Was sind Werte?
Philosophische Grundlagen zur Wertedebatte
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Hauptteil
2.1 Theoretische Vorüberlegungen.
2.1.1 Der Wertbegriff
2.1.2 (Onto)logische Einordnung
2.2 Arten von Werten
2.2.1 Der ökonomische Wert
2.2.2 Der ästhetische Wert
2.2.3 Der ethische Wert
2.3 Positionen in der Wertephilosophie
2.3.1 Objektivismus
2.3.2 Subjektivismus
2.3.3 Monismus
2.3.4 Pluralismus
2.3.5 Weitere alternative Konzepte
2.3.6 Kritische Beiträge zur Wertephilosophie
3 Schluss
4 Literaturverzeichnis:
1 Einleitung
Diese Arbeit wurde geschrieben, um der aktuellen, nahezu omnipräsenten Wertedebatte einen Blick in ihre tiefer liegenden theoretischen Voraussetzungen abzuringen. Das behandelte Thema ist ein äußerst schwer zu durchdringendes, da es vielschichtig ist und mannigfaltige Verbindungen zu anderen Gebieten bestehen. Außerdem weist die Wertetheorie bzw. die Axiologie eine längere Geschichte innerhalb der Philosophie auf, die im Grunde schon in der Antike beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Fragen wie, worauf sich Werturteile eigent-lich gründen oder was Werte eigentlich sind, und was sie als solche kennzeichnet, sind alt, wenngleich der Wert als philosophischer Begriff und die Wertetheorie erst im 19. Jahrhundert in Deutschland Bedeutung gewannen, während vorher von Gut bzw. Gütern die Rede war.
Maßgeblich haben zu jener Zeit (19./20. Jahrhundert) Lotze, Rickert, Scheler, Hartmann, aber auch Nietzsche, Marx, Brentano, Husserl und Simmel zur Diskussion beigetragen. Dabei dominierte in der Axiologie die phänomenologische Herangehensweise und objektivistische Sichtweise auf das Wertproblem. Die angelsächsische Philosophie hat sich im Zuge dieser Diskussion ebenfalls des Themas angenommen. Hervorzuheben sind hier vor allem Perry und Moore. Auch die jüngere und aktuelle philosophische Diskussion findet verstärkt in der britischen und amerikanischen Philosophie, in ihrer sprachanalytischen und pragmatischen Ausrichtung, statt.
Allerdings ist die Frage nach der Bedeutung, Geltung und Funktion von Werten längst nicht nur für die Philosophie von Interesse, sondern sie ist in viele andere Wissenschaftsdiszi-plinen eingedrungen, u. a. in die Soziologie, Ökonomie, Rechtswissenschaft, Politikwissen-schaft, Pädagogik und Theologie. Innerhalb der Philosophie bildet die Wertephilosophie vor allem eine mögliche Basis für die (angewandte) Ethik, die Ästhetik oder die Rechtsphilo-sophie, daneben spielen ontologische und wissenschaftstheoretische Implikationen eine bedeutende Rolle, wenn es um Werte bzw. Werturteile geht.
Der komplexen Sachlage entsprechend, werde ich mich schrittweise in medias res begeben, um letztlich wohl nicht mehr als ein „prima facie“ Ergebnis zu erlangen. Zunächst sollen einige theoretische Vorüberlegungen angestellt werden, um im Anschluss drei Hauptbereiche von Werten vorzustellen. Im dritten Kapitel wird dann ausführlich auf die verschiedenen Positionen innerhalb der Wertephilosophie (einschließlich kritischer Beiträge) einzugehen sein. Zum Schluss erfolgt ein eigenes Resümee.
2 Hauptteil
2.1 Theoretische Vorüberlegungen
2.1.1 Der Wertbegriff
Bevor wir uns also auf spezielle Bereiche oder Positionen innerhalb der Wertephilosophie konzentrieren, wollen wir zunächst einige grundlegende Aspekte der Thematik erörtern. Dazu gehören zunächst einmal (wenn auch nicht allzu ausführliche und tief schürfende) sprach-analytische Überlegungen zur Begrifflichkeit des Terminus „Wert“.
