Die Europäisierung nationaler Politik - Der Einfluss europäischer Vorgaben auf die Umweltpolitik der BRD am Beispiel der UVP-Richtlinie
Zusammenfassung
Ausgehend von der Hyphothese, dass europäische Vorgaben nationale Politik verändern, sollen am Beispiel der Umweltpolitik die Rückwirkungen der Europäisierung auf die nationale Ebene anhand einer konkreten europäischen Vorgabe gezeigt werden. Auf der Basis verschiedener Defintionen und Erklärungsansätzen zur Europäisierung, sollen die Veränderungen in der BRD, ausgelöst durch die Implementation der UVP-Richtlinie, untersucht werden. Die Wirkungsweise der Richtlinie und die nationalen Auswirkungen bilden hierbei das Kernstück der folgenden Analyse. Auch der historische Kontext, die Bedingungen für einen Wandel und die Fragen danach, ob oder inwiefern tatsächlich eine Veränderung stattgefunden hat, werden hierbei berücksichtigt.
Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. KONZEPTE DER EUROPÄISIERUNG
2.1. Gegenstandsbereich und Definitionsfindung der Europäisierung
2.2. Relevante Erklärungsansätze der Europäisierung
2.2.1. Die Europäisierung durch Vorgabe institutioneller Modelle
2.2.1.1. Wirkungsweise europäischer Politik
2.2.1.2. Nationale Auswirkungen europäischer Politik
2.3. Bewertung der Europäisierungskonzepte im Bezug zum Untersuchungsgegenstand der Arbeit
3. METHODIK
4. DIE EUROPÄISIERUNG DER UMWELTPOLITIK AM BEISPIEL DER IMPLEMENTIERUNG DER UVP-RICHTLINIE IN DEUTSCHLAND
4.1. Definition, Prinzipien und Instrumente der Umweltpolitik
4.2. Historische Perspektive - Die Entwicklung der deutschen und europäischen Umweltpolitik
4.3. Fallbeispiel: Die UVP Richtlinie
4.3.1. Inhalt, Zielsetzung und Rechtsgrundlage der UVP
4.3.2. Entstehung der UVP-Richtlinie und ihre Weiterentwicklung
4.3.3. Die Wirkungsweise der UVP-Richtlinie - ihre Implementation in der BRD und die damit einhergehenden Probleme
4.3.4. Nationale Auswirkungen - Veränderungen durch die UVP in der BRD
4.3.5. Kritische Würdigung der UVP-Richtlinie
5. FAZIT
6. LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Die globalen Herausforderungen unserer Zeit können schon lange nicht mehr allein auf nationaler Ebene bewältigt werden. Die internationale Zusammenarbeit gewinnt in vielen Politikfeldern stetig an Bedeutung. Insbesondere im Rahmen der Umweltpolitik wird vieles aus Brüssel geregelt. Die voranschreitende europäische Integration stand Lange Zeit im Zentrum von Untersuchungsarbeiten, bis zunehmend der Begriff Europäisierung thematisiert wurde. Der Prozess der Europäisierung hat auch in Deutschland seine Spuren hinterlassen. Die BRD, eingebettet in einem vielschichtigen Institutionensystem, blickt auf eine langjährige Geschichte europäischer Zusammenarbeit zurück und musste ihre nationale Politik, z. B. im Bereich der Umweltpolitik, oft an europäische Vorgaben angleichen. Doch was bedeutet Europäisierung eigentlich? Was geschieht, wenn europäische Vorgaben auf die nationale Ebene zurückwirken? Inwiefern und wodurch verändern diese Vorgaben die nationale Politik?
Ausgehend von der Hyphothese, dass europäische Vorgaben nationale Politik verändern, sollen am Beispiel der Umweltpolitik die Rückwirkungen der Europäisierung auf die nationale Ebene anhand einer konkreten europäischen Vorgabe gezeigt werden. Auf der Basis verschiedener Defintionen und Erklärungsansätzen zur Europäisierung, sollen die Veränderungen in der BRD, ausgelöst durch die Implementation der UVP-Richtlinie, untersucht werden. Die Wirkungsweise der Richtlinie und die nationalen Auswirkungen bilden hierbei das Kernstück der folgenden Analyse. Auch der historische Kontext, die Bedingungen für einen Wandel und die Fragen danach, ob oder inwiefern tatsächlich eine Veränderung stattgefunden hat, werden hierbei berücksichtigt.
