Die Irak-Krise seit 2003 und die Debatte über Maßstäbe für eine präventive Selbstverteidigung
Zusammenfassung
Ziel dieser Arbeit ist es, einen grundlegenden Überblick über die völkerrechtlichen Fragen, die sich aus dem zweiten Golfkrieg ergaben, zu bieten. Dazu soll im Folgenden zunächst ein kurzer Einblick in die relevante Vorgeschichte und den Verlauf des Krieges (2) gegeben werden. Daraufhin werde ich mich mit dem völkerrechtlichen Gewaltverbot und seinen grundsätzlichen Ausnahmen beschäftigen (3), um daran anschließend die beiden wesentlichen Argumentationsstränge zur völkerrechtlichen Legitimation des Irakkriegs darzustellen und auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Dabei werde ich zunächst auf eine mögliche Rechtfertigung durch bereits vorhandene UN-Resolutionen eingehen (4), mich danach aber vor allem auf die Debatte der Zulässigkeit von Selbstverteidigung im Falle des zweiten Golfkriegs konzentrieren. (5) Abschließend wird auf dieser Grundlage die völkerrechtliche Legitimität des Irakkrieg beurteilt. (6)
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Gliederung
1) Einleitung
2) Die Relevante Vorgeschichte
3) Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Ausnahmen
4) Legitimation durch bereits vorhandene Resolutionen
5) Legitimation durch das Recht auf Selbstverteidigung
5.1) Ein Recht auf präventive Selbstverteidigung?
5.2) Die Ausnahme der antizipatorischen Selbstverteidigung
5.3) Antizipatorische Selbstverteidigung der USA gegenüber dem Irak?
6) Fazit
Literaturverzeichnis
1) Einleitung
Der Irak-Krieg 2003, den die USA und ihre „Koalition der Willigen“ (Ziegler, 2009: S.329) ohne Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat führten, war für viele Beobachter nicht nur eine politische und militärische Krise, sondern zugleich auch eine „Krise des Völkerrechts“. (Haverkamp, 2004: S. 270) Die „Operation Iraqi Freedom“ und die Debatte über ihre völkerrechtliche Legitimität stellte einige wesentliche Fragen: Auf welcher Grundlage dürfen Staaten gegeneinander Krieg führen? Wie weit geht der Interpretationsspielraum bei der Auslegung von UN-Resolutionen? Welche Reichweite hat das im Artikel 51 der UN-Charta genannte Recht auf Selbstverteidigung?
Ziel dieser Arbeit ist es, einen grundlegenden Überblick über die völkerrechtlichen Fragen, die sich aus dem zweiten Golfkrieg ergaben, zu bieten. Dazu soll im Folgenden zunächst ein kurzer Einblick in die relevante Vorgeschichte und den Verlauf des Krieges (2) gegeben werden. Daraufhin werde ich mich mit dem völkerrechtlichen Gewaltverbot und seinen grundsätzlichen Ausnahmen beschäftigen (3), um daran anschließend die beiden wesentlichen Argumentationsstränge zur völkerrechtlichen Legitimation des Irakkriegs darzustellen und auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Dabei werde ich zunächst auf eine mögliche Rechtfertigung durch bereits vorhandene UNResolutionen eingehen (4), mich danach aber vor allem auf die Debatte der Zulässigkeit von Selbstverteidigung im Falle des zweiten Golfkriegs konzentrieren. (5) Abschließend wird auf dieser Grundlage die völkerrechtliche Legitimität des Irakkrieg beurteilt. (6)
2) Die Relevante Vorgeschichte33
Um die völkerrechtlichen Probleme der Operation Iraqi Freedom im Jahr 2003 zu verstehen ist es zunächst wichtig die Ereignisse, die zum Krieg im Irak führten, zu kennen.
