Wilhelm Emil Mühlmann - ein "nationalsozialistischer" Ethnologe?
Zusammenfassung
Ethnologie in der Bundesrepublik als nicht zu ersetzen. Mich interessiert vornehmlich die Frage, welche Motivation Mühlmanns ethnologische Arbeit aufweist. Zu ihrer Klärung ist es notwendig, sowohl den wissenschaftlichen Hintergrund Mühlmanns als auch den gesellschaftlichen Kontext, in dem er agierte, zu berücksichtigen. Am Beispiel Mühlmanns relevanter Werke, die während des Nationalsozialismus entstanden, aber auch unter Hinzuziehung der einschlägigen Sekundärliteratur soll seine Gesinnung, Weltanschauung und wissenschaftspolitische Position überprüft werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Wilhelm Emil Mühlmann - war es „Zeitgeist“ oder Überzeugung?
2. „Aristokrat des Geistes“ mit „adeligem Blute“ - eine Biographie
3. „Wer nicht zu erfassen ist (), wird nicht hinübergehen in die neue Zeit.“ – Völkerkunde im Nationalsozialismus
4. Mühlmanns frühe Werke - „Rasse“ und „Volk“ als Zentrum allen Denkens
4.1. „Die Hitlerbewegung“ - Plädoyer für die neuen Machthaber
4.2. „Rassen- und Völkerkunde“ - Auf dem Weg zum „rassenhygienischen Gesellschaftstypus“
4.3. „Krieg und Frieden“ - Krieg als kultureller Fortschritt
5. Der Blick gen Osten oder „praktische Volkstumspolitik“
6. Kontinuität des Unschuldigen - Mühlmann nach dem Krieg
7. Mühlmann, ein Vertreter des „deutschen Standpunkts“? - Ein Fazit
8. Bibliographie
1. Wilhelm Emil Mühlmann - war es „Zeitgeist“ oder Überzeugung?
Für die deutsche Ethnologie war die nationalsozialistische Vergangenheit mit der Entnazifizierung abgeschlossen. Viele Ethnologen, die als Protagonisten oder Mitläufer faschistischer Gedankenströmungen galten, besetzten in der Nachkriegszeit wichtige Positionen an den Universitäten der Bundesrepublik Deutschland. Eine Reflexion der vorhergehenden Epoche erschien weder notwendig noch wünschenswert. Niemand verlangte sie, auch diejenigen nicht, die neutral oder Gegner des Nationalsozialismus gewesen waren.1 Die Auseinandersetzung mit der Ethnologie während des Nationalsozialismus begann erst im Zuge der 68er Studentenbewegung, als erste kritische Fragen nach der ideologischen Tradition der Fachvertreter und deren politische Belastungen gestellt wurden.2
Zurückblickend wird der Nationalsozialismus als das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte bewertet. Die damaligen Miterlebenden müssen aber größtenteils ganz anders darüber gedacht haben. Diese Tatsache macht es äußerst schwierig, die Intentionen derjenigen nachzuvollziehen, die die nationalsozialistische Weltanschauung verinnerlicht hatten, befürworteten oder sogar propagierten und vorantrieben. Da von Wilhelm Emil Mühlmann zahlreiche Äußerungen aus der und über die Nazizeit überliefert sind, möchte ich mich im Rahmen der Hausarbeit auf diesen Völkerkundler konzentrieren. Auffällig ist, dass er schon im Herbst 1963 durch einen dreimonatigen beachtlichen Leserbriefstreit in „Die Zeit“ in Verruf geriet, sich während des Nationalsozialismus antisemitisch, rassistisch und militaristisch artikuliert zu haben. Als Urheber der „Verleumdung“ vermutete Mühlmann damals abgewiesene „ausländische Studenten jüdischer Abkunft“. Dieser Leserbriefstreit wurde nicht zum Anlass genommen, seinen Werdegang genauer zu untersuchen, da man Mühlmann weiterarbeiten lassen wollte. Schließlich galt seine Verbindung von Soziologie und Ethnologie in der Bundesrepublik als nicht zu ersetzen.3
Mich interessiert vornehmlich die Frage, welche Motivation Mühlmanns ethnologische Arbeit aufweist. Zu ihrer Klärung ist es notwendig, sowohl den wissenschaftlichen Hintergrund Mühlmanns als auch den gesellschaftlichen Kontext, in dem er agierte, zu berücksichtigen. Am Beispiel Mühlmanns relevanter Werke, die während des Nationalsozialismus entstanden, aber auch unter Hinzuziehung der einschlägigen Sekundärliteratur soll seine Gesinnung, Weltanschauung und wissenschaftspolitische Position überprüft werden. Fokussieren werde ich dabei Mühlmanns Erörterungen zur Problematik der „Hierarchie“ der Kulturen, zur „Judenfrage“ und zur Beziehung des Rasse- und Kulturbegriffs, da diese Themen für die damalige Völkerkunde von zentraler Bedeutung waren. Außerdem soll untersucht werden, ob Aussagen über den damals vorherrschenden, überwiegend vom Nationalsozialismus bestimmten „Zeitgeist der Deutschen“ oder über Mühlmann selbst gemacht werden können.
