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Wie prägt die Institutionen-Ordnung der Europäischen Union die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene?

©2010 Hausarbeit (Hauptseminar) 20 Seiten

Zusammenfassung

Niklas Luhmann nennt das Treffen verbindlicher Entscheidungen als das „Zweckprogramm“
und damit die Kernfunktion politischer Instituitionen (Röhrich 1977: 76).
Doch wie kommen Entscheidungen in politischen (Mehrebenen-)Systemen zustande und
durch was werden Decision-Making-Prozesse beeinflusst? Ausgehend von diesen
Überlegungen versucht die vorliegende Arbeit die Frage zu beantworten, wie die
Institutionen-Ordnung der Europäischen Union die Entscheidungsprozesse auf europäischer
Ebene prägt.
Um sich der Frage zu nähern, scheint es sinnvoll, zunächst die Organe des politischen
„Mehrebenensystems“ der Europäischen Union zu analysieren und zu untersuchen, welche
Interessen hinter den einzelnen Organen in den europäischen Gesetzgebungs- und
Entscheidungsprozessen stehen, um nachzuvollziehen, welche Positionen sie im Decision-
Making-Prozess (beispielsweise aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer
Zusammensetzung) vertreten. Hierzu werden sowohl die Organe selbst (Kommission, der Rat
und das Europaparlament) als auch die Ausschüsse analysiert, da diese die Legislative der EU
repräsentieren. Außerdem wird das „Institutionellen Gleichgewicht“1 als die Grundlage dieser
Institutionenordnung und der damit verbundenen Kompetenzverteilung untersucht, um das
Spannungsverhältnissen zwischen sowohl europäischen und nationalstaatlichen als auch interorganischen
Interessen besser nachvollziehen zu können (vgl. Bach 2008b: 296).
Dahingehend muss dann untersucht werden, wie der Interessenkonflikt zwischen den Organen
ausgestaltet ist und ausgeglichen wird.
Auf diese Weise kann dann wiederum ebenso nachvollzogen werden, welche Systemlogik
hinter dem gesamten Herrschaftssystem der EU steht und welche Bedeutung der neuartige
Gewaltenteilungsgrundsatz in diesem Zusammenhang für die Organisationsstruktur, d.h. die
Kompetenzverteilung und die Verfahrensordnung besitzt.
Daneben soll diese Arbeit die These überprüfen, ob es sich bei der EU eher um ein
„multidimensionales, vernetztes Verhandlungssystem“ handelt als um ein
Entscheidungsregime im eigentlichen Sinne (vgl. Grande 1995: 332).

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Institutionenbegriff und die Europäische Union
2.1 Politische Institutionen
2.2 Die Europäische Institutionenlogik

3. Die Institutionenordnung der Europäischen Union
3.1 Das „Institutionelle Gleichgewicht“
3.2 Die Organe
3.2.1 Das Europaparlament
3.2.2 Die Kommission
3.2.3 Der Rat
3.2.4 Die Ausschüsse

4. Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Niklas Luhmann nennt das Treffen verbindlicher Entscheidungen als das „Zweckprogramm“ und damit die Kernfunktion politischer Instituitionen (Röhrich 1977: 76).

Doch wie kommen Entscheidungen in politischen (Mehrebenen-)Systemen zustande und durch was werden Decision-Making-Prozesse beeinflusst? Ausgehend von diesen Überlegungen versucht die vorliegende Arbeit die Frage zu beantworten, wie die Institutionen-Ordnung der Europäischen Union die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene prägt.

Um sich der Frage zu nähern, scheint es sinnvoll, zunächst die Organe des politischen „Mehrebenensystems“ der Europäischen Union zu analysieren und zu untersuchen, welche Interessen hinter den einzelnen Organen in den europäischen Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozessen stehen, um nachzuvollziehen, welche Positionen sie im Decision- Making-Prozess (beispielsweise aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer Zusammensetzung) vertreten. Hierzu werden sowohl die Organe selbst (Kommission, der Rat und das Europaparlament) als auch die Ausschüsse analysiert, da diese die Legislative der EU repräsentieren. Außerdem wird das „Institutionellen Gleichgewicht“1als die Grundlage dieser Institutionenordnung und der damit verbundenen Kompetenzverteilung untersucht, um das Spannungsverhältnissen zwischen sowohl europäischen und nationalstaatlichen als auch inter­organischen Interessen besser nachvollziehen zu können (vgl. Bach 2008b: 296). Dahingehend muss dann untersucht werden, wie der Interessenkonflikt zwischen den Organen ausgestaltet ist und ausgeglichen wird.

