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Rat Krespel und die Musik

©2006 Masterarbeit 26 Seiten

Zusammenfassung

E.T.A. Hoffmanns Geschichte “Rat Krespel” wird nicht nur analysiert, sondern auch in der Kontext der musikalischen Praxis Anfang 19. Jh. besprochen. Siehe die Kapitel “Die Musik in der Romantik” und “Die Frau in der Musik des 19. Jahrhunderts”.
Der Satz “...dessen innere Einrichtung aber eine ganz eigene Wohlbehaglichkeit erregte”, in der Geschichte, ist ein Schlüsselsatz: Er deutet auf die für Krespel sehr wichtigen Unterschied zwischen dem Innen- und Außenraum. Das Haus symbolisiert den Innenraum. Im Innenraum ist Krespel allmächtig: Antonie ist ihm untergeordnet, Menschen, die ihm nicht gefallen, kann er wegschicken und er stillt seinen Neugier auf das Geheimnis der Musik mit der Zerlegung alter Geigen und mit dem Geigenbau.
In der Analyse werden Krespel und der Ich-Erzähler in Bezug auf ihr Verhältnis zu Antonie einander gegenüber gestellt. In der Gestalt Antoniens spiegelt sich eine romantische Auffassung der Kunst: Der Zusammenhang zwischen Kunst und Verfall, Schönheit und Krankheit.

Leseprobe

Inhalt

Einleitung

Hoffmanns Blick auf die Welt

Die Serapionsbrüder

Die Erzählung

Krespel und der Ich-Erzähler

Antonie und ihre Geige

Die Musik in der Romantik
Klassik versus Romantik in der Musik in Stichwörtern

Die Frau in der Musik des 19. Jahrhunderts

Schlussfolgerung

Literatur

Einleitung

E.T.A. Hoffmann (1776-1822) hat sich seit seiner Jugend vor allem der Musik gewidmet, aber er ist letztendlich als romantischer Erzähler berühmt geworden. Die ersten Kompositionen stammen aus seiner Zeit als Rechtsreferendar (eine Sinfonie, Klaviersonaten und Lieder). Die Chance zu einer Karriere in der Musik ergab sich am Bamberger Theater, wo er 1808 eine Stelle als Kapellmeister übernahm. Als die erste Opernaufführung scheiterte, musste er für seinen Lebensunterhalt auf Privatunterricht zurückfallen und sich in sein Poetenstübchen in seiner Wohnung am heutigen Schillerplatz zurückziehen. Dort entstanden die ersten großen Erzählungen. Fantasie und Wirklichkeit gehen in diesen Texten stets ineinander über, ein romantischer Zug seiner Schreibstil, die auch realistische und satirische Tendenzen aufweist. Der erste Band mit fantastisch-skurrilen Erzählungen erschien 1814 in Bamberg (Fantasiestücke in Callots Manier), einige Monate, nachdem der Autor die Stadt bereits wieder verlassen hatte, um aufs Neue Kapellmeister zu werden. Auch diesen Versuch war ohne Erfolg, und Hoffmann beschloss, seine Zukunft im Rechtswesen zu suchen. Er wurde ein angesehener Kammergerichtsrat in Berlin. Hier schuf er den größten Teil seiner literarischen Werke wie Serapionsbrüder, Kater Murr und Elixiere des Teufels. Die Periode in Bamberg hatte jedoch manche Spuren hinterlassen. Vor allem gehen zwei Opern auf diesen fünfjährigen Aufenthalt zurück: Aurora und Undine. Sie sind während Hoffmanns Berliner Zeit mit großem Erfolg aufgeführt. Auch heute ist Musik von Hoffmann immer noch auf CDs erhältlich; leider ist aber viel Blattmusik, unter welchen vielen Liedern, im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen.

Als Zeichner und Karikaturist ist die Anerkennung ihm lange versagt geblieben, obwohl er seine eigenen Werke mit vielen Illustrationen versehen hat. Man denke nur an Johannes Kreisler, den wahnsinnigen Musiker, der in verschiedenen Texten auftritt.

