Gender Studies und germanistische Mediävistik: Geschlechterkonstruktionen in Hartmanns von Aue ‚Iwein’
Zusammenfassung
Wie lässt sich diese sehr junge wissenschaftliche Fachrichtung nun auf die germanistische Mediävistik übertragen? Judith Butler (1991) und Thomas Laqueur (1992) gaben dazu den entscheidenden Anstoß. Butler betonte die Performativität der sozialen Geschlechtsidentität im Zusammenhang mit den biologischen Gegebenheiten des menschlichen Körpers. Geschlechterdifferenzen werden demnach aufgrund sprachlicher Gegebenheiten hervorgebracht. Eine biologische Vorgabe der Unterscheidung der Geschlechter ist nach Butler nicht existent. Sprachliche Unterscheidungen werden von der Gesellschaft auf die biologischen Gegebenheiten übertragen und als unveränderlich dargestellt. Da diese Unveränderbarkeit aber über die Sprache künstlich erzeugt wird, ist die binäre Unterscheidung der Geschlechter sehr wohl veränderbar. Laqueur legt mit der medizinhistorischen Sichtweise dar, dass im Mittelalter die Vorstellung eines Ein-Geschlecht-Modells (one-sex-model) vorherrschte, wonach die Frau als minderwertige Ausführung des Mannes angesehen wurde. Während Butler die sex/gender-Unterscheidung grundsätzlich kritisiert, analysiert Laqueur die Vorstellung über die Kategorie ‚sex’ in der Historie.
In dieser Hausarbeit soll es überwiegend um die Forschungspositionen der mediävistischen Gender Studies gehen. Demnach gehe ich zunächst auf die soziologische Perspektive der Gender Studies ein. Die Begriffe ‚sex’ und ‚gender’ werden geklärt und die soziokulturelle Konstruktion von Geschlechtern erläutert.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gender Studies und germanistische Mediävistik
2.1. Soziologische Perspektive
2.2. Butler und Laqueur – Verbindungen der Gender Studies mit der germanistischen Mediävistik
2.3. Forschungspositionen der mediävistischen Geschlechterforschung
3. Laudine und die Rolle der Frau im Mittelalter
3.1. Frauen im Mittelalter
3.2. Laudine als Beispiel für die Rolle der Frau im Mittelalter
4. Geschlechterkonstruktionen in Hartmanns ‚Iwein’
4.1. Körperliche Schwäche als Weiblichkeit?
4.2. Körperliche Stärke als Männlichkeit?
4.3. Rolle der Frauengestalten für die Entwicklung der Figur Iwein
5. Resümee und Ausblick
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Gender Studies (oder auch Geschlechterforschung) gingen aus dem Feminismus der USA in den 1970er-Jahren hervor. Ein Jahrzehnt später etablierte sich diese Disziplin auch im deutschsprachigen Raum. Grundlegender Gedanke war es, die binären Geschlechterverhältnisse zu ergründen, herauszufinden, warum eine hierarchische Anordnung zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften besteht sowie zu klären, inwiefern das biologische Geschlecht als persönliche Eigenschaft angesehen werden kann und darf. Ein Bezug zu Disziplinen außerhalb der Sozialwissenschaften ist insofern geeignet, da sich die Geschlechterverhältnisse auf alle Lebensbereiche ausbreiten. Es erscheint daher als durchaus sinnvoll, auf Basis der Gender Studies interdisziplinär zu forschen.