Auf diese Weise kann dann wiederum ebenso nachvollzogen werden, welche Systemlogik hinter dem gesamten Herrschaftssystem der EU steht und welche Bedeutung der neuartige Gewaltenteilungsgrundsatz in diesem Zusammenhang für die Organisationsstruktur, d.h. die Kompetenzverteilung und die Verfahrensordnung besitzt.

Daneben soll diese Arbeit die These überprüfen, ob es sich bei der EU eher um ein „multidimensionales, vernetztes Verhandlungssystem“ handelt als um ein Entscheidungsregime im eigentlichen Sinne (vgl. Grande 1995: 332).

Ziel der Betrachtung ist es nachzuweisen, dass hinter dem gesamten Herrschaftssystem der EU eine komplexe, bis ins Detail reglementierte Konsensmaschinerie steckt, welche sowohl über die spezielle Institutionenordnung (auf Grundlage eines neuen „Gewaltenteilungsmodells“) als auch formelle und informelle Verfahren (auf allen Entscheidungsebenen) auf den Interessenausgleich gerichtet ist - und nach nichts anderem als strengen Rationalitäts- und Effizienzgrundsätzen funktioniert.

2. Der Institutionenbegriff und die Europäische Union

2.1 Politische Institutionen

Um die Institutionenordnung der Europäischen Union untersuchen zu können, sollte zunächst der Terminus der ,Institution‘ im politischen Sinne näher erläutert werden.

Zwar gibt es keinen universellen Institutionenbegriff in den Sozialwissenschaften, aber häufig findet man folgende Definition: Institutionen sind „sozial definierte, handlungsleitende Systeme von Regeln, die einen verbindlichen gesellschaftlichen Geltungsanspruch erheben und in den Erwartungen der Akteure verankert sind.“ (Florian 2008: 137)

Darüber hinaus stellen Institutionen und institutionelle Ordnungen kulturelle Regelungssysteme dar, in denen „Leitideen, normative Skripte, „rationale“ Handlungsmodelle und dergleichen“ verankert sind (Bach 2008b: 289 ff.). Durch diese Regelungsfunktion werden sie verhaltenswirksam und entfalten so ihre Ordnungsfunktion nach außen (ebd.).

Das bedeutet, dass durch Institutionalisierungen bestimmtes soziales Handeln vorhersehbar und damit willkürlichem Entscheiden vorgebeugt wird. Ihr Geltungsanspruch und die kollektive Verbindlichkeit ergeben sich aus ihrer sozialen Legitimität (vgl. ebd., Florian 2008: 137).

Politische Systeme sind Institutionen, die Entscheidungskompetenzen besitzen und somit „alle untereinander interdependenten politischen Handlungen“ in einer Bezugssphäre zusammenfügen (Münch 1982: 24 f.).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Organisation der Europäischen Union als ein System verschiedener Institutionen in Form von Organen bezeichnet werden kann, dessen Organe wiederum selbst Institutionen darstellen. Wie andere nationale oder internationale politische Akteure erfüllen diese die Funktion, Verlässlichkeit zu schaffen, um politisches Handeln berechenbar und vorhersehbar zu machen (vgl. Lenk 1982: 37 f.). Dies wird dadurch erreicht, dass aus den zum Teil diffusen Wertideen konkrete und verbindliche Leitideen werden (Bach 2008b: 288 ff.), die sich unter anderem in der Organisation bestimmter Entscheidungsverfahren, aber auch dem Selbstverständnis der Organe bzw. Institutionen als Vertretungskörperschaften (z.B. im Fall von Parlamenten der des Volkes) niederschlagen.

Wilfried Röhrich nennt dabei, in Anlehnung an Niklas Luhmann, das Entscheiden über verbindliche Normen und Gesetze als „Zweckprogramm“ politischer Institutionen zu bezeichnen (Röhrich 1977: 76).

