Das Sozialisationskonzept von K. Hurrelmann
Zur Bedeutung der Sozialisation für die Gesundheit
Zusammenfassung
Die Gesundheitssoziologie ist eng verbunden mit dem Belastungs-Bewältigungsmodell welches die Bedingungen und Folgen gelungener oder nicht gelungener „Bewältigungen von Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf“ fokussiert (Hurrelmann, 2002, S. 269). Nach diesem Modell befindet sich der Mensch in einer ständigen Phase der Anpassung zwischen innerer (z.B. Temperament, Lernbereit-schaft) und äußerer Lebenswelt. Somit ist Persönlichkeitsentwicklung die „ständige Abstimmung zwischen den eigenen körperlichen und psychischen Bedürfnissen und Möglichkeiten und den Vorgaben und Angeboten der sozialen und materiellen Umwelt (Hurrelmann, 2000, S. 61). Sozialisation wird verstanden als Prozess permanenter Bewältigung, welche wiederum als Voraussetzung für eine produktive Verarbeitung von Belastungen und Anforderungen angesehen wird. In dieser Arbeit soll gezeigt werden welche Faktoren als Urheber eines Gesundheitszustandes von Bedeutung sind und wodurch diese beeinflusst werden. Anhand des Fallbeispiels der Lebensphase Pubertät werden mögliche Krankheitssymptome und in der Zusammenfassung mögliche Präventionsstrategien aufgezeigt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Belastungs-Bewältigungs-Modell
2. Krankheitsentwicklungen nach Altersgruppen
2.1 Krankheiten im Kindesalter
2.1.1 Erkrankungen mit psychischen oder psychosomatischen Komponenten
2.1.2 Hintergründe und Ursachen kindlicher Gesundheitsprobleme
2.2 Gesundheitsstörungen im Erwachsenenalter
2.2.1 Geschlechtsspezifisches Gesundheitsverhalten
2.2.2 Gesundheitsstörungen und Krankheiten im Alter
2.2.3 Auswirkungen von Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit
2.2.4 Gesundheitsrisiken durch Arbeitslosigkeit
2.2.5 Gesundheitsrisiken durch Armut
2.2.6 Migration und Gesundheit
2.2.7 Der Einfluss der Lebensform auf die Gesundheit
3. Lebensübergänge als Stressfaktoren und Gesundheitsrisiko
3.1 Exemplarbeispiel Pubertät
Zusammenfassung
Literatur
Einleitung
Hurrelmann bezeichnet Sozialisation als „den Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit in produktiver Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, insbesondere den körperlichen und psychischen Grundmerkmalen (der „inneren Realität“) und mit der sozialen und physikalischen Umwelt“ (Hurrelmann, 2002, S. 7).
Die Gesundheitssoziologie ist eng verbunden mit dem Belastungs-Bewältigungsmodell welches die Bedingungen und Folgen gelungener oder nicht gelungener „Bewältigungen von Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf“ fokussiert (Hurrelmann, 2002, S. 269). Nach diesem Modell befindet sich der Mensch in einer ständigen Phase der Anpassung zwischen innerer (z.B. Temperament, Lernbereitschaft) und äußerer Lebenswelt. Somit ist Persönlichkeitsentwicklung die „ständige Abstimmung zwischen den eigenen körperlichen und psychischen Bedürfnissen und Möglichkeiten und den Vorgaben und Angeboten der sozialen und materiellen Umwelt (Hurrelmann, 2000, S. 61). Sozialisation wird verstanden als Prozess permanenter Bewältigung, welche wiederum als Voraussetzung für eine produktive Verarbeitung von Belastungen und Anforderungen angesehen wird. In dieser Arbeit soll gezeigt werden welche Faktoren als Urheber eines Gesundheitszustandes von Bedeutung sind und wodurch diese beeinflusst werden. Anhand des Fallbeispiels der Lebensphase Pubertät werden mögliche Krankheitssymptome und in der Zusammenfassung mögliche Präventionsstrategien aufgezeigt.
