwirbt erste einfache Intelligenzstrukturen. Dem Kind wird bewusst, dass es eine Welt gibt, die getrennt von ihm existiert und dass Dinge nicht verschwinden, sobald es sie nicht mehr sieht (Objektpermanenz).
Erst mit dem Eintritt in das prä-operatorische Stadium (2-7 Jahre) wird es dem Kind möglich, Symbole für reale Gegenstände zu verwenden. Es eignet sich die Sprache als Instrument für die Bezeichnung der Welt an. In der Vorstellungswelt des Kindes wurde alles Sichtbare von jemandem „gemacht“. Alle Gegenstände haben einen Zweck, für den sie geschaffen wurden. Auf dieser Stufe ist es noch nicht fähig, unbelebte und belebte Dinge zu unterscheiden sowie Kausalketten zu begreifen oder sich auf mehrere Aspekte eines Problems zur gleichen Zeit zu konzentrieren.
Während der Grundschulzeit (7-11 Jahre) entwickeln die meisten Kinder die Fähigkeit, Welt auch aus einer fremden Perspektive heraus zu begreifen. Es wird ihnen möglich, sich vom eigenen Standpunkt wegzubewegen. Dieses Stadium wird als das konkret-operatorische bezeichnet. Hier sind erstmals logische Abläufe und formale Operationen wie Rechnen möglich. Sind diese allerdings nicht mit konkreter Anschauung verknüpft, gelingt die Operation noch nicht.
Mit dem Eintritt in das formal-operatorische Stadium von 11-14 Jahren ist der Eintritt ins Jugendalter verknüpft. Abstrakte Vorgänge wie das Rechnen mit Variablen werden möglich. Deduktionsanalysen können durchgeführt, logische Möglichkeiten im Problemlöseprozess durchdacht werden.
Aufgrund seiner Ergebnisse stellt Piaget zusätzlich Thesen über das Wesen der Stadien auf, die auch in spätere konstruktivistische Stufentheorien aufgenommen wurden. Die für diese Arbeit entscheidenden fasse ich wie folgt zusammen:
1) Die einzelnen Stadien folgen aufeinander. Bevor ein Stadium nicht durchlaufen ist, kann das nächste nicht einsetzen. Kein Stadium kann übersprungen werden.
2) Die beschriebenen Stadien sind unabhängig von der Kultur.
3) Ziel des Lernprozesses innerhalb der Stadien ist es, sich bestmöglich an seine Umwelt anzupassen. Neue Erkenntnisse werden assimiliert, so sie in das vorhandene Weltbild passen. Wenn es durch neue Informationen zu einem Missverhältnis zwischen der Realität und vorhandenen kognitiven Strukturen kommt, erfolgt dagegen eine Akkomodation (Angleichung) der Strukturen an die Realität, was einen schwierigen, weil konfliktbeladenen Prozess darstellen kann.
2. Konstruktivistische Theorien über die religiöse Entwicklung
Ungefähr zur selben Zeit beschäftigten sich James W. Fowler in Amerika und Fritz Oser zusammen mit Paul Gmünder in der Schweiz mit Erhebungen zur religiösen Entwicklung des Menschen. Angestoßen durch die Untersuchungsergebnisse Piagets[6] entwickelten ihre Forschungsgruppen die beiden großen kognitivistischen Stufentheorien auf diesem Feld.