Wie lässt sich diese sehr junge wissenschaftliche Fachrichtung nun auf die germanistische Mediävistik übertragen? Judith Butler (1991) und Thomas Laqueur (1992) gaben dazu den entscheidenden Anstoß. Butler betonte die Performativität der sozialen Geschlechtsidentität im Zusammenhang mit den biologischen Gegebenheiten des menschlichen Körpers. Geschlechterdifferenzen werden demnach aufgrund sprachlicher Gegebenheiten hervorgebracht. Eine biologische Vorgabe der Unterscheidung der Geschlechter ist nach Butler nicht existent. Sprachliche Unterscheidungen werden von der Gesellschaft auf die biologischen Gegebenheiten übertragen und als unveränderlich dargestellt. Da diese Unveränderbarkeit aber über die Sprache künstlich erzeugt wird, ist die binäre Unterscheidung der Geschlechter sehr wohl veränderbar. Laqueur legt mit der medizinhistorischen Sichtweise dar, dass im Mittelalter die Vorstellung eines Ein-Geschlecht-Modells (one-sex-model) vorherrschte, wonach die Frau als minderwertige Ausführung des Mannes angesehen wurde. Während Butler die sex/gender-Unterscheidung grundsätzlich kritisiert, analysiert Laqueur die Vorstellung über die Kategorie ‚sex’ in der Historie.
In dieser Hausarbeit soll es überwiegend um die Forschungspositionen der mediävistischen Gender Studies gehen. Demnach gehe ich zunächst auf die soziologische Perspektive der Gender Studies ein. Die Begriffe ‚sex’ und ‚gender’ werden geklärt und die soziokulturelle Konstruktion von Geschlechtern erläutert. Dabei stütze ich mich überwiegend auf die Arbeit der Soziologin Hanna Meissner[1], die zusammenfassend darstellt, welche Probleme und Chancen die Gender Studies mit sich bringen. Anschließend werde ich die mediävistische Sichtweise auf die Geschlechterforschung mithilfe verschiedener Arbeiten von Ingrid Bennewitz[2], Birgit Kochskämper[3] [4], Kerstin Schmitt[5], Silke Winst[6] und Claudia Brinker-von der Heyde[7] rekapitulieren. Inwiefern sind die Kategorien ‚sex’ und ‚gender’ schon in höfischen Erzähltexten zu erkennen? Wie werden Geschlechter in mittelalterlichen Texten konstruiert?
Im darauf folgenden Kapitel werde ich dann einen allgemeinen, groben Überblick über die Rolle der Frau im Mittelalter mit Bezug auf Edith Ennen[8] geben. Es soll noch einmal kurz zusammengefasst werden, welche stereotypen Charaktereigenschaften die mittelalterliche Frau besaß. Dabei beschränke ich mich auf das Leben adliger Frauen, um einen Bogen zu Hartmanns Frauengestalten im ‚Iwein’ schlagen zu können. Des Weiteren werden die Lebensbedingungen adliger Witwen und die mittelalterlichen Motivationen zur Eheschließung miteinbezogen, um speziell auf die Situation der Figur Laudine einzugehen. Aus welchen Gründen hat sie den Mörder ihres ersten Ehemannes schon bald nach dessen Beisetzung geehelicht? Zur Klärung dieser Frage, stütze ich mich auf die Arbeit Volker Mertens[9], der in Laudine das Paradebeispiel für die Rolle adliger Witwen im Mittelalter erkennt.
Im vierten Kapitel wird die theoretische Grundlage der vorgestellten Forschungspositionen direkt auf den Iwein-Text Hartmanns von Aue angewendet. Dabei wird der zentralen Frage nachgegangen: Wie konstruiert Hartmann in seinem Erzähltext die Geschlechter und welches Verhältnis wird zwischen den Geschlechtern dargestellt? Anhand von speziellen Textstellen werden die Frauenfiguren charakterisiert und auch typisch männliche Eigenschaften dargestellt. Es wird aufgezeigt, wo sich die Kategorien ‚sex’ und ‚gender’ im Iwein wieder finden lassen und wie sich die Geschlechterverhältnisse der mittelalterlichen Realität im Artusroman Hartmanns widerspiegeln. Ein weiterer Aspekt wird die Rolle der Frauengestalten Laudine, Lunete und weiterer weiblicher Figuren für die Entwicklung des Protagonisten Iwein einnehmen.
