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"Fuerza de la sangre" von Miguel de Cervantes Saavedra unter dem Aspekt der Ehrthematik

©2003 Seminararbeit 14 Seiten

Zusammenfassung

Angesichts der Popularität des spanischen Schriftstellers Miguel Saavedra de Cervantes, dessen Werke bis heute international gelesen werden, zählen seine Erzählungen und Abenteuer mittlerweile zum kulturellen Allgemeinwissen. Als bekanntestes unter ihnen gilt wohl der Ritterroman des Don Quijote de la Mancha. Doch nicht nur seine Romane aus der kulturell schöpferischen Epoche des Siglo de Oros (Goldenes Zeitalter) waren von großem Triumph gekrönt, sondern auch seine Kurzerzählungen. Ebenso erfuhr nämlich die Gattung der exemplarischen Novellen (Novelas ejemplares) unter ihm einen neuen Höhepunkt und beeinflusste viele spätere Autoren bei ihrem Schreiben. Eine dieser zwölf Novellen stellt das hier in den Mittelpunkt gerückte Stück La fuerza la sangre dar. Sicherlich finden sich in jenem neunzehnseitigen Stück mehrere interessante Thematiken, doch scheint mir das Eintauchen in die zeitgenössischen Ansichten der damaligen Gesellschaft dabei von besonders hohem Erkenntniswert zu sein. Jeder Verfasser ist
und bleibt ein Kind seiner Zeit. Dieser Hintergrund muss stets bei der Anschauung der sozialen Werte berücksichtigt werden. Ich habe mich für die Analyse der Ehrkonzeption entschieden, da sie im Siglo de Oro von hohem Stellenwert war. Sie konnte im alltäglichen Leben mit der Ehe zweier Menschen eng verbunden sein, da sowohl der Verlust als auch die Wiederherstellung des Ehrkodex aus einer nicht zulässigen Ehe resultieren, beziehungsweise durch sie wiederhergestellt werden konnte.
Wie also präsentierte Cervantes in seinem Stück die Bedingungen für den Eingang in den Bund der Ehe und welche Ansichten vertrat er persönlich auf diesem Gebiet? Lassen sich hierbei Schlussfolgerungen vom Leben des Autors selbst auf die Aussage der
Novelle ziehen? Ob Cervantes die honra nun den zeitgenössischen Vorstellungen affirmativ entsprechend verarbeitete, oder die damalige Auffassung vielmehr anhand seiner Novelle zu
kritisieren suchte, soll dabei erläutert werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Siglo de Oro
2.1. Der Ehrbegriff im Siglo de Oro

3. „La fuerza de la sangre“ eine exemplarische Novelle

4. Die Ehrthematik innerhalb der Novelle
4.1. Der Verlust der honra (Erste Episode)
4.2. Die Reaktion auf die entehrte Figur
4.3. Die Brückenepisode (Zweite Episode)
4.4. Die Rekonstruktion der honra (Dritte Episode)

5. Deutungsansätze in Verbindung zur Cervantes’ Biographie

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Angesichts der Popularität des spanischen Schriftstellers Miguel Saavedra de Cervantes,

dessen Werke bis heute international gelesen werden, zählen seine Erzählungen und Aben-

teuer mittlerweile zum kulturellen Allgemeinwissen. Als bekanntestes unter ihnen gilt wohl

der Ritterroman des Don Quijote de la Mancha. Doch nicht nur seine Romane aus der kul-

turell schöpferischen Epoche des Siglo de Oros (Goldenes Zeitalter) waren von großem

Triumph gekrönt, sondern auch seine Kurzerzählungen. Ebenso erfuhr nämlich die Gattung

der exemplarischen Novellen (Novelas ejemplares) unter ihm einen neuen Höhepunkt und

beeinflusste viele spätere Autoren bei ihrem Schreiben.

Eine dieser zwölf Novellen stellt das hier in den Mittelpunkt gerückte Stück La fuerza la

sangre dar. Sicherlich finden sich in jenem neunzehnseitigen Stück mehrere interessante

Thematiken, doch scheint mir das Eintauchen in die zeitgenössischen Ansichten der da-

maligen Gesellschaft dabei von besonders hohem Erkenntniswert zu sein. Jeder Verfasser ist

und bleibt ein Kind seiner Zeit. Dieser Hintergrund muss stets bei der Anschauung der so-

zialen Werte berücksichtigt werden. Ich habe mich für die Analyse der Ehrkonzeption ent-

schieden, da sie im Siglo de Oro von hohem Stellenwert war. Sie konnte im alltäglichen

Leben mit der Ehe zweier Menschen eng verbunden sein, da sowohl der Verlust als auch die

Wiederherstellung des Ehrkodex aus einer nicht zulässigen Ehe resultieren, beziehungsweise

durch sie wiederhergestellt werden konnte.