Was bedeutet es denn eigentlich, wenn man von „Wert“ oder gar „Wert en“ spricht? Der Wert im Singular stellt im ökonomischen, mathematischen Sinn schlicht eine Quantifizierung dar. Man gibt ein mehr oder weniger konkretes Quantum an gewissen Einheiten an, und zwar anhand eines Vergleichsmaßstabes (daraus ergibt sich eine Maßeinheit), z. B. den Wert einer Ware bzw. eines Produktes am Markt, dies ist dann der Preis oder Tauschwert, angegeben in einer bestimmten Geld-Währung (z. B. in Euro oder Dollar), die wiederum in Relation gesetzt wird zu einer anderen Währung oder einem Rohstoff (Gold). Ein anderes Beispiel: Der PH-Wert von Wasser gibt beispielsweise die Menge der enthaltenen Hydroxidionen an, wobei der Wert dem negativen dekadischen Logarithmus ihrer Anzahl in mol/Liter (als Maßeinheit) entspricht. Der Wert kann im Optimalfall mathematisch exakt berechnet und beziffert werden, z. B. in der Gleichung „x = 3 + 1“ beträgt der Wert von x = 4.
Dem gegenüber wird Wert auch schlicht im Sinne von positiver oder manchmal negativer Bedeutung gebraucht, d. h. es wird in einer bestimmten Frage ein dafür oder dagegen, ein ja oder nein, eine Ablehnung oder Zustimmung zum Ausdruck gebracht, was sich in Wörtern wie „schätzens wert“, „wert voll“, „erwähnens wert“, „begehrens wert“, „liebens wert“ oder „wert los“ abzeichnet. Abstufungen sind zwar durch adverbiale Ergänzungen möglich, bleiben aber doch eher grob und vage, z. B. „kaum erwähnenswert“ oder „ziemlich wertvoll“; Der Terminus „wertlos“ bildet dagegen eine Ausnahme, denn er besagt eigentlich eindeutig, dass das entsprechende Objekt den Wert „Null“ besitzt, obwohl man z. B. immer noch sagen kann, dass etwas „nahezu wertlos“ ist. Jedenfalls lässt sich vielleicht konstatieren, dass in solchen Fällen eher eine Qualifizierung als eine Quantifizierung vorgenommen wird. Man könnte hier vielleicht auch zwischen einem materiellen und ideellen Wert unterscheiden, materielle Werte lassen sich mathematisch meist einigermaßen genau bestimmen, wohingegen sich der „ideelle Wert“ kaum oder sehr schwer bestimmen lässt, so ist z. B. schon die persönliche Bedeutung einer speziellen Vase für einen Menschen kaum exakt zu bewerten, geschweige denn eine besonders schöne Erinnerung, dazu fehlt ein adäquater Maßstab bzw. eine Maßeinheit.
Wert(e) im Singular und vor allem im Plural stehen demnach heute auch und vor allem als Synonym für etwas traditionellere Begriffe wie Gut bzw. Güter oder Ideal(e), genauer gesagt für ideelle, abstrakte Güter. In dieser Verwendung wird allerdings der Wert mit dem Ding, dem der Wert beigemessen oder zugesprochen wird (Gut), gleichgesetzt, z. B. in der Aussage: „Gerechtigkeit und Freiheit sind hohe Werte“. Das ist nach dem o. g. Wertbegriff undenkbar, man stelle sich zum Vergleich vor, man würde z. B. ein Auto mit seinem Tauschwert gleichsetzen.[1] Korrekterweise müsste es nämlich heißen: „Gerechtigkeit und Freiheit haben einen hohen Wert.“ Typischerweise wird mit solchen „Werten“ dann auch eine Art Sollens-charakter bezüglich der Realisierung durch entsprechende Handlungen (insbesondere bei moralischen Werten) verbunden.
Dadurch ergeben sich (mindestens) zwei unterschiedliche Bedeutungen des Terminus „Wert“, die eine ist die eigentliche und ursprüngliche – sie ist quantifizierend und deskriptiv –, die andere ist qualifizierend und evtl. präskriptiv.[2] In beiden Fällen kann der Wert sowohl positiv als auch negativ (oder womöglich neutral) sein. In der Wertephilosophie geht es besonders um die zweite Bedeutung, welche vielleicht überhaupt erst im Laufe der Philosophie-geschichte etabliert wurde und für gewisse Ungereimtheiten sorgt. Denn leider ist auch in der Philosophie, trotz aller Bemühungen, nicht immer klar, wovon genau die Rede ist, wenn von „Werten“ gesprochen wird.
