Von der lehrenden Organisation zur "lernenden Organisation" - Anforderungen an die Schulleitung im Kontext der Entwicklung zur „lernenden Organisation"
Zusammenfassung
Es mutet zunächst paradox an, die Schule als „lernende Organisation“ zu bezeichnen, da ihre Funktion primär darin besteht, dass in ihnen gelehrt und gelernt wird. Rolff (1998, S. 309) fragt gar, ob Schulen überhaupt lernen können oder die Rede von der „lernenden Schule“ lediglich eine Metapher ist.
Diese Arbeit geht der Frage nach wie eine lehrende Organisation zu einer lernenden Organisation werden kann, die nicht nur Reformen bewältigt, sondern den fachkundigen Umgang mit Veränderungen als einen normalen Bestandteil in ihren Arbeitsalltag einbezieht Ein Grund weshalb wir lernende Schulen brauchen, ist der Umstand, dass Veränderungen in komplexen Systemen nicht linear verlaufen, sondern immer wieder eine überraschende Wende nehmen können. Aber wenn die Schule lernt, eine neue Haltung gegenüber Problemen einzunehmen, kann sie lernen, mit dem „Ungewissen“ umzugehen, Lehrende, wie Lernende werden davon profitieren können.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die lernende Organisation
2.1 Der Begriff der lernenden Organisation
2.2 Die fünf Disziplinen der lernenden Organisation nach Senge
2.2.1 Systemdenken
2.2.2 Personal Mastery
2.2.3 Mentale Modelle
2.2.4 Gemeinsame Visionen
2.2.5 Team-Lernen
2.3 Besonderheiten der Schule als lernende Organisation
2.4 Schulen als lernende Organisationen: Voraussetzungen
3. Anforderungen an die Schulleitung im Kontext der Entwicklung zur lernenden Organisation
3.1 Teamentwicklung im Lehrerkollegium
3.1.1 Merkmale guter Teamarbeit
3.1.2 Schwierigkeiten und Hindernisse in der
Teamentwicklung
3.2 Kommunikation im Lehrerteam
3.3 Die Rolle der Lehrerweiterbildung
4. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zusammenwirken von Steuergruppe, Klassen- und Fachteams
1. Einleitung
Die Gesellschaft erwartet, dass der Bürger fähig ist, mit Veränderungen konstruktiv umgehen zu können, sowohl privat, als auch im dynamischen Kontext eines globalen, multikulturellen Wandels. Das Bildungswesen ist die einzige gesellschaftliche Institution, die über das Potential verfügt, um einen wesentlichen Beitrag zu diesem Ziel zu leisten (Fullan 1999, S. 21). Allerdings ist das Bildungssystem alles andere als eine visionäre Stätte der Wandlungsfähigkeit und vermittelt keineswegs grundlegende Fertigkeiten im Umgang mit Veränderungen, weil die Schule als Organisation mit Veränderungen nur schwer umzugehen weiss. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, müssen sich Mitarbeitende von Schulen selbst zu Experten eines dynamischen Wandels entwickeln (Fullan 1999, S. 21).
Es mutet zunächst paradox an, die Schule als „lernende Organisation“ zu bezeichnen, da ihre Funktion primär darin besteht, dass in ihnen gelehrt und gelernt wird. Rolff (1998, S. 309) fragt gar, ob Schulen überhaupt lernen können oder die Rede von der „lernenden Schule“ lediglich eine Metapher ist.
Diese Arbeit geht der Frage nach wie eine lehrende Organisation zu einer lernenden Organisation werden kann, die nicht nur Reformen bewältigt, sondern den fachkundigen Umgang mit Veränderungen als einen normalen Bestandteil in ihren Arbeitsalltag einbezieht Ein Grund weshalb wir lernende Schulen brauchen, ist der Umstand, dass Veränderungen in komplexen Systemen nicht linear verlaufen, sondern immer wieder eine überraschende Wende nehmen können. Aber wenn die Schule lernt, eine neue Haltung gegenüber Problemen einzunehmen, kann sie lernen, mit dem „Ungewissen“ umzugehen, Lehrende, wie Lernende werden davon profitieren können.
Das Kapitel 2 beleuchtet den Begriff der lernenden Organisation und erläutert Peter Senges anerkanntes Konzept, wie sich Organisationen zu lernenden Organisationen entwickeln können. Weiter wird der Frage nachgegangen welche Besonderheiten die Schule als lernende Organisation aufweist und welche Voraussetzungen nötig sind, um den Veränderungs- prozess zu animieren. Kapitel 3 befasst sich mit den Anforderungen an die Schulleitung, die eine Schlüsselfunktion in diesem Prozess inne hat. Wesentliche Anstösse müssen von ihr in der Teamentwicklung, der Kommunikation im Team und der Weiterbildung von Teammitgliedern geleistet werden. Schliesslich wird die Arbeit in einem Fazit und einem Ausblick abgerundet.
