Post Development - Wunschvorstellung oder revolutionierendes Konzept der Entwicklungshilfe?
Zusammenfassung
Kaum eine politische Idee oder ein Ansatz ist von der Bevölkerung so positiv und mit Unterstützung aufgenommen worden wie Entwicklung. Als Präsident Truman seine Antrittsrede im Januar 1949 hielt und den Armen der Welt versprach, ihnen bei der Entwicklung zu Wohlstand zu helfen, wurde dies von der Bevölkerung im Westen sehr positiv aufgenommen. Seitdem ist viel Zeit vergangen, aber auch heute noch löst der Begriff Entwicklung und Entwicklungshilfe bei einem Großteil der Bevölkerung positive Konnotationen aus. „No economic subject more quickly captured the attention of so many as the rescue of the people of the poor countries from their poverty.“1 Bei wissenschaftlicher Betrachtung des Sachverhaltes stellt sich dies jedoch als sehr verwunderlich dar, da die Zahl der Armen auf der Welt weder gesunken ist, noch sich eine deutliche Verbesserung durch milliardenschwere Entwicklungshilfe eingestellt hat. Ganz im Gegenteil: Heute leben mehr Menschen unter der Armutsgrenze als je zuvor, obwohl unzählige Entwicklungshilfeinterventionen durchgeführt wurden. Diese erzielten jedoch sehr oft nicht den gewünschten oder erdachten Erfolg. Seit den 80ger Jahren entwickelte sich dann eine breite Gegnerschaft der konventionellen Entwicklungskonzepte im Sinne von Interventionsprojekten zur Förderung von Modernisierung und kapitalistischer Ökonomie des Entwicklungslandes. Aus der Kritik des Entwicklungsgedankens entstand die Post-Development-These, man befinde sich „nach Entwicklung“. Post-Development Ansätze möchten zeigen, wie die dritte Welt seit der Nachkriegszeit systematisch durch den Entwicklungsdiskurs konstruiert wurde. Was kommt nach Entwicklung? Post-Development Vertreter dekonstruieren den Entwicklungsgedanken als Diskurs und möchten darstellen, wie eine Hilfe für die in Armut lebende Bevölkerung auf der Welt nach Entwicklung aussehen soll. Da diesen Thesen eine sehr starke theoretische Fundierung immanent ist, stellt sich die Frage, ob sie auch effizient auf die Praxis übertragen werden können. Dieser Fragestellung möchte ich in dieser Arbeit nachgehen und dabei die Effizienz die Wirkungsweisen des der Post-Development Ansätze erörtern.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I) Einleitung
II) Entwicklung als Begriff
III) Überblick der Entwicklungsgeschichte
1. Modernisierungstheorien (50ger -60ger Jahre)
1.1 Hauptthesen
1.2 Kritik an Modernisierungstheorien
2. Dependenztheorien (60ger -70ger Jahre)
2.1 Hauptthesen
2.2 Kritik an Dependenztheorien
3. Verlorene Entwicklungsdekade und alternative Entwicklungansätze (80ger -90ger Jahre)
IV) Post-Development Ansätze
1. Hauptthesen der Post-Development Ansätze
1.1 Ablehnung des konventionellen Entwicklungsparadigmas
1.2 Hilfe als Konstrukt
1.3 Alternativen zur Entwicklung
1.4 Neopopulistische und radikaldemokratische Ausrichtung des Post-Development
2. Poststrukturalismus und Post-Development
3. Der Entwicklungsdiskurs
3.1 Die Diskursanalyse nach Foucault
3.2 Entwicklung als Diskurs
4. Latouche: ein philosophischer Post-Development Ansatz
5. Der Mythos der Armut (nach Rahnema Majid)
6. Hunger und Bedürfnisse
7. Hybridisierung und der „homo comunis“
V) Kritik an Post-Development Ansätzen
VI) Resumee
VII) Post-Development im Feld
1. Entwicklungstheorien und Praxis
2. Post-Development in der Praxis
3. Beispiele für Intiativen aus der Bevölkerung
3.1 Indigene Basisgemeinschaften
3.2 Der Aufstand der „Zapatistas“
4. Beispiele Initiativen im Rahmen von Entwicklungshilfeprojekten
4.1 Community projekt Jagna
4.2 Das EGS Netzwerk
VIII) Fazit
I) Einleitung
Kaum eine politische Idee oder ein Ansatz ist von der Bevölkerung so positiv und mit Unterstützung aufgenommen worden wie Entwicklung. Als Präsident Truman seine Antrittsrede im Januar 1949 hielt und den Armen der Welt versprach, ihnen bei der Entwicklung zu Wohlstand zu helfen, wurde dies von der Bevölkerung im Westen sehr positiv aufgenommen. Seitdem ist viel Zeit vergangen, aber auch heute noch löst der Begriff Entwicklung und Entwicklungshilfe bei einem Großteil der Bevölkerung positive Konnotationen aus. „No economic subject more quickly captured the attention of so many as the rescue of the people of the poor countries from their poverty.“[1] Bei wissenschaftlicher Betrachtung des Sachverhaltes stellt sich dies jedoch als sehr verwunderlich dar, da die Zahl der Armen auf der Welt weder gesunken ist, noch sich eine deutliche Verbesserung durch milliardenschwere Entwicklungshilfe eingestellt hat. Ganz im Gegenteil: Heute leben mehr Menschen unter der Armutsgrenze als je zuvor, obwohl unzählige Entwicklungshilfeinterventionen durchgeführt wurden. Diese erzielten jedoch sehr oft nicht den gewünschten oder erdachten Erfolg. Seit den 80ger Jahren entwickelte sich dann eine breite Gegnerschaft der konventionellen Entwicklungskonzepte im Sinne von Interventionsprojekten zur Förderung von Modernisierung und kapitalistischer Ökonomie des Entwicklungslandes. Aus der Kritik des Entwicklungsgedankens entstand die Post-Development-These, man befinde sich „nach Entwicklung“. Post-Development Ansätze möchten zeigen, wie die dritte Welt seit der Nachkriegszeit systematisch durch den Entwicklungsdiskurs konstruiert wurde. Was kommt nach Entwicklung? Post-Development Vertreter dekonstruieren den Entwicklungsgedanken als Diskurs und möchten darstellen, wie eine Hilfe für die in Armut lebende Bevölkerung auf der Welt nach Entwicklung aussehen soll. Da diesen Thesen eine sehr starke theoretische Fundierung immanent ist, stellt sich die Frage, ob sie auch effizient auf die Praxis übertragen werden können. Dieser Fragestellung möchte ich in dieser Arbeit nachgehen und dabei die Effizienz die Wirkungsweisen des der Post-Development Ansätze erörtern.