Eine ähnlich schwierige Diskussion, die mit der obigen zusammenhängt, ergibt sich im Übrigen in Bezug auf das Wort bzw. Prädikat „gut“, welches eine Wertung zum Ausdruck bringt. Ich möchte es hierbei damit bewenden lassen, zwei wichtige Unterscheidungen herauszustellen, nämlich erstens, die zwischen dem allgemeinen (zweckmäßigen) und dem speziell moralischen „gut“, und zweitens, jene zwischen „gut“ als Ausdruck unmittelbarer, intuitiver, emotionaler Bewertung und „gut“ als Ausdruck reflektierter, rationaler Bewertung (nach gewissen Kriterien). Diese zwei Unterscheidungen sind nicht unbedingt identisch, da ein moralisches „gut“ u. U. auch durch eine intuitive, emotionale Bewertung zugesprochen werden könnte.
2.1.2 (Onto)logische Einordnung
Güter (Werte) lassen sich in verschiedene Antithesen bzw. Dichotomien einteilen, die deren logische Relationen bzw. ontologischen Status näher bestimmen, wobei die diversen Theorien ganz unterschiedliche Konstellationen dieser Thesen vertreten.
Wie bereits erwähnt, lassen sich Werte bzw. Bewertungen in materielle (ökonomische) und ideelle unterteilen. (Unabhängig davon ist diese Differenzierung natürlich auch auf Güter anwendbar.) Weit stärker dürfte jedoch die Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten ins Gewicht fallen. Hierbei verortet man die Bewertungsgrundlage entweder im wertenden Subjekt oder unabhängig davon im bewerteten Objekt, noch mal anders ausge-drückt, die Werturteile erfolgen entweder aufgrund subjektiver Neigung, Geschmack, Dis-position, etc. oder aufgrund bestimmter Eigenschaften, die dem Objekt anhaften. Diese lassen sich dann wiederum als natürliche oder nicht-natürliche Eigenschaften voneinander trennen, wobei sich natürliche kausal-mechanistisch (naturwissenschaftlich) beschreiben lassen, während dies bei nicht-natürlichen unmöglich ist. Werte lassen sich den Objekten also entweder tatsächlich zuschreiben (objektorientiert) oder nur scheinbar (subjektorientiert). Die meisten Theorien entscheiden sich für eine der beiden Varianten und bestreiten die Möglich-keit der anderen (Subjektivismus vs. Objektivismus). Es gibt allerdings auch vermittelnde Positionen, worauf jedoch noch Bezug genommen wird (siehe Kapitel 3).
Eng mit der Subjekt/Objekt-Unterscheidung hängt auch die Gegenüberstellung von relativen und absoluten Werten zusammen. Bei dieser Unterscheidung bezieht man sich besonders auf den ontologischen Status von „Werten“ – diese sind entweder absolut, (dann sind sie notwendig auch objektiv) oder relativ (z. B. weil sie subjektiv sind, an den konkreten Kontext gebunden sind, oder in Korrelation mit anderen Gütern stehen etc.).
Die nächsten drei Begriffspaare sind wiederum zueinander ähnlich und beinhalten sicherlich Überschneidungen, ob sie jedoch letztlich miteinander identisch sind bzw. auf das gleiche hinauslaufen, darauf mag ich mich hier nicht festlegen. So kann man zwischen intrinsischen und extrinsischen Werten unterscheiden, intrinsische Werte stellen einen Wert in sich selbst dar und extrinsische beziehen ihren Wert von außen. Dies kann in Form einer logischen Wenn-Dann-Bedingung geschehen, d. h. ein bedingter Wert ist immer auch ein extrinsischer, jedoch nicht umgekehrt, denn ein Wert ist auch dann extrinsisch, wenn er seinen Wert durch die Relation eines Teils zu seinem Ganzen erhält. Wie man sieht, kann man also auch noch zwischen einem bedingten und einem unbedingten Wert unterscheiden, d. h. der Wert ist entweder von einem Antecedens abhängig oder nicht. Außerdem gibt es noch den Wert als Mittel und den Wert als Zweck, entweder ist ein Ding gut, weil es zu einem guten Zweck führt, oder es ist selbst ein guter Zweck (Selbstzweck). Daneben kann ein Ding gut bzw. wertvoll sein, weil es ein besonders gutes Mittel zu einem (beliebigen) Zweck ist, dies könnte man als einen „technischen“ Wert bezeichnen.
