Werkstätten für behinderte Menschen bei der Eingliederung ins Arbeitsleben. Das Spannungsfeld zwischen Exklusion und Inklusion
Zusammenfassung
sollen. Im Jahr 2007 verzeichneten die deutschen Werkstätten über 275.000 Beschäftigte; Menschen, „[...] die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können [...]“. Während Werkstätten auf der einen Seite einen rechtlichen, sozialpolitisch gewollten Auftrag erfüllen, der die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben beinhaltet, werfen KritikerInnen den Institutionen auf der anderen Seite vor, das gleichberechtigte Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen zu unterbinden: „ ,Behindertenwerkstätten sind Aussonderungseinrichtungen. Zwar sind es oft sehr schöne Gebäude, aber sie bleiben ein goldener Käfig.’ [...] Eine wirkliche Inklusion der Behinderten in die Gesellschaft und den ersten Arbeitsmarkt finde über die Werkstätten nicht statt.“
Dem Verfasser stellt sich im Folgenden die Frage, inwiefern sich das hier beschriebene Spannungsfeld zwischen den beiden Polen Ex- und Inklusion begreifen lässt. Hierzu ist es erforderlich, verschiedene Perspektiven einzunehmen um ein möglichst genaues Gesamtbild über die verschiedenen Wirkungspotenziale der WfbM zu erlangen.
Im ersten Abschnitt dieser Arbeit wird der Verfasser kurz die dieser Arbeit zugrunde liegenden Begriffe Exklusion und Inklusion erläutern, um mögliche Verständnisschwierigkeiten in der Auslegung der nachfolgenden Ausführungen zu verhindern.
Im anschließenden Kapitel wird aus soziologischer Sicht hinterfragt, inwiefern sich der Status des Menschen mit Behinderung auf dessen Arbeitssituation auswirkt und
wo sich Faktoren für Ex- bzw. Inklusion in der derzeitigen Konzeption der Teilhabe am Arbeitsleben ausmachen lassen. Nachfolgend liefert der Text eine Auseinandersetzung mit den sozialpolitischen Rahmenbedingungen der Werkstätten für behinderte Menschen und möglichen Konsequenzen. Bevor der Verfasser abschließend ein Resümee aus den vorangegangenen Erarbeitungen zieht, betrachtet Abschnitt 5 der Arbeit die für den Bereich der Sonder- und Rehabilitationspädagogik eminente UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und hinterfragt, inwiefern die dort benannten Rechte eine Umgestaltung der bundesdeutschen Sozialpolitik und der Teilhabe am Arbeitsleben nach sich ziehen müssen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung: Exklusion - Inklusion
3.Arbeit und Behinderung aus soziologischer Perspektive
4.Die sozialpolitischen Rahmenbedingungen der WfbM
5.Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre Implikationen für die Gestaltung von Erwerbstätigkeit
6.Fazit: Werkstätten für behinderte Menschen im Spannungsfeld zwischen Exklusion und Inklusion
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Werkstätten für behinderte Menschen sind staatlich geförderte Einrichtungen, die die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in das Arbeitsleben unterstützen sollen. Im Jahr 2007 verzeichneten die deutschen Werkstätten über 275.000 Beschäftigte[1] ; Menschen, „[...] die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können [...]“[2]. Während Werkstätten auf der einen Seite einen rechtlichen, sozialpolitisch gewollten Auftrag erfüllen, der die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben beinhaltet, werfen KritikerInnen den Institutionen auf der anderen Seite vor, das gleichberechtigte Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen zu unterbinden: „ ,Behindertenwerkstätten sind Aussonderungseinrichtungen. Zwar sind es oft sehr schöne Gebäude, aber sie bleiben ein goldener Käfig.’ [...] Eine wirkliche Inklusion der Behinderten in die Gesellschaft und den ersten Arbeitsmarkt finde über die Werkstätten nicht statt.“[3] Dem Verfasser stellt sich im Folgenden die Frage, inwiefern sich das hier beschriebene Spannungsfeld zwischen den beiden Polen Ex- und Inklusion begreifen lässt. Hierzu ist es erforderlich, verschiedene Perspektiven einzunehmen um ein möglichst genaues Gesamtbild über die verschiedenen Wirkungspotenziale der WfbM zu erlangen.