Wie also präsentierte Cervantes in seinem Stück die Bedingungen für den Eingang in den

Bund der Ehe und welche Ansichten vertrat er persönlich auf diesem Gebiet?

Lassen sich hierbei Schlussfolgerungen vom Leben des Autors selbst auf die Aussage der

Novelle ziehen? Ob Cervantes die honra nun den zeitgenössischen Vorstellungen affirmativ

entsprechend verarbeitete, oder die damalige Auffassung vielmehr anhand seiner Novelle zu

kritisieren suchte, soll dabei erläutert werden.

2. Das Siglo de Oro

Als das Siglo de Oro bezeichnet man die kulturelle Blütezeit Spaniens, die das 16. und 17.

Jahrhundert und damit die Regierungszeit Philipps II. bis Karl II. umfasste. Diese für die

Iberische Halbinsel bedeutende Epoche ist von einer zahlreichen kreativen Schöpfungen

besonders auf dem Gebiet der Literatur, sowie der Architektur[1] aber auch der Malerei[2]

gekennzeichnet. Die Grundlagen dieser Epoche bildeten zwei kulturelle Strömungen: Die

der Renaissance und die des Barocks.[3]

Was die Literatur angeht, so florierte das Siglo de Oro in einer besonderen Vielzahl an liter-

arischen Werken. Neben dem spanischen Theater erschien nun Ende des 16. Jahrhunderts

auch eine neue Gattung, die der comedia española (spanische Komödie).[4] Weiter erschienen

zahlreiche Dramen, Gedichte, Epen, Romanzen und die neue Gattung des Romans, die sich

wiederum in verschiedene Thematiken unterteilte lässt: Die novelas de caballerías (Ritter-

romane), die novelas bizantinas (Abenteuerromane), auch hier findet sich ein bedeutendes

Werk von Cervantes: Los trabajos de Persiles y Segismunda[5] und zu guter letzt die novelas

pastoriles (Schäferromane).

Doch ebenso wie von einer enormen Fülle an kulturellem Schaffen, so war das Siglo de Oro

auch vielfach von Schattenseiten gekennzeichnet. Man verweise allein auf die skrupellose

Kolonialpolitik,[6] der unzählige Eingeborene Amerikas zum Opfer fielen, oder auf den Begriff

der Inquisition,[7] die viele Menschen aufgrund ihrer „unpassenden“ Religionszugehörigkeit

beziehungsweise ihrer genealogischen Abstammung auf dem Scheiterhaufen hinrichten ließ.

Die leitende Ideologie dieses grausamen Geschehens dabei bildete die limpieza de sangre.[8]

2.1. Der Ehrbegriff im Siglo de Oro

Durch die limpieza de sangre, auch puerza de sangre genannt, wurden die verbleibenden

rassischen Minderheiten[9] nach dem Abschluss der Reconquista erneut und beabsichtigt zur

Diskussion gestellt. Die „Blutsreinheit“ gewann eine determinierende Bedeutung und verlieh

einer Person vornehmlichen gesellschaftlichen Rang durch eine Zuschreibung von honra

(Ehre). Sie galt als Bedingung für den Eintritt in bestimmte Institutionen oder für die Über-

nahme höherer Ämter, wie zum Beispiel Kirchenämter.[10] Nur wenige hochadelige Familien

konnten eine nicht-jüdische Abstammung nachweisen und den Armen der Iberischen Halb-

insel kam durch diese Konzeption praktisch gesehen ein gewisses Maß an Ehre automatisch

zu, da sie, beispielsweise die Bauern, als Altchristen (cristianos viejos) galten. Über ihre

genealogische Herkunft waren keine Nachweise vorhanden, beziehungsweise leicht zu fäl-

schen.[11] Bis dato galt nur als ehrwürdig, wer sich weder körperlich verausgabte noch im

Handel tätig war. Grundsätzlich waren jedoch nur Männer adliger Abstammung von der Ehr-

konzeption betroffen.

Die gesellschaftliche Stellung war von nun an einer zweigeteilten Auffassung unterworfen:

Zum einen der honra und zum anderen der des famas (Ruf).[12] Was den Ruf betraf, so be-

miss er sich anhand der Öffentlichkeit, nach den Tugenden und Qualitäten die ein Mann zu

bieten hatte. Dem eingeschlossen kam er auch bei sittlich verdorbenem Verhalten seiner

Ehefrau – beispielsweise Untreue – auf seine Kosten, denn sie war durchaus in der Lage allein

durch ihr unehrenhaftes Verhalten ihren Gatten des guten Rufes zu berauben.

