Die Vereinten Nationen und der Darfur-Konflikt
Hintergründe und Erklärungsansätze für die Propagierung eines 'Klimakrieges'
Zusammenfassung
In diesem Zusammenhang wird überprüft, welche Rolle nationale Partikularinteressen der Mitgliedstaaten, politischer und wirtschaftlicher Natur, für das Agieren des Sicherheitsrats als Entscheidungsorgan der VN spielten. Im Kontext bisheriger Autoritätskrisen der VN wird die Handlungsfähigkeit des SR untersucht.
Sowohl die ‚Klimakriegs‘-These als auch die Frage nach der Effektivität des Handelns der VN in der Darfur-Krise wurden in der Literatur ausführlich erörtert. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist deshalb die Verbindung der beiden Elemente mit Hilfe einer Analyse des Handelns Ban Ki-moons.
Generelle Ausführungen über die mangelnde Handlungsfähigkeit der VN in Bezug auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und die damit verbundene Beilegung friedensbedrohender Konflikte werden auf das Fallbeispiel des Konflikts im Westsudan angewandt. Im Spiegel dieser Erkenntnisse werden unter Anwendung der Theorie der Internationalen Organisationen zwei differenzierte Erklärungsansätze für das Verhalten Bans entwickelt.
Zunächst wird eine generelle Aussage über die Zuständigkeit der VN für innerstaatliche Konflikte und den Schutz der Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen sowie die damit verbundenen Erwartungen in Bezug auf den Darfur-Konflikt getroffen, um anschließend das Engagement der VN diese Ansprüche betreffend bewerten zu können. Im Anschluss werden mögliche Erklärungsansätze für die (mangelnde) Handlungsbereitschaft der VN in diesem speziellen Fall aufgezeigt. Desweiteren wird die Streitigkeit der ‚Klimakriegs‘-These deutlich gemacht, wodurch ein Hinterfragen der Motivation des VN-Generalsekretärs nötig wird, diese These in der Öffentlichkeit zu vertreten anstatt auf die (Mit-)Schuld der sudanesischen Regierung oder die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft hinzuweisen.
Abschließend erfolgt eine Verbindung der gewonnenen Erkenntnisse zur Handlungsfähigkeit des SR als Motivation für das Verhalten des südkoreanischen Diplomaten und der Streitigkeit der ‚Klimakriegs‘-These. Abschließend werden zwei Erklärungsansätze für das Verhalten Bans entwickelt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Einführung und Problemdefinition
1.2 Fragestellung, Aufbau und Ziel der Arbeit
2. Die Vereinten Nationen zwischen Anspruch und Realität
2.1 Zuständigkeit und Handlungsmöglichkeiten bei innerstaatlichen Konflikten und schweren Menschenrechtsverletzungen
2.2 Grenzen für den Sicherheitsrat als Hüter der Menschenrechte
3. Die Vereinten Nationen im Darfur-Konflikt
3.1 Historischer Abriss des Konflikts
3.2 Die Rolle der Vereinten Nationen
3.2.1 Zuständigkeit des Sicherheitsrates im Darfur-Konflikt
3.2.2 Handlungen des Sicherheitsrates
3.2.3 Bewertung des Engagements des Sicherheitsrates
4. Der Sicherheitsrat blockiert durch die Verfolgung von Partikularinteressen
4.1 Die politische Dimension
4.1.1 Der Darfur-Konflikt im Schatten des Kriegs gegen den Terror
4.1.2 Die ewige Angst um den Verlust der nationalen Souveränität
4.2 Zwischen Waffengeschäften und der Gier nach dem schwarzen Gold
5. ‚Klimakrieg‘ in Darfur?
