Simone de Beauvoir und der Feminismus
Am Beispiel von "Das andere Geschlecht"
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Wer war eigentlich Simone de Beauvoir?
3 Wie kam Simone de Beauvoir auf die Idee, Das andere Geschlecht zu schreiben?
4 Was haben Simone de Beauvoir und der Feminismus gemeinsam?.
5 Das andere Geschlecht oder „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“
6 Welche Reaktionen hat dieses Werk damals hervorgerufen und was ist heute davon noch übrig?
7 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Als Erstes möchte ich kurz erklären, wieso ich mich dazu entschlossen habe, eine Studienarbeit über Simone de Beauvoir und Das andere Geschlecht zu schreiben. Fakt ist, dass ich die Bachelordiplomarbeit über Jean-Paul Sartre geschrieben habe und dass sich schon im Laufe der Niederschrift der Masterdiplomarbeit mein Interesse auf Simone de Beauvoir gerichtet hat. Trotzdem muss ich gestehen, dass mein erstes Dissertationsprojekt erneut von Jean-Paul Sartre hätte handeln sollen, wäre da nicht ein Professor auf die Idee gekommen, dass ich als Wissenschaftler weiblichen Geschlechtes bestens dafür geeignet bin, eine Dissertation über eine Frau, in meinem Fall über Simone de Beauvoir, zu schreiben. Was hätte ich dem noch hinzufügen sollen? Schließlich befand er sich nicht im Unrecht, und schon bald konnte ich mich mit der Idee sehr wohl anfreunden. So könnte man behaupten, dass meine Studien über Jean-Paul Sartre daran Schuld sind, dass ich von nun an das Vergnügen haben werde, mich mit Simone de Beauvoir zu beschäftigen. Ähnlich erging es auch Alice Schwarzer, die 1970 als freie Korrespondentin in Paris Sartre traf und so zufällig mit Simone de Beauvoir Bekanntschaft machte:
„Da saß ich nun in seiner Ein-Zimmer-Wohnung am Boulevard Raspail. Interviewzeit dreißig Minuten. Kurz vor Ende des Gesprächs dreht jemand den Schlüssel im Schloss und betritt die Wohnung: Simone de Beauvoir. Sie wirft einen kurzen, irritierten Blick auf mich (und meine halblangen blonden Haare plus Minikleid) und erinnert Sartre knapp, fast schroff daran, dass sie beide gleich eine Pressekonferenz hätten. Dann setzt sie sich an Sartres Schreibtisch im Hintergrund des Zimmers und arbeitet.“[1]
Da ich nicht Alice Schwarzers Glück hatte, Simone de Beauvoirs Weggefährtin zu sein, bleibt mir als angehende Wissenschaftlerin nichts anderes übrig, als ihr Gesamtwerk zu erforschen und auf deren Aktualität aufmerksam zu machen. Aus diesem Grunde werde ich mich im Laufe dieser Studienarbeit nicht ausschließlich auf den Inhalt ihres wohl bekanntesten Buches Das andere Geschlecht beziehen, sondern mich auch für die Hintergründe und Rahmenbedingungen, die sie dazu bewogen haben, sich nicht nur als Frau, sondern vor allem als Schriftstellerin und Philosophin der Situation des anderen Geschlechtes anzunehmen, interessieren.
Als ich kürzlich im Internet stöberte, um aktuelle Publikationen und Artikel über die de Beauvoir ausfindig zu machen, bin ich auf einen sehr interessanten Beitrag aus Die Zeit gestoßen:
„Wer war Simone de Beauvoir? Bewerber wissen immer weniger – angeblich. Geprüft hat das noch niemand. „Eine Personalleiterin hatte neulich einen Hochschulabsolventen im Bewerbungsgespräch, der offensichtlich keine Ahnung hatte, wer Simone de Beauvoir war“, erzählt der Wirtschaftspsychologe. Das allein fand er noch verzeihlich. „Aber der junge Mann beharrte darauf, sie wenige Tage zuvor in einer Talkshow gesehen zu haben.“ Auch die Studenten, denen Hossiep [Psychologe und Entwickler von Wissenstests an der Universität Bochum] die Geschichte erzählte, wussten nichts mit dem Namen Simone de Beauvoir anzufangen. „Einer von ihnen sagte: Wenn die im Gespräch so was wissen wollen, dann will ich da gar nicht arbeiten.““[2]
Ich werde mich bemühen, diesen Beitrag so spannend wie möglich zu gestalten, damit zumindest all jene, die ihn lesen, zukünftig mit Sicherheit nicht behaupten werden, die de Beauvoir in einer Talkshow gesehen zu haben.