Ehre galt dem gegenüber als ein persönliches vereinbartes Attribut, das unabhängig von der

Meinung der Öffentlichkeit zu behandeln war und sich vielmehr auf den Stolz und die Ach-

tung vor der eigenen Person konzentrierte. War sie einmal mit einem Schandfleck versehrt

worden, so stellte meist der Tod den einzigen Ausweg dar.

[...]


[1] Bedeutende Bauwerke: 1) Das spanische Königsschloss und Augustinerkloster im Renaissancestil namens

Escorial, ca. 60 km von Madrid. Der Bau wurde 1563 im Auftrag Philipp II. begonnen und die Kosten betru-

gen etwa 5,26 Dukaten. 2) Das Buen Retiro (gute Zuflucht) war ein Lustschloss der spanischen Könige im

Park El Retiro in Madrid. Im Jahre 1734 abgebrannt, heute sind nur noch Teile in dem öffentlichen Park er-

halten.

[2] Herausragende Künstler darunter waren: Diego Rodríguez de Silva y Velázquez, El Greco und Bartolomé

Esteban Murillo.

[3] Laut den Darstellungen Simsons, sprach die Forschung Spanien lange Zeit eine eigene Renaissance ab. Weiter

wird erwähnt, dass es „sinnvoll“ sei, wie Peter Burke sagt, von mehreren Renaissancen Spaniens zu sprechen.

Wo der Mensch also allmählich als Individuum in den Vordergrund trat und man das humanistische Ideal auf-

leben ließ, fand in der anschließenden ein „Rückschritt“ statt, indem ein eher pessimistisches Lebensgefühl

dominierte. Vgl. Simson, S.10 – 13.

[4] Für weitere Vertiefung: Arellano, Ignacio: Historia del teatro español del siglo XVII. Madrid 1995.

[5] 1617, kurz vor seinem Tod, erschien das fertige Manuskript des Persiles. Obwohl man den Roman des abend-

teuerlustigen aber dennoch fantasierenden Ritters als das Lebenswerk Cervantes’ bezeichnete, so lag ihm per-

sönlich doch mehr am Persiles. (Vgl. Simson, S. 125).

[6] Die expansive Kolonialpolitik Spaniens nach Übersee begann 1492 mit der Entdeckung Amerikas durch

Kolumbus. So fanden unter anderem die Invasionen in die Gebiete Mexiko unter Hernán Cortés (1519 –

1521),in das Inkareich in Peru unter Francisco Pizarro (1523 – 1533) und die Eroberung Ecuadors durch

Benalcazar (1534 – 1536) statt.

[7] Eingesetzt wurde sie im Jahre 1478 von den Katholischen Königen Ferdinand von Aragon und Isabella von

Kastilien. Sie bedeutete das Ende eines friedlichen Zusammenlebens von Mauren, Juden und Christen.

Literatur zur Vertiefung: Lemm Robert: Die spanische Inquisition. Geschichte und Legende, München 1996.

[8] Die zu gut Deutsch: Reinheit des Blutes verfolgte die Idee Spanien weitgehend von Mauren und Juden zu be-

freien. Altchrist zu sein war implizierte einen adeligen und privilegierten Status. Um in allen Hinsichten

uneingeschränkt in ihrem Privatleben zu sein, unterzogen sich viele Juden einer Zwangskonvertierung oder

fälschten die Dokumente ihrer Abstammung. Literatur zu diesem Thema bietet: Fernández del Pozo, José

María : Expedientes de limpieza de sangre de los capitulares de la Catedral de León, (1552 – 1851), Bd. 14,

Leòn 2000.

[9] Gemeint sind vor allem die Menschen jüdischer und maurischer Abstammung.

[10] Vgl. Heine, S. 122f.

[11] Vgl. Simson, S. 19.

[12] Ebd. Eine ähnliche Konzeption findet sich unter anderem auch bei Augustín Amezúa y Mayo:“Honor as an

„atributo inmanente, solitario e intrínseco al hombre”, while honra “será este mismo honor cuando se reconoz-

cay proclame públicamente por los demás.», zitiert nach Howe, S. 65.

Details

Seiten
14
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783640627943
ISBN (Buch)
9783640628346
DOI
10.3239/9783640627943
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg – Romanisches Seminar
Erscheinungsdatum
2010 (Mai)
Note
2,3
Schlagworte
Miguel de Cervantes exemplarische Novelle Ehrthematik Verlust der Ehre Rekonstruktion der Ehre honor honor im Siglo de Oro novelas ejemplares novela espanola amor matrimonio y honra en las novelas de Cervantes fuerza de la sangre
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