2.1 James Fowler – Die Untersuchungen zur Entwicklung des Glaubens
James W. Fowler stellte sich zur Aufgabe, ein Entwicklungsmodell zu religiösen Vorstellungen aufzustellen, wobei er von der Grundannahme ausging, dass Glaube „ein menschliches Phänomen, eine offenbar artspezifische Konsequenz der universalen Last des Menschen, Sinn finden oder herstellen zu müssen“[8] sei. Die verschiedenen Stufen des Wandels[9] in der Konstruktion von Lebens-Sinn herauszufinden war Fowlers Ziel.[7]
Um dieses zu erreichen wurden von 1972-1981 359 Menschen aller Altersstufen in 2-2 ½ stündigen Interviews befragt.[10] Die Parität zwischen den Geschlechtern in der Studie war gewahrt, die Befragten waren aber zum größten Teil Weiße mit christlichem Hintergrund. Von Geburt an areligiöse Menschen oder Menschen anderer Religion gehörten nicht zu den Befragten, sodass offen bleibt, ob für andere Gruppen ähnliche Ergebnisse zu Tage getreten wären.[11] Allerdings bezeichnen sich nicht alle der Befragten noch als christlich oder gläubig, sodass man eine gewisse Areligiosität in der Studie vertreten hat.[12] Die Interviewten wurden um einen Lebensrückblick gebeten, wobei der Fokus besonders auf Beziehungen und Erlebnisse gelegt wird, die zu Brüchen in Lebenslauf und Vorstellungen führten. Schließlich wurden die derzeitigen Einstellung und Werte im Allgemeinen und im Bezug zur Religion betrachtet.[13] Die Antworten wurden anhand einer schematischen Tabelle nach verschiedenen Aspekten in die angenommenen 6 Stufen eingeordnet.
2.2 Fritz Oser und Paul Gmünder – Die Untersuchungen zur Entwicklung des religiösen Urteils
Religiöses Urteil nach Oser/Gmünder ist ein Urteilen, das Wirklichkeit mit etwas verbindet, das hinter dieser Wirklichkeit zu finden ist und das Sinn und Richtung weist.[14] Dabei ist religiöses Urteilen „a construction and capacity that can change and develop with age.”[15] Die verschiedenen Stufen, die die Entwicklung dieses religiösen Urteilens bei Menschen nimmt, wollten Oser und Gmünder mit ihren Untersuchungen erforschen.
Oser und Gmünder legten ihren Probanden in semiklinischen Interviews Dilemmageschichten vor, hauptsächlich das Paul-Dilemma: ein Arzt, dessen Flugzeug abstürzt, verspricht Gott für den Fall seiner Rettung, in Afrika zu arbeiten. Als er tatsächlich gerettet wird, weiß er nicht, was er tun soll. Zu diesem Dilemma wurden den Probanden Fragen gestellt und die Antworten 7 bipolaren Dimensionen zugeordnet wie zum Beispiel Freiheit vs. Abhängigkeit oder Transzendenz vs. Immanenz[16]. Je nach dem Erstellen eines Gleichgewichtes zwischen den Gegensatzpaaren wurde für den Interviewten eine Stufeneinteilung vorgenommen. Um tatsächlich einer bestimmten Stufe zugeordnet zu werden, müssen bei 80 % der Fragen Antworten derselben Stufe gegeben werden, sonst wird die Person in Übergang oder Konsolidierung begriffen gesehen.[17] Für die zur Entwicklung der Theorie grundlegende Studie wurden lediglich 56 Probanden befragt, bis 1989 waren es ungefähr 1000 Befragte[18].
