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Die Gleichstellung geringfügig Beschäftigter nach dem SGB IX - ein praktischer Fall

©2010 Wissenschaftlicher Aufsatz 7 Seiten

Zusammenfassung

Eine Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes soll erfolgen, wenn der Betreffende infolge seiner Behinderungen bei wertender Betrachtung (i. S. einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Unter dieser Voraussetzung ist eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes gerechtfertigt, denn die Gleichstellung hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtquote (§ 71) des ArbG angerechnet wird. Die Gleichstellung kann dazu dienen, dem Minderbehinderten einen Arbeitsplatz zu verschaffen oder zu erhalten. Hintergrund der Gleichstellung ist die Tatsache, dass bei einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht automatisch eine uneingeschränkte Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt vorliegt. Eine Gleichstellung kommt in Betracht, wenn eine Schutzbedürftigkeit vorliegt, d. h. behinderte Mensch ansonsten nicht in der Lage ist, sich einen geeigneten Arbeitsplatz zu verschaffen oder zu erhalten. Jede Gleichstellung ist von drei persönlichen Voraussetzungen abhängig.
Der Gleichzustellende muss zum Personenkreis des § 2 Abs. 2 SGB IX gehören, also im Bundesgebiet rechtmäßig wohnen, sich aufhalten oder arbeiten.
Es muss eine Feststellung über den Grad der Behinderung nach § 69 SGB IX vorliegen.
Der Gleichzustellende muss sich ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht verschaffen oder erhalten können. Ob der Behinderte bereits in einem Betrieb als Arbeitnehmer tätig ist oder eine Beschäftigung erst aufnehmen will, ist nicht von Belang.
Die Auslegung und Anwendung des § 73 SGB IX durch die Arbeitsagentur verstößt gegen § 4 TzBfG. § 4 Abs. 1 TzBfG differenziert in der ab 01.04.1999 geltenden Fassung nicht zwischen teilzeitbeschäftigten und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern. § 4 enthält ein Verbot der Diskriminierung: Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftiger Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Genau das passiert aber, wenn man wie die Arbeitsagentur § 73 SGB IX auf § 68 und das Gleichstellungsverfahren bezieht. Dies ist weder vom Gesetzgeber so gedacht, noch formuliert und erst recht gar nicht gewollt. Kapitel 2 (SGB IX) regelt die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber.

Leseprobe

Die Gleichstellung geringfügig Beschäftigter nach dem SGB IX - ein praktischer Fall*

Frau A hatte im Dezember 2009 einen Antrag auf Gleichstellung gestellt. Sie ist als geringfügig Beschäftigte in einem Abrufarbeitsverhältnis gemäß § 12 TzBfG seit knapp 2 Jahren tätig. Die Arbeitsagentur Mannheim hat mit Bescheid vom 25.03.2010 entschieden und den Antrag abgelehnt hat. Maßgebend stützt sich die Begründung auf eine angebliche wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden. Im Übrigen erlaube § 23 TzBfG eine differenzierende Betrachtung.

Bei der Entscheidung über den Antrag auf Gleichstellung wurde nicht berücksichtigt, dass im Hinblick auf die derzeitige und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dauerhafte Behinderung (ein Antrag auf Neubewertung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen wurde ebenfalls zeitlich vor der ausgesprochenen Kündigung gestellt) eine Gleichstellung nicht nur vor einer unbegründeten Kündigung schützen, sondern auch die Aufnahme einer Beschäftigung fördern kann und soll.[1] Hintergrund der Gleichstellung ist die Tatsache, dass bei einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht automatisch eine uneingeschränkte Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt vorliegt.[2] Eine Gleichstellung kommt in Betracht, wenn eine Schutzbedürftigkeit vorliegt, d. h. behinderte Mensch ansonsten nicht in der Lage ist, sich einen geeigneten Arbeitsplatz zu verschaffen oder zu erhalten.[3] Jede Gleichstellung ist von drei persönlichen Voraussetzungen abhängig.

