Das mexikanische Spanisch als Varietät der spanischen Sprache
Zusammenfassung
Das zu Lateinamerika gehörende Mexiko ist heute mit einer Fläche von rund 2 Millionen km2 und ca. 100 Millionen Einwohnern das größte spanischsprachige Land der Welt. Neben einer kurzen sprachlichen Einordnung und einem geschichtlichen Abriss sollen im Folgenden die Eigenheiten in Phonetik, Morphosyntax und Lexik des mexikanischen Spanisch im Vergleich zur Norm des Kastillischen herausgearbeitet werden. Gerade das Mexikanische stellt im lateinamerikanischen Sprachraum eine Varietät dar, die über sehr stark ausgeprägte Merkmale verfügt, die auch vom Laien erkannt werden können.
Im Anschluss soll auf die Bedeutung, den Einfluss und den heutigen Stand der indigenen Sprachen des Landes näher eingegangen werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Allgemeine Sprachensituation in Mexiko
3 Sprachliche Einordnung des mexikanischen Spanisch
3.1 Sprachgeschichte
3.2 Sprachliche Einflüsse
4 Linguistische Eigenheiten des mexikanischen Spanisch und charakteristische Unterschiede zum Kastillischen
4.1 Phonetik und Phonologie
4.1.1 Vokalismus
4.1.2 Konsonantismus
4.1.3 Seseo
4.1.4 Yeísmo
4.1.5 Žeísmo
4.2 Morphosyntax
4.2.1 Voseo und Tuteo
4.2.2 Loísmo
4.2.3 Änderung der Temporastrukturen
4.3 Lexik
4.3.1 Archaismen
4.3.2 Neologismen
4.3.3 Anglizismen
4.3.4 Indigenismen
5 Die Erforschung indigener Sprachen in Mexiko
6 Reziproke Beeinflussung der Sprachen
6.1 Einfluss der indigenen Sprachen auf das mexikanische Spanisch
6.2 Einfluss des mexikanischen Spanisch auf die indigenen Sprachen
7 Schluss
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Spanisch ist in vielen Ländern die offizielle Amtssprache. Führt man sich die weltweite Präsenz der Sprache vor Augen, drängt sich schnell die Frage auf: Sprechen die Einwohner all dieser Länder denn genau gleich? Angesichts der geographischen Dimensionen liegt die Antwort nahe: Wohl kaum. Zwar sprechen die jeweiligen Bevölkerungen die gleiche Sprache, doch Spanisch ist nicht gleich Spanisch. Es unterscheidet sich, selbst innerhalb eines Landes, in viele regionale Varietäten, die jeweils ihre spezifischen Charakteristika aufweisen. Die Ausprägung dieser Vielschichtigkeit wurde und wird durch historische, kulturelle und soziale Entwicklungen beeinflusst.
Das zu Lateinamerika gehörende Mexiko ist heute mit einer Fläche von rund 2 Millionen km2 und ca. 100 Millionen Einwohnern das größte spanischsprachige Land der Welt. Neben einer kurzen sprachlichen Einordnung und einem geschichtlichen Abriss sollen im Folgenden die Eigenheiten in Phonetik, Morphosyntax und Lexik des mexikanischen Spanisch im Vergleich zur Norm des Kastillischen herausgearbeitet werden. Gerade das Mexikanische stellt im lateinamerikanischen Sprachraum eine Varietät dar, die über sehr stark ausgeprägte Merkmale verfügt, die auch vom Laien erkannt werden können.
Im Anschluss soll auf die Bedeutung, den Einfluss und den heutigen Stand der indigenen Sprachen des Landes näher eingegangen werden.