Warum hat sich Mühlmann im Nationalsozialismus engagiert? Tat er dies aus Opportunismus, Anpassungsdruck, Angst vor dem Kriegseinsatz oder war er überzeugt von der historischen Chance, die der Nationalsozialismus auch der Ethnologie zu versprechen schien? War er ein tendenziöser „Mitläufer“ oder hat er wirklich mit Überzeugung und politisch motiviert gehandelt?
2. „Aristokrat des Geistes“ mit „adeligem Blute“ - eine Biographie
Wilhelm Emil Mühlmann wurde am 1. Oktober 1904 in Düsseldorf geboren. Da er aus einem eher bürgerlichen deutsch-nationalen Elternhaus stammte, bewegte er sich schon früh im rechtskonservativen Milieu, dessen extremes Weltbild und nationalistischen Rassismus er sich aneignete.4
Nach dem Abitur 1925 begann er sein Anthropologiestudium in Freiburg bei Eugen Fischer, nahm aber auch an philosophischen und phänomenologischen Vorlesungen der Assistenten Edmund Husserls teil, um methodische Grundlagen in der „Rassenpsychologie“ zu finden. Er verfolgte von nun an klar sozialdarwinistische Ansätze.5 Wissenschaft bedeutete für Mühlmann den Erhalt der Werte des Lebens. Diese Werte entnahm er eugenischen Idealen wie der nordischen Rassenidee und dem „adeligen Blute“. Stolz auf seine „erbbiologische Reinheit“ kompensierte er hier den Wunsch nach einer aristokratischen Gesellschaftsposition.6
Im Wintersemester 1926/27 studierte Mühlmann in München bei Fritz Lenz, einem der bedeutenden Protagonisten eugenischer Gesellschaftsordnung und Rassenhygiene, und hörte bei Theodor Mollison Anthropologie. Lenz übte in rassenpolitischen und anthropologischen Fragen letztendlich den wegweisenden Einfluss auf Mühlmann aus.
Zum Wintersemester 1927/28 ging Mühlmann für ein Jahr nach Hamburg, um Vorlesungen bei Heinrich Poll und Siegfried Passarge zu hören, aber vor allem um bei dem Anthropologen Walter Scheidt Variations- und Korrelationsstatistik zu erlernen. Unter seiner Anleitung befasste er sich mit statistischen Forschungen über die Verteilung der „Rassen“ im deutschen Sprachraum. Über Scheidts Völkerbiologie und die völkerkundlichen Vorlesungen von Georg C. Thilenius kam Mühlmann erstmals mit der Völkerkunde in Kontakt. Er bezog sie in seine Studien ein, indem er rassenbiologischen Gesichtspunkten nachging, wobei er auch die Anthropologie durch die Ethnologie zu erweitern versuchte. Mühlmanns Kombination von Anthropologie und Ethnologie stellte eine völkerbiologische Synthese mit funktionalistischer Ausrichtung dar. Im Wintersemester 1929/30 ging er nach Berlin, um sein Studium bei dem Ethnosoziologen Richard Thurnwald zu beenden, dessen Verständnis von „biologischen Grundproblemen im gesellschaftlichen Leben“ ihm entgegenkam. Die von Thurnwald und Alfred Vierkandt übernommenen soziologischen Methoden fügte er in seine rassenbiologischen Anschauungen ein und promovierte im September 1931 bei Thurnwald an der Berliner Philosophischen Fakultät mit einer Arbeit über „Die geheime Gesellschaft der Arioi“, in der er ethnographisches Material auf „Ausleseprozesse“ hin untersuchte. Sein Rigorosum bestand er 1931 in den Hauptfächern Anthropologie bei Fischer und Ethnologie bei Thurnwald.7