Darüber hinaus gibt es weitere gegensätzliche Begriffspaare, die sich zwar nicht direkt auf Werte beziehen, jedoch in der wertphilosophischen Theoriebildung eine Rolle spielen. Da gibt es z. B. die Unterscheidung in pluralistisch-expressive und monistisch-reduktive Theorien. Während erstere die Vielfalt, Eigenständigkeit der verschiedenen Werte (Bewertungen) wie „schön“, „faszinierend“, „erstaunlich“, „klug“, „edel“, „heilig“ etc. und den Aspekt der Ausdrucksmöglichkeit durch selbige betonen und verteidigen, erfolgt bei den zweiten eine Rückführung auf einen einzigen Wert, nämlich „gut“ (und sein Gegenteil „schlecht“). In der philosophischen Tradition überwiegt die zweite Sorte.
2.2 Arten von Werten
2.2.1 Der ökonomische Wert
Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Werten, doch sie lassen sich womöglich bestimmten Regionen bzw. Bereichen zuordnen. Hier sollen nun drei besonders einschlägige Arten von Werten vorgestellt werden.
Betrachten wir zunächst den ökonomischen Wert, den wir ja bereits einer groben begrifflichen Reflexion unterworfen haben und der für viele Philosophen (z. B. Kuhn) den Ursprung des Wertbegriffs darstellt. Bei näherer Analyse zeigt sich jedoch, dass sich im Bereich der Ökonomie ganz unterschiedliche Werte bzw. Wertvorstellungen finden lassen, die jeweils auch mit grundsätzlich voneinander abweichenden ökonomischen Theorien einhergehen. Schon bei Thomas von Aquin findet sich eine Erörterung über die Frage nach einem angemessenen, gerechten Preis für eine Ware, die Kriterien für eine Festlegung des Preises (Tauschwertes) nahe legen, nämlich erstens bestimmte objektive Wesenseigenschaften des Gutes (Sachwert), und zweitens der Verwendungszweck (Gebrauchswert)[3] (vgl. Thomas v. Aquin 1953, S. 349-353; Quaestio 77, 2). Allerdings gibt Thomas zu bedenken, dass „der gerechte Preis einer Sache zuweilen nicht auf den i-Punkt genau festgelegt werden kann, sondern eher auf einer gewissen Schätzung beruht“ (a.a.O., S. 348; Quaestio 77, 1). Auch Adam Smith unterscheidet Gebrauchswert und Tauschwert als zwei unterschiedliche Bedeutungen des Wortes „Wert“, die zudem in keiner gesetzesmäßigen Korrelation zueinan-der stehen. Des Weiteren differenziert er zwischen Arbeitswert und Geldwert einer Ware. Für die Definition des objektiven Wertes eines Gutes ist für ihn eigentlich der Arbeitswert, d .h. die Menge an investierter Arbeit, ausschlaggebend: „Arbeit ist demnach ganz offensichtlich das einzige allgemein gültige und auch das einzige exakte Wertmaß oder der alleinige Maßstab, nach dem man die Werte der verschiedenen Waren immer und überall miteinander vergleichen kann“ (Smith 1996, S. 33).
Da sich der Wert der Arbeit jedoch äußerst schwer objektiv exakt bemessen lässt, rückt er in den Hintergrund und stattdessen wird der Geldwert als Richtmaß für den Preis bzw. Tauschwert herangezogen. Smith macht auch auf einen weiteren Unterschied aufmerksam, nämlich auf den zwischen Realwert und Nominalwert bzw. zwischen Realpreis und Nominalpreis. Während der Nominalwert einer Ware oder von Geld gleich bleibt, kann sich sein realer Wert (Marktwert, Tauschwert) ändern. Der Marktpreis einer Ware und auch der von Arbeit richten sich letztlich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wenn diese beiden sich die Waage halten, „so kommt der Marktpreis ganz von selbst dem natürlichen Preis entweder gleich oder doch weitestgehend gleich.“ Smith ist davon überzeugt, dass in einem freien und transparenten Wettbewerb sich Angebot und Nachfrage und damit die Preise immer auf ihren „natürlichen Preis“ einpendeln (vgl. a.a.O., S. 48-53).