2 Allgemeine Sprachensituation in Mexiko
Mexiko ist mit rund 100 Millionen Einwohnern das weltweit größte spanischsprachige Land. Die offizielle Sprache ist Spanisch, außer der aber noch viele indigene Sprachen gesprochen werden. Die Wissenschaft unterscheidet, je nach angesetzten Kriterien, zwischen 56 und 290 verschiedene autochthone Indianersprachen allein in Mexiko. Diese werden 15 Sprachfamilien zugeordnet, von denen vier bereits als ausgestorben gelten. 8,3 Millionen Personen, also rund 8% der Gesamtbevölkerung, werden als Indígenas bezeichnet, von denen knapp 7,3 Millionen indigene Sprachen sprechen. Davon wiederum werden rund ¾ als bilingual klassifiziert. Obwohl für ca. 90% der Einwohner Spanisch die Muttersprache ist, stellt Mexiko damit ein multiethnisches und multilinguales Land dar.[1]
Die Verteilung der indigenen Sprachen in Mexiko ist sehr unterschiedlich. So gibt es in Teilen des Landes heute kaum noch indigene Sprecher; auf der Halbinsel Yucatán dagegen ist das yukatekische Maya weit verbreitet, und in Regionen, wie Chiapas oder Oaxaca, wird noch eine Vielzahl indigener Sprachen gesprochen.[2]
Seit längerer Zeit ist eine prozentuale Abnahme der Indígenas an der Gesamtbevölkerung zu verzeichnen. Dennoch zeigt sich eine gewisse Resistenz gegen eine totale sprachliche Anpassung. Diese wurde bereits zur Kolonialzeit durch die damalige spanische Sprachenpolitik begünstigt, da beispielsweise Missionare oder Ortspfarrer die indigene Sprache ihres Einsatzgebietes erlernen mussten. (vgl. Kap. 2.2). Die seit 1770 verfolgte Sprachenpolitik zielte auf die Ausrottung der autochthonen Sprachen ab, was zu einem deutlichen Rückgang der heute nur noch 56 offiziell anerkannten Sprachen führte.[3]
3 Sprachliche Einordnung des mexikanischen Spanisch
“La primera impresión que el español mexicano puede producir en un observador medianamente atento es la que se trata de un habla sumamente conservadora. Y, en efecto, no son pocos los casos en que el habla de Mexico ha conservado antiguos modos de decir, sin dejarse arrastrar por las inovaciones realizadas en otras zonas de la comunidad lingüística española.”[4]
Laut verschiedener Sprachforscher kann der Ursprung des mexikanischen Spanisch weder dem europäischen, noch dem Spanischen des übrigen amerikanischen Raums zugeordnet werden.[5] Nach dem heutigen Verständnis der Wissenschaft wird das Land nicht in dialektisch gegliederte Zonen, sondern regional in Hochland (tierras altas), Tiefland (tierras bajas) und den Küstengebieten im Südosten und der Pazifikküste unterschieden, wo die auffälligsten Sprachunterschiede festzustellen sind.[6]
Zur Klärung der sprachlichen Sonderstellung Mexikos im hispanoamerikanischen Raum bedarf es einer genaueren Betrachtung der relevanten Einflussfaktoren auf die Sprache.
3.1 Sprachgeschichte
Der Variantenreichtum und die sprachliche Eigenständigkeit des mexikanischen Spanisch innerhalb der Hispania, lassen sich durch nähere Untersuchung der geschichtlichen, kulturellen und sozialen Entwicklung des Landes begreifen.[7]
Die Kolonialgeschichte Mexikos begann mit der Eroberung durch Hernán Cortés 1519. Ganz im Gegensatz zu den autochthonen Völkern der zuvor eroberten Antilleninseln, sah man sich in Mexiko mit einer hoch entwickelten Zivilisation konfrontiert.
Hatten die Urvölker zuvor mit Leichtigkeit unterdrückt und ausgelöscht werden können, sah man sich nun gezwungen das Ziel der Kolonialisierung auf anderem Wege zu erreichen. So wurde beispielsweise die bestehende Hauptstadt der Azteken Tenochtitlán nicht zerstört, sondern kurzerhand auf Spanien übertragen. Dies ist der Grund für das bis heute erhalten gebliebene Erbe, „[…] los grandes paseos y avenidas de la capital, <y> las enormes estatuas de reyes indígenas […]“[8] der Azteken. Die damalige Situation in Mexiko führte zur erstmaligen Verschmelzung der Völker alter und neuer Kontinente.[9]
Mexiko passte sich schnell an die Bräuche und sprachlichen Eigenheiten der Kolonialmacht Spanien an, wodurch die Entwicklung einer eigenen Sprache weitestgehend unterbunden werden konnte. Spanien versuchte durch großflächig angelegte missionarische Arbeit und den Bau von Schulen und Universitäten die eigene Sprache unter der autochthonen Bevölkerung durchzusetzen. Dennoch hat die starke Bindung an Spanien die eigenständige Veränderung des mexikanischen Spanisch, das heute große Unterschiede aufweist, nicht verhindern können. Als Gründe werden in diesem Zusammenhang sowohl der wachsende Einfluss der indigenen Sprachen nach der Unabhängigkeit, als auch die vergleichsweise isolierte geographische Lage von Teilen Mexikos untersucht.[10]
3.2 Sprachliche Einflüsse
Um die heutige Sonderstellung des mexikanischen Spanisch zu verstehen, muss die Bedeutung der indianischen Bevölkerung näher betrachtet werden.