Nach seinem Studium orientierte sich Mühlmann an der soziologisch begründeten Völkerkunde, einem zur damaligen Zeit sehr seltenen synthetischen Zugang zur Sozialwissenschaft. Er strebte den Anschluss der Völkerkunde an eine im Schnittpunkt zwischen Geschichte, Soziologie und Biologie argumentierende Kulturanthropologie an, also eine Art neue synthetische Völkerwissenschaft (Ethnosoziologie).8 Die deutsche Ethnosoziologie, die Thurnwald und Mühlmann (als sein Schüler) verfolgten, fokussierte insbesondere das „Funktionieren“ von Gesellschaften, das heißt die Strukturen, Funktionen und Prozesse des Sozialen. Da nicht von vornherein klar wäre, was in einer Kultur funktionale Notwendigkeit besitze, konzentrierte man sich eher auf das „Prozesshafte“ als auf die „Struktur“, um Variationen im Kulturwandel im Laufe der Zeit wahrnehmen zu können. Aufgrund der Einbeziehung von historischen Entwicklungen verstanden sich die Ethnosoziologen auch als Kulturanthropologen.9 Das Verstehen des Anderen beziehungsweise die Kenntnis vom Fremden stand im Zentrum Mühlmanns Vorstellung von Völkerkunde, da dies von „eminent praktischer Bedeutung“ für die Einschätzung des eigenen Volkes, seiner zukünftigen Zusammenführung und der damit verbundenen „Herrscherrolle“ sei (Mühlmann 1936: 536).10 Einer funktionalistischen Ethnologie hätten „alle“ Völker Forschungsgegenstand zu sein, besonders die Struktur ihres konkurrierenden Verhaltens und ihrer daraus resultierenden Auseinandersetzungen (Mühlmann 1939: 361).11 „Biologische“ und sozialdarwinistische Gesichtspunkte prägten dabei Mühlmanns rassenkundliche Ansichten.12
Schon 1931 wurde Mühlmann Redakteur der Zeitschrift „Sociologus“, obwohl die Promotion erst 1932 erfolgte. 1934-36 bekleidete Mühlmann eine Assistentenstelle am Hamburger Völkerkundemuseum. Seine 1935/36 noch in Hamburg initiierte Habilitation (mit einer Arbeit über „Staatsbildung und Amphiktyonien in Polynesien“) scheiterte wegen politischer Unzuverlässigkeit, da ihm Scheidt ein negatives Gutachten ausstellte. Nach dem Krieg versuchte Mühlmann daraus Kapital zu schlagen, aber sein Antrag auf „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ scheiterte. Erst nach Eintritt in die NSDAP 1938 konnte er sich an der Berliner Universität habilitieren. Ein Jahr später erhielt er dort eine Privatdozentur für Völkerkunde und Völkerpsychologie.13
Kurz vor Kriegsende flüchtete er mit seiner Ehefrau von Berlin nach Wiesbaden. Von hier aus nahm er 1950 eine Anstellung als außerplanmäßiger Professor an der neu gegründeten Universität Mainz an. Noch im gleichen Jahr gehörte er zu den Initiatoren der „Deutschen Sektion“ des „Institut International de Sociologie“. Er fungierte von 1956 bis zu seinem Tod als Mitherausgeber der Zeitschrift „Homo. Journal of Comparative Human Biology“. 1957 wurde Mühlmann zum ordentlichen Professor für Ethnologie und Soziologie ernannt und begann sofort am „Institut für Ethnologie“ mit dem Aufbau einer Soziologie-Abteilung. 1960 erhielt er einen Ruf nach Heidelberg, wo das Institut für Zeitungswissenschaften in eine soziologische Lehr- und Forschungsstätte umzuwandeln war. Es wurde von Mühlmann als das einzige deutsche Universitätsinstitut für Soziologie und Ethnologie praktisch neu gegründet. Diese organisatorische Zusammenfassung von Soziologie und Ethnologie war in Deutschland zu dieser Zeit innovativ.14
In den 60er Jahren führte er seine ersten ethnosoziologischen Feldforschungen auf Sizilien durch. Nachdem er 1970 sein Emeritierungsgesuch eingereicht hatte, wandte er sich auf der Suche nach einem neuen Thema den Ursprüngen der Dichtkunst zu. Er ist wohl der namhafteste deutsche Vertreter einer „europäischen Ethnologie“ beziehungsweise Ethnosoziologie, der zusammen mit seiner kulturhistorisch-vergleichenden Richtung das Profil der deutschsprachigen Ethnologie entscheidend prägte. Zu Mühlmanns Schülern gehören Fritz Kramer, Hans-Peter Duerr, Christian Sigrist und Georg Elwert. Er verstarb im Mai 1988 über seinem letzten Werk „Philosophische Begegnungen“.15