Dessen Hintergründe reichen bis zum ersten Golfkrieg zurück. Nach der völkerrechtswidrigen Invasion des Iraks in Kuwait im Sommer 1990 stellte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 660 vom 2. August 1990 nach Art. 39 der UNO-Charta eine Verletzung des internationale Friedens und der Sicherheit fest und forderte den Irak zum sofortigen Rückzug auf. (Paech, 2003: S.35) Nachdem dieser der Forderung nicht nachkam folgten in einer Reihe von Resolutionen zunächst gewaltlosen Sanktionen bis hin zum totalen Wirtschaftsembargo gegen den Irak. Als auch diese Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung zeigten forderte der Sicherheitsrat den Irak in seiner Resolution 678 (1990) letztmalig auf, die vorangegangenen Resolutionen bis zum 15. Januar 1991 vollständig zu erfüllen. (Schaller, 2002: S. 334) Gleichzeitig ermächtigte er die Mitgliedsstaaten in Nr. 2 der Resolution nach Ablauf des Ultimatums:
„ (...) to use all necessary means to uphold and implement resolution 660 (1990) and all subsequent relevant resolutions and to restore international peace and security in the area. “
Gemäß dieser Autorisierung begann am 17. Januar 1991 die Operation Desert Storm und unter dem Einsatz massiver Waffengewalt befreite eine von den USA geführte Koalition Kuwait. (Kühn, 2009: S. 446) Nach der Niederlage des Iraks und nachdem dieser signalisiert hatte, nun doch alle Resolutionen akzeptieren zu wollen, verabschiedete der Sicherheitsrat Resolution 687 (1991), die detaillierte Bedingungen für einen Waffenstillstand festlegte. Diese beinhalteten unter anderem die totale Abrüstung von ABC-Waffen und ballistischer Trägersysteme mit einer Reichweite von über 150 km und verpflichteten den Irak zur Einwilligung in internationale Inspektionen. Der Irak akzeptierte diese Bedingungen und am 11. April 1991 stellte der SR-Präsident die Wirksamkeit des Waffenstillstandes fest. (Kühn, 2009: S.447)
In den folgenden Jahren zeigte sich, dass der Irak diesen Verpflichtungen in weiten Bereichen nicht nachkam. Insbesondere Verletzungen hinsichtlich der Offenlegung seiner Aktivitäten bezüglich Massenvernichtungswaffen und der Duldung der Inspektionen durch die United Nation Special Commission (UNSCOM) bzw. der United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commision (UNMOVIC) und der International Atomic Energy Agency (IAEA) führten zur vielfachen Verurteilung durch den Sicherheitsrat. (Kühn, 2009: S. 448)
Der Streit zwischen UNO und Irak um die Durchführung der Waffeninspektionen gipfelte 2002 zuletzt in der Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrats. Diese stellte zunächst die „erhebliche Verletzung“ („material breach“) der dem Irak aufgrund der Waffenstillstandsvereinbarung obliegenden Verpflichtungen fest und erklärte weiterhin ein verstärktes Inspektionsregime einzurichten, um den Abschluss des Abrüstungsprozesses herbeizuführen. Schließlich wurde im Absatz 13 daran erinnert, dass der Irak im Falle weiterer Verstöße gegen seine Verpflichtungen „ernsthafte Konsequenzen“ zu tragen hätte. Die genannten Abschnitte sind insbesondere für die spätere Rechtfertigung des Irakkriegs durch die USA und der durch sie angeführte Koalition entscheidend.
Am 5. Februar 2003 präsentierte US-Außenminister Colin Powell dem Sicherheitsrat zahlreiche Materialien, die beweisen sollten, dass der Irak weiterhin über einsatzfähige Massenvernichtungswaffen und geeignete Trägersysteme verfüge. Außerdem führte er an, dass der Irak enge Verbindungen zu al-Quaida unterhalte, was die Befürchtung einer möglichen Weitergabe von ABC-Waffen an terroristische Vereinigungen mit einbezog. Vor diesem Hintergrund forderte er den Sicherheitsrat zur gewaltsamen Durchsetzung seiner bisherigen Resolutionen auf. Gleichzeitig machte er klar, dass die USA im Falle von Uneinigkeit im Rat dazu bereit wären, die Abrüstungsforderungen auch ohne eine entsprechende Resolution gewaltsam durchzusetzen. (Bruns, 2008: S.119 f.) Unterstützt wurden die USA in dieser Haltung innerhalb des Sicherheitsrats vor allem von Großbritannien und Spanien. Die übrigen Ratsmitglieder plädierten demgegenüber weiterhin für eine friedliche Konfliktlösung und Inspektionen. Auch die übrigen Mitglieder der Vereinten Nationen sprachen sich überwiegend gegen ein gewaltsames Vorgehen gegen den Irak aus. Unterstützt wurde die Forderung nach weiteren Inspektionen darüber hinaus vom IAEA- Generaldirektor Mohammed el-Baradei und UNMOVIC- Vorsitzendem Hans Blix. Diese sahen keinerlei Hinweise zur Wiederaufnahme oder Fortführung eines irakischer Programms zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen. (Kühn, 2009: S.451 f.)