Während der Kolonialzeit wurde den spanischen Missionaren die Notwendigkeit einer Sprache bewusst, die in ganz Mittelamerika angewendet werden konnte. Da ihnen das Spanische als nur schwer über die Landesgrenzen hinaus durchsetzbar erschien, griff man auf das ohnehin weit verbreitete Náhuatl der Azteken zurück, das bereits seit 1580 an der dort ersten, von Spaniern gegründeten Hochschule, gelehrt worden war. Die daraus resultierende Verbreitung der indigenen Sprache über das eigentliche Bevölkerungsgebiet hinaus scheint zumindest einige wenige sprachliche Phänomene des heutigen mexikanischen Spanisch zu begründen.[11]
Durch die Grenzlage zu den USA dringen außerdem zunehmend Anglizismen in den Mexikanischen Wortschatz ein, auf die an anderer Stelle näher eingegangen werden soll.[12]
4 Linguistische Eigenheiten des mexikanischen Spanisch und charakteristische Unterschiede zum Kastillischen
Um sich nicht mit der Gesamtheit der spanischen Sprache zu befassen, sollen im Folgenden die unterscheidenden Merkmale des mexikanischen Spanisch in Abgrenzung zum kastillischen Spanisch, also dem Hochspanischen, näher beleuchtet werden. Dies soll auf wertungsfreie Weise geschehen, ohne etwa dem Hochspanischen eine dominierende Rolle in Bezug auf sprachliche Korrektheit zu zuschreiben.
4.1 Phonetik und Phonologie
Betrachtet man die phonetischen Eigenheiten der hispanoamerikanischen Sprachvarietäten, so kommt dem mexikanischen Spanisch eine herausragende Bedeutung zu, da hier viele lautliche Disparitäten auffallen, die im Rest der Hispania kaum anzutreffen sind.[13]
4.1.1 Vokalismus
Nach Zamora Vicente ist das wohl auffälligste Merkmal des mexikanischen Spanisch der Ausfall unbetonter und der teilweise Ausfall haupttoniger Vokale.[14] Die Ausprägung ist regional abhängig und kommt fast ausschließlich im zentralen Hochland Mexikos vor. So wird dort beispielsweise Cómo está Usted als cómo stá sté oder demostrar als demstrar realisiert. Mexikaner lassen sich häufig schon an diesem Merkmal erkennen. Auch Diphthonge werden oft weggelassen, sodass teilweise schwer verständliche Lautrealisierungen, wie pues als [ps] oder creo que sí als [croksí] entstehen.[15]
Die Schwächung der Vokale wird von Malmberg als Relikt der Substratsprache Náhuatl verstanden, da ihr Vorkommen mit dem früheren Sprachgebiet übereinstimme und an den Küsten nicht anzutreffen sei[16] ; Lope Blanch hingegen bestreiten diese Theorie, „da das klassische Náhuatl des 16. Jahrhunderts eine phonologisch wirksame Vokalqualität gehabt habe.“[17]
Ein weiteres Kennzeichen, das Mexiko vom übrigen Hispanoamerika unterscheidet, ist die Beibehaltung des /-s/. Fällt in anderen lateinamerikanischen Ländern das auslautende /-s/ meist weg, wird es im mexikanischen Spanisch beibehalten, ja durch die gleichzeitige Vokalschwächung sogar noch verstärkt. So sprechen argentinische Sprecher diez pesos als [’djeh ’pesoh] aus; Mexikaner hingegen sagen [’djess ’pess]. Die hierdurch entstehende direkte Aufeinanderfolge von Konsonanten, die es im Kastillischen nicht gibt, erwirkt den Eindruck hastenden Sprechens.[18]
[...]
[1] Vgl. Zimmermann, K.: Mexiko heute – Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt/Main: Vervuert, 2004, 421f.
[2] Vgl. ebd. 424.
[3] Vgl. ebd. 425.
[4] Lope Blanch 1964, 79. in: Kubarth, H.: Das lateinamerikanische Spanisch: ein Panorama, München: Hueber, 1987, 63.
[5] Vgl. Kubarth, H.: Das lateinamerikanische Spanisch: ein Panorama, München: Hueber,
1987, 67.
[6] Vgl. Zamora Vicente 1967, 397. in: Kubarth, H.: Das lateinamerikanische Spanisch: ein Panorama, München: Hueber, 1987, 68.
[7] Vgl. ebd. 67.
[8] Malmberg 1974, 287. in: Kubarth, H.: Das lateinamerikanische Spanisch: ein Panorama, München: Hueber, 1987, 63.
[9] Vgl. Kubarth 1987, 63.
[10] Vgl. ebd. 64.
[11] Vgl. ebd. 64f.
[12] Vgl. Klasohm, H.: Sprachkontakte in Mexiko: Das Spanische und die Indiosprachen, Kiel, 1989, 5.
[13] Vgl. Kubarth 1987, 68.
[14] Vgl. Zamora Vicente 1960. in: Kubarth 1987, 68.
[15] Vgl. Kubarth 1987, 68f.
[16] Vgl. Malmberg 1974. in: Kubarth 1987, 63.
[17] Lope Blanch 1967, 154. in: Kubarth 1987, 69.
[18] Vgl. Kubarth 1987, 69.