5.1 A Climate Culprit in Darfur: Die Betonung der ökologischen Ursachen des Konflikts durch Generalsekretär und UNEP
5.2 Der Klimawandel als Hauptauslöser des Konflikts
5.2.1 Die ‚Moral Geography‘ von Darfur
5.2.2 Intensivierung der Landkonflikte als Konsequenz aus der Dürre von 1984/85
5.3 ‚Klimaneutrale‘ Kriegsgründe: Mehr als nur ein ‚Klimakrieg‘
5.3.1 Auf den Spuren der SPLM: Aufstand gegen die Marginalisierung Darfurs
5.3.2 Instrumentalisierung der traditionellen Landkonflikte durch die GoS
6. Propagierung eines Klimakrieges durch Generalsekretär Ban: Mögliche Erklärungsansätze
6.1 Der Generalsekretär im Spannungsfeld kollektiver und nationalstaatlicher Interessen
6.2 Ablenkung oder Appeasement?
6.2.1 Camouflage der Ineffektivität des Sicherheitsrates
6.2.2 Beschwichtigung der kritischen Stimmen zur Durchsetzung des UNAMID-Einsatzes
7. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Karte des Sudan
Anhang 2: Auszug aus der Charta der VN
Anhang 3: Sitzungen des Sicherheitsrates zum Darfur-Konflikt
Anhang 4: Chronologie des Konflikts
Anhang 5: Positionierung der Sicherheitsratsmitglieder im Fall Darfur
Anhang 6: Sicherheitsratsresolution 1769 vom 31.07.2007
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Einführung und Problemdefinition
Vom siebten bis zum 18. Dezember 2009 verhandelten Industrie- und Entwicklungsländer im Rahmen des Klimagipfels der Vereinten Nationen (VN) in Kopenhagen über finanzielle Transferleistungen, die der ‚Westen‘ den Entwicklungsländern als Ausgleich für seine Verantwortung für die Entstehung des Klimawandels erbringen soll. Denn besonders die Bevölkerung der südlichen Hemisphäre leidet zunehmend unter den Folgen der Erderwärmung. Der zynische Kommentar des sudanesischen Vertreters Lumumba Di-Aping, zugleich Sprecher der Entwicklungsländer, das Geld, welches die Industrieländer zu zahlen bereit seien, würde nicht einmal ausreichen „um genug Särge für die Menschen in den Entwicklungsländern zu kaufen“ , blieb von den Vertretern der VN-Mitgliedstaaten unkommentiert. Dies suggeriert, dass es die internationale Gemeinschaft als gegeben anzusehen scheint, dass der seit 2003 andauernde Darfur-Konflikt im Westen des Sudan eine Folge des Klimawandels ist, während die (Mit-)Verantwortung der sudanesischen Regierung (GoS) für den Tod von über 400.000 Darfuris weitgehend ausgeblendet wird. In der vorliegenden Arbeit sollen sowohl der kausale Zusammenhang zwischen der Darfur-Krise und dem Klimawandel genauer beleuchtet, als auch die Reaktion der VN auf den innerstaatlichen Konflikt untersucht und bewertet werden.
Seit ihrer Entstehung 1945 stehen die VN in der Kritik, ineffektiv zu sein und nicht wesentlich zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, dem Hauptziel ihrer Gründung, fixiert in Artikel 1 der Charta der VN (SVN), beitragen zu können. Mit dem 2003 ausgebrochenen Darfur-Konflikt wurden die VN nach dem Scheitern - beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda - erneut auf die Probe gestellt: Die in der Sicherheitsratsresolution 1769 am 31. Juli 2007 geschaffene Hybridmission United Nations African Union Mission In Darfur (UNAMID) droht nun zu scheitern. Knapp drei Jahre nach Verabschiedung der Resolution sind die bewilligten 26.000 Soldaten und Polizisten noch immer nicht vollständig vor Ort und die Sicherheitslage in Darfur ist – auch durch die im April 2010 durchgeführten Wahlen und das für Januar 2011 geplante Referendum über eine Sezession des Süd-Sudan - nach wie vor äußerst instabil.
In diesem Zusammenhang fällt die Reaktion des VN-Generalsekretärs Ban Ki-moon besonders ins Gewicht. Nur etwa einen Monat vor Verabschiedung der Resolution 1769 wandte sich Ban an die Öffentlichkeit: In seinem unter dem Titel A Climate Culprit in Darfur in der Washington Post veröffentlichten Kommentar lenkte er den Fokus der Öffentlichkeit auf die ökologischen Ursachen des Konflikts und nahm somit den Druck sowohl von der sudanesischen Regierung (GoS), deren (Mit-)Schuld am Ausmaß der Ereignisse unter anderem durch die VN-Untersuchungskommission zu Darfur (ICID) bewiesen wurde, als auch von den VN selbst.
