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Thomas Manns Wagner-Rezeption

Die Kontrafaktur-Technik in den Erzählungen "Wälsungenblut" und "Tristan"

©1991 Seminararbeit 17 Seiten

Zusammenfassung

Für Thomas Mann war die Musik Richard Wagners eine wichtige Inspirationsquelle und spielt in vielen seiner frühen Werke eine Rolle. In den Erzählungen "Wälsungenblut" und "Tristan" nimmt Mann schon im Titel direkt Bezug auf Werke Wagners. Untersucht wird die Parodietechnik in diesen Erzählungen, die etwa Elemente der Opern Wagners mit umgekehrten Vorzeichen in die Handlungsebene der Texte einbringt.

Leseprobe

Inhalt

1 Vorbemerkung

2 Wälsungenblut
2.1 Die Kontrafaktur in den verschiedenen Teilen der Erzählung
2.1.1 Die Exposition
2.1.2 Die „Walküre“-Aufführung
2.1.3 Nach der Oper
2.1.4 Die Lösung und ihre Bedeutung

3 TRISTAN
3.1 Die Kontrafaktur der Figuren
3.2 Die Kontrafaktur des zweiten Aktes und von Isoldes Liebstod
3.3 Die Kontrafaktur als Verweltlichung der mystischen Liebe zwischen Tristan und Isolde

4 Schlussbemerkung

5 LITERATURVERZEICHNIS

1 Vorbemerkung

Thomas Manns Wagner-Rezeption ist voller Gegensätze. Sie schwankt von abgrundtiefer Verachtung in der Schrift „ Wagner und kein Ende“ von 1950, die allerdings am Ende der Entwicklung steht, bis zu einem „Enthusiasmus“, den „man bei jedem anderen als Thomas Mann naiv nennen würde“[1]. Vor allem im erzählenden Frühwerk ist Wagner allgegenwärtig, in besonderem als Kennzeichen für fortschreitenden seelischen Verfall: Bricht doch in „Der kleine Herr Friedemann“, dessen Liebe zu Gerda von Rinnlingen bei einer „Lohengrin“ -Aufführung hervor, ist doch für Hanno Buddenbrook, den letzten und lebensschwächsten Spross der Familie, die Wagner-Musik wichtiger als die Schule.

Bezeichnend ist also die Verknüpfung der Musik Wagners mit der Idee der Dekadenz. Sie findet auch ihren Platz in den beiden hier zu untersuchenden Erzählungen „Wälsungenblut“ (1905) und „Tristan“ (1903) in Verbindung mit der Technik der Kontrafaktur, also - in diesem Zusammenhang - der Übertragung der ursprünglichen Figurenkonstellation und Handlung in einen anderen Kontext. Dabei soll „Wälsungenblut“, eigentlich die später entstandene Erzählung, zuerst behandelt werden, da in ihr die Kontrafaktur-Techniken besonders deutlich sind.

Da eine reine Aufzählung der Kontrafaktur-Elemente recht fruchtlos scheint, soll auch auf die Bedeutung eingegangen werden, die der Umkehrung der Wagnerschen Handlungsabläufe in Bezug auf die Dekadenz der Hauptfiguren zukommt.

2 Wälsungenblut

Die Erzählung „Wälsungenblut“ ist eine der beiden „Skandalgeschichten“ Thomas Manns neben „Die Betrogene“. Dies einerseits wegen des offen beschreibenden Inzests zwischen den Zwillingen Aarenhold, andererseits wegen des angeblichen Antisemitismus, den man in der Tat in manchen Bemerkungen und Beschreibungen erkennen könnte; ein Vorwurf, den Thomas Mann später zurückwies und den zu betrachten auch nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehört.

In vorliegendem Zusammenhang interessiert in erster Linie die Verbindung zwischen der Wagner-Kontrafaktur und der Geschwisterliebe, zwei Elemente, die hier unmittelbar zusammengehören. Das Wagnersche Werk hat ähnlich wie in „Tristan“ spannungslösende Wirkung, wobei der Unterschied zu „Tristan“ in der Art liegt, wie sich diese Spannungsentladung äußert: Nicht im Tod, sondern in einem „dekadenten Experiment“[2].

