Befähigt die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik die EU zu einem globalen Sicherheitsakteur?
Zusammenfassung
Heute besteht die EU aus 27 Mitgliedsstaaten mit ca. 500 Millionen Einwohnern, welche 40% des weltweiten Bruttosozialprodukts erwirtschaften. Aber schon vor den großen Erweiterungen hat es sich die EU zur Aufgabe gemacht, Mitverantwortung für die weltweite Sicherheit zu übernehmen, denn wie schon die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) erläutert, wird die „erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“ (Europa).
Das hieraus resultierende Problem besteht nun zwischen dem Anspruch Europas, ein globaler Sicherheitsakteur zu sein und den damit verbundenen Aufgaben gerecht zu werden.
Zu Beginn der Arbeit soll ein kurzer Überblick über die sich verändernde ESVP gegeben werden unter Berücksichtigung der Frage, welche entscheidenden Einschnitte zur Weiterentwicklung geführt haben. Des Weiteren sollen die Ziele, Strategie, Aufgaben und Fähigkeiten der ESVP genauer beleuchtet werden, um heraus zu finden, ob die EU ihr vorgegebenes Einsatzspektrum erfüllen kann oder wo noch Mängel bei der Umsetzung bestehen.
Um die Umsetzung besser analysieren zu können, wird diese Arbeit Beispiele untersuchen, durch die genauere Aussagen über die Fähigkeiten der EU als globaler Sicherheitsakteur getroffen werden können.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
2.1. Entstehung und Weiterentwicklung der ESVP
2.2. Die militärische Komponente
2.3. Die zivile Komponente
2.4. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa
3. Die Europäische Sicherheitsstrategie
4. ESVP im Einsatz
4.1. EU-Polizeimission Bosnien und Herzegovina (EUPM)
4.2. EU-Militäroperation CONCORDIA in Mazedonien
4.3. EU-Militäroperation ARTEMIS in der Demokratischen Republik Kongo (DRK)
5. Fazit: Die ESVP- Grundstein für die EU als globaler Sicherheitsakteur
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Europäische Union (EU) unterliegt seit ihrer Gründung einem stetigen Transformationsprozess. Es kommt zu immer tieferen Überschneidungen in verschiedenen Politikfeldern, sowie zur Einbindung weiterer Staaten in die EU. Nach dem Ende des Kalten Krieges war Europa neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gegenübergestellt, die von ihnen ein gemeinsames Vorgehen abverlangten. Darüber hinaus dehnte sie ihr Engagement als internationaler Akteur immer weiter aus, besonders durch die Implementierung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) im Rahmen des Vertrags von Maastricht (1992). Die Erfahrungen im Kosovo-Krieg haben den Ausbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) enorm beschleunigt, da die EU nicht alleine dazu in der Lage war, in ihrem eigenen “Hinterhof" für Ordnung zu sorgen. Aufgrund einer Reihe prägender Erlebnisse und Erfahrungen wurde die ESVP immer weiter ausgebaut und somit hat sich die EU, in wenigen Jahren „zum globalen Sicherheitsakteur entwickelt“ (Solana 2007: 11).
Die gesamte europäische Bevölkerung ist von diesen Veränderungen betroffen, ob sie nun direkt als Soldat die ESVP umsetzt oder indirekt über Steuern ihren Beitrag „für ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ (Europa) leistet. Heute besteht die EU aus 27 Mitgliedsstaaten mit ca. 500 Millionen Einwohnern, welche 40% des weltweiten Bruttosozialprodukts erwirtschaften. Aber schon vor den großen Erweiterungen hat es sich die EU zur Aufgabe gemacht, Mitverantwortung für die weltweite Sicherheit zu übernehmen, denn wie schon die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) erläutert, wird die „erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“ (Europa).
Das hieraus resultierende Problem besteht nun zwischen dem Anspruch Europas, ein globaler Sicherheitsakteur zu sein und den damit verbundenen Aufgaben gerecht zu werden. Zu Beginn der Arbeit soll ein kurzer Überblick über die sich verändernde ESVP gegeben werden unter Berücksichtigung der Frage, welche entscheidenden Einschnitte zur Weiterentwicklung geführt haben. Des Weiteren sollen die Ziele, Strategie, Aufgaben und Fähigkeiten der ESVP genauer beleuchtet werden, um heraus zu finden, ob die EU ihr vorgegebenes Einsatzspektrum erfüllen kann oder wo noch Mängel bei der Umsetzung bestehen.
Um die Umsetzung besser analysieren zu können, wird diese Arbeit Beispiele untersuchen, durch die genauere Aussagen über die Fähigkeiten der EU als globaler Sicherheitsakteur getroffen werden können.
2. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
2.1. Entstehung und Weiterentwicklung der ESVP
Als entscheidender Auslöser, der zur Weiterentwicklung der GASP geführt hat, kann man wohl den Kosovo-Konflikt aufführen, der den Europäern ihre Unfähigkeit zur autonomen Krisenbewältigung vor Augen geführt hat. Der Mangel an gemeinsamen operativen Fähigkeiten und der stark dominierende NATO-Partner USA, dessen Waffentechnologie die der Europäer um längen übertroffen hatte, zwangen die EU letzten Endes zum Umdenken. Den ersten Schritt unternahmen Großbritannien und Frankreich mit ihrer Initiative von St. Malo 1998, in der sie den Ausbau der GASP forderten. Auf dem Treffen des Europäischen Rates in Köln im Juni 1999, erklärten sich die Staats- und Regierungschefs zum Aufbau der ESVP bereit. Sie hegten damit die Absicht, der EU die notwendigen Mittel und Fähigkeiten zu geben, welche sie zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und zu Erreichung ihrer Ziele benötigte. Noch im selben Jahr präzisierte der Europäische Rat die Forderungen mit dem Helsinki Headline Goal 2003 (HG 2003). Hier wurden neue politische und militärische Strukturen geschaffen, sowie ein Mechanismus zur nicht-militärischen Krisenbewältigung. Darüber hinaus wurde die Gründung der European Rapid Reaction Force (ERRF) beschlossen, die bis 2003 dazu in der Lage sein sollte, die Petersberg-Aufgaben eigenständig zu bewältigen. Die Mitgliedstaaten einigten sich außerdem noch darauf, schnellstmöglich gemeinsame Fähigkeiten in den Bereichen Streitkräfteführung, strategische Aufklärung und Transport zu entwickeln. Im Nachhinein ist das HG 2003 aber eher als Kompromiss zwischen dem politischen Willen, den finanziellen Möglichkeiten und den unterschiedlichen Fähigkeiten (Lang 2007: 131) zu werten, der den kleinsten gemeinsamen Nenner der übrigen Mitgliedstaaten darstellte.
Im Dezember 2000 in Nizza wurde die Grundlage für den reformierten Vertrag über die Europäische Union gelegt, der dann im Februar 2001 unterzeichnet wurde und am 01.02.2003 in Kraft trat. Die Neuerungen betrafen nun die Festlegung der ESVP Strukturen, die Einbeziehung der Petersberg-Aufgaben in die EU, sowie die Einführung eines Hohen GASP Vertreters. Darüber hinaus einigte man sich darauf, dass der Ausbau der ESVP nicht den Zweck verfolgt, eine europäische Armee aufzubauen. Die Zuständigkeit über Fragen des internationalen Friedens und der Solidarität (Europa). obliegt den Vereinten Nationen (VN) und das die ESVP zur Stärkung der transatlantischen Beziehungen dienen soll.
Als weiteren bedeutenden Auslöser zur Umgestaltung der ESVP kann wohl der Terroranschlag am 11.09.2001 auf die USA gesehen werden. Diese bis dato unterschätzte Bedrohung machte nun auch nicht vor den Toren der westlichen Zivilisation halt und veranlasste auch Europa, sich mit den neu entstandenen Bedrohungen auseinanderzusetzen. Im Dezember 2001 erklärte die EU nicht nur, dass sie in der Lage sei Aufgaben der Krisenbewältigung wahrzunehmen, sondern sie erklärte darüber hinaus „ihr Selbstverständnis als internationale Ordnungsmacht“ (Roloff 2006: 229), welche ihre Aufgaben auch weit außerhalb der EU zur Friedenssicherung und Erhaltung wahrnimmt. Dies ist mit Hinblick auf die Terroranschläge wohl eher eine Solidaritätsbekundung, welche die Bereitschaft der EU zur gemeinsamen Bekämpfung der neu aufgekommenen Bedrohung signalisieren sollte, als eine genaue Wiedergabe der Einsatzfähigkeit der ESVP zu werten.
