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Die Einführung des Gesundheitsfonds in Deutschland

Ein Beispiel für einen Politiktransfer von den Niederlanden nach Deutschland?

©2010 Hausarbeit 24 Seiten

Zusammenfassung

In keinem anderen Politikfeld gab es in den letzten Jahren so viele Veränderungen wie in der Gesundheitspolitik. Beinahe in jeder Legislaturperiode war von neuen „Gesundheitsreformen“ die Rede, die sich überwiegend mit dem Problem der ständig steigenden Kosten im Gesundheitswesen auseinandersetzten. Die Gesundheitsreform der Großen Koalition im Jahr 2007 war allerdings eine Reform, die diesen Namen auch verdiente. Das „Wettberwerbsstärkungsgesetz“ in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) beschloss nicht weitere Leistungskürzungen, sondern führte zu wesentlichen Strukturveränderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die noch lange nachwirken werden (Paquet & Schroeder 2009: 11). Interessanterweise zeigen die drei wichtigsten Änderungen durch die Reform von 2007 starke Ähnlichkeiten mit dem Finanzierungsmodell des niederländischen Gesundheitswesens bis Ende 2005. Greß & Wasem (2007) sprechen daher von einer „zeitversetzten Konvergenz“ zwischen dem niederländischen Finanzierungssystem bis Ende 2005 und dem deutschen System ab 2007. Das Ziel dieser Arbeit ist, die Frage zu beantworten, weshalb diese Ähnlichkeit zustande kam. Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, den Reformprozess in Deutschland genauer zu betrachten. Dabei soll untersucht werden, was der Auslöser der Reform war und wer die relevanten Akteure in diesem Prozess waren.
In der Konvergenzforschung gibt es zahlreiche Ursachen für die zunehmende Ähnlichkeit von Politiken. Holzinger, Jörgens & Knill (2007: 25) zählen hierzu fünf Kausalmechanismen, die eine Konvergenz auslösen: unabhängiges Problemlösen, Zwang, internationale Harmonisierung, internationaler Wettbewerb, transnationale Kommunikation und Lernen. Einige Faktoren können für diese Analyse schon im Voraus ausgeschlossen werden. So können die internationale Harmonisierung und der Zwang die zu beobachtende Konvergenz nicht erklären. Auch der internationale Wettbewerb kann in diesem Fall als Ursache ausgeschlossen werden, da das niederländische und deutsche Gesundheitssystem nicht in Konkurrenz stehen. Weiterhin ist auch das unabhängige Problemlösen nicht als Ursache für die Politikkonvergenz zu erwarten. Die Bedingung hierfür wäre, dass keine Kommunikation zwischen den Staaten stattfindet und keine Informationen aus anderen Staaten existieren (Holzinger & Knill 2007: 96). Ein Informationsaustausch wird aber in diesem Reformprozess geradezu vermutet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie und Methodik
2.1 Politikkonvergenz
2.2 Politiktransfer
2.3 Methodisches Vorgehen

3. Der Prozess zur Gesundheitsreform 2007
3.1 Stille Startprogrammierung
3.2 Machtpolitische Fixierung
3.3 Referenten- und Kabinettsphase
3.4 Feinjustierung, Änderungsvorschläge und Gesetzesabschluss

4. Konvergenz der Finanzierung des niederländischen und deutschen Gesundheitswesens

5. Erklärungen für die Konvergenz

6. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ursachen von Politikkonvergenz

Abbildung 2: Zusammenhang von Konzepten und Mechanismen

Abbildung 3: Die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens nach der Reform 2007

Abbildung 4: Die Finanzierung des niederländischen Gesundheitswesens bis Ende 2005