1.2 Fragestellung, Aufbau und Ziel der Arbeit
In der wissenschaftlichen Literatur ist die Darstellung des Konflikts als ‚Klimakrieg‘ umstritten. Das Für und Wider dieser These soll unter Einbeziehung einiger ‚klimaneutraler‘ Faktoren, wie die Marginalisierung Darfurs und die Instrumentalisierung der traditionellen Ressourcenkonflikte durch die GoS, untersucht werden, um die klare Positionierung Bans bewerten zu können. Die Streitigkeit der ‚Klimakriegs‘-These gibt Grund zur Annahme, dass die Betonung der ökologischen Ursachen der Krise eine politische Entscheidung war, deren Motive in der vorliegenden Arbeit analysiert, und Erklärungsansätze dafür entwickelt werden sollen.
In diesem Zusammenhang soll überprüft werden, welche Rolle nationale Partikularinteressen der Mitgliedstaaten, politischer und wirtschaftlicher Natur, für das Agieren des Sicherheitsrats (SR) als ‚Entscheidungsorgan‘ der VN spielten. Im Kontext bisheriger Autoritätskrisen der VN soll die Handlungsfähigkeit des SR untersucht werden, um auf Einflüsse auf das Handeln Bans rückschließen zu können.
Sowohl die ‚Klimakriegs‘-These als auch die Frage nach der Effektivität des Handelns der VN in der Darfur-Krise wurden in der Literatur ausführlich erörtert. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit soll deshalb die Verbindung der beiden Elemente mit Hilfe einer Analyse des Handelns Ban Ki-moons sein.
Die Beantwortung der Forschungsfrage soll zunächst in Anlehnung an die deduktive Methode erfolgen: Generelle Ausführungen über die mangelnde Handlungsfähigkeit der VN in Bezug auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und die damit verbundene Beilegung friedensbedrohender Konflikte sollen auf das Fallbeispiel des Konflikts im Westsudan angewandt werden. Im Spiegel dieser Erkenntnisse sollen unter Anwendung der Theorie der Internationalen Organisationen zwei differenzierte Erklärungsansätze für das Verhalten Bans entwickelt werden.
Zunächst soll eine generelle Aussage über die Zuständigkeit der VN für innerstaatliche Konflikte und den Schutz der Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen sowie die damit verbundenen Erwartungen in Bezug auf den Darfur-Konflikt getroffen werden, um anschließend das Engagement der VN diese Ansprüche betreffend bewerten zu können. Im Anschluss sollen mögliche Erklärungsansätze für die (mangelnde) Handlungsbereitschaft der VN in diesem speziellen Fall getroffen werden - vor allem hinsichtlich der Verfolgung von politischen und wirtschaftlichen Partikularinteressen seitens der Mitgliedstaaten. Desweiteren soll die Streitigkeit der ‚Klimakriegs‘-These aufgezeigt werden, wodurch ein Hinterfragen der Motivation des VN-Generalsekretärs nötig wird, diese These in der Öffentlichkeit zu vertreten anstatt auf die (Mit-)Schuld der sudanesischen Regierung oder die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft hinzuweisen. Abschließend soll eine Verbindung der gewonnenen Erkenntnisse zur Handlungsfähigkeit des SR als Motivation für das Verhalten des südkoreanischen Diplomaten und der Streitigkeit der ‚Klimakriegs‘-These erfolgen. Dies wird die Entwicklung zweier Erklärungsansätze für das Verhalten Bans ermöglichen.
2. Die Vereinten Nationen zwischen Anspruch und Realität
Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen; [...].
Einleitend soll eine Überprüfung der Zuständigkeit der VN für innerstaatliche Konflikte und menschliche Notsituationen stattfinden, um anschließend auf Handlungsmöglichkeiten und etwaige Grenzen eingehen zu können. Dies erweist sich als unabdingbar für eine Bewertung des Engagements der VN in der Darfur-Krise.