Im März 2003 kam es zum Berlin-Plus-Abkommen, welches den Rückgriff der EU auf Fähigkeiten, Mittel und insbesondere die operativen Planungskapazitäten der NATO erlaubt. Dieses Abkommen ist auf die drei D`s der USA zurückzuführen, die forderten, dass es nicht zur Diskriminierung von NATO-Mitgliedern kommt, welche nicht in der EU sind, keine Duplizierung vorhandener Strukturen und Fähigkeiten der NATO und dass die Sicherheitspolitik der EU im Einvernehmen mit der der NATO einhergeht (Lang 2007: 265). Der letzte bedeutende Einschnitt in die ESVP war der Irak-Konflikt, der zu einer Spaltung in der GASP geführt hatte. Einige Mitgliedstaaten der Union beteiligten sich an der “Koalition der Willigen“ unter Führung der USA und andere entschlossen sich gegen einen Krieg. Nun wurde die Uneinigkeit der Europäer in der Frage „ob ein Krieg geführt werden soll, beziehungsweise wann und unter welchen Umstände“ (Reiter 2005: 57) deutlich. Da es nun offensichtlich keine gemeinsame Beurteilung der Bedrohung und der Gefahr gab, entschlossen sich die Mitgliedstaaten darauf, eine gemeinsame Sicherheitsstrategie zu entwickeln. Der Hohe Vertreter der GASP, Javier Solana, erstellte die EU- Sicherheitsstrategie, welche dann schon im Dezember 2003 verabschiedet wurde. Dies war die notwendige Konsequenz aus dem Irak-Konflikt, nun doch noch eine gemeinsame Bedrohungsanalyse zu erstellen, welches die „Vorraussetzung für ein glaubwürdiges und effizientes sicherheitspolitische Auftreten der EU“ (Lang 2007: 58) ist. Im Zuge der sich ständig ändernden sicherheitspolitischen Lage und zur Anpassung an die europäische Sicherheitsstrategie begann man mit einer neuen Zielformulierung für die ESVP, die letzten Endes im HG 2010 vom Europäischen Rat in Brüssel im Juni 2004 angenommen wurde.
Ein weiterer großer Schritt in der Reform der ESVP stellt die Annahme des Europäischen Verfassungsvertrages dar, die ebenfalls im Juni 2004 stattfand. Der Vertrag beinhaltet als wichtigste Punkte die Schaffung eines Auswärtigen Dienstes, eines EU- Außenministers, einer Solidaritätsklausel und Beistandsverpflichtung, die Erweiterung der Petersberg- Aufgaben sowie die Möglichkeit einer strukturierten Zusammenarbeit (Schmalz 2006: 145f). Des Weiteren wurde noch die Errichtung einer europäischen Verteidigungsagentur beschlossen, welche auch ohne Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa aufgebaut worden ist.
2.2. Die militärische Komponente
Die EU hat die Petersberg-Aufgaben der WEU übernommen und im Dezember 2000 in Nizza als Bestandteil der ESVP implementiert. Das größte Problem, das bei der Formulierung von gemeinsamen Aufgaben im Bereich der Sicherheitspolitik auftritt, liegt meist darin, einen Kompromiss zu finden, den alle Staaten teilen. Der Bereich Sicherheit und Verteidigung gehört zu den Kernbereichen staatlicher Souveränität und Kooperationen kommen meist nur unter der „Prämisse“ zustande, diese Souveränität weitestgehend zu erhalten (Lang 2007:12f). Um Aufgaben gemeinsam wahrnehmen zu können, bedarf es also einer einheitlichen Auffassung, Betroffenheit und vor allem Motivation der Mitgliedstaaten, sich der Gefahr im Staatenverbund anzunehmen.
Aufgrund der sich weltweit veränderten Sicherheitsbedingungen und der Entwicklung einer Europäischen Sicherheitsstrategie, wurden die Petersberg-Aufgaben im Vertrag über eine Verfassung für Europa erweitert. Diese erweiterte Spektrum umfasst nun Gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, militärische Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und Erhaltung des Friedens, Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Friedenserhaltener Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage (Art. I-40 Abs. 1, Art. III-210 VVE). „Ziel, Umfang und Durchführungsbestimmungen der Missionen“ (Algieri/Bauer 2005: 11) sollen im Europäischen Rat beschlossen werden.
Welche Mittel stehen der EU zur Bewältigung ihrer Aufgaben zu Verfügung? Den ersten Schritt hat die EU mit dem HG 2003 gemacht, in der sie unter anderem die Gründung der ERRF beschloss. Ihr definiertes Fähigkeitenziel wurde bis 2003 auch eingehalten und umfasste die Bereitstellung von ca. 100.000 Soldaten, 400 Luftfahrzeugen und 100 Schiffen, welche die Mitgliedstaaten zusicherten. Noch im selben Jahr wurde das HG 2010 verabschiedet, das die bestehenden Lücke zwischen EU- und NATO-Fähigkeiten schließen soll. Hierbei wurden erkannte Defizite und die ersten Erfahrungen aus Einsätzen im Rahmen der ESVP berücksichtigt.
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