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

In keinem anderen Politikfeld gab es in den letzten Jahren so viele Veränderungen wie in der Gesundheitspolitik. Beinahe in jeder Legislaturperiode war von neuen „Gesundheitsreformen“ die Rede, die sich überwiegend mit dem Problem der ständig steigenden Kosten im Gesundheitswesen auseinandersetzten. Die Gesundheitsreform der Großen Koalition im Jahr 2007 war allerdings eine Reform, die diesen Namen auch verdiente. Das „Wettberwerbsstärkungsgesetz“ in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) beschloss nicht weitere Leistungskürzungen, sondern führte zu wesentlichen Strukturveränderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die noch lange nachwirken werden (Paquet & Schroeder 2009: 11). So wurde mit der Einführung des „Gesundheitsfonds“ das Finanzierungssystem in der GKV neu geordnet. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung fließen nun in einen Gesundheitsfonds ein, aus dem die Krankenkassen für jeden Versicherten eine risikoabhängige „Kopfpauschale“ erhalten. Ein weiterer Kernpunkt des GKV-WSG ist der zunehmende Anteil der Steuermittel zur Finanzierung des Gesundheitswesens. Für die Jahre 2007 und 2008 flossen bereits 2,5 Mrd. € an Steuermittel in den Fonds und ab 2009 erhöhte sich der Bundeszuschuss jährlich um 1,5 Mrd. € bis auf 14 Mrd. € (Schroeder & Paquet 2009: 258). Die dritte Änderung bei der Finanzierung des Krankenversicherungssystems ist die neu geschaffene Möglichkeit der Krankenkassen Zusatzbeiträge zu erheben. Kommt eine Krankenkasse mit den ihr aus dem Gesundheitsfonds zugewiesenen Mitteln nicht aus, muss sie von ihren Versicherten einen zusätzlichen Beitrag erheben. Die Krankenkassen stehen daher in Konkurrenz zueinander, mit den Mitteln aus dem Fonds effizient umzugehen. Somit entsteht durch das GKV-WSG trotz des nun für alle Kassen einheitlichen Beitragssatzes ein Wettbewerb im Krankenversicherungssystem (Henke 2007: 9).

Interessanterweise zeigen die drei wichtigsten Änderungen durch die Reform von 2007 starke Ähnlichkeiten mit dem Finanzierungsmodell des niederländischen Gesundheitswesens bis Ende 2005. Greß & Wasem (2007) sprechen daher von einer „zeitversetzten Konvergenz“ zwischen dem niederländischen Finanzierungssystem bis Ende 2005 und dem deutschen System ab 2007. Das Ziel dieser Arbeit ist, die Frage zu beantworten, weshalb diese Ähnlichkeit zustande kam. Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, den Reformprozess in Deutschland genauer zu betrachten. Dabei soll untersucht werden, was der Auslöser der Reform war und wer die relevanten Akteure in diesem Prozess waren.

In der Konvergenzforschung gibt es zahlreiche Ursachen für die zunehmende Ähnlichkeit von Politiken. Holzinger, Jörgens & Knill (2007: 25) zählen hierzu fünf Kausalmechanismen, die eine Konvergenz auslösen: unabhängiges Problemlösen, Zwang, internationale Harmonisierung, internationaler Wettbewerb, transnationale Kommunikation und Lernen. Einige Faktoren können für diese Analyse schon im Voraus ausgeschlossen werden. So können die internationale Harmonisierung und der Zwang die zu beobachtende Konvergenz nicht erklären. Es gibt weder Rechtsnormen der EU, die der Bundesregierung die Einführung des Gesundheitsfonds vorschrieben, noch wurde die Regierung zu diesem Schritt gezwungen. Auch der internationale Wettbewerb kann in diesem Fall als Ursache ausgeschlossen werden, da das niederländische und deutsche Gesundheitssystem nicht in Konkurrenz stehen. Weiterhin ist auch das unabhängige Problemlösen nicht als Ursache für die Politikkonvergenz zu erwarten. Die Bedingung hierfür wäre, dass keine Kommunikation zwischen den Staaten stattfindet und keine Informationen aus anderen Staaten existieren (Holzinger & Knill 2007: 96). Ein Informationsaustausch wird aber in diesem Reformprozess geradezu vermutet. Diese These wird durch das Mitwirken von einigen Wissenschaftlern im Reformprozess bekräftigt, die sich bei ihren Vorschlägen an den Erfahrungen aus den Niederlanden orientierten (Wasem 2009: 249-250). Gestützt wird diese Vermutung auch dadurch, dass gerade bei umfassenden Politikwechseln nach Transferprozessen gesucht werden soll (Fischer 2007: 349). Mit dieser Erwartungshaltung lässt sich die anfangs genannte Fragestellung zur folgenden Forschungsfrage präzisieren:

Ist die „zeitversetzte Konvergenz“ bei der Finanzierung des Gesundheitswesens in den Niederlanden und Deutschland das Ergebnis eines Politiktransfers?