Basierend auf Gareis und Varwicks Argumentation, wonach die Generalversammlung zwar das Hauptorgan der VN darstelle, de facto aber keine zentrale Rolle innehabe , wird sich die vorliegende Arbeit zunächst auf den SR konzentrieren, welcher in der Praxis die Gesamtheit der Friedenssicherungsaktivitäten beschließt.
2.1 Zuständigkeit und Handlungsmöglichkeiten bei innerstaatlichen Konflikten und schweren Menschenrechtsverletzungen
Die Zuständigkeit des SR stützt sich im Wesentlichen auf drei Pfeiler: Neben der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist das mächtigste Organ der VN für die Prävention menschenrechtlicher Notsituationen zuständig und soll gemäß jüngerer Entwicklungen im Völkerrecht seine ‚responsibility to protect‘ (R2P) wahrnehmen.
Das zentrale Argument für die Zuständigkeit der VN respektive des SR lässt sich in Artikel 1 SVN finden, demzufolge sich die VN unter anderem zum Ziel setzen, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ . Während dieser Grundsatz der VN in der Vergangenheit Anwendung auf zwischenstaatliche Konflikte fand, besteht in der Literatur heute Konsens darüber, dass jene Formulierung aufgrund der Wandlung bewaffneter Konflikte im Laufe des Bestehens der VN auch auf innerstaatliche Konflikte anzuwenden ist. Nach Einschätzung von Leiß sind in diesem Sinn „gegenwärtig insbesondere innerstaatliche Mißstände, insbesondere die Mißachtung grundlegendster Menschenrechte durch die Staatsführung gegenüber ihrer Bevölkerung, Gegenstand internationaler Spannungen.“
Krieger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein derartig verstandener Menschenrechtsschutz das Nichteinmischungsgebot nach Artikel 2 Absatz 7 SVN in erheblichem Umfang einenge und es dem SR so ermögliche, nach Kapitel VI und VII SVN zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit aktiv zu werden.
Eine derartig ausgedehnte Interpretation des Terminus der internationalen Sicherheit ermöglicht eine Verknüpfung mit der Thematik des Menschenrechtsschutzes. Artikel 39 SVN liegt die Zuständigkeit des SR zugrunde, auch in „menschenrechtsrelevanten Fällen Zwangsmaßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens zu ergreifen“ . Zwingend notwendig sei hier die Einstufung der Lage als menschliche Notsituation, die eine konkrete Spannungslage begründe. Simplifiziert dargestellt können Tatbestände wie Genozid oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Grundlage für die Feststellung einer solchen extremen menschlichen Notsituation dienen.
Die Ungenauigkeit des Terminus ‚menschliche Notsituation‘ lässt auf einen beträchtlichen Interpretationsspielraum des SR bei der Feststellung jener Situation schließen. Im Rahmen einer Analyse der Resolutionspraxis des SR beobachtet Leiß dementsprechend, dass lediglich die Verletzung bestimmter Menschenrechte den SR zum Handeln veranlasse. Erwähnung fänden vor allem die Verletzungen elementarer Rechte, wie des Rechts auf Leben bzw. des Genozidverbotes sowie die Verletzung grundlegender Normen des humanitären Völkerrechts, beispielsweise des Schutzes der unbeteiligten Zivilbevölkerung vor gewaltsamen Kampfhandlungen von (Bürger-)Kriegsparteien.