Im ersten Abschnitt dieser Arbeit wird der Verfasser kurz die dieser Arbeit zugrunde liegenden Begriffe Exklusion und Inklusion erläutern, um mögliche Verständnisschwierigkeiten in der Auslegung der nachfolgenden Ausführungen zu verhindern. Im anschließenden Kapitel wird aus soziologischer Sicht hinterfragt, inwiefern sich der Status des Menschen mit Behinderung auf dessen Arbeitssituation auswirkt und wo sich Faktoren für Ex- bzw. Inklusion in der derzeitigen Konzeption der Teilhabe am Arbeitsleben ausmachen lassen. Nachfolgend liefert der Text eine Auseinandersetzung mit den sozialpolitischen Rahmenbedingungen der Werkstätten für behinderte Menschen und möglichen Konsequenzen. Bevor der Verfasser abschließend ein Resümee aus den vorangegangenen Erarbeitungen zieht, betrachtet Abschnitt 5 der Arbeit die für den Bereich der Sonder- und Rehabilitationspädagogik eminente UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und hinterfragt, inwiefern die dort benannten Rechte eine Umgestaltung der bundesdeutschen Sozialpoltik und der Teilhabe am Arbeitsleben nach sich ziehen müssen.
Letztlich sei angemerkt, dass sich die folgende Arbeit zugunsten einer dezidiert aussagekräftigen Auseinandersetzung ausschließlich auf die Bundesrepublik Deutschland beziehen kann, da die internationale Qualität der sozialpolitischen Ausgestaltung der Erwerbstätigkeit von Menschen mit Behinderungen höchst divergent ist.
2. Begriffsklärung: Exklusion - Inklusion
Bevor im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht wird, inwiefern Werkstätten für behinderte Menschen zur Eingliederung ins Arbeitsleben beitragen bzw. diese verhindern, erscheint es dem Verfasser von Nöten, die zugrunde liegenden Antonyme Exklusion und Inklusion kurz zu erläutern und auf eine dem Inhalt der Untersuchung angemessene Bedeutung anzupassen.
Bei der Sichtung der vorhandenen Literatur wird schnell deutlich, dass die hier zu definierenden Begriffe mit einer gewissen Unschärfe verwendet werden und je nach Auslegung unterschiedliche Ausprägungen erfahren.[4] Gerade in der Behindertenhilfe wird die populistische Verwendung des Terminus Inklusion kritisch angemahnt: „Noch immer besteht kein gesellschaftlich konsensual gefundenes Verständnis davon, was mit diesem Begriff [der Inklusion, F.D.] gemeint ist.“[5] Andreas Hinz kommt für den Bereich der Sonderpädagogik zu einem ähnlichen Ergebnis: „So droht Inklusion zu einem weiteren Begriff zu werden, der seines eigentlichen Inhalts mit allen Konsequenzen entfremdet wird und als neuer Modebegriff in den sonderpädagogischen Diskurs als Teil seines alltäglichen Selbstverständnisses Einzug hält.“[6]
Ein für diese Arbeit adaptierbares Konzept der Begriffe Exklusion - Segregation - Integration - Inklusion hat Hinz im Anschluss an Alfred Sander formuliert:
- Exklusion meint, dass Personen ganz und gar aus einem System ausgeschlossenwerden.
- Segregation bedeutet, dass Menschen nach bestimmten Kriterien in je eigeneInstitutionen gruppiert werden.
- Integration zieht die Auflösung institutioneller Trennung nach sich, wobei dasWeiterbestehen von zwei Gruppen innerhalb eines Bezugsrahmens zu einerDokumentation der Abweichung der zu Integrierenden bzw. zu einer positivenDiskriminierung führt.
- Inklusion beschreibt einen Zustand, in dem die Unterschiede innerhalb einerGruppe gleichrangig behandelt werden, ohne dass die Dominanz einer be- stimmten Normalität vorliegt.[7]
Auf der Grundlage dieser Definitionen soll im weiterführenden Text untersucht werden, inwiefern die Konzeption der Werkstätten für behinderte Menschen zu einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben beiträgt.
3. Arbeitund Behinderung aus soziologischer Perspektive
Der normative Status von Arbeit hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten grundlegend gewandelt; im soziologischen Diskurs sprechen wir von einem Strukturwandel von der Agrargesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft.[8] Arbeit im Sinne von Erwerbstätigkeit hat daher einen hohen Stellenwert und geht über den Status der Sicherung finanzieller Grundbedürfnisse weit hinaus.[9] Während reproduktiven Tätigkeiten im Allgemeinen eine geringere Bedeutung beigemessen wird, definiert das Berufsleben den individuellen sozialen Status, formt die Persönlichkeit und trägt einen wichtigen Teil zur Identitätsbildung bei.[10] Menschen, die keiner regulären Erwerbsarbeit nachgehen, werden durch den aktuellen sozialpolitischen Diskurs ausgegrenzt und erfahren direkte Sanktionsmaßnahmen.[11] Erwerbsarbeit hat somit einen exklusiven Charakter, da wir heute davon ausgehen müssen, dass sie nicht mehr allen Mitgliedern unserer Gesellschaft in ausreichendem Maße zur Verfügung steht.[12] Die Folgen dieses Ausschlusses sind weitreichend: „Denn die faktische Ausschließung aus einem Funktionssystem - keine Arbeit, kein Geldeinkommen [...] beschränkt das, was in anderen Systemen erreichbar ist und definiert mehr oder weniger große Teile der Bevölkerung, die häufig auch wohnmäßig separiert und damit unsichtbar gemacht werden.“[13] ; es droht ein Exklusionsdrift[14].
