Prozesse der Machtbildung nach Popitz im Film "Herr der Fliegen"
Zusammenfassung
Leseprobe
Universität Hamburg
Institut für Soziologie
22-546 Vertiefungsmodul: „Macht, Gewalt und Strafe“
SoSe 2010
Abgegeben von: Marina Schmidt
Am: 20.05.2010
Prozesse der Machtbildung nach Popitz im Film "Herr der Fliegen"
In diesem Essay soll versucht werden, die in dem Film „Herr der Fliegen“ (1963) dargestellten Verhaltensweisen der Protagonisten mit Hilfe der Arbeiten von Heinrich Popitz, hier besonders „Die normative Konstruktion von Gesellschaft[1] “ sowie „Prozesse der Machtbildung[2] “, in einen Deutungszusammenhang zu bringen. Im Folgenden soll die Handlung des Films chronologisch abgearbeitet werden, um Schritte im Prozess der Machtbildung nachzuvollziehen sowie abschließend auf die Thematik „abweichendes Verhalten“ im Rahmen des Films zu sprechen zu kommen.
Ausgangssituation des Films[3] ist ein Flugzeugabsturz über dem Meer, nach dem sich eine Gruppe Jungen auf eine einsame Insel retten kann. Für die Betrachtung der Popitzschen Theorien ist diese Lage wichtig, da sich die Gruppe durch die räumlichen Gegebenheiten leicht als soziale Einheit identifizieren lässt und vor allen Dingen bei Konflikten nicht auseinanderlaufen oder fliehen kann. Hinzu kommen eine ähnliche Altersstruktur (die Kinder sind laut Romanvorlage sechs bis elf Jahre alt), das gleiche Geschlecht, das gleiche Herkunftsland sowie derselbe soziale Status[4]. Es wird schnell deutlich, dass es trotz dieser Homogenität allerdings nicht zu einer verstärkten Solidarität unter allen Jungen kommt, sondern dass auch in dieser Gruppe abgegrenzt wird: Unter den vorherrschenden extremen Bedingungen ist die Gruppenzugehörigkeit an „bestimmte Qualifikationen“ gekoppelt, die Popitz als mögliche Merkmale einer sozialen Gruppe benennt[5], im Falle der gestrandeten Jungen handelt es sich eindeutig um das Leistungsprinzip. Da nach Popitz das „Vergesellschaftungsprinzip der Strukturierung von Zugehörigkeit […] zwangsläufig Trennungslinien[6] “ produziert, kommt es zu einer ersten Aufteilung der Gruppe in kleinere Untergruppen, die vorerst den Zusammenhalt aller nicht beeinträchtigen, sondern der Arbeitsteilung[7] und Effizienzsteigerung dienen: Die jüngsten Kinder können zum Überleben der Gruppe nicht beitragen; sie benötigen den Schutz eines Älteren. Die älteren, gesunden Jungen teilen sich somit in eine Jäger- und eine Feuergruppe auf. Als Außenstehender bleibt ein Junge übrig, der aufgrund seiner Brille und seines Übergewichts den Spitznamen „Schweinchen“ erhält und die Aufgabe übernimmt, auf die Jüngsten aufzupassen. Hier wird schon deutlich erkennbar, dass seine Außenseiterrolle dem Jungen Jack, der ihn permanent hänselt und erniedrigt, eine gewisse Autorität verleiht, die sich im Verlaufe der Handlung verstärken wird. Beispielhaft kann für diese Autorität der Satz „Du redest zuviel, halt den Mund“ angeführt werden, mit dem Jack „Schweinchen“ gleich beim ersten Aufeinandertreffen zum Schweigen bringt. So tragen Jacks körperlichen Vorzüge und die damit verbundene, unabdingbare Leistungsfähigkeit zu seiner Möglichkeit bei, sich hierarchisch über dem asthmakranken Jungen zu positionieren und bei allen anderen die Angst zu schüren, ebenfalls in jene Rolle des Außenseiters gedrängt zu werden und somit auf soziale Anerkennung innerhalb der Gruppe verzichten zu müssen[8].
In der Anfangsphase wird durch den Satz „Wir brauchen einen Anführer“ deutlich, dass die Nichtbesetzung dieser Position zum Gefühl einer Vakanz führt. So stimmen die Jungen direkt demokratisch ab, dass ein Junge namens Ralph ihr „Anführer“ sein soll. Dieser ist zuzuordnen in die bereits erwähnte Feuergruppe; er betrachtet es als wichtigstes Ziel, ein großes Feuer an erhöhter Steller auf der Insel dauernd in Brand zu halten, um mit Rauchzeichen auf die schiffbrüchige Gruppe aufmerksam zu machen. Die Jägergruppe soll dafür zuständig sein, die Insel zu erkunden und erklärt sich bereit, auf die Jagd zu gehen.
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[1] Popitz, Heinrich: Die normative Konstruktion von Gesellschaft, J.C.B. Mohr: Tübingen, 1980.
[2] in: Popitz, Heinrich: Phänomene der Macht, J.C.B. Mohr: Tübingen, 1992.
[3] Es handelt sich hierbei um eine Umsetzung des gleichnamigen Romans. Siehe Golding, William: Lord of the Flies: A Novel, 18. Aufl., Petersen: Hamburg, 2000.
[4] Ebenfalls nur der Romanvorlage ist zu entnehmen, dass die Jungen vor den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges geschützt werden sollten, indem man sie aus Europa ausflog. Diese Tatsache sowie die Angabe einer der Figuren, ihr Vater sei Marineoffizier, lässt darauf schließen, dass die gesamte Gruppe zumindest aus der oberen Mittelschicht stammt.
[5] POPITZ, 1992: 70.
[6] POPITZ, 1992: 70.
[7] Popitz sagt ebd., dass auch Arbeitsteilungen häufig mit Zugehörigkeitsstrukturen verbunden sind.
[8] Nach Popitz findet hier bereits eine Machtaktion statt: Die Minderung sozialer Teilhabe/gesellschaftlicher Integrität. Vgl. ebd.: 44.