2.3 Untersuchungsergebnisse von Fowler und Oser/Gmünder
2.3.1 Allgemeine Aussagen
Analog zu Piaget gingen Fowler und Oser/Gmünder in ihren theoretischen Vorüberlegungen davon aus, dass sich die menschliche Entwicklung auch im Bezug auf religiöse Denkmuster in Stufen vollzieht, was sie mit ihren Untersuchungsergebnissen belegen. Auf dem Gedanken einer lebenslangen Entwicklung[19] und dem der fortschreitenden moralischen Entwicklung des Menschen[20] konnten Fowler und Oser/Gmünder dabei zusätzlich aufbauen. Wie Piaget setzen sie voraus, dass die Stufen nacheinander erreicht werden, wobei es nicht möglich ist, eine der Stufen auszulassen oder auf eine frühere zurückzukehren. Die Entwicklung von einer Stufe zur nächsten vollzieht sich nur dann, wenn das bisherige Denkmodell nicht mehr ausreicht, um neue Erkenntnisse zu integrieren. Stützen sich die Sprünge bei Piaget noch auf biologisch bedingte Ursachen der Gehirnentwicklung, so tritt eine Weiterentwicklung bei Kohlberg, Fowler und Oser/Gmünder aus einem Lernprozess heraus ein, wenn das alte Modell in Frage gestellt wird[21]. Damit lehnen sie sich an Erikson an, bei dem sich die Stufen der sozialen Entwicklung aus Krisen in der Identitätsentwicklung ergeben. Die Akkomodation, um einen Begriff Piagets zu verwenden, an die neuen Erkenntnisse führt häufig zu einem Aufstieg in die nächste Stufe. Dabei erklärt jede der hier behandelten Theorien, dass dieser Aufstieg nur möglich ist, wenn das Individuum einen Weg findet, die Elemente der vorherigen Stufe sinnvoll transformiert in die neue Denkstruktur einzugliedern.[22]
Das Erreichen der höheren Stufen der religiösen Urteilsbildung oder Sinnkonstruktion ist laut der Untersuchungsergebnisse häufig erst im reifen Erwachsenenalter möglich, im Falle der höchsten vorhergesagten Stufen scheint ein Erreichen sogar so gut wie unmöglich.[23] Problematisch ist die Frage nach einer Bewertung der unterschiedlichen Stufen. Stellt Kohlberg klar, dass in seinem Modell geringere Stufen der moralischen Entscheidung durchaus als weniger „adäquat“ anzusehen sind als höhere, betonen sowohl Fowler als auch Oser/Gmünder, dass der Mensch auf vielen Stufen ein stabiles Gleichgewicht mit sich und der Welt erreichen und somit ein gutes, sinnerfülltes Leben führen kann.[24]
2.3.2 Zu erwartende Stufen bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen
Fowler will darstellen, wie sich bei religiös sozialisierten Personen der Glaube des einzelnen sowie die Schemata entwickeln, in denen er Sinn konstruiert. Oser/Gmünder legen ihr Augenmerk stattdessen darauf, herauszufinden, welche Entwicklung die Beziehung des Menschen zu einem „Ultimaten“ im Laufe seines Lebens nimmt. Ihre „Stufen des religiösen Urteils“ werfen einen Blick darauf, wie Menschen Situationen, in die sie geraten und Entscheidungen, vor denen sie stehen, mit Blick auf dieses Ultimate bewerten und lösen. Damit setzen sich die Studien verschiedene Schwerpunkte. Da diese Arbeit sich jedoch mit dem Nutzen der Theorien für Religionslehrende beschäftigen soll, möchte ich ihre Inhalte nicht getrennt voneinander, sondern aufeinander bezogen vorstellen. Für Lehrende ist es wichtig, ihr Wissen über theoretische Ansätze zu verknüpfen, um die Lernenden als ganzheitliche Wesen wahrnehmen zu können. Nur, wenn die Theorien, mit denen die/der Lehrende in seiner Ausbildung konfrontiert wurde, nicht isolierte Einheiten in seinem Denken darstellen, sondern sich zu einem strukturierten Modell fügen, wird sie/er in der Lage sein, dieses Wissen in konkreten Situationen des Lehralltags zu erinnern und anzuwenden.[25]
a) Vorschulalter
Fowler konstatiert bereits in den ersten zwei Lebensjahren einen grundlegenden Glauben, den undifferenzierten Glauben, der hauptsächlich im Grundvertrauen zu den Eltern, insbesondere der Mutter, besteht. Das Gelingen oder Nichtgelingen des Vertrauens in diesen ersten Lebensmonaten legt den Grundstein für alle weitere Glaubensentwicklung.
In den folgenden Jahren zwischen zwei und sieben herrscht der Intuitiv-projektive Glaube, die Stufe 1 auf Fowlers Skala, vor. Gott ist ein Schöpfergott, der die Dinge gemacht hat, um einem Zweck zu dienen[26]. Dies entspricht dem Denken der Kinder, die auch ohne religiösen Kontext einen Verursacher aller Dinge suchen.[27] Man erkennt leicht die Parallelen zu Piaget. Religiöse Bilder und Geschichten, mit denen es konfrontiert wird, setzt das Kind zu ungeordneten Bilderwelten zusammen, die erst in späteren Stufen reflektiert werden können. Das Kind in dieser Stufe mit düsteren oder Strafbildern zu konfrontieren, kann seine gesamte spätere Weltsicht negativ beeinflussen können.