Leider musste ich im Laufe meiner Studienjahre feststellen, dass, wenn überhaupt, Simone de Beauvoir für ihr Zitat „ Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es “[3] bekannt ist. Da es sich hierbei um mehr als nur einen aus dem Kontext gerissenen Satz handelt, werde ich im Laufe meiner Studienarbeit mit Fragestellungen zur Biografie von Simone de Beauvoir, zu den historischen Hintergründen des Das andere Geschlecht sowie zum enormen Wirkungsgrad desselben versuchen, mehr über diese äußerst interessante Philosophin und Schriftstellerin bekannt zu geben.
2 Wer war eigentlich Simone de Beauvoir?
Simone Lucie-Ernestine-Marie-Bertrand de Beauvoir wurde am 09.01.1908 in Paris geboren. Sie stammte aus einer großbürgerlichen Familie, die nach dem Ersten Weltkrieg das gesamte Vermögen verlor. Die junge Simone besuchte eine katholische Mädchenschule und studierte anschließend Philologie, Mathematik und Philosophie. 1929 bestand sie das Examen der Agrégation an der Sorbonne als Jahrgangszweite (nach Sartre) und wurde eine der ersten Philosophielehrerinnen Frankreichs. Im selben Jahr lernte sie Jean-Paul Sartre kennen. Auf einer Parkbank vor dem Louvre schlossen sie dann den wohl bekanntesten Liebespakt des neunzehnten Jahrhunderts. Sie schworen, sich in einer offenen und ehrlichen Liebesbeziehung ein ganzes Leben lang zur Seite zu stehen. Simone de Beauvoir wurde von nun an Sartres notwendige Liebe, während all die anderen Damen als kontingente Liebschaften bezeichnet wurden.[4] Für den Castor[5] galten dieselben Bedingungen wie für Sartre, auch sie genoss zeit ihres Lebens die absolute Freiheit. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten[6] – die de Beauvoir strebte danach, Schriftstellerin zu werden – folgte endlich die glänzende Karriere, die es ihr erlaubte, den bisher ausgeübten Lehrberuf endgültig aufzugeben. Trotz aller Höhen und Tiefen hielt die Liebesbeziehung de Beauvoir/Sartre dem Zweiten Weltkrieg, den Jahren der deutschen Besatzung sowie einem Leben voller Exzesse (sie genossen Liebschaften, reisten quer durch die Welt und aßen und tranken leidenschaftlich gerne) stand. Beide wurden sehr alt, Sartre starb wenige Jahre vor ihr 1980, sie 1986. Vieles wurde über dieses Paar geschrieben, und es wurde reichlich darüber spekuliert, wer die Vormachtstellung in der Beziehung genoss und wer von beiden die wahre Schriftstellerin bzw. Schriftsteller oder Philosophin bzw. Philosoph war. Ich bin, nachdem ich mich eingehend mit deren Biografien befasst habe, zum Schluss angelangt, dass es nicht im Rahmen des Möglichen liegt, Klarheit darüber zu erlangen. Zu unterschiedlich sind die Aussagen der bekanntesten und glaubwürdigsten Biografinnen des Paares.[7] Was über Simone de Beauvoir in Erfahrung gebracht werden kann, steht alles in ihren Büchern. Sie selbst hat einmal gesagt: „Mein Werk ist mein Leben.“[8] Und Alice Schwarzer, die die Schriftstellerin und Philosophin persönlich dazu befragt hat,[9] bestätigt:
„Beim Lesen und Wiederlesen von Beauvoir bestätigt sich, dass die Literatur, Philosophie, Essays und Memoiren sowie, postum, die Briefe von Simone de Beauvoir eine untrennbare Einheit bilden. Alle Genres bedingen und befruchten sich gegenseitig, ihre Quelle sind Beauvoirs Leben und ihre (noch unveröffentlichten) Tagebücher.[10] «Mein Werk ist mein Leben», hat sie selbst einmal gesagt. Und in der Tat: Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Es sind Werk und Leben, die diese einflussreichste weibliche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts zum Role Model für mehrere Frauengenerationen gemacht haben.“[11]