Als drittes Argument für eine Zuständigkeit des SR in Bezug auf schwere Menschenrechtsverletzungen kann das Konzept der R2P herangezogen werden, welches 2001 in einem gleichnamigen Bericht der International Commission on Intervention and State Sovereignity etabliert wurde. Ziel jenes Konzepts ist der Schutz der Zivilbevölkerung vor elementaren Menschenrechtsverletzungen. Wenngleich die R2P bislang eher theoretischer denn praktischer Natur ist, setzen Autoren wie Piiparinen beträchtliche Hoffnungen in dieses neuartige Konzept:
„One of the most encouraging developments in the terms of the prevention of ‚future Rwandas‘ is the emergence of the Responsibility to protect (RtoP) […]. RtoP holds that the responsibility of international society to protect civilians threatened by genocidal regimes embraces three elements: responsibility to prevent the occurence of massive human rights violations; responsibility to react to them: and responsibility to rebuild societies in order to repair damages inflicted upon them by intervention and prevent the recurrence of violence.“
Die Zuständigkeit der VN im Fall innerstaatlicher Konflikte ist folglich gegeben, da diese in der Praxis als Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufgefasst werden. Desweiteren wird der SR als Hüter elementarer Menschenrechte gesehen. Das Konzept der R2P nährt die These von der Zuständigkeit des SR für den Schutz der Zivilbevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen zusätzlich. Dennoch sind der Handlungsfähigkeit des SR Grenzen gesetzt.
2.2 Grenzen für den Sicherheitsrat als Hüter der Menschenrechte
Obschon der SR über zahlreiche Handlungsmöglichkeiten – vor allem gemäß Kapitel VI und VII SVN – bezüglich des Schutzes der Zivilbevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen verfügt, scheitert das mächtigste der sechs VN-Hauptorgane häufig an den nationalen Interessen seiner Mitglieder.
Bezüglich des Menschenrechtsschutzes befindet sich der Rat in einem permanenten Spannungsfeld zwischen dem Nichteinmischungsgebot beziehungsweise dem Souveränitätsgrundsatz, niedergeschrieben in Artikel 2 Absatz 7 SVN, und dem Streben nach der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie dem damit verbundenen Menschenrechtsschutz. Gareis und Varwick verstehen das Interventionsverbot als Schutzrecht der Staaten gegenüber externen Eingriffen in Fragen, die die innere Zuständigkeit des Staates betreffen. Eine Einschränkung dieses Rechts ist in der Resolutionspraxis häufig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Gareis und Varwick beobachten in diesem Zusammenhang, dass insbesondere die leistungsfähigen Industriestaaten bei der Mandatierung von Friedensmissionen gemäß ihrer Partikularinteressen handeln und Missionen teilweise unter eigener Verantwortung durchführen, um ihre Interessen ungestört verfolgen zu können. Die VN drohen dabei nur noch über eine Restkompetenz für ‚vergessene Konflikte‘ zu verfügen, für die sie nur zögerlich unterstützt würden.
Einen der Gründe für die Entscheidungsfreiheit der Ratsmitglieder stellen die bewusst unverbindlich gehaltenen Formulierungen innerhalb der SVN dar. Stellvertretend soll an dieser Stelle auf den Schlüsselbegriff der Friedensbedrohung eingegangen werden: Um Maßnahmen nach Kapitel VII SVN ergreifen zu können, muss der SR eine Friedensbedrohung feststellen. Diese geht über eine Friedensgefährdung hinaus. Im Anschluss an die Feststellung einer Friedensbedrohung ist es dem SR möglich, die zwangsweise Durchsetzung der Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu veranlassen sowie eine Sanktionierung des die Friedensbedrohung verursachenden Staates vorzunehmen. Wann die Schwelle zur Friedensbedrohung überschritten ist, liegt allerdings ausschließlich im Ermessen der Sicherheitsratsmitglieder. Dieser Interpretationsfreiraum bietet erhebliches Konfliktpotential. Um das Interpretationspotential zu entschärfen, „verdeutlicht der Rat gerade in den vergangenen Jahren seinen Verbindlichkeitsanspruch in der Regel durch das Vorstellen der Formel ‚acting under Chapter VII, […] decides‘ vor Beginn des operativen Teils.“ Diese Formel findet auch in der Schlüssel-Resolution 1769 vom 31. Juli 2007 Anwendung, welche die Etablierung der UNAMID-Mission beschloss.
Eine weitere Beeinträchtigung der Arbeit des SR und somit auch des Menschenrechtsschutzes stellt die Veto-Praxis dar. Allein das Bewusstsein, so Freuding, eine Entscheidung des Rates beeinflussen respektive das Aufgreifen einer Thematik verhindern zu können, verschärfe bereits den Zwang zu für den SR chronisch erscheinenden Kompromissen.