Die folgende Arbeit ist in einen Theorie- und einen Empirieteil untergliedert. Im Theorieteil wird zunächst versucht den Begriff „Europäisierung“ zu definieren und ihn vom Begriff der „Integration“ abzugrenzen.
Darauf aufbauend werden die Impulse, Perspektiven, Mechanismen und Voraussetzungen der Europäisierung vorgsetellt, um die Breite der Europäisierungsthematik und die verschiedenen Herangehensweisen darzustellen. Dabei werden vorwiegend die top-down - Perspektive, der mi ß fit - sowie der Goodness of fit - Ansatz berücksichtigt, da diese für die Fragestellung der Arbeit relevant erscheinen.
Zudem wird insbesodnere auf einen Teil des Ansatzes „Die Europäisierung nationaler Staatstätigkeit: Erkenntnisse aus der vergleichenden Policy-Forschung“ von Knill und Lehmkuhl eingangen, da dieser Ansatz einen konkreten Zugang zur empirischen Untersuchung im Fallbeispiel liefert. Es wird sich hierbei ausschließlich auf das erste Modell des theoretischen Ansatzes „Europäisierung durch Vorgabe institutioneller Modelle“ bezogen, da dieser sich explizit auf die Wirkungsweise von europäischen Vorgaben und die nationalen Auswirkungen beschränkt.
Um den Theorieteil abzuschließen wird eine zusammenfassende Wertung der Ansätze vorgenommen und begründend dargestellt, welche der ausgewählten Ansätze für die Bearbeitung des Emperieteils relevant sind.
Im Punkt drei wird die Methodik dieser Arbeit vorgestellt. Sie verdeutlicht die Vorgehensweise der Informationserhebung und -auswertung sowie die in dieser Arbeit verwendete Analysetechnik. Ebenso soll hier der Literaturbericht einfließen.
Im anschließenden empirischen Teil der Arbeit wird einleitend versucht, den Policy-Bereich Umweltpolitik zu definieren. Gleichzeitig werden die Prinzipien und Instrumente der Umweltpolitik sowie deren Zielsetzung erläutert. Einerseits wird ein Blick auf die historische Entwicklung der Kompetenzverlagerung im Bereich der Umweltpolitik auf die europäische Ebene gerichtet, weil dadurch Schlussfolgerungen zum Stand der Europäisierung in diesem Politikfeld sowie die Einordnung in den hostorischen Kontext möglich sind. Dadurch soll andererseits auch die Ausgangssituation in der BRD verdeutlicht werden, um die stattfindenden Veränderungen besser nachvollziehen zu können.
Darauf aufbauend wird in Form eines Fallbeispiels eine konkrete EU-Vorgabe und deren Auswirkungen auf die nationale Ebene untersucht. Die UVP-Richtlinie eignet sich besonders gut dafür, da sie scheinbar ein Musterbeispiel für konkrete Vorgaben der EU ist, welche die Anpassung nationaler Regulierungsstile und -strukturen bewirken.1 Zum besseren Verständis wird vorerst die Enstehung und Weiterentwicklung der Richtlinie gezeigt, um die Haltung der BRD gegenüber dieser Vorgabe zu verdeutlichen. Geleitet durch den theoretischen Ansatz von Knill und Lehmkuhl sollen dann in diesm Fallbeispiel die Wirkungsweise, die Implementation und die Auswirkung auf natinaler Ebene der UVP- Richtlinie untersucht werden.
Abschließend werden die Stärken und Schwächen der UVP-Richtlinie und die Probleme bei ihrer Umsetzung thematisiert. Zudem wird eine Wertung vorgenommen, inwiefern die Implementierng Erfolg hatte, was auf nationalstaatlicher Ebene geändert wurde und wie stark dieses Feld europäisiert ist.