2. Gender Studies und germanistische Mediävistik
In diesem Kapitel wird nun der forschungsperspektivische Rahmen zur Geschlechter-forschung in Verbindung mit der germanistischen Mediävistik gesteckt. Es wird erläutert, was die aus den Sozialwissenschaften stammende Disziplin der Gender Studies besagt. Zunächst werden allgemeine Schwerpunkte und Ziele der Gender Studies aufgezeigt, um anschließend einige Forschungspositionen der mediävistischen Gender Studies vorzustellen.
2.1. Soziologische Perspektive
Aus soziologischer Perspektive sind die Gender Studies eine äußerst diskussionswürdige wissenschaftliche Disziplin. Grundlegend ist der Gedanke, dass die Geschlechterdifferenz nicht von vornherein ausschließlich biologisch festgelegt ist, weil die „Kategorie Geschlecht also soziales Phänomen zu fassen“[10] ist. Geschlechter sind demnach soziale Konstrukte, die nicht durch unveränderbare Standhaftigkeit ausgezeichnet sind. Das Geschlecht erscheint als identitätsbildende Kategorie. In verschiedenen kulturellen Auffassungen können Geschlechter unterschiedliche Ausprägungen besitzen. Beispielsweise gilt in der modernen westlichen Welt das Geschlecht als persönliche Eigenschaft: Je nach Geschlecht sind einer Person somit spezifische Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zuzuschreiben. Die bisher geltende gesellschaftliche Selbstverständlichkeit des hierarchischen Verhältnisses zwischen Männern und Frauen sind aus Sicht der Gender Studies äußerst fragwürdig. Meissner stellt darauf aufbauend sogar die These auf, „dass die binäre Geschlechterdifferenz selbst eine Konstruktion ist“[11]. Demnach wäre es auch denkbar, dass mehr als nur zwei Geschlechter existieren.
Weiterhin erscheint die jeweilige Einheitlichkeit, die die binäre Einteilung der Geschlechter den Kategorien ‚Frau’ und ‚Mann’ unterstellt, für die Gender Studies als sehr vereinfachend. Eher kann man davon ausgehen, dass z.B. auch „Differenzen und Machtverhältnisse unter Frauen“[12] vorherrschen und dass somit bei weitem kein einheitliches Frauenbild entsteht. Identitäten sind also keine festen und abgeschlossenen Einheiten und lassen sich nur im individuell spezifischen Zusammenhang definieren.[13]
Um den Unterschied vom biologischen und zugeschriebenen Geschlecht besser greifen zu können, haben sich in den Gender Studies die Kategorien ‚sex’ und ‚gender’ etabliert. ‚Sex’ beschreibt das biologische Geschlecht und die natürlich gegebenen Äußerlichkeiten, die eine Person einem Geschlecht zuordnen. ‚Gender’ bezeichnet das soziokulturell zugeschriebene Geschlecht, dass einem Mann oder einer Frau bestimmte Charaktereigenschaften zuschreibt. Die Gender Studies halten damit die „gesellschaftlichen Rollen der Geschlechter und das Verhältnis der Geschlechter zueinander […] als gesellschaftlich-kulturell bedingt und damit grundsätzlich veränderbar“[14]. Auf diese Weise werden die künstlich erschaffenen Geschlechter-differenzen nicht nur auf eine individuelle, sondern auch auf die gesamtgesellschaftliche Ebene übertragen. Das Problem der Forschung ist es nun, von diesem binären Modell loszukommen und die Geschlechter auf ‚übernatürlicher’ Basis, d.h. ohne die Geschlechterdifferenz als biologisch gegeben anzusehen, zu überprüfen. Theoretische Konzeptionen versuchen das binäre Verständnis zu kritisieren und als künstlich erschaffen darzustellen, bedienen sich aber der gleichen Kategorien. Dieses Problem fasst Meissner zusammen, indem die Autorin dazu auffordert, „die Einteilung von Menschen in zwei Geschlechter selbst als soziale[n] Prozess“[15] aufzufassen und somit von einer grundsätzlichen Konstruktion der Geschlechter auszugehen.