1. Das Belastungs-Bewältigungs-Modell
Das Modell begreift Störungen der Persönlichkeit im sozialen, psychischen oder physischen Bereich als Auswirkungen nicht gelungener Bewältigungen. Im Modell wird der Versuch der Bewältigung einer Lebenssituation von 3 Faktoren beeinflusst:
1. Gesellschaftliche Bedingungen in der Arbeit, Bildung und dem sozialen Netzwerk.
2. Belastungen im Lebensalltag (Entwicklungsaufgaben, Lebensübergänge, Rollenkonflikte und kritische Lebensereignisse).
3. Individuelle Bedingungen genetischer Disposition (Temperament und Persönlichkeitsstruktur).
Als entscheidende Faktoren für gelingende Bewältigung werden der Variationsreichtum bei der Auswahl von Bewältigungsstrategien, die Widerstandskraft eines Menschen sowie sein Maß an Fähigkeit zur reflexiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben definiert. In Untersuchungen von Werner und Smith konnte nachgewiesen werden, dass viele Kinder trotz schlechter Grundvoraussetzung in der Kindheit (familiäre Probleme, Krankheiten) zu sozial integrierten und positiv denkenden Erwachsenen heranwuchsen. Die Autoren führten dies auf individuelle Bewältigungsstrategien zurück die durch ein hohes Maß an Selbstkontrolle, sozialer Aufgeschlossenheit, Fähigkeit zur Selbstreflektion und die Bereitschaft sich von Außenstehenden helfen zu lassen, gekennzeichnet waren (Werner & Smith, 1992, in Hurrelmann 2002). Um die Idee von Sozialisation als Bewältigungsverhalten auszuarbeiten beschäftigt sich Hurrelmann mit dem Zustand der Gesundheit, welchen er beschreibt als einen Gleichgewichtszustand „der zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer wieder neu erstellt werden muss“ (Hurrelmann, 2002, S. 273). Demgegenüber wird Krankheit als Ungleichgewicht zwischen Risiko- und Schutzfaktoren angesehen. Störungen der Gesundheit werden als „Kosten“ der gesellschaftlichen Entwicklung begriffen.
Hurrelmann definiert zwei Faktoren, die über Funktion oder Defekt des Gesundheitszustandes entscheiden:
1. die personalen Faktoren: Alter, Geschlecht, genetische Disposition, körperliche Konstitution, Persönlichkeitsstruktur, Lebensgewohnheiten, Bildungsgrad und „Bewältigungskompetenz“.
2. soziale Faktoren: wirtschaftliche Lage, Wohnverhältnisse, Verkehrssicherheit, soziale Integration, Umweltqualität, Versicherungsschutz, Arbeitsumfeld (Anforderungen, Klima), private Lebensform (Familienstand). Hurrelmann rechnet diesem Faktor auch die Qualität und Quantität der für den Einzelnen zur Verfügung stehenden Gesundheitsversorgung zu (Hurrelmann, 2000, S. 12f).
2. Krankheitsentwicklungen nach Altersgruppen
Hurrelmann weist darauf hin, dass sich das Krankheitsspektrum in allen hoch entwickelten Gesellschaften von den akuten zu den chronischen Krankheiten verschoben hat. Als akute Krankheiten definiert der Verfasser solche die durch mikrobiologische Erreger verursacht werden. Chronische Krankheiten hingegen werden durch andauernde Überlastung „der körperlichen, psychischen und sozialen Anpassungskräfte“ verursacht und Krankheitsbilder sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebskrankheiten und psychische Krankheiten (Hurrelmann, 2000, S. 13). Seit Mitte des 20 Jahrhunderts ist die Anzahl der chronischen Krankheiten gegenüber den akuten gestiegen. So treten Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache zumeist im frühen Kindesalter und späten Erwachsenenalter auf. Krebserkrankungen treten vermehrt im mittleren Erwachsenenalter und der Unfalltod meist im jungen Erwachsenenalter auf. Infektionen spielen nur im Kindesalter eine Rolle.
