Der tolerante Atheismus - Eine kritische Untersuchung bestehender Atheismuskonzepte
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung Atheismus
2.1 Die zwei Säulen des Atheismus
2.2 Atheismus im weiteren und im engeren Sinne
3. Atheismus: voraussetzungslos oder religionskritisch?
3.1 Der voraussetzungslose Atheismus
3.2 Der religionskritische Atheismus
4. Der tolerante Atheismus
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ich fühle mich nicht zu dem Glauben verpflichtet, dass derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, von uns verlangt, dieselben nicht zu benutzen.” 1 Dieser Satz stammt von Galileo Galilei und drückt aus, dass jeder Mensch selbst bestimmen soll, ob und an welchem Glauben er oder sie festhält. Nichtreligiöse Menschen versuchen oft nicht, ihre Glaubensrichtung zu definieren und antworten auf entsprechende Fragen, sie seien Atheisten oder Agnostiker. ͢Ich glaube nicht an Gott, aber ich weiß, dass dort etwas ist' deutet zunächst auf einen atheistischen Menschen hin. Oftmals erkennt man durch nachfragen, dass die Betreffenden häufig nicht wissen, was genau hinter diesen Begriffen steckt. Jeder Mensch definiert seine Glaubensvorstellungen anders und doch gibt es religiöse Vereinigungen, die auf einer gemeinsamen Doktrin aufbauen.
Hinter dem Begriff Atheismus verbirgt sich dagegen keine geschlossene Gruppe, ja nicht einmal ein geschlossenes Glaubenssystem. Man kann Atheist sein und trotzdem die grundlegenden wissenschaftlichen Fakten anzweifeln und glauben, der Regenbogen entstünde, weil eine Werbefirma eine große Kampagne gestartet habe. Methodisch gesehen ist es demnach schwierig, das Konzept des Atheismus zu bestimmen, da eines seiner Merkmale darin besteht, dass er heterogen ist und sich nicht auf eine grundlegende Doktrin beschränken lässt.
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Begrifflichkeit des Atheismus auseinander und untersucht verschiedene Ordnungssysteme. Aufgrund der bereits genannten Heterogenität und offenen Definitionsmöglichkeit können nicht alle möglichen theoretischen Ansätze aufgearbeitet werden. Dies wäre eine Lebensaufgabe und Sisyphusarbeit, da es so viele Erklärungsansätze wie Atheisten gibt. Ich stelle atheistische Extrema vor und erarbeite einen Atheismusbegriff, der in unserer pluralistischen Gesellschaft die Möglichkeit der friedlichen Koexistenz bietet und dabei fruchtbare Diskurse zulässt, ohne die jeweils andere Partei von einem nicht vorhandenen allgemeingültigen Wahrheitsanspruch zu überzeugen. Denn die Wahrheit hängt immer vom Standpunkt ab und dieser ist für jeden Menschen ein wenig verschoben.
2. Begriffsklärung Atheismus
Das Wort Atheismus steht in Opposition zu dem Wort Theismus. Das griechische „theos" kann mit „Gott" ubersetzt werden. Ein Theist ist demnach ,mit Gott'. Die Vorsilbe ,a' druckt jedoch eine Verneinung aus. Somit ist ein Atheist ein Mensch ,ohne Gott'.2 In seiner wörtlichen Bedeutung drückt der Atheismus ein Leben ohne Zugehörigkeit zu einer Religion aus, die als Grundvorstellung einen oder mehrere Götter hat. Es muss zwischen einem Atheisten, einem Agnostiker und einem Häretiker unterschieden werden. Agnostiker behaupten, dass die Existenz göttlicher Wesen nicht bewiesen werden kann, sie aber vorkommen könnten. Häretiker propagieren dagegen eine bestimmte Interpretation religiöser Ansichten, die konträr zum etablierten Konsens stehen.
Ein weiteres Merkmal des Atheismus besteht in seiner Heterogenitat. Es gibt keine grundlegende Doktrin oder alleinige, zwingend atheistische Weltanschauung. Atheisten haben diverse Grunde, den Glauben an ein mono- oder polytheistisches Weltbild abzulehnen. Auch „gibt (es) keinen gemeinsamen Kanon von Texten, auf den sich alle Atheisten berufen wurden."3 Religionen und religiöse Glaubenssysteme dagegen benötigen einen gemeinsamen Kanon, welcher die Grundlagen der Religion festhält und das entsprechende Wertesystem formuliert.
