Zusammenfassung
Die Beantwortung der oben gestellten Leitfrage geschieht in drei Schritten. Zunächst werden in einem ersten Abschnitt die theoretischen Grundlagen eines gegenwartsbezogenen Geschichtsunterrichtes beleuchtet, bevor im zweiten Teil der Hausarbeit auf konkrete Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart eingegangen wird. Dieser zweite Teil gliedert sich wiederum in drei Unterkapitel, nämlich a. Unmittelbare Gegenwartsbezüge, b. Gegenwartsbezüge als Ursachenzusammenhang und c. Gegenwartsbezüge als Sinnzusammenhang. Der Schwerpunkt in diesem zweiten Teil liegt auf Unterkapitel a., also den Unmittelbaren Gegenwartsbezügen. Anschließend werden in einem dritten Teil die Phasen von Unterricht dahingehend untersucht, ob und, wenn ja, wie Gegenwartsbezüge in diesen Phasen realisiert werden können. Den Abschluss dieser Arbeit bildet ein Fazit.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
3. Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart
a. Unmittelbare Vergangenheitsbezüge
i. Allseitige Geschichtlichkeit
ii. Geschichtlichkeit von Begriffen
iii. Geschichte als politisches Argument
iv. Kalender-Geschichte(n)
v. Geschichte in der Werbung
vi. Straßennamen
vii. Denkmäler und Erinnerungstafeln
viii. Bauliche Überreste
ix. Oral history
x. Comics und Jugendbücher
xi. Ein neues Medium – Internet
b. Gegenwartsbezug als Ursachenzusammenhang
c. Gegenwartsbezug als Sinnzusammenhang
4. Phasen des Unterrichts
5. Fazit
6. Literatur
7. Erklärung
1. Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit soll es um das Thema des Gegenwartsbezuges im Geschichtsunterricht gehen. Im Zentrum dieser Ausarbeitung steht die Frage, wo und welche Gegenwartsbezüge im Geschichtsunterricht integriert werden können. Grundlage dieser Arbeit sind die Forschungserkenntnisse von Klaus Bergmann (1938 – 2002), der sich u.a.[1] schwerpunktmäßig mit einem gegenwartsbezogenen Geschichtsunterricht befasste. Trotz des Verweises auf Bergmann, habe ich an der einen oder anderen Stelle kritische Bemerkungen oder Ergänzungen zu dessen Ansichten hinzugefügt.
Die Beantwortung der oben gestellten Leitfrage geschieht in drei Schritten. Zunächst werden in einem ersten Abschnitt die theoretischen Grundlagen eines gegenwartsbezogenen Geschichtsunterrichtes beleuchtet, ehe im zweiten Teil der Hausarbeit auf konkrete Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart eingegangen wird. Dieser zweite Teil gliedert sich wiederum in drei Unterkapitel, nämlich a. Unmittelbare Gegenwartsbezüge, b. Gegenwartsbezüge als Ursachenzusammenhang und c. Gegenwartsbezüge als Sinnzusammenhang. Der Schwerpunkt in diesem zweiten Teil liegt auf Unterkapitel a., also den Unmittelbaren Gegenwartsbezügen. Anschließend werden in einem dritten Teil die Phasen von Unterricht dahingehend untersucht, ob und, wenn ja, wie Gegenwartsbezüge in diesen Phasen realisiert werden können. Den Abschluss dieser Arbeit bildet ein Fazit.[2]
2. Theoretische Grundlagen
Wenn man sich mit dem Thema Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht auseinandersetzt, muss man sich m.E. erst darüber im Klaren sein, warum eine Beschäftigung mit diesem Thema sinnvoll erscheint. Dies soll im Folgenden geschehen.
Wenn man sich mit Geschichte beschäftigt, beschäftigt man sich auch immer mit Erinnerungen an Vergangenes, sprich mit Sachverhalten, die vor unserer eigenen Lebenszeit geschehen sind. Diese Erinnerungen sind bedingt durch ein Orientierungsbedürfnis der Menschen, das sie aufgrund von Erwartungen an Gegenwart und Zukunft haben. Durch die sich beständig ändernden Orientierungsbedürfnisse, aufgrund von Ereignissen in der Gegenwart, ändern sich auch die Gegenstände, die man als Orientierung in der Gegenwart benötigt[3]. Auf diese Art und Weise kann man charakterisieren, was Geschichte eigentlich ist; nämlich eine Zusammenstellung von Orien-tierungsbedürfnissen von Menschen für die Gegenwart. Geschichte ist daher eine Art des Denkens, um auf eine bestimmte Weise mögliche Auskünfte zu erhalten, die wir für unsere Orientierung in der Gegenwart und Zukunft als bedeutsam ansehen. Reinhart Koselleck definierte Geschichte als „Kunde von fremder Erfahrung“. Anders könnte man diese Definition als „Gegenwartsbezogenheit von Geschichte“ beschreiben, denn, wenn man sich in der Geschichte mit „fremden Erfahrungen“ der Ver-gangenheit beschäftigt, um diese auf seine Gegenwart und Zukunft anzuwenden, also durch sie eine Orientierung zu erhalten, dann wird Geschichte auf die Gegenwart bezogen. Demnach handelt es sich bei dem Thema „Gegenwartsbezug“ im Grunde um die Betrachtung von Vergangenheit mit einem direkten Bezug zu unserer Gegenwart.