3. „Wer nicht zu erfassen ist (…), wird nicht hinübergehen in die neue Zeit.“ - Völkerkunde im Nationalsozialismus
Die Ethnologie beging das Wendejahr 1933 polyzentrisch. Im deutschen Sprachraum vorherrschende völkerkundliche Schulen waren die von Leo Frobenius anfänglich vertretene Kulturkreislehre, die Wiener Schule der historischen Ethnologie um Pater Wilhelm Schmidt, die von Frobenius später betriebene Kulturmorphologie und der von Richard Thurnwald parallel zu britischen Entwicklungen begründete deutsche Funktionalismus beziehungsweise die deutsche Ethnosoziologie. Neben diesen groben Richtungen bestanden noch völkerpsychologische, struktural-kulturtheoretische, anthroposophische und anthropologische Ausprägungen.16
Nicht die fachliche Gleichrichtung hielt die Ethnologen somit damals zusammen, sondern der gemeinsame Wille, als Rahmenbedingung der außereuropäisch arbeitenden Ethnologie, die angestammten Forschungsfelder zurück zu gewinnen, die man mit den Kolonien verloren hatte. Die Ankündigung der deutschen Ansprüche in Übersee hatte der Völkerkunde neue Möglichkeiten eröffnet.Die Erforscher der „Naturvölker“ konnten sich fortan als unersetzbar für die Wiedereroberung verlorenen „deutschen“ Bodens und damit eines Stücks verlorener nationaler „Ehre“ profilieren.17 Aufgrund dieses Potentials bezeichneten viele damalige Wissenschaftler den Nationalsozialismus als so etwas wie eine aus dem Volk hervorgehende Bewegung gegen den im Marxismus und Kapitalismus verkörperten Geist des 19. Jahrhunderts. Als die NSDAP 1933 den politischen Sieg errang, kam es zu einer oftmals artikulierten „Auf- und Umbruchstimmung“, die die Mehrheit (auch der deutschen Völkerkundler) entweder begeisterte oder zumindest in den „großen Konsens“ der „Stimmungsgemeinschaft“ (Mohler 1989) einschloss. Mühlmann formulierte prompt nach der Machtergreifung der NSDAP: „Wer nicht zu erfassen ist von der Bewegung, von dem Glauben an das Neue und Werdende, wird nicht hinübergehen in die neue Zeit“ (Mühlmann 1933: 136). Eine Mehrheit der Völkerkundler nahm Mühlmanns Rat ernst und fügte sich den neuen Machthabern ohne unbedingt ihre Ziele oder Methoden vollständig zu begrüßen. Man war dabei zu diversen Zugeständnissen bereit, auch zu normativen Korrekturen des eigenen Weltbilds im Sinne Hitlers.18
Die Stellung der Geisteswissenschaften im nationalsozialistischen Staat war somit das entscheidende Thema, mit dem sich die Gelehrten im Jahr 1933 beschäftigen mussten. Im Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat vom 11. November 1933 heißt es: „Alle Wissenschaft ist unlösbar verbunden mit der geistigen Art des Volkes, aus dem sie erwächst“ (Bekenntnis 1933: 5). Zu diesem Zeitpunkt waren schon zahlreiche Wissenschaftler aus ihren Ämtern entfernt worden, weil ihre „geistige Art“ dem deutschen Wesen nicht länger entsprach.19
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1 Conte 1988: 258; Fischer 1990: 226
2 Michel 1991: 69
3 vgl. Fischer 1990: 222 ff.
4 Petermann 2004: 787
5 Michel 1991: 72
6 Michel 1991: 71; Michel hatte Einsicht in Mühlmanns Nachlass und zitiert aus seinem handschriftlichen Tagebuch von 1927-29.
7 Michel 1991: 72 ff.
8 Conte 1988: 250; Hauschild 1987: 249
9 Petermann 2004: 765 f.
10 Hauschild 1987: 249; Michel 1991: 79
11 Petermann 2004: 789; Michel 1991: 86
12 Petermann 2004: 764
13 Müller 1989: 2; Petermann 2004: 788 f.
14 Müller 1989: 2f.; Petermann 2004: 791 f.; Michel 1991: 100 ff.
15 Petermann 2004: 793; Müller 1989: 7 f.; Michel 1991: 69
16 Fischer 1990: 16 ff.
17 Streck 2000: 10; Conte 1988: 242 f.
18 Streck 2000: 9 f.; Conte 1988: 243 f.
19 Junginger 2000: 51