Bei der Institutionenanalyse gilt es in diesem Kontext, konfliktuale Zusammenhänge zwischen den einzelnen Institutionen in Entscheidungsprozessen und die Rationalisierung hinter den Institutionalisierungsprozessen zu untersuchen (ebd.), die meist die Grundlage einer jeden Institution darstellen.

2.2 Die Europäische Institutionenlogik

Die Strukturen und Funktionsweisen moderner politischer Systeme sind häufig komplex, da der politische Austausch den Zweck hat, Interessen auszubilden, zu aggregieren und zu artikulieren, sodass am Ende von Verhandlungen universell verbindliche Entscheidungen getroffen werden können (Münch 1982: 216).

Gleiches gilt für die EU: Die Institutionenordnung ist äußerst „komplex und spannungsreich“ (Lepsius 1990: 265). Die einzelnen Organe, d.h. Institutionen, repräsentieren bestimmte Interessen und Wertideen, und verfügen über unterschiedliche Kompetenzen und Ressourcen. Dennoch müssen sie, um bindende Entscheidungen treffen zu können, miteinander interagieren und in den Verhandlungsprozessen in „loyaler Zusammenarbeit“ (Art. 13 III EUV) Kompromisse finden.

Politische Handlungsfähigkeit hängt unmittelbar mit der Ausgestaltung des Institutionensystems zusammen (Seeger 2008: 63): Die Leitideen der europäischen „Verhandlungsregimes“ (Begriff: Bach 2008a: 182) sind dabei Effizienz, Rationalität und Kontinuität (vgl. z.B. ebd., Hoyer 1995: 27 ff.), was vor allem anhand der Organisationsstruktur und den Wegen zur Kompromissfindung deutlich wird. Diese erfolgt auf Grundlage verschiedener vertraglicher Vereinbarungen, die den Organen unterschiedliche Funktionen, Ressourcen und Kompetenzen verbindlich zuordnen und Entscheidungsprozesse in Form von (formellen und informellen) Verfahren festschreiben, welche die Entscheidungsprozesse vorhersehbar und die gefällten Entscheidungen verlässlich machen.

3. Die Institutionenordnung der Europäischen Union

3.1 Das „Institutionelle Gleichgewicht“

Bekanntlich findet man das Prinzip der klassischen Gewaltenteilung, wie man es aus den traditionellen Nationalstaaten kennt, in der EU nicht. Es wurde stattdessen ein neuartige Organisationsstruktur der Gewaltenteilung konstruiert, welche als das „Institutionelle Gleichgewicht“ bezeichnet wird. Zum ersten Mal wurde der Begriff im Zusatzprotokoll des Vertrags von Amsterdam aufgenommen, aber in selbigem war noch keine konkretere Definition des Prinzips zu finden (Brendt 2004: 452) , und auch im Vertrag von Lissabon wird es formal nicht näher erläutert.

Das „Institutionelle Gleichgewicht“ beschreibt das gemeinschaftsrechtliche „Gegenstück zum Grundsatz der Gewaltenteilung“ (Herdegen 2009: 147), hinter welchem sich vor allem die Zuteilung verschiedener Kompetenzen an die unterschiedlichen europäische Institutionen verbirgt.

Wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes ist es, dass jedem Organ genug Autorität beigemessen wird, um eine autonome Aufgabenerfüllung der Akteure mit Entscheidungsbefugnis zu gewährleisten.2

Ganz im Sinne der Systemtheorie Parsons wird so das gesamte System durch integration (Regelung der Beziehung der Systemmitglieder - also im Fall der EU der Organe - untereinander) und (latent) pattern-maintenance (Regelung von Konflikten) im Gleichgewicht gehalten (Wallner 1980: 52 ff.). Dabei besteht die zentrale Funktion des Systems darin, die soziale Komplexität zu reduzieren (Fuhse 2005: 70, in Anlehnung an Niklas Luhmanns Systemtheorie) und die Kapazität bereit zu halten, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen (Fuhse 2005: 79).3