Nun haben wir beschrieben, was „Gegenwartsbezug“ von Geschichte bedeutet, müssen an dieser Stelle aber kritisch einwenden, dass Historiker/innen Geschichte auch ohne „Gegenwartsbezug“ betrachten können, nämlich, wenn ein Thema rein kognitiv im Umfeld seiner Zeit betrachtet wird, ohne zwanghaft einen Bogen zu Gegenwart spannen zu müssen. Demnach müssen wir darüber sprechen, was „Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht“ bedeutet. Geschichtslehrer/innen[4] konfrontieren ihre Schüler/innen[5] ständig mit Vergangenem. Ein Geschichtsunterricht, der den SuS klar aufzeigt, was dieses historische Thema mit ihrer Gegenwart und Zukunft zu tun hat, ist daher wünschenswert, aber m.E. nicht obligatorisch. GuG haben daher die Aufgabe, die Erkenntnisse der Wissenschaft dahingehend zu befragen, ob sie zur Orientierung der SuS in Gegenwart und Zukunft geeignet sind. „Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht“ bedeutet daher, dass Themen zur Verfügung stehen, die sich mit his-torischen Sachverhalten beschäftigen und eine Lebensorientierung für SuS darstellen.
Relativierend muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass m.E. nicht jedes Thema zwangsläufig einen „Gegenwartsbezug“ haben muss. Wenn man einen solchen herstellen kann, sollte man dies tun, doch bin ich der Auffassung, dass es auch historische Themen gibt, die in der Schule rein kognitiven Lernzielen genügen sollten (jedenfalls in der Sek. II). Herr Bergmann zitiert in diesem Zusammenhang nämlich folgendermaßen: „Historische Inhalte ohne Gegenwartsbezug sind für die SuS irrelevant und nicht vermittelbar.“ Dieser Aussage würde ich widersprechen, denn selbst in der Sek. I scheint es mir sinnvoll, Themen zu haben, die nicht unmittelbar auf die Lebenswelt der SuS bezogen werden können. M. E. ist es utopisch, anzunehmen, dass man jedem Thema einen Gegenwartsbezug aufzwingen kann.[6]
3. Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Auch wenn nicht jedes Thema einen „Gegenwartsbezug“ haben kann, gibt es doch eine Vielzahl von Möglichkeiten, durch die man einen „Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht“ erreichen kann. Im Folgenden werden drei Bereiche gesondert betrachtet, wobei der Schwerpunkt auf den unmittelbaren Vergangenheitsbezügen liegen wird. Des Weiteren wird der „Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht“ als Ur-sachen – und Sinnzusammenhang beschrieben werden.
a. Unmittelbare Vergangenheitsbezüge
Bei den sog. „unmittelbaren Vergangenheitsbezügen“ handelt es sich um alle Relikte aus der Vergangenheit, seien es Gebäude, Texte, Kleidung, Denkmäler usw. Diese Relikte stellen für SuS eine „unmittelbaren“ Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit her und können den SuS verdeutlichen, dass Vergangenes gegenwärtig und Gegenwart vergänglich ist.
Die Tatsache, dass den meisten SuS nach ihrer Schullaufbahn Geschichte in der sog. „Geschichtskultur“, sprich in denjenigen Themen, die die Menschen der Gegenwart gerade reizen[7], begegnet, bedeutet für den Geschichtsunterricht, dass exemplarisch Themen dieser „Geschichtskultur“ thematisiert werden müssen. Dadurch sollen SuS erkennen, dass Geschichte gegenwärtig und ein wachsamer Umgang mit den Erscheinungen der „Geschichtskultur“ angebracht ist.