3 Wie kam Simone de Beauvoir auf die Idee, Das andere Geschlecht zu schreiben?
Hiefür lässt es sich nicht vermeiden, kurz auf die Situation der Frauen um 1949, als das Buch erschien, einzugehen. Professor Schönherr-Mann fasst zusammen:
„Damals dominierten die Männer praktisch alle öffentlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bereiche, während Frauen weitgehend ein Leben im Verborgenen des privaten Hauses führen, um dessen monotone, ständig wiederkehrende Beschäftigungen kaum ein Mann mit ihnen konkurrierten möchte. Nicht zuletzt daher wirkt auf de Beauvoir das Leben von Frauen weitgehend als unwesentlich, es hinterlässt keine persönliche Spuren.“[12]
Auch Simone de Beauvoir macht in der Einleitung des Das andere Geschlecht keinen Hehl daraus, in welch desolater Lage sich das weibliche Geschlecht damals befand:
„In fast keinem Land ist sie dem Mann rechtlich gleichgestellt, oft sogar erheblich benachteiligt. Selbst wenn ihr bestimmte Rechte theoretisch zuerkannt worden sind, verhindert eine lange Gewohnheit, dass diese im alltäglichen Umgang konkret zum Ausdruck kommen. Wirtschaftlich bilden Männer und Frauen fast zwei Kasten: bei gleichen Voraussetzungen haben die Männer vorteilhaftere Stellungen, höhere Löhne, mehr Aufstiegschancen als ihre neuen Konkurrentinnen. Sie haben in der Industrie, in der Politik usw. viel mehr Stellen inne und besetzen die wichtigsten Posten.“[13]
Weshalb sich aber gerade Simone de Beauvoir damals dazu entschlossen hat, ein solch umfangreiches Werk über die Frau zu schreiben, hing mit größter Sicherheit mit der Tatsache zusammen, dass sie eine Intellektuelle war, die stets in einem sehr engen Kontakt mit der Wirklichkeit stand. Sie befand sich des Öfteren unter Männern, d.h. in von Männern dominierten Kreisen, und musste daher immer wieder feststellen, dass:
„Wenn ich mich definieren will, muß ich zuerst einmal klarstellen: «Ich bin eine Frau.» Diese Wahrheit ist der Hintergrund, von dem sich jede weitere Behauptung abheben wird. Ein Mann beginnt nie damit, sich als Individuum eines bestimmten Geschlechts darzustellen: dass er ein Mann ist, versteht sich von selbst. In Amtsregistern und auf Personalbögen sind die Rubriken «männlich» und «weiblich» nur der Form halber symmetrisch. Das Verhältnis der beiden Geschlechter ist nicht das zweier elektrischer Ströme, zweier Pole: der Mann vertritt so sehr zugleich das Positive und das Neutrale, dass im Französischen les hommes (die Männer) die Menschen schlechthin bezeichnen, da die spezielle Bedeutung des Wortes vir in der allgemeinen von homo aufgegangen ist. […] Bei theoretischen Diskussionen hat es mich manchmal geärgert, von Männern gesagt zu bekommen: «Sie denken das und das, weil Sie eine Frau sind.» Mir aber war klar, dass ich mich nur mit der Antwort verteidigen konnte: «Ich denke es, weil es stimmt».“[14]
Bevor sie mit der Niederschrift ihres Werkes über die Situation der Frau begann, hatte sie sich noch nicht mit deren Problematik beschäftigt, denn:
„Ich, ich war daran gewöhnt, in dieser Welt zu leben, wo die Männer so sind, wie sie sind: nämlich Unterdrücker. Ich selbst habe, glaube ich, noch nicht einmal allzu sehr darunter gelitten. Ich bin den meisten typisch weiblichen Sklavenarbeiten entgangen, war nie Mutter und nie Hausfrau. Und beruflich gehörte ich zu den Privilegierten, denn zu meiner Zeit gab es noch weniger Frauen, die Lehrerin für Philosophie waren. Da wurde man auch von den Männern anerkannt. Ich war eine Ausnahmefrau, und – ich habe es akzeptiert.“[15]