Obwohl die Akteure der Umweltpolitik, auf nationaler wie internationaler Ebene, die Politikergebnisse bestimmen und gestalten, wird der Einfluss der verschiedenen Akteure in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt, da sie für die Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit eine nebengeordnete Rolle spielen.
2. Konzepte der Europäisierung
Die in dieser Arbeit getroffene Auswahl an Definitionen und theoretischen Erklärungsansätzen soll einen Überblick geben und den Zugang zur folgenden Analyse ermöglichen, ohne dabei zu versuchen, die gesamte Bandbreite der Europäisierungsansätze wiederzuspiegeln. Die folgende Darstellung soll verdeutlichen, aus welchen Perspektiven die Europäisierung gesehen werden kann, welche Impulse diesen Prozess auslösen können, welche Mechanismen die Europäisierung der nationalen Politik beeinflussen und was die Vorraussetzungen für einen Wandel sind.
2.1. Gegenstandsbereich und Definitionsfindung der Europäisierung
Lange Zeit galt der Fokus der Politikwissenschaft dem Prozess der europäischen Integration selbst. Wissenschaftler versuchten zu erklären, warum Staaten supranationale Institutionen schaffen, einen Teil ihrer Souveränität abtreten und wie das sich entwickelnde politische System auf europäischer Ebene aussieht.
Die Rückwirkungen, welche die europäische Integration allerdings in den Mitgliedsstaaten verursachte, rückten zunehmend in den Vordergrund. Sie ließen das Thema komplexer werden und lösten eine Reihe an Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema der Europäisierung nationaler Politik befassen, aus. 2
Aber was bedeutet Europäisierung eigentlich?
Um diesen Begriff inhaltlich zu fassen, ist es sinnvoll, zuerst die Einteilung in die verschiedenen Dimensionen der Politik zu betrachten: In der Politikwissenschaft wird zwischen Auswirkungen auf die Policy-, Politics- und Polity- Dimension unterschieden. Diese Einteilung ermöglicht einen Überblick darüber, was europäisiert wird: Politikfelder, -Inhalte, und -Instrumente (Policy), politische Institutionen und Strukturen (Polity) oder politische Ideen, Ordnungsvorstellungen und Prozesse (Politics).3 Da diese Arbeit der Analyse einer Konkreten Vorgabe der EU gewidmet ist, wird sich vorrangig auf die Policyanalyse bezogen, wobei allerdings keine klare Trennung erfolgen kann. Europäische Vorgaben richten sich zwar primär an die Ausgestaltung von Politikinhalten, für deren Umsetzung allerdings instrumentelle und institutionelle Vorraussetzungen notwendig sind. „Entscheidungen über Politikinhalte implizieren daher in gewisser Weise immer auch Entscheidungen über Formen und Strukturen staatlichen Handelns“4, obgleich das Ausmaß des Zusammenhangs von Politikinhalten, Instrumenten und Institutionen variiert.
Aufgrund der verschiedenen Forschungsinteressen findet sich in der Literatur eine Vielzahl konkurrierender Definitionen, welche diese verschiedenen Herangehensweisen wiederspiegeln.5 Trotz der Fülle an Forschungsarbeiten hat sich die „Europäisierung in der Politikwissenschaft noch zu keinem eigenständigen Theoriestrang verdichtet“.6 Politikwissenschaftler wie Sabine Schwarz beschreiben Europäisierung als die „[…]zunehmende Verlagerung nationaler Kompetenzen auf andere Entscheidungsebenen innerhalb sich wandelnder institutioneller Bedingungen[…]“.7
Zwar schildert diese Definition den Souveränitätstransfer, der sich besonders gut anhand der Entwicklung der primärrechtlichen Verträge verfolgen lässt, sowie den damit einhergehenden institutionellen Wandel, blendet allerdings weitere wichtige Faktoren aus.8 Tanja Börzel definiert Europäisierung wie folgt:
„Europeanization is defined as a process by which domestic policy areas become increasingly subjects to European policy making.“9
Diese Definition verdeutlicht zwar den entstehenden überstaatlichen Einfluss der europäischen Politik auf die nationalstaatlichen Strukturen, beschränkt allerdings das Konzept auf die Rückwirkungen europäischer Politik auf die Mitgliedsstaaten und spiegelt nicht die Komplexität des gesamten Prozesses wider.10
Eine in der Wissenschaft weitverbreitete und viel zitierte Definition, welche unterschiedliche theoretische Ansätze zusammenfasst, ist die von Claudio Radaelli. Er bezeichnet Europäisierung als einen
„Process of (a) construction, (b) diffusion, and (c) institutionalization of formal and informal rules, procedures, policy paradigmas, styles, „ways of doing things“, and shared beliefs and norms which are first defined and consolidated in the making of EU public policy and politics and then incorporated in the logic of domestic discourse, identities, political structures, and public policies.“11
Claudio Radaelli versucht in seiner Definition die Komplexität des Europäisierungsprozesses zu erfassen. Er berücksichtigt neben der Einwirkung der Mitgliedstaaten auf die Entstehung europäischer Politik auch deren Rückwirkung auf die Nationalstaaten und versucht den unterschiedlichen Einflussfaktoren Rechenschaft zu tragen.