Menschen mit Behinderungen haben grundlegend die gleichen anthropologischen Bedürfnisse, wie Menschen, bei denen keine kognitiven, psychischen oder physischen Beeinträchtigungen festgestellt wurden. Eine Behinderung kann von den jeweilig Betroffenen jedoch als eindeutiges Ausgrenzungsmerkmal erfahren werden, da sie durch der der Behinderung zugrunde liegenden Funktionsabweichung nicht nur von der statistischen Norm divergieren, sondern zusätzlich durch normative Attribuierungsprozesse als systemisch Außenstehend etikettiert werden.[15] Das Konzept der beckschen Risikogesellschaft hat jedoch für Menschen mit Behinderungen nur eine begrenzte Wirkmacht, da sie von den Pluralisierungstendenzen moderner Gesellschaften bloß mittelbar betroffen sind und eine Orientierung an der Normalbiografie stattfindet.[16] Dennoch lässt sich konstatieren, dass die Bedeutung von Erwerbsarbeit von Menschen mit und ohne Behinderungen qualitativ gleich gewichtet ist[17], auch wenn behinderte Menschen „die Ausübung einer Arbeitstätigkeit als höheren Statusgewinn empfinden als Menschen ohne Behinderungen“[18]. Berufstätigkeit ist für Menschen mit Behinderungen eine Möglichkeit, Selbstfindung und Selbstgestaltung zu erleben[19], auch wenn sie dabei nur begrenzt Ziel-Mittel-Beziehungen, den Tausch von Arbeitskraft gegen Lohn, erfahren.[20] Die Werkstatt für behinderte Menschen kann hierbei ein Ort der „Primärerfahrungen mit der Welt der Nichtbehinderten“[21] sein; aus soziologischer Sicht stellt dies durchaus ein Problem dar: „Je länger es dauert, bis der erste qualitative Kontakt zwischen Behinderten und Nichtbehinderten stattfindet und je älter die Kontaktpersonen werden, um so schwieriger wird durch integrative Maßnahmen eine angemessene Balance zwischen Gleichheit und Differenz von behinderten und nichtbehinderten Menschen herbeizuführen sein.“[22] Günther Cloerkes weist hier auf die mit den Förderschulen verbundene Segregation und ihre Gefahren hin: Wenn Menschen mit Behinderungen keine Sozialisationsinstanzen erfahren, in denen der Umgang mit Menschen ohne Behinderungen zum Alltag gehört, werden integrative bzw. inklusive Ansätze für eine zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragende Reifung gehemmt.
[...]
[1] Behindertenbericht 2009, S. 65
[2] §136 Abs. 1 S. 2 SGB IX
[3] Arps 2009, S. 18
[4] vgl. Kleve 2000, S. 38 ff.; Castel 2008, S. 69 ff.; Scherr 20082, S. 83 ff.
[5] Mosen 2009, S. 2
[6] Hinz/ Boban 2008, S. 205
[7] vgl. Hinz 2006, S. 10 ff.
[8] vgl. Sakande 2003, S. 6 ff.
[9] vgl. Straub 20042, S. 7 ff.
[10] vgl. Notz 2008, S. 472 ff.
[11] vgl. Fischer 2008, S. 183 ff.
[12] siehe hierzu u.A.: Rifkin, Jeremy; Buckminster Fuller, Richard; Wiener, Norbert; Gorz, Andre
[13] Luhmann 1997, S. 630 f.
[14] vgl. Kleve 2005, S. 30
[15] vgl. Humphreys/ Müller 1996, S. 61 ff.
[16] vgl. Spiess 2004, S. 41
[17] vgl. ebd., S. 53
[18] Schubert 1996, S. 511
[19] vgl. Spiess 2004, S. 46
[20] vgl. ebd., S. 52
[21] Dieterich 1990, S. 260
[22] Cloerkes 20073, S. 268