1. Der Gleichzustellende muss zum Personenkreis des §2 Abs.2 SGB IX gehören, also im Bundesgebiet rechtmäßig wohnen, sich aufhalten oder arbeiten.
2. Es muss eine Feststellung über den Grad der Behinderung nach §69 SGB IX vorliegen.
3. Der Gleichzustellende muss sich ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht verschaffen oder erhalten können. Ob der Behinderte bereits in einem Betrieb als Arbeitnehmer tätig ist oder eine Beschäftigung erst aufnehmen will, ist nicht von Belang.[4]

Die Auslegung und Anwendung des § 73 SGB IX durch die Arbeitsagentur verstößt gegen § 4 TzBfG. §4 Abs.1 TzBfG differenziert in der ab 01.04.1999 geltenden Fassung nicht zwischen teilzeitbeschäftigten und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern. § 4 enthält ein Verbot der Diskriminierung: Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftiger Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.[5] Genau das passiert aber, wenn man wie die Arbeitsagentur § 73 SGB IX auf § 68 und das Gleichstellungsverfahren bezieht. Dies ist weder vom Gesetzgeber so gedacht, noch formuliert und erst recht gar nicht gewollt. Kapitel 2 (SGB IX) regelt die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber.[6] /[7] Die Vorschrift legt fest, welche Arbeitgeber und in welcher Höhe bzw. Anzahl[8] die Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer verpflichtet sind.[9] Die Beschäftigungspflicht ist eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers[10] des Inhalts, im Rahmen der durch Gesetz oder ggf. durch Rechtsverordnung nach §79 festgelegten Pflichtzahl[11] sbM auf einem entsprechenden Arbeitsplatz einzustellen und zu beschäftigen.“[12]

[...]


* Erläutert von Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab, Mag. rer. publ. unter Mitarbeit von Diplom – Betriebswirt (DH) Silke Schwab und Referendarin Heike Schwab. Die Behinderung ist nicht erst bei Vorliegen eines Behinderungsgrades von 50% festzustellen, sondern im Hinblick auf die Möglichkeit der Gleichstellung bereits bei einer Behinderung von wenigstens 30%. Maßgebend für die Bewertung sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtentätigkeit (AHP). Sie haben normähnlichen Charakter und konkretisieren § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Änderungen der AHP sind wie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse zu werten. Der GdB wird nicht durch Aufaddierung der für die einzelnen gesundheitlichen Beeinträchtigungen festzusetzenden GdB errechnet, sondern geschätzt. Maßgebend ist einerseits die mit der höchsten Einzel GdB bewertete Beeinträchtigung und die Auswirkungen jeder einzelnen gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Das Gleichstellungsverfahren findet nur auf formfreien Antrag eines behinderten Menschen (oder seines Bevollmächtigten) statt. Der Betroffene ist nicht verpflichtet, einen Antrag zu stellen. Zuständig ist die örtlich zuständige Agentur für Arbeit. Das Verwaltungsverfahren ist einfach und zweckmäßig durchzuführen. Die Arbeitsagentur muss en ArbG beteiligen, wenn ein ArbN die Gleichstellung beantragt hat, um einen Arbeitsplatz zu erhalten oder zu erlangen. Die Gleichstellungsentscheidung der Agentur für Arbeit begründet konstitutiv weitgehend denselben Schutz wie für schwerbehinderte Menschen. Sie wirkt auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück, Heines, in Dau, u. A. § 2 SGB IX, RN 20.

[1] Neumann, in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 2 RN 46 SGBIX. Eine Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes soll erfolgen, wenn der Betreffende infolge seiner Behinderungen bei wertender Betrachtung (i. S. einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Unter dieser Voraussetzung ist eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes gerechtfertigt, denn die Gleichstellung hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtquote (§ 71) des ArbG angerechnet wird. Diese Voraussetzungen sind gegeben, schließlich ist meine Frau über 50 Jahre alt und hatte die letzten Jahre keine reguläre Vollzeitarbeitbeschäftigung auf ihrem Beruf gefunden. Durch die Kindererziehungszeiten hat sie die Entwicklung der Diätetik und die Veränderungen im Krankenhausbetrieb nicht miterlebt. Es wäre eine qualifizierte und länger dauernde berufsvorbereitende Qualifizierungsmaßnahme erforderlich, damit meine Frau auf dem angespannten Arbeitsmarkt für über 50 jährige überhaupt eine Chance hat, beruflich Anschluss zu finden. Der Jugendwahn hinterlässt an dieser Stelle deutlich seine Spuren: Wer 50 Jahre und älter ist, soll zwar noch 15 und mehr Jahre arbeiten, hat es aber dennoch besonders schwer, nach einer Kündigung eine neue Stelle zu finden. Die Arbeitsagentur hält für ältere Arbeitssuchende allerdings auch spezielle Instrumente bereit. Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg gab es im September 2009 genau 886 326 Arbeitslose im Alter über 50 Jahre. Das waren 26,5 Prozent aller Erwerbslosen. Im September 2003 lag der Anteil noch bei 24,4 Prozent. Je älter ein Arbeitsloser wird, desto schwieriger werde es, ihn in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, sagt BA-Sprecherin Anja Huth. «Die Vermittler in den Arbeitsagenturen kümmern sich daher besonders intensiv um diese Zielgruppe.»