E.T.A. Hoffmann war der Inbegriff des romantischen Künstlers: Er war Komponist, Maler und Schriftsteller, wobei er sich vor allem als Dichter und Musiker ausgezeichnet hat. Die Musik war für ihn die höchste aller Künste, und es war sein tiefster Wunsch, sich als Künstler mit seinen Kompositionen (besonders die Oper Undine) durchzusetzen. Dass es nicht so weit kam, sondern dass er heute als romantischer Schriftsteller zur Weltliteratur zählt, verdanken wir einer Kette von Zufällen und Umständen, die in Bamberg, ihren Anfang nahm. In Bamberg knüpfte er die Beziehungen zur Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung, die ihn als Rezensenten und Musikschriftsteller einstellte an und fand er seinen ersten literarischen Verleger (Carl Friedrich Kunz). Aus Bamberg stammen die Themen und Stoffe, auf die er als Schriftsteller immer wieder zurückgegriffen hat. Dazu gehört nicht nur seine idealisierte dreizehnjährige Gesangschülerin Julia Mark, die fortan als Inbegriff der ,,Liebe des Künstlers“ in immer neuen Variationen durch sein Werk auftaucht, sondern auch das Philistererlebnis, die Einsicht in den schwer zu überbrückenden Gegensatz zwischen den realistischen Spießbürgern und den realitätsfernen Künstlern. Auch hatte er in Bamberg die Möglichkeit Informationen und Erfahrungen aus der Medizin und der Psychologie kennen zu lernen: Die zeitgenössischen Theorien über den Traum, die Heil- und Behandlungsmethoden des Magnetismus, des Somnambulismus und der Hypnose, die Frage, wo die Grenze zwischen Wahnsinn und Normalität verläuft, die ihn sein Leben lang beschäftigt hat - das alles wurde ihm in Bamberg, durch damals weitberühmte Mediziner wie Marcus und Speyer nahe gebracht[1].

Hoffmanns Blick auf die Welt

Es ist ein Eckhaus, was mein Vetter bewohnt, und aus dem Fenster eines kleinen Kabinetts übersieht er mit einem Blick das ganze Panorama des grandiosen Platzes. (Des Vetters Eckfenster S. 1066)

Dieses Fenster auf die Welt und ein Auge, welches wirklich schaut (Eckfenster S. 1067) sind die Werkzeuge, womit Hoffmann die Welt und seine Mitbürger beobachtet hat. Auch die Künstlerfiguren in seinen Werken wie Rat Krespel hat er mit diesen Werkzeugen gerüstet.

Den Zeitgenossen sind Hoffmanns Augen schon aufgefallen. Sein stechender Blick, dem nichts entging, war berühmt und gefürchtet. Dieser Blick brachte die Sachen ans Licht, die man geheim halten wollte oder wovon man sich überhaupt noch nicht bewusst war: Hoffmann hatte das Vermögen die Nachtseiten der menschlichen Existenz, die verborgenen Abgründe der Seele und die Hintergründe der bürgerlichen Fassaden zu entdecken.

Hoffmann, der sich immer wieder als Zeichner und Malter betätigte, fühlte sich zu den Stichen des französischen Radierers Jacques Callot (1592-1635) hingezogen[2]. Callot betont in seinen seltsam burlesken an der Fantasiewelt entstammenden Figuren das Absonderliche und Ungewöhnliche so sehr, dass Hoffmann sich mit seiner Schemenwelt verwandt fühlte. In seinem Aufsatz über diesen geistverwandten Künstler gibt er uns in einem Satz den Schlüssel für seine ganze Kunstauffassung in die Hand:

Denn selbst in seinen aus dem Leben genommenen Darstellungen […] ist es eine lebensvolle Physiognomie ganz eigener Art, die seinen Figuren […] etwas fremdartig Bekanntes gibt. Selbst das Gemeinste aus dem Alltagsleben […] erscheint in dem Schimmer einer gewissen romantischen Originalität, sodass das dem fantastischen hingegebene Gemüt auf eine wunderbare Weis davon angesprochen wird. (Jacques Callot S. 65)

Auch der niederländische Kritiker, Literat und Zeichner Cornelis Veth hat sich über Hoffmanns Verbundenheit mit Callot geäußert, wobei er zugleich auf Jeroen Bosch und Breughel verweist: In der Einleitung zu einer niederländischen Übersetzung des Goldnen Topfes (1905) heißt es:

Seine Märchen sind feiner, schöner, reicher als die soviel berühmteren von Hauff […], künstlerischer als die oft didaktischen und ärmeren von Andersen sind. Es ist eine psychologische Clairvoyance in ihm, die seine fantastische Pantomime und Possenfiguren, kapriziös und frappant und originell wie die Gestalten von Breughel oder Jeroen Bosch oder Callot präsentiert […][3].