Die archaischen Strukturen des SR, dessen Reformierung in der Literatur hinlänglich diskutiert wird, stellen ein weiteres Hindernis der Arbeit dar.
Das Grundproblem des Rates bleibt aber – ähnlich wie in anderen Internationalen Organisationen - die Bereitschaft der Nationalstaaten, ihre Partikularinteressen zugunsten der Kollektivinteressen zurückzustellen. Diese Partikularinteressen verzögern oder schwächen wiederholt überfällige Entscheidungsfindungen sowie die Operationalisierung der Beschlüsse.
Abschließend kann festgestellt werden, dass die Zuständigkeit der VN für die Beilegung innerstaatlicher, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohender Konflikte –wie etwa der Darfur-Konflikt - unumstößlich ist. Die Verfolgung nationaler Interessen durch die Ratsmitglieder führt jedoch häufig zu einem mangelhaften Engagement der Organisation im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Dies lässt sich auch im Umgang mit der Darfur-Krise beobachten.
3. Die Vereinten Nationen im Darfur-Konflikt
„I have made Darfur a top priority and have invested considerable effort, often far from public view, toward this goal.“
Anschließend an dieses Zitat des VN-Generalsekretärs Ban Ki-moon, welches einen hohen Stellenwert des Konflikts auf der Agenda der VN suggeriert, soll untersucht werden, ob die Handlungen der VN zur Beilegung des Konflikts dieser Einschätzung entsprechen. Nach einer kurzen Schilderung des Konflikts soll das Engagement des SR im Bezug auf die Geschehnisse im Sudan herausgearbeitet und bewertet werden. Diese Analyse bildet die Grundlage für eine nähere Auseinandersetzung mit den Motiven des SR sowie des Generalsekretärs.
3.1 Historischer Abriss des Konflikts
Eine kurze und simplifizierte Zusammenfassung des komplexen Darfur-Konflikts soll eine Grundlage für weitere Analysen liefern. Hierbei sollen insbesondere die für den weiteren Verlauf der Arbeit relevanten Teilaspekte beleuchtet werden.
Die Einnahme des Flughafens von Al-Fasher durch die Rebellengruppen der Sudanesischen Befreiungsarmee/-bewegung (SLA/M) und der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) am 25. April 2003 kann als Ausbruch der Krise bezeichnet werden. Im Rahmen des Anschlages kamen 30 sudanesische Soldaten und zwei Beamte ums Leben, desweiteren wurden zwei Antonow-Bomber und drei Helikopter in die Luft gesprengt. Sowohl die SLA/M als auch die JEM stellten Forderungen nach einem Ende der wirtschaftlichen Marginalisierung Darfurs durch die Eliten in der Hauptstadt Khartum, sowie nach mehr Möglichkeiten zur Partizipation auf politischer Ebene.
Bedeutend für den gegenwärtigen Konflikt ist neben politischen Faktoren die ‚maja’a al-gutala‘, die große Dürre, welche die Region von August 1984 bis November 1985 heimsuchte und 95.000 Opfer bei einer Gesamtbevölkerung von 3,1 Millionen Menschen forderte. Während dieser Zeitspanne kam es zu Spannungen um den Zugang zu Ressourcen wie Wasser und Weideland zwischen sesshaften und nomadisch-lebenden Darfuris, unter denen besonders die Nomaden litten. In ihrer Verzweiflung griffen sie auf das Land der Sesshaften zurück und wurden gewaltsam zurückgeschlagen.
Diese Spannungen werden heute von der GoS genutzt, um die zumeist arabisch-stämmige, nomadisch-lebende Bevölkerung zu instrumentalisieren und als ‚günstige‘ Söldner einzusetzen. Diese in dem in den 1980er Jahren ausgebrochenen Sezessionskrieg zwischen der GoS und der Rebellenbewegung Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) erstmals angewandte Strategie bezeichnet de Waal in seinem gleichnamigen Aufsatz als ‚counter-insurgency on the cheap‘.