2.1 Die zwei Säulen des Atheismus
Die atheistische Weltanschauung bestreitet die Existenz von Wesen, die ohne naturwissenschaftliche Beweise nicht belegt und die durch rationale Überlegungen widerlegt werden können. Zudem werden entsprechende Weltanschauungen abgelehnt und als unvernünftig klassifiziert. Kahl entwickelte zwei Säulen des Atheismus, die erklären, was die atheistische Position ausmacht. Er postuliert:
Die beiden Säulen des Atheismus lauten: 1. Es gibt keinen Gott, der die Welt erschaffen hat. Die Welt ist keine Schöpfung, sondern unerschaffen [sic] unerschaffbar, unzerstörbar, kurz: ewig und unendlich. Sie entwickelt sich unaufhörlich gemäß den ihr innewohnenen [sic] Gesetzmäßigkeiten, in denen sich Notwendiges und Zufälliges verschränken. 2. Es gibt keinen göttlichen Erlöser. Die Welt ist unerlöst und unerlösbar, voller Webfehler und struktureller Unstimmigkeiten, die aus der Bewußtlosigkeit [sic] ihrer Gesetzmäßigkeiten herrühren.4
Zunachst darf die Welt nicht als der ,Planet Erde' definiert, sondern muss als ,das Universum' verstanden werden. Hatte Gott nur die Erde erschaffen, dann lieRe sich fragen, woher die Sonne und andere Sterne herkamen. Es lasst sich argumentieren, dass das Universum mitnichten ewig und unendlich sei. Ewigkeit bedeutet, ein Ding hatte weder einen Anfang noch ein Ende. Die Rotverschiebung des Lichtes von Galaxien belegt aber eine stetige Expansion des Universum. Dreht man den von Hawking postulierten Zeitpfeil 5 um, dann ergibt sich eine Kontraktion des Universums, an dessen Ende alle Materie sich auf einem Punkt zusammenfindet: der sogenannten Urknallsingularität. In ihr sind alle Naturgesetze enthalten, aber nicht ausgeprägt. In der Singularität war die gesamte Raumzeit vor ca. 13,7 Milliarden Jahren auf einem unendlich dichten und unendlich kleinen Punkt konzentriert und hat sich dann aufgrund einer unbekannten Ursache plötzlich ausgedehnt. Das war im Folgenden Grundlage für die Entstehung von Materie und somit auch Planeten wie der Erde. Entsprechend gab es zu diesem Zeitpunkt weder Raum noch Zeit. Es ist nicht logisch von einem ,Davor' zu sprechen, weil ein ,Davor' wissenschaftlich betrachtet nicht existieren kann. Mit dem Urknall begann nicht nur das Universum, sondern auch die Zeit. Das Universum hatte demnach in der Tat einen Anfang hatte und man kann dementsprechend nicht behaupten, es sei ewig. Auch das Ende des Universums wurde bereits bewiesen. Alexander Friedmann entwickelte das erste von drei nach ihm benannten Modellen, wonach die Ausdehnung des Universums unvermeidlich entweder zu einem Stillstand, einer immer langsamer werdenden Expansion oder zu einer Kontraktion führen wird. Jedes der drei Modelle führt dazu, dass letztendlich Materie in einen Zustand versetzt wird, der keine Energieübertragung mehr zulässt. Ohne sie können keine Kräfte übertragen werden und die Materie verliert ihre Bindung auf subatomarer Ebene. Das Ende der baryonischen Materie als Medium der Kräfteübertragung bedeutet das Ende des Universums. Kahls Annahme, die Welt sei ewig und unzerstörbar, ist somit falsch.
Dazu postuliert Kahl, dass das Universum auf räumlicher Ebene unendlich sei. Einsteins Modell der Raumzeit als untrennbares Gefüge der Realität zeigt, dass das Universum aufgrund der Gravitation in sich selbst gekrümmt ist. Es sei ähnlich einer Kugel, auf der man, wenn man immer geradeaus läuft, wieder am Ursprungsort ankommt. Die Ausdehnung einer Kugel könne aber nie als unendlich bezeichnet, sondern sogar berechnet werden, wenn man nur den Radius dieser Kugel kennen würde.6
In der zweiten Saule negiert Kahl die Existenz eines gottlichen Erlosers und behauptet, die Welt sei „voller Webfehler und struktureller Unstimmigkeiten."7 Ich erachte als gänzlich unnötig, da sie im Widerspruch zuer ersten Säule steht: ohne einen Gott kann es auch keinen göttlichen Erlöser geben. Strukturelle Unstimmigkeiten sind das Ergebnis einer Evolution und werden durch Selektion aus der Realität der Existenz entfernt. Es bleibt die Frage, wovon der Mensch erlöst werden soll, wenn die Unfreiheit doch selbst verschuldet und damit nur durch den menschlichen Erlöser, nämlich nur durch sich selbst, gebrochen werden kann. Der atheistisch denkende Mensch erkennt die selbst verschuldete Unfreiheit und befreit sich aus dieser, ohne auf die Unterstützung eines transzendenten Wesens angewiesen zu sein.
Die beiden Säulen des Atheismus sind im Ansatz ein guter Weg, allerdings ungenau formuliert und redundant. Daher korrigiere ich: Es gibt keinen Gott, der das Universum erschaffen hat. Das Universum ist keine Schöpfung, sondern ein System, das auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruht und in denen sich Notwendiges und Zufälliges verschränken. In einer atheistischen Welt wird auch das Konzept der Erlösung nicht benötigt, da es nichts gibt, wovon erlöst werden müsste.
2.2 Atheismus im weiteren und im engeren Sinne
Atheismus kann im weiteren oder im engeren Sinne definiert werden. Atheismus im weiteren Sinne wird gefasst als „die Verneinung der Existenz transzendenter, der Sinneserfahrung oder Vernunfteinsicht nicht zuganglicher Machte sowie die Ablehnung von Weltanschauungen, die diese zugrundelegen."8 Demnach wird nicht nur der persönliche Gott monotheistischer Religionen negiert, sondern auch Wesen wie Elfen, Trolle, Kobolde oder der Teufel sowie Lehren, die die Existenz dieser Wesen verbreiten.
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1 Galileo Galilei auf: http://zitate.net/gott.html.
2 Vgl. Raters 2009, S. 17.
3 Raters 2009, S. 17.
4 Kahl http://www.ibka.org/artikel/ag98/atheismus.html.
5 Vgl. Hawking 1999, S. 187.
6 Vgl. Hawking 1988.
7 http://www.ibka.org/artikel/ag98/atheismus.html.
8 Burkard 1999, S. 47.