2. Die lernende Organisation
2.1 Der Begriff der lernenden Organisation
Unter Organisationen versteht man „dauerhafte soziale Gebilde zum Zwecke der Erreichung gemeinsamer Ziele“ (Dalin/Rolff/Buchen 1998, S. 203). Sie zeichnen sich durch hierarchische Strukturen aus, an deren Spitze eine Person mit Leitungsfunktionen steht und über Autorität verfügt. Organisationen sind dabei geprägt von formalen Kommunikationseinflüssen, parallel dazu verlaufen informelle Kanäle der Kommunikation. Die Mitglieder der Organisation sind dabei meist an Richtlinien und Vorschriften in ihrem zweckrationalen Handeln gebunden (Dalin et al. 1998, S. 203). Der Terminus des „organisationalen Lernens“ taucht laut Stotz (1999, S. 1) zum ersten Mal bei Thompson auf (1967, S. 9), der den Begriff jedoch nicht umfassend erläutert. Stotz vermutet, dass Thompson den Begriff als Analogie zum Begriff des „individuellen Lernens“ einführte, um darauf aufmerksam zu machen, dass auch Unternehmen einen Lernprozess durchlaufen müssen, wenn sie langfristig überleben wollen (Thompson 1967, S. 9, zit. in: Stotz 1999, S. 1). Seither wurden zahlreiche Publikationen zum Thema veröffentlicht, wobei die Positionen der Autoren keinesfalls homogen sind und mitunter zu einer Verwirrung von Begrifflichkeiten geführt haben (Geissler 1998, S. 163). Die Begriffe „Organisationslernen“, „organisationales Lernen“ und „lernende Organisationen“ werden zumeist synonym verwendet, beziehungsweise nicht klar voneinander abgetrennt (Goh 2001, S. 330). Agyris und Schön (1999, S. 190) sehen zwei Strömungen in der Literatur: die praxisorientierte, normative Literatur, die von Beratern und Praktikern verfasst wird und die skeptische Fachliteratur der Wissenschaftler über organisationales Lernen. Erstere Richtung wendet sich an die Praktiker, die ihr Unternehmen in die Richtung der lernenden Organisation steuern wollen, während die zweite Richtung sich an Leser richtet, die eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema suchen. In grundlegenden Punkten überschneiden sich beide Strömungen:
- „in ihren Vorstellungen darüber, was das organisationale Lernen wünschenswert oder produktiv macht;
- in ihren Ansichten über das Wesen der Bedrohungen für ein produktives Lernen in Organisationen;
- in ihrer Haltung dazu, ob – und wenn ja, wie solche Bedrohungen überwunden werden können“ (Agyris/ Schön 1999, S. 190).
Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass die „lernende Organisation“ davon ausgeht, dass lernen wertvoll ist, kontinuierlich abläuft und am Effektivsten ist, wenn es gemeinsam geschieht. Jede Erfahrung stellt dabei eine Gelegenheit zum Lernen dar (Rowden 2001, S. 15). Wiegand versucht eine positiv konnotierte Wertung des Begriffs der lernenden Organisation zu vermeiden und definiert, dass organisationales Lernen dann stattgefunden hat, „[…], wenn durch zustandsgebundene (Lern-)Prozesse in/oder von Organisationen Wissen geschaffen wurde, das die Verhaltensmöglichkeiten der Organisationen vergrössert“ (Wiegand 1996, S. 15).
Auf dem Feld der praxisorientierten Mangagementliteratur zum Thema der „lernenden Organisation“, hat Peter Senge 1990 einen Bestseller geschrieben, der sich mittlerweile in der 10. Auflage (Senge 2008) befindet. Sein Konzept der lernenden Organisation ist auch für die Entwicklung von Schulen zur Leitvorstellung geworden (Krainz-Dürr 1999, S. 31). Im folgenden Kapitel wird ein Überblick über die fünf Schwerpunkte seines Konzepts gegeben.