Im einleitenden Aufsatz Jacques Callot zu den Fantasiestücken in Callots Manier, erklärt Hoffmann uns, dass er in Callots Manier gearbeitet hat. Der Dichter richtet sich nicht auf die Natur, die Menschenwelt oder die eigenen Lebenserfahrungen, sondern auf Callots grotesken Figuren:

Warum kann ich mich an deinen sonderbaren fantastischen Blättern nicht satt sehen, du kecker Meister! – Warum kommen mir deine Gestalten, oft nur durch ein paar kühne Striche angedeutet, nicht aus dem Sinn? – Schaue ich deine überreichen, aus den heterogensten Elementen geschaffenen Kompositionen lange an, so beleben sich die tausend und tausend Figuren, und jede schreitet, oft aus dem tiefsten Hintergrund, wo es erst schwer hielt, sie nur zu entdecken, kräftig und in den natürlichsten Farben glänzend, hervor. (Jacques Callot S. 65)

Hoffmann ist ein Kunstenthusiast: Er schließt an vorhandenen Kunstwerken an, variiert und interpretiert und erweckt so ein neues Kunstwerk. Das ist Callots Manier: Die Striche und Farben des Malers, die Kompositionen des Musikers werden mit den Figuren des Dichters verbunden. Alle Künste, Musik, Malerei und Literatur sind an diesem zweiten Leben beteiligt. Nicht die einzelnen Künste, sondern die Kunst überhaupt, darum geht es. Die Verbindung der Künste ist Hoffmanns Programm:

Kein Meister hat so wie Callot gewusst, in einem kleinen Raum eine Fülle von Gegenständen zusammenzudrängen, die ohne den Blick zu verwirren, nebeneinander […] heraustreten, sodass das Einzelne als Einzelnes für sich bestehend, doch dem Ganzen sich anreiht. (Jacques Callot S. 65)

Die Serapionsbrüder

Ein wahnsinniger Einsiedler, der im Wald lebt und sich für den Märtyrer Serapion[4] hält, wird auf Wunsch seines Verlegers zum Namensgeber für ein literarisches Quartett der Fantasten: Zunächst sind es vier, später sechs Freunde, die sich als Serapions-Brüder[5] bei abendlichen Treffen in einer Berliner Stadtwohnung ihre selbst verfassten Erzählungen und Märchen vorlesen. Hoffmann wählte diese Rahmenhandlung für eine Sammlung von Texten, die er zwischen 1814 und 1821 schrieb und unter dem Titel Die Serapions-Brüder veröffentlichte. Aus der Erzählung um den Einsiedler Serapion stammt auch das serapiontische Prinzip, wobei der Dichter als Mittler, zwischen Wahn und Wirklichkeit, Geist und Seele, Menschlichem und Unmenschlichem auftritt. Dieses Prinzip wird von Hoffmann oft verwendet, um fest zu stellen, dass einer der Wirklichkeit aufgeschlossener Mensch sich einbildet, in einer anderen Welt zu leben.

Dieses Prinzip ist eine Ergänzung von Callots Manier: Die Fantasie behält das elementare Recht bei dem lebendig machen der Bilder. Doch jetzt sind es keine echten Bilder, sondern innere Bilder. In einem Brief an den Herausgeber der Zeitschrift Der Zuschauer hat Hoffmann in 1820 dieses Prinzip bestätigt[6]:

Sie fordern, verehrtester Herr! mich auf; an der Zeitschrift, die Sie unter dem Titel ,,der Zuschauer" herauszugeben gedenken, mitzuarbeiten. Mit Vergnügen werde ich Ihren Wunsch erfüllen, um 50 mehr, als der wohlgewählte Titel [Ihrer Zeitschrift] mich an meine Lieblingsneigung erinnert. Sie wissen es nämlich wohl schon wie gar zu gern ich zuschaue und anschaue, und dann schwarz auf weiß von mir gebe, was ich eben recht lebendig erschaut. - Von etwas anderm, meine ich, als von dem, dessen Anschauung in vollkommner Gestalt im Innern aufgegangen, könne man auch gar nicht so sprechen, dass die Leute es ebenso lebendig erblicken, zu denen man spricht. [...] Ich denke [...]: dass da die innern Augen, deren Blick die dichterische Anschauung bedingt, eben so gut im Kopfe sitzen wie der Verstand, der heilige Serapion [...] immer den unwandelbar treuen ehelichen Bund vorausgesetzt hat, in dem beide, Verstand und Phantasie bleiben müssen, wenn etwas Ordentliches herauskommen soll. - Ich bleibe bei diesem Prinzip!