Anwendung finden die verschiedenen Definitionen bei den verschiedenen Herangehensweisen an dieses umfassende Themengebiet. Je nach Analysevorhaben, kann ein entsprechender theoretischer Zugang gewählt werden.
Radaelli´s Definition liefert zwar eine Weitsicht auf die Komplexität und die Interdependenzen des Prozesses der Europäisierung, im Bezug auf den Untersuchungsaspekt dieser Arbeit kommen allerdings besonders die Definitionen von Schwarz und Börzel in betracht. Die Definition von Sabine Schwarz, da sie die Kompetenzverlagerung auf die EU-Ebene beschreibt, welche Vorraussetzung für die Entwicklung der Europäischen Politik ist und sich in der historischen Perspektive anhand der Entwicklung der EU-Verträge widerspiegelt. Tanja Börzels Definition findet Anwendung, da diese dem klassischen top-down -Ansatz folgt, welcher die Analyse europäischer Vorgaben und deren Umsetzung und Wirkung auf nationaler Ebene ermöglicht.
2.2. Relevante Erklärungsansätze der Europäisierung
Zu den relevanten Erklärungsansätzen der Europäisierung gehören die verschiedenen Impulse, die als Auslöser für diesen Prozess gesehen werden können, Perspektiven, die die Herangehensweise für die Analyse der Europäisierung festlegen, Mechanismen, die die Europäisierung nationaler Politik beeinflussen, sowie Vorraussetzungen, die zu Veränderungen auf nationaler Ebene führen.
Aufbauend auf der Definition von Schwarz ergibt sich ein möglicher Ansatzpunkt für die weitere Analyse: Die historische Perspektive. Diese untersucht, in welchem Ausmaß innerhalb der letzten Jahrzehnte Kompetenzen von nationaler Ebene auf die EU-Ebene verlagert wurden. Nachvollziehen lässt sich dies anhand der primärrechtlichen Verträge und ermöglicht eine Schlussfolgerung des Standes der Europäisierung in bestimmten Politikbereichen.12
Um alleridngs die Prozesse der Europäisierung zu erklären, muss zunächst gezeigt werden, auf welche Weise die EU Einfluss auf nationale Politik nimmt, was also die Auslöser für den Europäisierungsprozess sein können. Claudio Radaelli differenziert zwischen vertikalen und horizontalen Impulsen. 13 Auch Katrin Auel bezieht sich in ihrem wissenschaftlichen Beitrag „Europäisierung nationaler Politik“ auf diese Unterteilung und erläutert diese wie folgt näher: Horizontale Impulse findet man in Politikbereichen, in denen die EU aufgrund der Verträge in den MGS nicht aktiv werden kann, wie zum Beispiel in Bereichen der intergouvernementalen Kooperation. Hier nimmt die EU über Kooperations-, Sozialisations- und Lernprozesse Einfluss auf die Mitgliedsstaaten.14
Supranationale Gesetzgebung, also klare Vorgaben der Europäischen Union in Form von Richtlinien und Verordnungen sind vertikale Impulse. Die EU greift hier hierarchisch in die Politik der Mitgliedsstaaten ein und zwingt diese zur Anpassung.