Der Stein des Anstoßes, der sie endgültig dazu bewog, ihre umfangreiche Analyse des Frauseins in Angriff zu nehmen, war Sartres Aufforderung zum Handeln. „«Sie [sind] nicht so erzogen worden wie ein Junge!», hatte er gesagt. «Das muss man genauer untersuchen.»“[16] Ein interessanter Aspekt ist, dass sich die Schriftstellerin nur dank Sartres finanzieller Hilfe gänzlich der Niederschrift des Das andere Geschlecht widmen konnte.[17]
Die Zweifel, die sie damals geplagt haben, bringt sie in den ersten Zeilen ihres Buches zum Ausdruck:
„Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben. Das ist ein Reizthema, besonders für Frauen, und es ist nicht neu. In der Debatte über den Feminismus ist genug Tinte geflossen. Jetzt ist sie nahezu abgeschlossen: reden wir nicht mehr darüber. Es wird aber doch weiter darüber geredet, und es sieht nicht so aus, als hätte die in den letzten hundert Jahren produzierte Flut von Sottisen das Problem geklärt. Gibt es überhaupt ein Problem? Und worin besteht es? Gibt es überhaupt Frauen?“[18]
Bevor ich zur kurzen Inhaltsangabe des Das andere Geschlecht übergehe, möchte ich auf die Fragestellung eingehen, welcher Zusammenhang zwischen Simone de Beauvoir und den Feministinnen besteht.
[...]
[1] Schwarzer, Alice: Simone de Beauvoir. Weggefährtinnen im Gespräch. Köln: Kiepenheuer &
Witsch, 2008, S. 11.
[2] Schmincke, Polly: Wer war Simone de Beauvoir? Bewerber wissen immer weniger – angeblich.
Geprüft hat das noch niemand. In: Die Zeit vom 25.09.2003.
[3] De Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008, S. 334.
[4] Savarino, Ida: Simone de Beauvoir svelata dalle lettere a Sartre soldato. Firenze: Vallecchi, 1995, S. 20.
[5] Castor ist der Übername, den René Maheu ihr verlieh. Er hat ihren Nachnamen
Beauvoir ins Englische beaver übersetzt.
[6] Ihre Erzählungen Marcel, Chantal, Lisa wurden von zwei Verlagen abgelehnt. Siehe dazu: Alice
Schwarzer: Simone de Beauvoir. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2007, S. 329.
[7] Siehe dazu: Annie Cohen-Solal: Sartre 1905 – 1980. Claude Francis: Simone de Beauvoir.
Deirdre Bair: Simone de Beauvoi r. Eine Biographie.
[8] Schwarzer, Alice: Simone de Beauvoir. Ein Lesebuch mit Bildern. Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt, 2008, S. 9.
[9] Siehe dazu: Bennett Joy, Hochmann Gabriella: Simone de Beauvoir. An annotated bibliography.
[11] Schwarzer, Alice: Simone de Beauvoir. Ein Lesebuch mit Bildern, wie oben, S. 9.
[12] Schönherr-Mann, Hans-Martin: Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht. München: DTV,
2007, S. 12.
[13] De Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht, wie oben, S. 16-17.
[14] Ebenda, S. 11.
[15] Schwarzer, Alice: “Das Ewig Weibliche ist eine Lüge”. In: Der Spiegel 15/1976.
[16] Schwarzer, Alice: Simone de Beauvoir. Ein Lesebuch mit Bildern, wie oben, S. 162.
[17] In einem Interview verrät die de Beauvoir, dass die finanzielle Unterstützung von Sartre damals sehr hilfreich und zwischen den beiden als Selbstverständlichkeit galt. Siehe dazu: Savarino, Ida:
Simone de Beauvoir svelata dalle lettere a Sartre soldato, wie oben.
[18] De Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht, wie oben, S. 9.