Sprach- und Kulturintegration von Spätaussiedlern
Zusammenfassung
Leseprobe
Gliederung
II Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Themenmotivation
1.2 Begriffsdefinition 'Spätaussiedler'
1.3 Vorbetrachtung
2 Ungebrochener Zuzug von Spätaussiedlern
3 Differenzierungsmerkmale von Immigranten im allgemeinen und Spätaussiedlern im besonderen
4 Ziel der Integrationsbemühungen der Spätaussiedler
4.1 Integrationsaufgaben von Aussiedlern beim Eingliederungsprozess
4.1.1 Kognitive Ebene
4.1.2 Formale Ebene
4.1.3 Psycho-soziale Ebene
5 Schwindende Aufnahmebereitschaft
5.1 Die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt
6 Unabläßliche Notwendigkeit der Sprachförderung
6.1 Sicherstellung des Lebensunterhalts während des Sprachkurses
7 Ergebnisse bzw. Empfehlungen der MAGS-Studie
7.1 Effektivität der sechsmonatigen Sprachkurse
7.1.1 Kontradiktorischer Curriculumentwurf des Goethe-Instituts
7.1.2 Forderung an Lehrkräfte und Träger
7.2 Differenzierte Sprachförderung
7.2.1 Einbeziehung berufspraktischer Anteile
7.2.2 Zusammensetzung der Sprachkurse
7.2.3 Einheitliche Curricula
7.4 Notwendigkeit breiter Spannweite bei FuU
7.4.1 Erwägung homogener FuU-Maßnahmen
8 Fazit und Prognose
9 Quellenverzeichnis
9.1 Zitierte Literatur
9.2 Zitierte Tabellen und Schaubilder
II Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Themenmotivation
Zwar galt die erste Themenpriorität einem eher sprachwissenschaftlichen Leitgedanken, aufgrund der erwachsenenpädagogisch relevanteren Aussiedlerproblematik fiel die Wahl des Thema schließlich auf die nicht ausschließlich Sprach-, sondern auch Kulturintegration von Spätaussiedlern. Obwohl ich deutscher Muttersprachler bin, habe ich über die von mir erlernten und professionell genutzten Fremdsprachen erst als ursprüngliche DaF-Vertretung zum Deutschen zurückgefunden. Da zum Zeitpunkt der Masterarbeit neben ausländischen Studenten, Asylberechtigten und Kontingentflüchtlingen überwiegend Spätaussiedler zu meinen damaligen Sprachschülern gehörten, ist mir die spezifisch methodisch-didaktische Lehr-bzw. Lernproblematik ebenso bekannt wie die Spezifität deren außerschulischer Situation. In diesem Zusammenhang soll kritisch evaluiert werden, ob – abgesehen von finanzpolitischen Zwängen - die Instrumentarien der bundesrepublikanischen Sprach- und Integrationspolitik ausreichen, um die hier untersuchte Zielgruppe an eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft und Arbeitswelt heranzuführen.
1.2 Begriffsdefinition 'Spätaussiedler'
Zu der für den Laien verwirrenden Vielzahl an im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes abgrenzenden Definitionen für Personenkreise wie Vertriebene, Umsiedler, Aussiedler etc. trat mit dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 1 Januar 1993 an eine weitere Bezeichnung, nämlich die der Spätaussiedler, womit die von da an in der Bundesrepublik eintreffenden Aussiedler bezeichnet werden. Intention des Gesetzgebers war es, mit dieser neuen Bezeichnung zum Ausdruck zu bringen, dass es sich bei diesen Personen um 'Nachzügler' der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen handelt.[1]
1.3 Vorbetrachtung
Bis Ende 1994 war der Autor der vorliegenden Masterabschlussarbeit bei einem freien Bildungsträger in Leverkusen, u.a. als Daf-Dozent, tätig. Dies bedarf der Erwähnung, da die Stadt Leverkusen arbeitsamtverwalterisch mit dem Bergischen und dem Oberbergischen Kreis zusammengefasst ist. Beim Wechsel nach Köln zu einem ebenfalls freien bzw. privatwirtschaftlichen Träger wurde ich als Klassenlehrer einer Deutschlerner-Gruppe[2], deren Sprachkurs durch die Bundesanstalt für Arbeit finanziert wurde, mit einer arbeitsmarktpolitischen Neuregelung konfrontiert, dass sich nämlich der ohnehin bereits auf sechs Montae reduzierte Sprachkurs zugunsten eines vierwöchigen arbeitsmarkt-integrierenden Praktikums um einen weiteren Monat verkürzte. Das örtliche Arbeitsamt hielt diese Maßnahme angesichts der im Bundesdurchschnitt überproportional hohen Arbeitslosenquote für angebracht. Nach anfänglicher Unsicherheit, wer, der Maßnahmeträger, der Bildungsträger oder womöglich die Teilnehmer selbst, für die Akquirierung verantwortlich zeichnen sollte, wurde der Autor als sogenannter Praktikumskoordinator der Sprachkurse 'ausgespäht'. Trotz aller Bedenken, nicht nur meinerseits, musste ich nach mittlwerweile knapp zwei Jahren seit Inkrafttreten dieser Regelung zugeben, dass dieses ' Experiment' in vielerlei Hinsicht integrativ gewirkt hat.[3]
In diesem Zusammenhang wird nachfolgend weitestgehend auf historische Analysen aussiedlerspezifischen Hintergrunds verzichtet, stattdessen wird das derzeit verfügbare Instrumentarium an Hilfen für Spätaussiedler[4] auf seine Tauglichkeit in der Realität untersucht.