Dieses Prinzip, in Verbindung mit dem Konkurrenzprinzip, wird später von Marx und Engels scharf kritisiert:
„Die ewige Schwankung der Preise, wie sie durch das Konkurrenzverhältnis geschaffen wird, entzieht dem Handel vollends die letzte Spur von Sittlichkeit. Von Wert ist keine Rede mehr; dasselbe System, das auf den Wert soviel Gewicht zu legen scheint, das der Abstraktion des Wertes im Gelde die Ehre einer besonderen Existenz gibt – dies selbe System zerstört durch die Konkurrenz allen inhärenten Wert und verändert das Wertverhältnis aller Dinge gegeneinander täglich und stündlich. Wo bleibt in diesem Strudel die Möglichkeit eines auf sittlicher Grundlage beruhenden Austausches? In diesem fortwährenden Auf und Ab muß jeder suchen, den günstigsten Augenblick zum Kauf und Verkauf zu treffen, jeder muß Spekulant werden, d. h. ernten, wo er nicht gesäet hat, durch den Verlust anderer sich bereichern, auf das Unglück andrer kalkulieren oder den Zufall für sich gewinnen lassen“ (Engels, 1970, S. 515).[4]
Der stete Konkurrenzdruck des Marktes hat für Engels dramatische Konsequenzen auf den sozialen und moralischen Umgang der Menschen miteinander, denn die extreme Wertrelati-vierung nicht nur von Dingen, sondern auch von Menschen (als Arbeitnehmern) durch die Gesetze des Marktes nimmt ihnen ihren eigentlichen Wert. Marx prangert in diesem Zusam-menhang besonders das Geld und seinen abstrakten Wert als die Ursache dieses Übels an:
„Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dies fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an“ (Marx 1970, S. 374-375).
Außerdem kritisiert Marx in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ u. a. die mangelnde Beteili-gung der Arbeiter am vom Unternehmen erwirtschafteten bzw. produzierten Mehrwert. Dies ist moralisch ungerecht, weil der Mehrwert nur durch die Mehrarbeit der Mitarbeiter, die sie über ihren vergüteten Lohn leisten, zustande kommt, da der Sachwert oder Eigenwert der Produktbestandteile im Produktionsprozess in das Produkt übergeht, ohne einen Mehrwert zu erzeugen.
Für Simmel ist der Handel von Gütern das beste Beispiel für die Stellung der Werte jenseits von Subjektivität und Objektivität, denn das Begehren eines Gutes, das den Wert konstituiert, wird in Relation zu einem fremden Begehren gesetzt, damit „wird der Wert übersubjektiv, überindividuell, ohne jedoch eine sachliche Qualität und Wirklichkeit an dem Dinge selbst zu werden“ (vgl. Simmel 1958, S. 28). Der Tauschwert wird innerhalb der Ökonomie offenbar zum einzig relevanten Wert, womit er sich von Marx und Engels (und auch Thomas von Aquin) abgrenzt, die auch noch so etwas wie einen objektiven (vielleicht absoluten) Eigenwert von Dingen bzw. Menschen veranschlagen.
2.2.2 Der ästhetische Wert
Der ästhetische Wert, so bedeutsam er für den Menschen ist, wird in der Wertephilosophie meist etwas stiefmütterlich behandelt, d. h. eher vernachlässigt und selten einer eigenen ausführlichen Beschäftigung mit ihm gewürdigt.[5] Zwei eher beliebig herausgegriffene Auffassungen sollen hier im Folgenden kurz mit ihren Thesen vorgestellt werden, um wenigstens einen Eindruck von der Diskussion über den ästhetischen Wert zu erhalten.