„Durch die aktive Rechtssetzung auf europäischer Ebene wird den Mitgliedsstaaten die Übernahme eines institutionellen Politikmodells vorgeschrieben, indem Richtlinien - häufig innerhalb einer gesetzten Frist - in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen.“ 15
Diese Vorgabe eines bestimmten europäischen Politikmodells wird als positive Integration bezeichnet. Die EU nimmt hier hierarchisch Einfluss auf die Mitgliedsstaaten.16 Die Europäisierung beruht dabei auf der top-down -Perspektive, die von einem Anpassungsdruck durch „harte“ Instrumente der EU-Politk, wie zum Beispiel Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen des EUGH und der Europäischen Kommission ausgeht.17 Hauptziel der Analysen, welche der top-down -Perspektive folgen, ist die Untersuchung der Europäisierung der nationalen Politik der Mitgliedsstaaten.18 Europäische Vorgaben werden hierbei als Ausgangspunkt gesehen und deren Umsetzung auf nationaler Ebene analysiert. Ziel ist das Beantworten der Frage „how europe matters“.19 Der Fokus liegt hierbei also auf den Rückwirkungen der Europäisierung und dem ausgelösten Wandel auf nationaler Ebene. Mit Hilfe von Mechanismen wird versucht den Prozess des nationalen Wandels zu erklären. Es gibt eine Vielzahl von Mechanismen, die in der Literatur beschrieben werden. Unabhängig davon ob man Polities, Policies oder Politics untersucht, findet man dennoch eine gemeinsame Position über die Bedingung für Veränderungen durch die Europäisierung: Der sogenannten mi ß fit, der die Vorraussetzung für einen Wandel auf nationaler Ebene durch europäische Vorgaben ist. Das heißt, es muss einen Unterschied zwischen europäischer Vorgabe und der nationalen Politik geben: Das Level, auf dem sich europäische Institutionen, Prozesse oder Policies befinden, muss inkompatibel mit dem nationalen Level sein. Der von Börzel und Risse beschriebene Ansatz des Goodness of fit geht davon aus, „[…] that Europeanization is only likely to result in domestic change i fit is ,inconvenient’.“20 Die Inkompatibilität zwischen der europäischen Vorgabe und der nationalen Politik löst einen Anpassungsdruck aus. Ein Wandel auf nationaler Ebene erfolgt nur, wenn ein Anpassungsdruck, ausgelöst durch einen oben beschriebenen mi ß fit vorhanden ist, da bei einer Übereinstimmung von europäischen mit nationalen Arrangements keine Veränderung nötig ist. Eine Vorgabe der EU, die also mit der nationalen Politik übereinstimmt, bedarf für die Umsetzung keiner Veränderung des nationalen Systems und somit auch keines nationalstaatlichen Wandels. Je größer jedoch der mi ß fit ist, desto größer wird der Anpassungsdruck. „The lower the compatibility between European and domestic process, policies, and instituions, the higher the adaptional pressure.“21 Ist der Anpassungsdruck allerdings zu hoch, ist eine effektive Umsetzung der Vorgabe extrem schwierig und die Veränderung bleibt ebenfalls aus, bzw. ist geringfügig. Der Grund hierfür liegt in EU-Vorgaben, die kaum mit den traditionellen Problemlösungsansätzen auf nationaler Ebene übereinstimmen und somit auf erbitterten Widerstand der nationalen Behörden stoßen.
Wie unterschiedlich die verschiedenen Konzepte der Europäisierung in sich auch sein mögen, abschließend versuchen die meisten Ansätze die Frage zu beantworten, in welchem Ausmaß die Europäisierung stattfindet.
2.2.1. Die Europäisierung durch Vorgabe institutioneller Modelle
Weitere Mechanismen zur Anaylse der Umsetzung einer EU-Vorgabe auf nationaler Ebene liefern Knill und Lehmkuhl in ihrem Ansatz „Europäisierung durch Vorgabe institutioneller Modelle“, in dem sie vertieft der Frage nachgehen, unter welchen Bedingungen es zu einem Wandel kommt.