Die Untersuchungen von Oser/Gmünder beginnen erst mit Kindern im Alter von 8 Jahren, sodass hier keine direkten Vergleiche angestellt werden können. Für diejenigen, die länger auf Fowlers Stufe 1 verbleiben, soll die 1. Stufe des Modells von Oser/Gmünder kurz dargestellt werden. In ihrem religiösen Urteilsvermögen stehen die meisten Kinder im frühen Grundschulalter auf der Stufe des „ Deus ex machina “. In ihrer Vorstellungswelt existiert ein Ultimates, das positiv oder negativ in die Welt eingreifen kann. Über dieses allmächtig gedachte Wesen erklärt sich das Kind Unverständliches. Das Kind ist der Meinung, dass Gott direkte Strafen/Belohnungen für gute/böse Taten schickt.[28] Wie auch im Verhältnis zur ihm überlegenen Außenwelt empfindet es sich dem Ultimaten gegenüber als reaktiv. Diese Stufe kann sich in einigen Fällen bis zum Jugendalter halten, verschwindet aber spätestens mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter (ca. 18 Jahre). Katastrophale Auswirkungen für die weitere religiöse Entwicklung können dann einsetzen, wenn sich Bilder eines unheimlichen, strafenden Gottes beim Kind mit dieser Vorstellung eines unvorhersehbar handelnden Gottes, auf den es keine Einflussmöglichkeit gibt, verbinden. Solche negativen Verstärkungen sind von Erziehenden absolut zu vermeiden.
[...]
[1] Fritz Oser: Die Entstehung Gottes im Kinde. Zum Aufbau der Gottesbeziehung in den ersten Schuljahren. Zürich: NZN Buchverlag, 1992, S. 63.
[2] Für diese Arbeit beschränke ich mich auf den Konstruktivimus, der von Piagets Untersuchungen begründet wurde. Für einen sehr knappen Überblick über andere mögliche Ansätze verweise ich auf den Artikel von Eli Gottlieb: „Development of Religious Thinking“ in: Religous Education, Vol. 101, No.2, Spring 2006.
[3] Vgl.: Jean Piaget: Psychologie der Intelligenz. Klett-Cotta 102000. S. 135-173.
[4] Auf eine genauere Untergliederung der Stadien in die einzelnen Phasen wird verzichtet. Die Grobgliederung genügt im Hinblick auf das zu behandelnde Thema im Hauptteil der Arbeit.
[5] Im Normalfall ist die Entwicklung neuer kognitiver Strukturen mit spätestens 15 abgeschlossen. In Einzelfällen kann es jedoch sein, dass insbesondere das letzte Stadium gar nicht oder erst später erreicht wird.
[6] Und die Theorie Kohlbergs zur 6-stufigen Gliederung des moralischen Urteils, die hier als bekannt vorausgesetzt wird. Für nähere Informationen siehe Lawrence Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung. Herausgegeben von W. Althof. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006.
[7] Die genannten Seitenzahlen in den Fußnoten 8- 13 beziehen sich auf: James W. Fowler: Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn. Gütersloh: Gerd Mohn, 1991.
[8] S. 54.
[9] Vgl. S. 52.
[10] Vgl. S. 331f.
[11] Vgl. die Tabellen zur Untersuchung, S. 337-340.
[12] Zum Beispiel die Interviews mit „Herrn D.“, S. 182-185, sowie „Anthony R.“, S. 185-187.
[13] Vgl. S. 324 -327.
[14] Fritz Oser: The Development of Religious Judgement. In: Ders. (Hg.): Religious Development in Childhood and Adolescence. San Francisco: Jossey-Bass, 1991, S. 6.
[15] Ebd., S. 7. Für eine ausführliche Definition des religiösen Urteils im Kontext dieser Studie siehe Oser, Fritz und Paul Gmünder: Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. Ein strukturgenetischer Ansatz. Güthersloh: Gerd Mohn, 1988, S.26-31.