Im Folgenden sollen Bereiche angesprochen werden, mit denen man „unmittelbare Vergangenheitsbezüge“ im Geschichtsunterricht herstellen und damit die Sensibilität der SuS gegenüber Erscheinungsformen der „Geschichtskultur“ fördern kann.
i. Allseitige Geschichtlichkeit
Mit „allseitiger Geschichtlichkeit“ ist gemeint, dass jedes Objekt der Gegenwart, sei es ein Gegenstand, eine Institution, ein Sachverhalt etc., seine eigene Geschichte in sich trägt. Demnach sind diese Objekte in zeitlichen Prozessen entstanden und zu dem geworden, was sie heute sind. Diese Objekte könne man, so Bergmann, in ihrer gänz-lichen Komplexität nur erfassen, wenn man sich der Gewordenheit dieser bewusst ist. Es sei daher möglich mit Hilfe von Institutionen, historischen Sachverhalten, Normen etc. der Gegenwart einen Ausgangspunkt für gegenwartsbezogenen Unterricht zu kreieren. Dabei gehe es um die „historische Dimension“ gegenwärtiger Selbstverständlichkeiten, d.h. um die Frage nach dem „Wie kam es dazu, dass Dinge heute so sind, wie sie sind?“. Für die Beantwortung dieser Frage, biete sich das sog. „Längsschnitt“-Vorgehen an. Hierbei geht man von einem zu behandelnden Thema aus und betrachtet dieses diachron, d.h. an einem geografischen Ort zu unterschiedlichen Zeiten[8]. Ein Beispiel hierfür wäre die Entwicklung von Städten in Mitteleuropa von der Antike bis zur Gegenwart. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass dabei ein his-torischer Kontext, Wandlungen, Veränderungen und Andersartigkeiten zwischen Vergangenheit und Gegenwart benannt werden müssen. SuS müssten sich der Ge-schichtlichkeit von gewordenen Dingen bewusst werden. Jedoch sei es bei diesem Vorgehen unbedingt zu vermeiden, dass eine scheinbare „Fortschrittlichkeit“ sug-geriert werde, indem man davon ausgehe, dass Menschen späterer Zeiten automatisch bessere Lebensumstände vorfänden. Diese Annahme setzt eine Linearität von Geschichte voraus, die sie aber nicht besitzt.
ii. Geschichtlichkeit von Begriffen
Was unter i. schon für alle Objekte unserer Gegenwart erläutert wurde, kann im Speziellen natürlich auch für Begriffe unseres täglichen Gebrauchs gelten. Sie haben ebenfalls alle ihre Geschichte und möglicherweise auch unterschiedliche Bedeutungen in Vergangenheit und Gegenwart. Am Begriff „Demokratie“ soll dies knapp exem-plarisch beschrieben werden. Der Begriff „Demokratie“ (Volksherrschaft) bedeutete in der Antike etwas anderes als er es heute in der Bundesrepublik Deutschland tut. In Abhängigkeit vom Stand, vom Vermögen und vom Geschlecht hatten im antiken Athen nur die männlichen Bürger die Möglichkeit an der „Demokratie“ teilzuhaben; Frauen und Sklaven blieben außen vor. In der BRD sind heute lediglich die in Deutschland lebenden Ausländer von einer Teilhabe am „demokratischen“ Vorgehen ausgeschlossen. Somit stellt das Wort „Demokratie“ ein Beispiel für einen Begriff dar, der sich dafür eignet, gegenwartsbezogenen Geschichtsunterricht zu gestalten. An Begriffen können Wandlungen, Veränderungen und historische Kontexte thematisiert werden. Aber in meinen Augen müssen nicht nur die Unterschiede von Begriffen im historischen Verlauf benannt werden, sondern ebenso die noch vorherrschenden Gemeinsamkeiten. Warum heißt die „Demokratie“ heute wie damals so, wenn es keine Gemeinsamkeiten mehr gäbe? Der Grundgedanke, dass das Volk an politischen Entscheidungen partizipieren soll, war und ist nachwievor der Kern des „Demokratie“-Begriffs. Diesen Gemeinsamkeiten in Vergangenheit und Gegenwart von Begriffen muss ebenfalls Raum im Geschichtsunterricht gewährt werden.
[...]
[1] Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit waren die geschichtsdidaktischen Prinzipien „Multiperspektivität“ und „Personifizierung“.
[2] Bergmann, Gegenwarts- und Zukunftsbezug, S. 91/92.
[3] z.B. wird 2008/2009 ein Orientierungsbedürfnis darin bestanden haben, wie Menschen auf die Weltwirtschaftskrise 1929-1930 reagierten. Zuvor war diese Sicht auf Geschichte eher zweitrangig und andere Orientierungsbedürfnisse standen im Vordergrund.
[4] Ab jetzt mit GuG abgekürzt.
[5] Ab jetzt mit SuS abgekürzt.
[6] Bergmann, Gegenwarts- und Zukunftsbezug, S. 92ff.
[7] „Geschichtskultur“ beinhaltet alle historischen Themen, die in der Gegenwart gerade interessant erscheinen. Geprägt wird die „Geschichtskultur“ durch die Medien wie TV und Zeitungen. In der „Geschichtskultur“ finden sich Themen wieder, die gerade in Mode sind, die aber auch schnell wieder verschwinden und durch andere Themen ersetzt werden können.
[8] Das Gegenteil von „diachron“ ist „synchron“, was eine gleichzeitige Betrachtung an unterschiedlichen geografischen Orten bedeuten würde.