Trotzt dieser Widerstände stellte die Bush-Regierung am 17. März 2003 ein Ultimatum an Saddam Hussein, den Irak binnen 48 Stunden zu verlassen. Nachdem dieses von irakischer Seite zurückgewiesen worden war, begann am 19. März 2003 die US-geführte Invasion des Iraks. Innerhalb von nur drei Wochen stießen die militärisch und technologisch weit überlegenen alliierten Kräfte bis nach Bagdad vor. Am 9. April 2003 wurde eine überlebensgroße Statue von Saddam Hussein auf einem der größten öffentlichen Plätze medienwirksam von einem amerikanischen Panzer gestürzt. Am 1. Mai 2003 erklärte George W. Bush die Operation Iraqi Freedom offiziell für erfüllt. (Bruns, 2008, S. 121 f.)
3) Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Ausnahmen
Um die völkerrechtliche Argumentation, sowohl der Kriegsbefürworter als auch derjenigen, die sich gegen eine gewaltsame Intervention stellten, verstehen zu können, ist es zunächst wichtig mit dem fundamentalen Gewaltverbot der UN-Charta und seinen Ausnahmen vertraut zu sein.
Laut Präambel der UN-Charta gehört es zur grundlegenden Aufgabe der Vereinten Nationen „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Zu diesem Zweck steht im Zentrum des errichteten Systems der kollektiven Sicherheit das allgemeine Gewaltverbot. Diese findet vor allem Ausdruck im Art. 2 Nr 4 der UN-Charta:
„ Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. “
Damit wird nicht nur der Krieg als politisches Instrument ausgeschlossen, jede Form der militärisches Gewaltanwendung zwischen Staaten wird durch diese grundsätzliche Norm prinzipiell verboten. „Das Völkerrecht ächtet den Krieg.“ (Murswiek, 2003: S.286) Die UNO-Charta beinhaltet nur zwei Ausnahmen dieses generellen Gewaltverbots : zum einen das Recht auf Selbstverteidigung und zum anderen militärische Zwangsmaßnahmen, die der UN-Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII der Charta anordnet. Demnach kann der Sicherheitsrat, wenn er gemäß Art .39 eine „Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung“ festgestellt, laut Art. 42 auch unter Anwendung von Gewalt, „die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen“ durchführen. Dabei ist der Sicherheitsrat in der Praxis dazu berechtigt, militärische Maßnahmen an bestimmte Mitgliedsstaaten zu delegieren. (Murswiek, 2003: S. 287)
Militärische Gewalt gegen einen Staat bedarf also eines Rechtfertigungsgrund. Sie kann nur dann völkerrechtlich legitim sein, wenn sie einem der genannten Ausnahmefällen entspricht. Die Argumentation, der Irakkrieg sei auch ohne eine explizite Resolution des UN-Sicherheitsrats völkerrechtlich legitim verlief vor diesem Hintergrund zweigleisig. Zum einen wurde behauptet, die vorhandenen Resolutionen beinhalteten bereits eine Ermächtigung zur Gewaltanwendung gegen den Irak. Zum anderen wurde argumentiert, beim Irakkrieg handele es sich um legitime Selbstverteidigung. Im Folgenden sollen diese beiden Argumentationsstränge zunächst dargestellt und dann auf ihre Zulässigkeit hin überprüft werden.
4) Legitimation durch bereits vorhandene Resolutionen
Eine Argumentation für die völkerrechtliche Legitimität des Irakkriegs, der sich alle Mitglieder der „Koalition der Willigen“ gleichermaßen anschlossen, war die, dass die schon vorhandenen Resolutionen des Sicherheitsrats bereits eine Ermächtigung für eine gewaltsame Intervention in den Irak beinhalteten. So sagte der Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith am 17. März 2003 vor dem Britischen Parlament:
„ Authority to use force against Iraq exists from the combined effect of resolutions 678, 687 and 1441. All of these resolutions were adopted under Chapter VII of the UN Charter which allows the use of force for the express purpose of restoring international peace and security. “ (zitiert nach: Conte, 2005: S.140)
Diese Position haben die Vertreter der USA, Großbritanniens und Australiens unter anderem bei der offenen Debatte im Sicherheitsrat am 26. und 27. März 2003 wiederholt. Der Irak habe trotz erneuter Warnung durch die Res. 1441 die in der Res. 687 festgelegten Waffenstillstandsbedingungen wiederholt und schwerwiegend gebrochen. Die irakische Akzeptanz
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