2.2.1.1. Wirkungsweise europäischer Politik
Um die Wirkungsweise europäischer Vorgaben auf die nationale Staatlichkeit zu analysieren unterscheiden Knill und Lehmkuhl zwischen drei idealtypischen Mechanismen der Europäisierung: Erstens die Europäisierung durch institutionelle Modellvorgabe, die auf rechtlichem Zwang basiert, zweitens die Europäisierung durch die Veränderung nationaler Gelegenheitsstrukturen, die eine Umverteilung von Macht und Ressourcen hervorruft und drittens Europäisierung durch Veränderung nationaler Ideen und Überzeugungen (framing).22 Im Folgenden soll nur der erste Mechanismus „Europäisierung durch Vorgabe institutioneller Modelle“ erklärt werden. Die europäische Politik gibt hier konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung nationaler Staatlichkeit, die Veränderungen in nationalen Regierungsstilen und Verwaltungsmustern auslösen. Um diese verbindlichen Vorgaben der EU, welche an institutionelle und instrumentelle Anforderungen geknüpft sind, auf nationaler Ebene ordnungsgemäß umzusetzen und zu implementieren, ist die Anpassung nationaler Institutionen gefordert. Dieser Europäisierungsmechanismus basiert primär auf rechtlichen Zwang (z. B. durch den Erlass von EU-Richtlinien) und findet sich vor allem in den Bereichen der positiven Integration23.
Besonders in diesen Bereichen der positiven Integration, ist es Ziel europäischer Vorgaben, bestehende nationale Arrangements nach supranationalen Vorstellungen zu gestalten, wodurch eine echte Umgestaltung nationaler Politik gefordert wird. An derartigen Maßnahmen der EU lassen sich die direkten Rückwirkungen europäischer Policies auf die nationale Staatlichkeit verdeutlichen.24
2.2.1.2. Nationale Auswirkungen europäischer Politik
Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass eine ordnungsgemäße Umsetzung europäischer Vorgaben mit den Anpassungen nationaler Staatlichkeit verbunden ist. Doch unter welchen Bedingungen kommt es zur Europäisierung nationaler Staatlichkeit, die auf der Vorgabe institutioneller Modelle basiert? Zur Beantwortung dieser Frage bedienen sich Knill und Lehmkuhl folgender Erklärungsgröße: Dem „[…] Grad der institutionellen Kompatibilität europäischer Vorgaben und nationaler Arrangements (goodness of fit) […]“25. Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass die institutionelle Anpassung gewisse Grenzen hat, da bestehende Institutionen gewisse Handlungskorridore eröffnen und gleichzeitig andere ausschließen.
„Institutioneller Wandel basiert daher auf inkrementellen Anpassungen entlang bestimmter Pfade […] [und] beschränkt sich daher zumeist auf Aspekte, welche die grundlegende Identität einer Institution nicht in Frage stellen.“26
Der Anpassungsgrad ist also abhängig von den existierenden nationalen Arrangements. Doch wann übersteigen europäische Vorgaben die Anpassungskapazität nationaler Institutionen? Wann führt institutioneller Anpassungsdruck zu staatlichem Wandel? Um dies zu beantworten entwickelten Knill und Lehmkuhl drei Szenarien institutionellen Anpassungsdrucks. Im ersten Szenario wird davon ausgegangen, dass „die europäische Vorgaben weitgehend mit den bestehenden Regulierungsmustern und Verwaltungstraditionen auf nationaler Ebene vereinbar sind, also keine oder nur sehr geringfügige institutionelle Anpassung erfordern.“27
[...]
1 Vgl. Knill, Christoph/Lehmkuhl, Dirk: Die Europäisierung nationaler Staatstätigkeit: Erkenntnisse aus der vergleichenden Policy-Forschung, in: Holtmann, Everhard (Hrsg.): Staatsentwicklung und Policyforschung. Politikwissenschaftliche Analysen der Staatstätigkeit, Wiesbaden 1. Aufl. 2004, S. 146.