Die als Janjawiid bekannt gewordenen Reitermilizen agieren als „proxy force“ , die stellvertretend für die GoS den Aufstand in Darfur niederschlagen soll. Khalafalla zufolge sei der Begriff eine Zusammensetzung aus ‚jan‘ (dt. Geist) und ‚jawad‘ (dt. Pferd), der sinnbildlich für die überraschenden Angriffe der berittenen Milizen steht, welche meist in der Nacht Verwüstung und Zerstörung bringen und für ihre extreme Brutalität bekannt sind. Wenngleich die GoS eine Verbindung zu den Janjawiid bestreitet, herrscht bei Politikern und Nichtregierungsorganisationen (NRO) weitgehend Konsens hierüber . Das Schema der Angriffe, bei denen den Bodenoffensiven der Janjawiid meist mit russischen Antonow-Bombern durchgeführte Angriffe der sudanesischen Luftwaffe vorausgehen, spricht deutlich für eine Kooperation von GoS und Milizen. Diese Einschätzung wurde durch den Bericht der ICID bestätigt.
Aus der Zeit des Bürgerkriegs im Süd-Sudan, in welchem Darfur als Rückzugsgebiet genutzt wurde, stammt auch ein Teil der heute verwendeten Waffen. Amnesty International sieht einen Grund für die Instabilität Darfurs in der Bewaffnung der im Süd-Sudan aktiv gewesenen arabischen Milizen durch die Regierung von Sadiq al-Mahdi 1986, welche vom amtierenden Präsidenten Omar Hassan al-Bashir ab 1989 weitergeführt wurde.
Umstritten ist, ob bei der GoS die Intention vorliegt, in Darfur einen Völkermord zu begehen. Genaue Angaben über die Zahl der Opfer liegen zwar nicht vor, Prunier geht aber im April 2006 von 480.000 bis 530.000 Toten aus. Hinzu kommen nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker etwa 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge (IDPs) sowie circa 200.000 Flüchtlinge im angrenzenden Tschad, so dass insgesamt von rund zwei Millionen Flüchtlingen ausgegangen werden kann.
Gemäß der VN-Völkermordkonvention von 1948 kann bereits beim partiellen Auslöschen einer Bevölkerungsgruppe von Völkermord gesprochen werden. Während die ICID im Falle Darfurs keinen ‚genocidal intent‘ feststellen konnte und die Geschehnisse in Darfur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einordnete, sprechen Politiker wie Colin Powell und Autoren wie Flint und de Waal von Völkermord. De Waal beispielsweise stützt sich auf die Härte des Vorgehens der GoS, welche für das Niederschlagen eines Volksaufstandes unangemessen ist. Zudem gibt er zu bedenken, dass sich die verschiedenen Volksgruppen in Darfur sehr leicht identifizieren lassen, etwa durch ihre Muttersprache. Ein gezieltes Vorgehen der Janjawiid gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe wäre demnach denkbar.
Unabhängig von der umstrittenen völkerrechtlichen Einstufung der Geschehnisse, erreichten im Mai 2004 die ersten Soldaten der Afrikanischen Union (AU) die Krisenregion: Die als Beobachtungsmission mandatierte African Union Mission In Sudan (AMIS) bestand aus 60 Beobachtern und 300 zu deren Schutz abgestellten Soldaten. Wenngleich die AMIS im Laufe der nächsten Jahre auf etwa 7.000 Soldaten ausgeweitet wurde, entstand schnell eine Kluft zwischen den Ansprüchen und deren Umsetzung. Die internationale Gemeinschaft reagierte auf die Machtlosigkeit der AU, die vor allem mangelnden finanziellen Mitteln und einer daraus resultierenden schlechten Ausrüstung sowie einer zu geringen Truppenstärke geschuldet war, mit der Bewilligung einer Hybrid-Mission der VN und der AU. Die am 31. Juli 2007 geschaffene UNAMID nahm ihre Arbeit am 01. Januar 2008 auf. Wie im Fall der AMIS ist das Mandat der UNAMID restriktiv: Den Blauhelmen, welche nach wie vor nahezu ausschließlich aus Soldaten der AU bestehen, ist die Anwendung von Gewalt nur zu Zwecken der Selbstverteidigung und im Falle einer unmittelbaren Bedrohung der Zivilbevölkerung gestattet. Die zögerliche Mandatierung der UNAMID spiegelt die begrenzte Entschlossenheit einiger Sicherheitsratsmitglieder wieder, den Konflikt beizulegen.