Zur Beantwortung dieser Fragestellung gliedert sich diese Arbeit folgendermaßen: das anschließende Kapitel 2 legt die theoretischen und methodischen Grundlagen der Arbeit dar. In Kapitel 3 erfolgt eine detaillierte Prozessbeschreibung der Gesundheitsreform 2007. Dabei wird ein Hauptaugenmerk auf die beteiligten Akteure gelegt und aufgezeigt, wie das niederländische Finanzierungsmodell größtenteils transferiert wurde. Im darauf folgenden Kapitel 4 wird die Konvergenz der Finanzierung des niederländischen und deutschen Krankenversicherungssystems aufgezeigt. Das Kapitel 5 liefert die Erklärungen für die zu beobachtende Konvergenz. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit und einem kurzen Ausblick ab.

2. Theorie und Methodik

Das Ziel dieses Kapitels ist, die theoretischen und methodischen Grundlagen dieser Arbeit vorzustellen. Hierzu werden die für diese Analyse maßgeblichen Konzepte der Konvergenz (Kap. 2.1) und des Politiktransfers (Kap. 2.2) dargelegt. Abschließend erklärt der letzte Abschnitt dieses Kapitels das methodische Vorgehen (Kap. 2.3).

2.1 Politikkonvergenz

In den letzten Jahren ist die zunehmende Konvergenz von Kulturen, Institutionen und Politiken in den Fokus der Politik- und Sozialwissenschaften gerückt (Holzinger & Knill 2005; Heichel, Pape & Sommerer 2005). Die Konvergenz wird hierbei zumeist definiert als „tendency of policies to grow more alike, in the form of increasing similarity in structures, processes, and performances“ (Drezner 2001: 53). Die Politikkonvergenz ist demnach ein empirisch festzustellendes Ergebnis der Angleichung von politischen Instrumenten und Institutionen. Als Ursachen für die zunehmende Ähnlichkeit von Politiken diskutiert die Literatur vor allem fünf unterschiedliche Mechanismen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Ursachen von Politikkonvergenz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Holzinger, Jörgens & Knill 2007: 25

Die erste mögliche Ursache für die zunehmende Ähnlichkeit von Politiken kann das Ergebnis unabhängiger Reaktionen von Staaten auf einen ähnlichen Problemdruck sein (Holzinger, Jörgens & Knill 2007: 25). Das bedeutet, dass unterschiedliche Staaten in ähnlicher Art und Weise auf den gleichen externen Problemdruck reagieren. Die Voraussetzung für das unabhängige Problemlösen ist allerdings, dass keine Kommunikation zwischen den Staaten stattfindet und dass somit die Staaten über die Politiken der anderen Länder nicht informiert sind (Holzinger & Knill 2007: 96). Der zweite Kausalmechanismus betont den direkten Zwang zum Transfer von Politiken durch andere Staaten bzw. internationale Organisationen. Die zwingend vorgeschriebene Übernahme von rechtlichen Vorschriften spielte vor allem beim Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten zur EU eine bedeutende Rolle (Schimmelfennig, Engert & Knobel 2003; Grabbe 2002). Eine weitere Ursache für die zunehmende Konvergenz ist in der internationalen Harmonisierungspolitik zu sehen. Eine Gruppe von Staaten verpflichtet sich z.B., ein gemeinsam verhandeltes Programm auf nationaler Ebene umzusetzen (Holzinger, Jörgens & Knill 2007: 26). Beispiele hierfür sind die EU-Richtlinien in der Agrar- und Umweltpolitik. Die vierte mögliche Ursache für die Politikkonvergenz ist der internationale Wettbewerb, der aufgrund der wirtschaftlichen Integration in Europa und weltweit entstand. Ein Beispiel hierfür ist der internationale Steuerwettbewerb, in dem einige Staaten versuchen mit einer niedrigen Besteuerung Firmensitze und Kapital anzuziehen. Dies kann dann zu Anpassungszwängen in anderen Ländern führen (Genschel 2002). Konvergenz kann aber auch als Ursache von transnationaler Kommunikation betrachtet werden. Hierbei werden erfolgreiche Politiken aus anderen Ländern in einem Transfer- und Lernprozess übernommen (Holzinger, Jörgens & Knill 2007: 12). Dass ein Transfer- und Ideenprozess als Erklärung für eine Politikkonvergenz gelten kann, bewies die Fallstudie von Fischer (2007). Er zeigte, dass der institutionelle Aufbau der Lebensmittelkontrolle in Deutschland auf Ideen der Lebensmittelkontrolle auf der EU-Ebene zurückging.