2 Vgl. Auel, Katrin: Europäisierung nationaler Politik, in: Bieling, Hans-Jürgen/Lerch, Marika (Hrsg): Theorien der europäischen Integration, Wiesbaden 2. Aufl. 2005, S. 293 f.
3 Vgl. Axt, Heinz-Jürgen/Milososki, Antonio/Schwarz, Oliver: Europäisierung - ein weites Feld. Literaturbericht und Forschungsfragen, in: Politische Vierteljahresschrift, 48 (2007), Nr.1, S.139 f.
4 Knill/Lehmkuhl, Die Europäisierung nationaler Staatstätigkeit, a.a.O., S. 143.
5 Vgl. Kohler-Koch, Beate: Europäisierung: Plädoyer für eine Horizonterweierung, in: Knodt, Michéle/Kohler-Koch, Beate (Hrsg.): Deutschland zwischen Europäisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt a.M./New York 2000, S. 12.
6 Axt/Milososki/Schwarz, Europäisierung - ein weites Feld, a.a.O., S. 136.
7 Schwarz, Sabine: Die Europäisierung der Umweltpolitik. Politisches Handeln im Mehrebenensystem, Berlin 2002, S. 9.
8 Wie z. B. sie Radaelli berücksichtigt (siehe unten)
9 Börzel, Tanja: Towards Convergence in Europe? Institutional Adaption to Europeanization in Germany and Spain, in: Journal in Common Market Studies 37/4, 1999, S. 574.
10 Vgl. Auel, Europäisierung nationaler Politik, a.a.O., S. 297.
11 Radaelli, Claudio M.: The Europeanization of Public Policy, in: Featherstone, Kevin/Radaelli, Claudio M.(Hrsg.): The politics of Europeanization, Oxford 2003, S. 30.
12 Vgl. Schwarz, Die Europäisierung der Umweltpolitik, a.a.O., S. 17.
13 Vgl. Radaelli, The Europeanization of Public Policy, a.a.O., S. 40.
14 Vgl. Auel, Europäisierung nationaler Politik, a.a.O., S.301 ff.
15 Vgl. ebd., S.302.
16 Im Gegensatz dazu steht die negative Integration, bei der die EU zwar auch hierarschich Einfluss nimmt, allerdings kein bestimmtes institutionelles Politikmodell vorschreibt. Siehe dazu auch: Vgl. Auel, Europäisierung nationaler Politik, a.a.O. S. 302.
17 Vgl. Auel, Europäisierung nationaler Politik, a.a.O., S. 303.
18 Andere Analysen zum Prozess der Europäisierung widmen sich vor allem der Bottom-up- Perspektive. Diese Herangehensweise beschäftigt sich vorwiegend mit der Entstehung von europäischen Institutionen. Die Europäisierung erscheint hier komplexer als in der „Top-down-Perspektive“, da die Analysen der Bottom-up-Perspektive auf der nationalstaatlichen Ebene beginnen und enden. Siehe dazu auch: Vgl. Axt/Milososki/Schwarz, Europäisierung - ein weites Feld, a.a.O., S. 137.
19 Vgl Börzel, Tanja A./Risse, Thomas: Conceptualizing the Domestic Impact of Europe, in: Featherstone, Kevin/Radaelli, Claudio M. (Hrsg.): The politics of Europeanization, Oxford 2003, S. 57ff.
20 Vgl. Börzel/Risse, Conceptualizing the Domestic Impact of Europe, a.a.O., S. 60.
21 Vgl. ebd., S. 61.
22 Vgl. Knill/Lehmkuhl, Die Europäisierung nationaler Staatstätigkeit, a.a.O., S. 144.
23 Siehe Punkt 2.2.
24 Vgl. Knill/Lehmkuhl, Die Europäisierung nationaler Staatstätigkeit, a.a.O., S. 145.
25 Knill/Lehmkuhl, Die Europäisierung nationaler Staatstätigkeit, a.a.O., S. 148.
26 Ebd., S. 148.
27 Ebd., S. 149.