Als erstes werfen wir einen Blick auf die Theorie von Hugo A. Meynell in seinem Werk „The Nature of Aesthetic Value“. Die Hauptthese besagt, dass der Gegensatz zwischen Ethik bzw. Ästhetik und (Natur)wissenschaft vielleicht gar nicht so groß ist, da beide gemäß der Kriterien ihrer Bedeutung unreduzierbar subjektiv sind. Man kann nicht irgendeine Feststellung über Erfahrung von einem moralischen oder ästhetischen Urteil logisch ableiten, doch genauso wenig funktioniert das bei Feststellungen einer (Natur)wissenschaft. Genau wie Wahrheits-urteile sind ästhetische Urteile auf Daten und Fakten gegründet. Es kommt eben darauf an, die entsprechenden Prozedere bzw. Methoden zur Legitimierung zu finden. Meynell glaubt, diese gefunden zu haben. Er definiert den ästhetischen Wert (von Kunstwerken) anhand ihrer Fähigkeit, in einer angemessenen Weise in einer beliebigen Person zu einer beliebigen Gelegenheit (dahinter steckt das Prinzip der Universalisierbarkeit) Befriedigung zu verschaffen. Diese Befriedigung bestehe in der „Erweiterung und Klärung des Bewusstseins“ (extension and clarification of consciousness). Dabei existiere zwischen der Güte eines Kunstobjekts und seiner hervorrufenden Befriedigung die Relation einer „losen Folge“ (loose entailment). Demonstriert und gestützt werde seine Theorie durch die Praxis guter Kritiker und der Reaktion eines kompetenten Publikums. Meynell ist also der Ansicht, dass man „objektive“ Kriterien für den ästhetischen Wert finden kann, wobei es Eigenschaften gibt, die den ästhetischen Wert konstituieren und Eigenschaften, welche ihn nur fördern. Zu letzteren gehöre das von ihm vorgestellte Kriterium für den Wert von Kunstobjekten (vgl. Meynell 1986, S. 1-2; 133).[6] Auch Simmel äußert sich zum ästhetischen Wert. Er zieht das subjektive Begehren eines Objekts als Ausgangspunkt heran und beschreibt einen Objektivationsprozess, der zunächst darin besteht, dass ein Gefühlsinhalt vollkommen auf ein Ding projiziert, d. h. in es hinein-gelegt wird. Die Objektivation dieses Gefühlsinhaltes zu einem Wert vollzieht sich ent-sprechend einer zunehmenden Distanzierung zum Objekt des Begehrens, wodurch das genuin ästhetische Gefühl bzw. der ästhetische Wert (im Gegensatz zur blanken Lust) erst konstitu-iert wird. Aus dem subjektiven Begehren wird ein objektiver Wert. Die Distanzierung mani-festiert sich, nach Simmel, u. a. in der Phylogenese, d. h. was ursprünglich einmal ein Ding war, das der Gattung Mensch aus Nützlichkeitsaspekten gefiel, wird im Laufe der Mensch-heitsgeschichte zu einem Ding mit einem eigenen ästhetischen Wert, dessen bloßer Anblick ein „Freudegefühl“ auslöst, auch wenn er für das Individuum nicht mehr von Nutzen ist. Sobald die Dinge schön sind, „bekommen sie individuelles Fürsichsein, so daß der Wert, den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist“ Somit ist der ästhetische Wert intrinsisch (Wert an sich) und kein Wert als Mittel zu einem Zweck (vgl. Simmel 1958, S. 21-24).
[...]
[1] Hier erscheint es mir äußerst wichtig, darauf hinzuweisen, wie irreführend eine solche Verwendung sein kann und ich schlage deshalb vor, es in Erwägung zu ziehen, bei den alten Begriffen „Gut“ und „Ideal“ zu bleiben, wo ihre Bedeutung gemeint ist. Güter selbst kann man dann gegebenenfalls genauer bewerten, indem man sie in eine hierarchische Rangfolge einordnet. Sie erhalten dann zwar gewissermaßen einen (Stellen)wert, jedoch bleiben sie Güter.
[2] In diesem Punkt bin ich mir nicht ganz sicher, ich denke, dass der Wert dann präskriptiv zu nennen ist, wenn er als Synonym für „Ideal“ verwendet wird. Doch auch diese beiden Begriffe sollte man meines Erachtens nach aus o. g. Gründen begrifflich auseinander halten, zumal ein Ideal auch nicht mit einem Gut verwechselt werden darf. Während Güter die als gut bewerteten Objekte darstellen, sind Ideale, nach meiner Auffassung, durch psychologische Operationen (Ideation) gebildete Vorstellungen, die als angestrebtes Ziel einen Sollensaspekt implizieren und damit als Maßstab/Richtmaß für die rational reflektierte Beurteilung (Bewertung) realer Zustände, Dinge, Eigenschaften und anderen Gegebenheiten fungieren.
[3] Thomas benutzt die in Klammern gesetzten Begriffe natürlich selbst so nicht.
[4] Das Zitat wurde unverändert in dieser Form, d. h. auch mit den enthaltenen Hervorhebungen, übernommen. Das gleiche gilt im Übrigen für alle folgenden Zitate.
[5] Eine rühmliche Ausnahme dürfte Lotze darstellen.
[6] Es versteht sich von selbst, dass eine solche grobe Skizzierung im Rudimentären verhaftet bleibt und unzählige Fragen offen lässt, doch eine ausführliche Behandlung dieses Themas ist an dieser Stelle nicht notwendig, da es hier nur darauf ankommt, einen kleinen Einblick in die theoretische Interpretation des ästhetischen Wertes kennen zu lernen.