3.2 Die Rolle der Vereinten Nationen
Die theoretischen Handlungsmöglichkeiten des Sicherheitsrates im Bezug auf innerstaatliche Konflikte und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wurden bereits thematisiert. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in Bezug auf den Darfur-Konflikt angewandt werden, um anschließend die Handlungen des SR näher beleuchten und bewerten zu können.
3.2.1 Zuständigkeit des Sicherheitsrates im Darfur-Konflikt
Wie bereits erläutert ist der SR im Falle einer vorliegenden Friedensbedrohung wie auch bei massiven Menschenrechtsverletzungen zum Handeln gezwungen, da die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dies erfordert.
Bernhard und Lingnau zufolge handele es sich bei der Darfur-Krise eindeutig um eine Friedensbedrohung nach Artikel 39 SVN, da schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen sowohl durch die GoS als auch durch die Rebellenbewegungen begangen werden. Das Übergreifen des Konflikts auf Nachbarländer, insbesondere den Tschad machen zudem deutlich, dass es sich um eine Krise handelt, welche den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedroht. Dem SR böte sich demnach die Möglichkeit, friedliche Sanktionsmaßnahmen nach Artikel 41 SVN oder militärische Maßnahmen nach Artikel 42 SVN zu ergreifen.
Zudem warf die ICID der GoS in ihrem 2005 vorgelegten Bericht Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und stellte systematische Handlungen gegen ausgewählte Bevölkerungsgruppen (vor allem der Fur, Masaalit und Zaghawa) fest. Dementsprechend kann von einer R2P ausgegangen werden, die den dritten Argumentationspfeiler darstellt.
Die Zuständigkeit des SR in der Darfur-Krise ist dieser Argumentation zufolge eindeutig gegeben. Es gilt nun, die Handlungen des SR zu analysieren und sie anschließend zu bewerten.
3.2.2 Handlungen des Sicherheitsrates
Insbesondere vier Maßnahmen des SR bezüglich der Darfur-Krise können als ernsthafte Versuche betrachtet werden, den Konflikt beizulegen. Sie unterscheiden sich sowohl hinlänglich ihres Entstehungsprozesses als auch in ihrer Wirkungskraft.
Eine erste Maßnahme des SR stellte das Einrichten der ICID dar, welche 2005 den für das weitere Vorgehen des SR entscheidenden Bericht zur Menschenrechtslage in Darfur und zur Verantwortung der GoS für die Verbrechen an der Zivilbevölkerung veröffentlichte. Dass die ICID keinen ‚genocidal intent‘ seitens des GoS feststellen konnte oder wollte, wirft angesichts der deutlichen Positionierung von Wissenschaftlern wie de Waal die Frage auf, wie unabhängig die Kommission arbeiten konnte. Festzustellen ist, dass die Ergebnisse der ICID dem SR einen gewissen Handlungsaufschub beziehungsweise -spielraum gewährt haben – unabhängig davon, dass der Tatbestand des Genozids und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sich völkerrechtlich nicht in der Schwere der Schuld unterscheiden. Sich dieser Tatsache bewusst, schließt die ICID ihren Bericht mit einem Hinweis auf die Vehemenz der Menschenrechtsverletzungen in der westsudanesischen Krisenregion:
„The conclusion that no genocidal policy has been pursued and implemented in Darfur by the Government authorities, directly or through the militias under their control, should not be taken as in any way detracting from the gravity of the crimes perpetrated in that region. Depending upon the circumstances, such international offences as crimes against humanity or large scale war crimes may be no less serious and heinous than genocide (Hervorhebung durch den Verf.).“
[...]