2.1 Krankheiten im Kindesalter
Nach Hurrelmann lassen sich gesundheitliche Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Bewältigungsstörungen besonders deutlich im Kindesalter nachweisen. Zwar sei die Erscheinungshäufigkeit von schweren chronischen Leiden (Diabetes, Krebs, Haltungsschäden) auf einem historischen Tiefpunkt angekommen, die Häufigkeit von psychischen oder psychosomatisch bedingten Störungen jedoch gestiegen (Hurrelmann,.2002, S. 275). Hurrelmann betont, dass die beschriebenen Symptome selten getrennt sondern meist in Kombination erscheinen. Insgesamt zeigen 20-30% der Kinder Störungen dieser Art. Diese Störungen unterscheidet er anhand verschiedener Ausprägungen:
- Fehlsteuerungen des Immunsystems: Während klassische Kinderkrankheiten dank hoher Hygienestandards zurückgegangen sind verstärkt sich das Erscheinen allergischer Krankheitsbilder, welche auf Störungen im Immunsystem zurückzuführen sind. Dabei sind besonders Asthma- und Neurodermitiserkrankungen zu nennen. Bis zu 8% der Kinder eines Jahrgangs sind von den schwersten Symptomen dieser Krankheiten betroffen, in allen Krankheitsformen sind es bis zu 30% aller Kinder und Jugendlichen. Als Ursachen vermutet der Verfasser mangelhaftes Training des Immunsystems (Hygiene), Umweltbelastungen in Wasser, Luft und Nahrungsmittel sowie Bewegungsmangel (Hurrelmann, 2000, S. 14).
- Störungen des Ernährungsverhaltens: Fast 20 % aller Schüler sind übergewichtig, Hurrelmann sieht die Gründe in einer mangelhaften Ernährung bei der kalorienreiche aber nährstoffarme Nahrung (fast-food) einer ausgeglichenen und gesunden Ernährung bevorzugt wird (Hurrelmann, 2002, S. 275f).
- Fehlsteuerung der Sinneskoordination: durch einseitige Bewegungen primär vor dem Fernseher, Computer oder am Schreibtisch kann die Entwicklung der Sinne (z.B. Sprechen, Fühlen, Riechen) gestört werden. Hier müssen die Ursachen für motorisch-muskuläre Koordinationsprobleme gesucht werden, die bei einer steigenden Anzahl von Kindern diagnostiziert werden (Hurrelmann, 2002, S. 275f).
- Erkrankungen des Bewegungsapparates belasten 5% aller Kinder
- Neuronale Erkrankungen (z.B. Epilepsie) 1%, Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis zu 1% der Neugeborenen, rheumatische Erkrankungen 0,5%, Stoffwechselstörungen 0,2%, Krebs 0,05% (Hurrelmann, 2000, S. 15)
2.1.1 Erkrankungen mit psychischen oder psychosomatischen Komponenten
Unzureichende Bewältigung von psychischen Beanspruchungen und sozialen Anforderungen: „Fehlsteuerungen des Bewältigungsverhaltens“ äußern sich in psychischen oder
- psychosomatischen Störungen wie Nervosität, Kopf und Magenschmerzen, Rückenschmerzen, Verdauungsstörungen sowie depressive Störungen. Letztere können alters- und geschlechtsspezifisch unterschieden werden: während eine Suizidgefährdung stärker bei Mädchen, und sogar schon im Alter von 11-12 Jahren auftreten, herrschen bei Jungen extrovertierte Störungen vor. Diese äußern sich in Formen von Gewalttätigkeit und dem ADHS-Syndrom (Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivität-Syndrom). Symptome dieses Syndroms sind Unkonzentriertheit, motorische Unruhe und Impulsivität.
- Konsum psychoaktiver Substanzen: Die Einnahme von Drogen sowie sonstiges Suchtverhalten (auch Ess- oder Spielsucht) wertet Hurrelmann als „ausweichendes Verhalten“, welches die Verweigerung der Verarbeitung eines Ausgangsproblems beinhaltet (Hurrelmann, 2002, S. 276f).
- Essstörungen: neben den oben erwähnten Fehlernährungen nennt Hurrelmann Krankheitsbilder wie Bulimie oder Anorexie, von denen bereits 1% der jungen Frauen im Alter von 13-20 Jahren betroffen sind. Ursachen hierfür können nach Ansicht des Verfassers sowohl genetische Disposition als auch Beziehungsprobleme sein.
- Als „Problemverhalten“ bezeichnet Hurrelmann gefährliches Verhalten im Straßenverkehr, Geschlechtsverkehr ohne Verhütung und Körpermanipulation durch Diäten (Hurrelmann, 2000, S. 16f).
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