[2] Morzynski, SGB IX Teil 1 § 2 RN 56.

[3] Neumann, a.a.O., § 2 SGB IX, RN 51; KSW/Kreikebohm, SGB IX § 2 RN 8, vgl. Jabben, in Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching, Beck'scher Online-Kommentar, § 2 SGB IX, RN 10f.

[4] Die Gleichstellung kann dazu dienen, dem Minderbehinderten einen Arbeitsplatz zu verschaffen oder zu erhalten , Neumann, in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 2 SGBIX, RN 51.

[5] § 73 (3) SGB IX - Als Arbeitsplätze gelten ferner nicht Stellen, die nach der Natur der Arbeit oder nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen nur auf die Dauer von höchstens acht Wochen besetzt sind, sowie Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden.

[6] § 71 Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen

(1) Private und öffentliche Arbeitgeber (Arbeitgeber) mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne des §73 haben auf wenigstens 5Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen. 3Abweichend von Satz1 haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als40 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat einen schwerbehinderten Menschen, Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als60 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat zwei schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.

[7] § 71 Abs. 1 S. 1 enthält die Pflichtquote für die Mindestbeschäftigung. Es gilt die Anzahl der zur berücksichtigenden Arbeitsplätze x 5: durch 100. Bruchteile sind aufzurunden. Die Beschäftigungspflicht wird durch die Bezahlung einer Ausgleichsabgabe ergänzt. Die Bezahlung einer Ausgleichsabgabe enthebt nicht von der Beschäftigungspflicht. Diese ist ein wirksames Mittel zur beruflichen Integration behinderter Menschen, BVerfGE 57, 159.

[8] Schönhöft/Brahmstaedt, Die Ermittlung der Schwerbehindertenquote im Gemeinschaftsbetrieb, BB 2009, S. 1585

[9] Jabben, in Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching, Beck'scher Online-Kommentar, § 71 SGB IX. Durch die öffentlich-rechtliche Beschäftigungspflicht besteht mittelbar die Pflicht, arbeitssuchende, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Der ArbG kann seiner Beschäftigungspflicht auch ohne Neueinstellung erfüllen, wenn unter seinen ArbN schwerbehinderte Menschen oder Gleichgestellte tätig sind. Der ArbG muss die Mitarbeiter behindertengerecht beschäftigen § 81 Abs. 4 SGB IX. Im Übrigen ist die Nichteinstellung von geeigneten schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Bewerbern eine Ordnungswidrigkeit i. S. von § 156 Abs. 1 Nr. 1. Unterlässt es der ArbG, einen sbM oder gleichgestellten Bewerber zu beschäftigen, kann er sich nicht entlastend auf sein Recht auf Personalauswahl berufen.

[10] Der Begriff des Arbeitsplatzes ist nach § 73 SGB IX nicht in funktionellem, arbeitsrechtlichem, sondern nur in rechnerischem Sinne zu verstehen. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf die Anrechenbarkeit oder Nichtanrechenbarkeit bei der Berechnung der Pflichtzahl von Schwerbehinderten, Ambs, in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 73 SGB IX, RN 1.

[11] Bei Vorliegen der Voraussetzungen entsteht für den Arbeitgeber eine Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen. Grundsätzlich ist ein Anteil von 5% der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen, Jabben, a.a.O., RN 6. Die Quote kann ein Arbeitgeber nur mit anerkannten Schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Menschen erfüllen.

[12] Die Beklagte lehnte den Widerspruch als sachlich unbegründet ab. Sie begründet schwerpunktmäßig ihre Entscheidung damit, dass die Klägerin weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt gewesen sei.

Details

Seiten
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783640758944
DOI
10.3239/9783640758944
Dateigröße
435 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim, früher: Berufsakademie Mannheim
Erscheinungsdatum
2010 (November)
Note
1,3
Schlagworte
geringfügig Beschäftigter SGB IX Behinderung TzBfG Verbot der Diskrimminierung Arbeitgeber Beschäftigungspflicht
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Titel: Die Gleichstellung geringfügig Beschäftigter nach dem SGB IX  - ein praktischer Fall