Durch Hoffmanns gesamtes Werk zieht sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Welt der Wirklichkeit und der Welt der Träume. Die Welt der Wirklichkeit wird einseitig verharrt und Hoffmanns Verarbeitung der Innenwelt führt zu Skurrilität, psychischer Krankheit und Wahnsinnerscheinungen. In seinen Erzählungen bewegt Hoffmann sich gerne in den Grenzgebieten, wo Traum und Wirklichkeit ineinander fließen. Kennzeichnend für Hoffmanns Erzählweise ist auch der häufige Verzicht auf die Chronologie, welcher auch in Rat Krespel eine Rolle spielt. Die Folgen sind Missverständnis, Komplikationen und Krespels Motive für sein Handeln bleiben dem Leser im Dunklen.

Zusammenfassend kann man über Hoffmann sagen, dass sich der Universalkünstler Hoffmann nicht nur darin zeigt, dass er in mehreren Kunstgattungen bedeutende Kunstwerke schuf, sondern das er die verschiedensten Ausdrucksweisen auch virtuos beherrschte.

Er schrieb eine Fülle an bedeutenden Kunsterzählungen, wie z.B. Don Juan und Rat Krespel und er war mit dem Goldenen Topf der Autor eines fantasievoller und hintergründiger Märchen und schrieb mit dem Fräulein von Scuderi eine der ersten Detektivgeschichten. Er blickte in die Abgründe der Seele, wie Der Sandmann zeigt und wurde zum Vorbild psychologischer Analysen; er war ein vielseitiger romantischer Künstler, jedoch auch ein scharfsinniger Musikkritiker, der zum Beispiel als einer der ersten Beethovens Genie erkannte. Hoffmanns Werk bildet in dem Jahrhundert zwischen Goethe und Thomas Mann einen der bedeutendsten deutschen Beiträge zur Weltliteratur.

Nur der Dichter versteht den Dichter; nur ein romantisches Gemüt kann eingehen in das Romantische; nur der poetisch exaltierte Geist, der mitten im Tempel die Weihe empfing, das verstehen, was der Geweihte in der Begeisterung ausspricht. (Don Juan S. 121)

Die Erzählung

September 1816 wurde die Erzählung Rat Krespel fertig. Der Name der Hauptfigur und die seltsame Art, in der Krespel sein Haus baut, gehen auf ein historisches Vorbild zurück. Es ist der Fürstlich Thurn und Taxissche Rat und Archivar Johann Bernhard Crespel (1747-1813), den Goethe im 6. Buch des zweiten Teiles von Dichtung und Wahrheit porträtiert, ohne ihn namentlich zu nennen. Goethes Mutter schreibt 1796 in einem Brief[7]:

Crespel ist ein Bauer geworden, hat in Laubach Güter gekauft, das heißt etliche Baumstücke – baut auf dieselbe ein Haus nach eigner Investion hat aber in dem kickelsort weder Maurer noch Zimmerleute, weder Schreiner – noch Glaser – das ist er nun alles selbst – es wird ein Haus werden – wie seine Hosen, die er auch selbst fabriziert.

[...]


[1] Quelle: Segebrecht

[2] Hoffmanns Werke, S. 58

[3] Henk J. Koning: E.T.A. Hoffmann in Holland in: Orbis Linguarum. Vol 24, Wroclaw – Legnica 2003 S. 27 http://www.orbis-linguarum.net/2004/24_04/henkgot.pdf

[4] Namensgeber der Bruderschaft ist weniger Serapion, ein Heiliger des 4. Jahrhunderts, der in der Libysche Wüste in strenger Askese lebte. Vielmehr wird der Name von einem Wahnsinnigen abgeleitet, der sich viele Jahrhunderte später selbst für den Heiligen Serapion hält, und zwischen Vision und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann. Seine Geschichte bildet den Auftakt der Sammlung.

[5] Der fiktive Bund der Serapionsbrüder ist nicht zu verwechseln mit dem real existierenden Freundeskreis Hoffmanns, der sich ebenfalls „Serapionsbrüder“ nannte.

[6] Quelle: Segebrecht

[7] Pikulik: S. 63

Details

Seiten
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783640653942
ISBN (Paperback)
9783640654406
DOI
10.3239/9783640653942
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universiteit van Amsterdam
Erscheinungsdatum
2010 (Juni)
Note
8,0
Schlagworte
Hoffmann: Rat Krespel
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Titel: Rat Krespel und die Musik