2.2 Politiktransfer

Die Transferforschung nimmt im Gegensatz zur Konvergenz- und Diffusionsforschung eine Mikroperspektive ein, mit der der Lernprozess in einem Politikfeld exakt rekonstruiert werden kann (Fischer 2007: 351). Ein weiterer bedeutender Unterschied sind die unterschiedlichen Erklärungsfaktoren. Die Transferforschung konzentriert sich auf „weiche“ Faktoren - wie z.B. Kommunikation, Information, Lernen - der möglicherweise stattfindenden Ähnlichkeit von Politiken (Holzinger, Jörgens & Knill 2007). Sie stellt somit eine Ergänzung zu den in der Politikwissenschaft üblich verwendeten „harten“ Faktoren dar - wie z.B. Macht oder Institutionen - (Fischer 2007: 370). Das Problem hierbei ist, dass die „weichen“ Faktoren nur schwer nachzuweisen sind. Mit Hilfe der Mikroperspektive in der Transferforschung soll aber der Beleg gelingen, dass diese Faktoren zu einem Transfer führten.

Diese Arbeit beruft sich auf das Konzept des Politiktransfers nach Dolowitz & Marsh (2000). Sie definieren den Politiktransfer als „process by which knowledge about policies, administrative arrangements, institutions and ideas in one political system (past or present) is used in the development of policies, administrative arrangements, institutions and ideas in another political system” (Dolowitz & Marsh 2000: 5). Der Politiktransfer-Begriff betrachtet also einen Lernprozess, der zu einer Angleichung der Politiken führt. Ziel einer solchen freiwilligen Übernahme soll sein, dass das Übertragene im eigenen Land ebenso erfolgreich ist, wie im Land, aus dem die Idee übernommen wurde (Fischer 2007: 351). Besonders für Regierungen, die schnelle Problemlösungen benötigen, ist es einfacher, bereits vorhandene Lösungsstrategien aus anderen Ländern zu übernehmen (Rose 1991: 13).

Das Politiktransfermodell unterscheidet sich vor allem in vier Punkten von anderen Konzepten, die ebenfalls Lernprozesse analysieren. Der erste Punkt besagt, dass „Beliebiges“ übernommen werden kann, so z.B. Politiken, politische Programme und Ziele, Institutionen, Instrumente (Fischer 2007: 352). Dabei ist es interessant, welche Beispiele in der Transferforschung behandelt werden. Es handelt sich überwiegend um praxiserprobte Ideen oder Ideen mit positiver Bewertung (Dolowitz 1997). Zweitens nimmt das Transferkonzept eine Mikroperspektive ein und betont somit stärker die Rolle von einzelnen Akteuren im Übernahmeprozess (Rose 1993). Hierbei werden dementsprechend Politiker, Parteien, Regierungsvertreter oder Experten genauer unter die Lupe genommen und deren Rolle im Transferprozess analysiert. Drittens konzentriert sich das Konzept auf den Lernprozess zwischen politischen Systemen. In diesem Prozess sind also mindestens zwei unterschiedliche politische Systeme beteiligt, wobei der Exporteur nicht unbedingt aktiv beim Transfer mitwirken muss (Fischer 2007: 352). Dieser Prozess lässt sich weiter unterscheiden in einen horizontalen und vertikalen Politiktransfer. Im horizontalen Transferprozess werden Ideen zwischen zwei unterschiedlichen Staaten transferiert, während im vertikalen Transfer bestimmte Politiken zwischen verschieden politischen Ebenen (z.B. zwischen der EU und einem Mitgliedsstaat) übertragen werden. Als vierten Punkt sollte ein weiterer Aspekt in die Definition des Politiktransfers aufgenommen werden. Es können nicht nur Ideen zwischen verschiedenen politischen Systemen transferiert werden. Auch Ideen, Institutionen und Konzepte, die in ein anderes Politikfeld übertragen werden, sollten unter den Begriff des Politiktransfers fallen (Fischer 2007: 353).

Doch mit diesen vier Kennzeichen des Politiktransfers ist das Konzept noch nicht endgültig bestimmt. Dolowitz & Marsh sehen den Politiktransfer auf einem Kontinuum zwischen „lesson drawing“ und „coercive transfer“ (Dolowitz & Marsh 2000: 13).

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Details

Seiten
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783640748655
ISBN (Paperback)
9783640749126
DOI
10.3239/9783640748655
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Konstanz
Erscheinungsdatum
2010 (November)
Note
1,7
Schlagworte
Gesundheitsfonds Konvergenz Politiktransfer Deutschland Niederlande Gesundheitsreform 2007 Holzinger Jörgens Knill
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