Die institutionelle Konfliktebene der Europäischen Union, die auf Grundlage dieser speziellen Machtbalance und deren funktionaler Kompetenzverteilung zustande kommt, zeichnet sich durch ein „Spannungsverhältnis zwischen Rat, Kommission und Parlament“, also den am Gesetzgebungsverfahren maßgeblich beteiligten Organen aus (Grande 1995: 336). Die Ausgestaltung der europäischen Gesetzgebung unterscheidet sich von der nationalen in erster Linie dadurch, dass die Legislativorgane „gemeinsam“ tätig werden (Art. 14 EUV) und es keine hierarchische Ordnung zwischen ihnen gibt (Zuleeg/Oettingen 2007). Aus dieser Konstellation resultiert ein ,Allokationsproblem‘ von Kompetenten und Ressourcen.4

Grundsätzlich lassen sich allerdings nur zwei wirklich dichotome Interessenlager ausmachen, die sich in den eigentlichen Entscheidungsprozessen der Rechtsetzung gegenüberstehen: Auf der einen Seite ist dies der Rat als Vertretung der Mitgliedstaaten und auf der anderen Seite das Europaparlament als Vertretung der Unionsbürger.5

Die Legislativorgane vertreten innerhalb der wichtigsten Entscheidungsprozesse verschiedene (politische) Interessen, die es in einem Spannungsverhältnis durchzusetzen gilt. Durch die institutionelle Balance von Interessen supranationaler und nationaler Akteure und die relative Autonomie der Entscheidungsträger soll die Kompetenzverteilung manifestiert und zum anderen die demokratische Legitimität der EU-Entscheidungsprozesse gewährleistet werden (Brendt 2004: 453), die scheinbar an das Grundprinzip funktionaler Differenzierung angelehnt ist.

Der Grundgedanke der Rationalität findet sich bei der Ausgestaltung dieses Gewaltenteilungsgrundsatzes vor allem darin, dass sowohl Aufgaben- als auch Kompetenzverteilung darauf zielen, (inter-organische und intergouvernementale und supranationale) Konfliktlinien und Interessengegensätze zu überwinden, und so Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit, intersubjektive Kontrollierbarkeit und kollektive Verbindlichkeit in der Rechtssetzung zu gewährleisten. Die zugrunde liegende Annahme zur Ausgestaltung des Institutionengefüges der EU ist also, „dass Interessengegensätze durch rational ausgestaltete Entscheidungsverfahren und eine breite Einbindung staatlicher und gesellschaftlicher Akteure in den Entscheidungsprozesse am besten überwunden werden können.“ (Brendt 2004: 376)

Der Prozess der Entscheidungsfindung wird im Institutionenkomplex der EU am jeweiligen institutionellen Umfeld ausgerichtet. So erfolgt die Entscheidungsfindung sowohl in der Kommission als auch im Parlament supranational und im Gegensatz dazu im Rat auf intergouvernementaler Grundlage (Brendt 2004: 372).

Jede Modifikation der Institutionenordnung beeinflusst das institutionelle Gleichgewicht, was mit Veränderungen an der Gestalt der EU insgesamt einhergeht (Seeger 2008: 63):

[...]


1Das Prinzip der Gewaltenteilung auf europäischer Ebene. Siehe dazu auch das jeweilige Kapitel dieser Arbeit.

2Zur Entwicklung des Begriffes: vgl. Lenaerts/Verhoeven 2002: 36ff..

3EuGH Rs. 5/85, Slg. 1986, S. 2585, 2615-2616, § 37-40 - AKZO Chemie/Kommission.

4Ausführlicher dazu: Bach 2008b: 294.

5 Das Interesse der Kommission hat nur insofern Auswirkungen auf die Richtungsweisung von Gesetzgebungsverfahren, als dass sie als einziges Organ gem. Art. 294 AEU (Mitentscheidungsverfahren) Gesetzesinitiativ einbringen kann.

Details

Seiten
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783640692644
ISBN (Paperback)
9783640693580
DOI
10.3239/9783640692644
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Passau – Lehrstuhl für Soziologie
Erscheinungsdatum
2010 (August)
Note
1,0
Schlagworte
EU Institutionen Systemlogik Europäische Union
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