2.2. Butler und Laqueur – Verbindungen der Gender Studies mit der germanistischen Mediävistik
Judith Butler und Thomas Laqueur haben mit ihren Arbeiten den Weg, die Gender Studies mit der germanistischen Mediävistik in Verbindung zu bringen, entscheidend geprägt.
Judith Butler setzt sich in ihrer Arbeit[16] kritisch mit der Identitätskategorie ‚Geschlecht’ auseinander. Sie geht von einer Performativität der Geschlechter aus. D.h. dass eine biologische Vorgabe von Männlichkeit und Weiblichkeit nur aufgrund der kulturellen Herstellung existiert, „deren Konstruktion [wird] allerdings verschleiert […] und [erscheint] deshalb als ‚natürlich’“[17]. Die Unterscheidung zwischen ‚sex’ und ‚gender’ ist eine
sprachlich hergestellte Dichotomie der Geschlechter (gender), [die sich] derart in die Köpfe eingeschrieben [hat], dass von einem vorsprachlichen, ‚natürlichen’ Geschlecht (sex) nicht mehr die Rede sein kann[18].
[...]
[1] Hanna Meissner: Die soziale Konstruktion von Geschlecht. Erkenntnisperspektiven und gesellschafts-theoretische Fragen. Juni 2008 (http://web.fu-berlin.de/gpo/pdf/meissner/hanna_meissner.pdf, 25.03.2009).
[2] Ingrid Bennewitz: Zur Konstruktion von Körper und Geschlecht in der Literatur des Mittelalters. In: Ingrid Bennewitz / Ingrid Kasten (Hrsg.): Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Laqueur. Münster 2002, S. 1-10.
[3] Birgit Kochskämper: Die germanistische Mediävistik und das Geschlechterverhältnis. In: Volker Honemann (Hrsg.) et al.: Germanistische Mediävistik. Münster 1999a, S. 309-353; Dies.: Man, gomman inti wîb. Schärfen und Unschärfen der Geschlechterdifferenz in althochdeutscher Literatur. In: Ingrid Bennewitz / Helmut Tervooden, (Hrsgg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ‚Körper’ und ‚Geschlecht’ in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin 1999b, S. 15-33.
[4] Dies.: Man, gomman inti wîb. Schärfen und Unschärfen der Geschlechterdifferenz in althochdeutscher Literatur. In: Ingrid Bennewitz / Helmut Tervooden, (Hrsgg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ‚Körper’ und ‚Geschlecht’ in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin 1999b, S. 15-33.
[5] Kerstin Schmitt: Poetik der Montage. Figurenkonzeption und Intertextualität in der ‚Kudrun’. Berlin 2002.
[6] Silke Winst: Gender Studies in der literaturwissenschaftlichen Mediävistik. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive (http://www.querelles-net.de/index.php/qn/article/viewArticle/147/155, 27.03.2009).
[7] Claudia Brinker-von der Heyde: Weiber-Herrschaft oder Wer reitet wen? Zur Konstruktion und Symbolik der Geschlechterbeziehung. In: Bennewitz, Ingrid/ Tervooden, Helmut (Hrsgg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ‚Körper’ und ‚Geschlecht’ in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin 1999, S. 47-66.
[8] Edith Ennen: Frauen im Mittelalter. München 1985
[9] Volker Mertens: Laudine. Soziale Problematik im Iwein Hartmanns von Aue. Berlin 1978.
[10] Meissner (wie Anm. 1), S. 2.
[11] Ebd.
[12] Ebd., S. 3.
[13] Vgl. ebd.
[14] Ebd.
[15] Ebd., S. 4.
[16] Näheres dazu in: Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991 (orig.: Gender trouble. New York 1990).
[17] Winst (wie Anm. 6), o. S.
[18] Kochskämper (wie Anm. 4), S. 17.