2. Ungebrochener Zuzug von Spätaussiedlern
Bis Mitte der achtziger Jahre blieb die Zahl der Zuwanderungen von (Spät-)Aussiedlern jährlich normalerweise unter 40.000 Personen. Mittlerweile kommen seit 'Glasnost' und 'Perestroika' jedes Jahr über 200.000 Menschen in die Bundesrepublik[5], also immerhin fünfmal mehr als noch vor zehn Jahren. Von einem Rückgang der Spätaussiedlerzahlen kann demnach trotz einer solchen Propagierung durch den (damaligen) Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, Dr. Horst Waffenschmidt, keine Rede sein, wohl aber von einem gesunkenen Interesse der Öffentlichkeit am Schicksal der Spätaussiedler. Seit 1990 ist das Aufnahmeverfahren für Spätaussiedler durch ein neues Gesetz geregelt, worin der jährlich Zuzug auf zirka 220.000 Personen beschränkt wird. Wer als Spätaussiedler in Deutschland Aufnahme finden möchte, muss im Herkunftsland einen entsprechenden Antrag stellen, dessen Bearbeitung sich dann allerdings u.U. über mehrere Jahre hinzieht. Möglicherweise stellt ein nicht unerheblicher Teil von Rußlanddeutschen einen solchen Antrag nicht von vornherein mit der festen Absicht der damit verbundenenen Einreisegenehmigung nach Deutschland, sondern betrachtet den durch das Bundesverwaltungsamt verschickten Aufnahmebescheid als eine Art 'Garantiepaper' für alle Fälle. Die Versendung der entsprechenden Aufnahmebescheide wiederum hängt von der jeweiligen Jahresquote ab. Da die Zahl der noch zu bearbeitenden Abträge sehr hoch ist, steht bereits heute fest, dass die Zahl der Neuzugänge in den nächsten Jahren nicht sinken wird. Die Eingliederung der Spätaussiedler wird eine Aufgabe bleiben, an der die bundesdeutsche Gesellschaft ihre Offenheit und Humanität beweisen kann. Der überwiegende Teil der z.Z. dem Stadtgebiet Köln aufgrund des neuen Wohnortezuweisungsgesetzes vom 1.3.1996[6] zugewiesenen Spätaussiedler kommt aus den mittlerweilen souveränen ehemaligen Republiken der UdSSR, aus Kasachstan, Kirgisistan, Russland (hier vorwiegend aus Sibirien), dem Kaukasus und der Ukraine.[7] Die gesellschaftliche Wirklichkeit in diesen Staaten unterscheidet sich erheblich von der bundesrepublikanischen. Die Integration in unser Gesellschaftssystem verlangt von jedem einzelnen dieser sogenannten Russlanddeutschen über viele Jahre hinweg eine ganz außerordentliche Kraftanstrengung. Auch die persönlichen Lebenswirklichkeiten, in der die Russlanddeutschen einerseits und die 'einheimischen' Deutschen andererseits leben, haben sich in den letzten Jahrzehnten auseinanderentwickelt. Die gesellschaftliche Entwicklung hat sich in Deutschland nach dem 11. Weltkrieg rasant vollzogen, vom völkermordenden Faschistenstaat zu einem führenden, in freiheitlich westliche Netzwerke integrierten Industriestaat. Diese Integration in die westliche Kultur, die wir seit Kriegsende vollzogen haben, ist uns heute kaum noch bewusst, auch wenn dieser Prozess (Entnazifierung, Wirtschaftswunder, EWG, Spiegel-Affäre, APO, . UNO, NATO, RAF etc.) nicht immer spannungsfrei verlief. Die Spätaussiedler haben diese, wenn auch andere Veränderungen (Stalin-Ära: Verschleppung, Vertreibung, Verbot der deutschen Sprache, Perestroika, Glasnost), nicht mitgemacht. Sie treffen nun auf ein 'Deutschtum', das dem ihren so ganz und gar nicht mehr entspricht, das sie so nicht erwartet haben. Sie müssen sich nicht nur in unsere Schul-, Berufs- und Arbeitswelt integrieren, sie müssen, und das ist wohl das Schwierigste, zumindest teilweise ihre Identität als Deutsche neu definieren. Den Prozess, für den unsere Gesellschaft mehrere Jahrzehnte benötigte, und die dadurch vorprogrammierten Spannungen müssen sie in kärzester Zeit erfolgreich bewältigen.
[...]
[1] BT-Drs. 12/3212 S. 19f., §4 Abs. 3
[2] An dieser Stelle sei erwähnt, dass der seinerzeit offizielle Terminus zwar DfA (Deutsch für Aussiedler) lautete. Da sich die Lernerzielgruppe aber sukzessive um Asylberechtigte (offiziell auch Asylanten genannt) und Kontingentflüchtlinge erweitert hat, wird stattdessen im weiteren Verlauf von DaF (Deutsch als Fremdsprache) gesprochen.
[3] Vgl. Statistik über die Arbeitssituation der ehemaligen Sprachschüler (Spätaussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge) der Wirtschaftsschule Bohlscheid in Köln; Beobachtungszeitraum: 01/1995 – 05/1996.
[4] Hilfen für Spätaussiedler; Stand: März 1996, herausgegeben vom Bundesministerium des Innern, Referat Vt I 3.
[5] Vgl. Registrierte und verteilte Personen aus den Aussiedlungsgebieten 1995' (mit Vergleichsmonaten des Vorjahres); Hrsg.: Bundesministerium des Innern, Referat Vt I 2; Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Heft Nr. 75 bzw. Registrierte und verteilte Personen aus den Republiken der ehemaligen Sowjetunion (1995 mit Vergleichsmonaten des Vorjahres); Hrsg.: Bundesministerium des Innern, Referat Vt I 2; Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler Heft Nr. 76.
[6] Siehe Info-Dienst 'Deutsche Aussiedler' Nr. 78, 4/96, S. 2.
[7] Vgl. Fußnote 5.