[16] Für eine ausführliche Darstellung der Untersuchungsmethode siehe ebd. S. 112 -130.
[17] Vgl. Peter Burgard: Zum Problem des Messens religiöser Urteilsstrukturen. In: Anton A.Bucher und K. Helmut Reich (Hgg.):Entwicklung von Religiosität. Grundlagen – Theorieprobleme – Praktische Anwendung. Freiburg, Schweiz: Univ.-Verlag, 1989, S. 108.
[18] Vgl. Stufen Religiöser Entwicklung. Ein Gespräch mit Fritz Oser. In: Bucher/Reich (Hgg.): Entwicklung von Religiosität, S. 253.
[19] In dieser Einnahme einer Perspektive, die das gesamte Leben des Menschen als Entwicklung auffasst, folgen die beiden Untersuchungen Erikson. (Zu weiteren Informationen siehe Erik H. Erikson: Identität und Lebenszyklus: drei Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995.) Dessen Thesen zur sozialen Entwicklung des Menschen und zu den Krisen, die der Mensch in unterschiedlichen Lebensaltern zu bestehen hat, wurden im Jahre 1959 veröffentlicht, lagen also Fowler und Oser/Gmünder bereits vor und werden besonders von Fowler aufgenommen, während Oser/Gmünder Kohlberg näher stehen. Vgl.: Friedrich Schweitzer: Lebensgeschichte und Religion. Religiöse Entwicklung im Kindes- und Jugendalter. Gütersloh: Chr. Kaiser, 51987, S. 138.
[20] Lawrence Kohlberg hatte bereits in seiner Dissertationsarbeit von 1958 seine grundlegende Theorie der Moralentwicklung des Menschen aufgestellt, die er in den folgenden 22 Jahren anhand einer Längsschnittstudie differenzierte und verfeinerte, ebenfalls aufbauend auf einem Aufsatz Piagets. (Jean Piaget: Das moralische Urteil beim Kinde. In: Gerhard Büttner (Hg.) u.a.: Die religiöse Entwicklung. Ein Grundkurs. Stuttgart: Calwer, 2000, S. 28-49.)
[21] Vgl. z.B. Oser: The Development of Religious Judgement, S. 11; 13.
[22] Vgl. Oser: The Development of Religious Judgement, S. 10.
[23] Die 6. Stufe der Theorie von Oser/Gmünder ist bisher nur als Postulat vorhanden, sodass sie in dieser Arbeit nicht betrachtet werden wird. Vgl.: Friedrich Schweitzer: Lebensgeschichte und Religion, S. 125;131.
[24] Vgl. Fowler, Stufen des Glaubens, S. 181. Vgl. auch S. 13f der vorliegenden Arbeit.
[25] Für eine differenzierte Darstellung der Stufenentwicklung vgl. Fowler, Stufen des Glaubens, S. 136-231 und Oser/Gmünder: Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. S. 79-96. Gerade in den Ergebnissen von Oser/Gmünder ist trotz starker Tendenzen keine eindeutige Zuordnung von Alter und Stufe möglich. Daher werde ich für jede Altersgruppe alle Urteilsstufen, deren Vorkommen wahrscheinlich ist, betrachten.
[26] z.B. die Bäume, um Sauerstoff abzugeben, siehe das Interview mit „Freddy“. Fowler, Stufen des Glaubens, S. 141.
[27] Auf diesen wichtigen Zusammenhang gehe ich in dieser Arbeit nicht näher ein, da er für das Kleinkind- und Vorschulalter entscheidend ist, wenn auch als Überbleibsel im Grundschulalter häufig erhalten bleibt. Ich verweise stattdessen auf die Ausführungen Bernhard Groms in: Ders.: Religionspädagogische Psychologie des Kleinkind- Schul- und Jugendalters. Düsseldorf: Patmos 1989, S. 175-185.
[28] Auch hier verweise ich für weitere Ausführungen auf das oben genannte Werk Groms, S. 185–205.