2.2 Die fünf Disziplinen der lernenden Organisation nach Senge
Peter M. Senge ist Leiter des im Jahre 1991 gegründeten Center for Organizational Learning am Massachusetts Institute of Technology. Sein Buch „The Fifth Discipline“, das erstmals 1990 erschien, war zunächst als Antwort auf die sinkende Konkurrenzfähigkeit US-amerikanischer Unternehmen bei gleichzeitigen Erfolgen der japanischen Industrie gedacht. Sein neues Konzept sollte Organisationen Verbesserungsvorschläge für eine effizientere Organisationsstruktur liefern (Wiegand 1996, S. 274). Senge definiert fünf Bausteine, welche er für eine Organisation nötige Disziplinen nennt. Mit der Bezeichnung „Disziplin“ ist dabei eine Theorie und Methodik gemeint, die gelernt und beherrscht werden muss, um sie in der Praxis umsetzen zu können, eine Art Entwicklungsweg, auf dem der Einzelne bestimmte Fertigkeiten erwirbt, die für die gesamte Organisation nutzbar gemacht werden können. Nachfolgend werden diese Disziplinen erläutert.
2.2.1 Systemdenken
Das so genannte „Systemdenken“ ist für Senge die wichtigste seiner fünf Disziplinen, er bezeichnet sie gar als „Grundstein für die Weltanschauung einer lernenden Organisation“ (Senge 1996, S.89). Unter Systemdenken versteht er ein Denken, das die Welt als „Ganzheit“ erfasst. Erst dadurch würden Wechselbeziehungen und Veränderungsmuster, zum Beispiel bei aufkommenden Schwierigkeiten, verstanden. Dieses Erfassen der Ganzheit tritt an Stelle der Wahrnehmung sich als Opfer eines Problems zu sehen oder den Fokus nur auf einzelne Momentaufnahmen zu richten. Für Senge ist Systemdenken wichtiger als je zuvor, weil die Welt immer komplexer wird und nur das Erfassen der Systeme die Komplexität reduziert oder sie verständlicher macht (Senge 1996, S. 88).
2.2.2 Personal Mastery
Senge sieht in der Personal Mastery die „Disziplin der Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung“, und versteht darunter das Leben mit schöpferischer Kraft zu bewältigen (Senge 1996, S. 173). Immer wieder soll selbstreflektierend geklärt werden, welche Ziele, Senge nennt sie Visionen, man verfolgen möchte. Um der Vision näher zu kommen, muss parallel ein Bewusstsein für die aktuelle Realität entwickelt werden. Dieses duale Bewusstsein „von was man will und was man hat“ lässt häufig eine „kreative Spannung“ (Senge 1996, S. 174) entstehen, die nach Entspannung strebt. Zwei Wege führen zur Entspannung, entweder die Vision nähert sich der Realität oder die Realität nähert sich der Vision (Senge 2000, S. 59). Das stetige Vergleichen zwischen seinem erklärten Ziel und dem tatsächlichen Ist-Zustand erfordert ein hohes Mass an Selbstreflexion und ist ein Prozess des lebenslangen Lernens (Senge 1996, S. 175). Personal Mastery kann weder erzwungen noch von oben verordnet werden, jedoch kann sie durch ein entsprechendes Arbeitsklima gefördert werden. Eine Arbeitsumgebung, in der die Mitarbeiter gefahrlos Visionen entwickeln und erforschen können, „in der die Verpflichtung zur Wahrheit die Norm ist und das Infragestellen des Status quo erwartet wird“, ist die bestmögliche Ausgangslage (Senge 1996, S. 211). „Erst wenn die Menschen aller Stufen einer Organisation diese Fähigkeit besitzen, kann eine lernende Organisation entstehen“ (Senge 1996, S. 174). Besonders wichtig hierbei ist die Vorbildfunktion von Vorgesetzten, die andere Mitarbeitende zur Nachahmung ermutigen (Senge 1996, S. 212).
2.2.3 Mentale Modelle
Peter Senge nennt seine dritte Disziplin „mentale Modelle“ und meint damit „tief verwurzelte Annahmen, Verallgemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die grossen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln“ (Senge 1996, S. 17). Mentale Modelle erklären weshalb zwei Menschen, welche objektiv die gleiche Gegebenheit beobachten diese unterschiedlich beschreiben werden, weil sie sich an differierenden Details orientieren und dabei ihr Denken und Handeln unbewusst in eine bestimmte Richtung forcieren (Senge 2000, S. 67). Nur das Aufdecken der mentalen Modelle ermöglicht die Fähigkeit zu einer veränderten und erweiterten Sichtweise. Dafür notwendig ist sowohl ein hohes Mass an Selbstkritik und Selbstreflexion, als auch die Bereitschaft mit anderen Menschen im Austausch zu stehen, deren Meinung zu ergründen, eigene Gedanken darüber auszudrücken, wie auch Kritik darüber ertragen zu können (Senge 1996, S.18). Mentale Modelle lösen Lernblockaden aus, umgekehrt kann Lernen beschleunigt werden, wenn man sich ihrer bewusst wird (Senge 2000, S. 68).
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