2.1 Die Kontrafaktur in den verschiedenen Teilen der Erzählung

Die Konsequenz dieses „Experiments“ wird deutlich, wenn man die Kontrafaktur der „Walküre“ mit beachtet. Sie ist in den drei Formteilen der Erzählung - die Beschreibung des Frühstücks, die „Walküre“ -Aufführung und der Inzest - in verschiedenen Ausformungen vorhanden: im ersten Teil als inhaltliche Kontrafaktur des Anfangs des ersten Aktes der Oper, im zweiten Teil als formale Nachahmung von Wagnerschen Stilelementen[3] und im dritten Teil gleichsam als Fortführung des Anfangs, aber gleichzeitig als eine erzählungsimmanente Kontrafaktur, da die Geschwister die Walküren“-Handlung als solche gleichsam nachspielen, während der erste Teil die Inversion der Opernhandlung auf der Erzählebene belässt, sie also nicht in das Bewusstsein der Figuren dringen lässt.

2.1.1 Die Exposition

Zunächst zur inhaltlichen Kontrafaktur des ersten Teils. Hier wird der Anfang der „Walküre“ bis in Details aufgenommen und umgekehrt. Schon die Atmosphäre macht dies deutlich. Herrscht in der Oper zu Anfang Sturm und Gewitter, so zeichnet sich das Aarenholdsche Haus durch eine „gleichmäßig erwärmte Atmosphäre“ (139)[4] aus. Es setzt sich fort in der Beschreibung des Speisezimmers: In Hundings Hütte finden sich Wände, die „aus roh behauenem Holzwerk, hie und da mit geflochtenen und gewebten Decken behangen“ sind und ein Tisch „mit hölzernen Schemeln davor“[5], bei den Aarenholds „Gobelins mit Schäfer-Idyllen“ und „breite und nachgiebige Polster“ (142). Lediglich das Tamtam, das der Diener Wendelin zu Anfang zu Gehör bringt, ist eine Reminiszenz an die barbarische Welt Hundings. Das „Nachtmahl, das Sieglinde Hunding und Siegmund bereitet, wird zum „Familienfrühstück“ (143), in welchem man das mit Wasser gefüllte Trinkhorn in den „winzigen Tässchen aus zartestem durchschimmerndem Porzellan“ mit „dem heißen, goldgelben Saft“ (143) der Rinderbrühe und „des seimigen Metes süßen Trank“[6] in dem „Rheinwein, der leis auf der Zunge prickelte“ (145) wiederfindet.

Der weitaus wichtigere Teil der Kontrafaktur jedoch ist die Beschreibung der Personenkonstellation. Von Beckerath, Sieglindes Verlobter, ist das Analogon zu Hunding. Ebenso wie dieser kann sich auch jener nicht der Liebe seiner Lebensgefährtin rühmen. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Von Beckerath ist ein „Verwaltungsbeamter [...] von eifriger Artigkeit“ (141) und alles andere als überlegen, wie man an seiner „armen Antwort“ (142) merkt, die er auf die spitzen Bemerkungen Sieglindes gibt. Im Gegensatz zu Hunding ist er in der Erzählung der Eindringling in das Familienleben der Aarenholds und vor allem in das Leben von Siegmund und Sieglinde. Bezeichnenderweise klopft Kunz in dem Moment das Hunding-Motiv auf dem Tisch, da es so scheint, als ob von Beckerath einen Moment lang derjenige sei, von dessen „Huld und Gnade“ (149) es abhänge, dass die Geschwister die „Walküre“ -Aufführung besuchen dürfen: eine deutliche Ironisierung der Person von Beckeraths, der nicht um irgendetwas gefragt werden muss - anders als Hunding, der ja Siegmund die Gnade erweist, ihn für die Nacht ungeschoren zu lassen.[7]

[...]


[1] Koppen, S. 223

[2] Vaget, S. 579

[3] Kilian, S. 244

[4] Die Seitenangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Thomas Mann. "Schwere Stunde" und andere Erzählungen, Frankfurt a.M. 1987

[5] Richard Wagner. Die Musikdramen, München 1978, S. 585

[6] a.a.O., S. 587

[7] Vgl. Northcote-Bade, S. 58

Details

Seiten
17
Jahr
1991
ISBN (eBook)
9783640759835
ISBN (Paperback)
9783640760206
DOI
10.3239/9783640759835
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum – Germanistisches Institut
Erscheinungsdatum
2010 (November)
Note
Gut - Bestanden
Schlagworte
Erzählungen Wälsungenblut Tristan Richard Wagner Thomas Mann Kontrafaktur Ironie Musik Künstlertum
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Titel: Thomas Manns Wagner-Rezeption