II) Entwicklung als Begriff
Der Begriff Entwicklung ist nicht wertneutral oder allgemein vorgegeben, sondern ein normativer Begriff, in den individuelle und kollektive Wertvorstellungen einfließen. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht Entwicklung für „einen Prozess, der das Potential einer Sache oder eines Organismus freisetzt, so dass zuletzt die natürliche Endform, Vollständigkeit oder volle Entfaltung erreicht wird.“[2] In der Biologie wird unter Entwicklung oder Evolution der Prozess verstanden, der das genetische Potential eines Lebewesens freisetzt. Der Begriff Entwicklung ist stark verknüpft mit den Begriffen Wachstum, Evolution, Reife. Seit dem 18.Jahrhunderts wird der Begriff Entwicklung auch zur Beschreibung von Phänomenen sozialen Wandels verwendet. So wurde vom Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) 1962 Entwicklung als „Wachstum plus Wandel“[3] definiert.Im kolonialen Diskurs, war Entwicklung eine Tätigkeit, die durch die Regierung hervorgerufen werden mußte.[4] Der Begriff Entwicklung impliziert immer einen Wandel vom Schlechteren zum Besseren. Im Diskurs der Entwicklung in der dritten Welt bezieht sich der Begriff Entwicklung vor allem auf Wirtschaftswachstum. Als Ziel auf dem Entwicklungsweg steht eine Art Reife, die in den führenden Industrienationen schon verwirklicht ist, und deren Lebens-und Wirtschaftsweise als „schon entwickelt“ angesehen wird. Der Begriff Entwicklung stellt ein machtvolles Bedeutungsfeld dar, mit einem anschließenden großem Einfluss auf Denken und Verhalten.[5]
Als Umkehrung des Entwicklungsbegriffs entstand Mitte des 20.Jahrhunderts für all das, „was den Europäern bislang weltweit als unzivilisiert, ungebildet und rückständig gegolten hatte, ein zentraler Begriff: die „Unterentwicklung“[6] In den 80ger Jahren rückten alternative Konzepte vermehrt ins Blickfeld, dabei besonders der sehr populäre Ansatz der „endogenen Entwicklung“.Dieser Ansatz verlässt eine reine Dichotomie von „entwickelt“ und „unterentwickelt“ und stellt eine Rückbesinnung auf lokale Traditionen in den Mittelpunkt. Laut einiger Post-Development Vertreter sollte der Begriff „Entwicklung nicht auf die Länder des Südens beschränkt bleiben: auch der Norden hätte allen Grund, sich „weiterentzuentwickeln“, im Sinne einer Um-Entwicklung in Richtung nachhaltiger Entwicklung. Insgesamt hat Entwicklung viele, positive als auch negative Auswirkungen: Durch Entwicklung konnte Kindersterblichkeit und der Ausbruch von Seuchen eingedämmt werden. Das Resultat ist eine erhöhtes Bevölkerungswachstum. Durch Entwicklung ist es jedoch möglich geworden, Bevölkerungen zu kontrollieren und begrenzen.[7]
III) Überblick der Entwicklungsgeschichte
Um Post-Development zu verstehen, ist es wichtig zuerst Entwicklung zu verstehen. Deshalb möchte ich einen kurzen Überblick über die Geschichte der Entwicklungstheorien geben. Der Beginn der Entwicklungsgeschichte wird meist mit der Antrittsrede des US-Präsidenten Truman am 20.Januar 1949 gesetzt. Er benannte in seiner Antrittsrede alle Gebiete außer Europa und Nordamerika als „unterentwickelte Gebiete“ und versah somit mit einem Schlag mehr als die Hälfte der Menschheit mit der Zuschreibung „unterentwickelt“.Die Unterentwicklung gibt es also erst seit 1949. Auf diese Weise wurde die Welt in zwei Teile geteilt: in „entwickelte“ und „unterentwickelte“ Nationen. Dieser Begriff bedeutete eine lebenslange Unterordnung und Abwertung der Lebensweise für die Menschen in den, als „unterentwickelt“ betitelten Ländern.
1) 50ger-60ger Jahre: Modernisierungstheorien
Unter Modernisierungstheorien werden eine Reihe von theoretischen Entwürfen zum Thema Entwicklung und Strategien zusammengefasst, die seit dem zweiten Weltkrieg die entwicklungspolitische Praxis bestimmen. Darunter befinden sich Ansätze, die sich zu ökonomischen Wachstumstheorien zuordnen lassen als auch Ansätze der klassischen soziologischen Modernisierungstheorien. Die Modernisierungstheorie wird auch als Metatheorie der Entwicklung bezeichnet und gilt als „Mainstream-Entwicklungstheorie.“[8]
1.1 Hauptthesen
Modernisierungstheoretische Ansätze betrachten Entwicklung als einen linearen Prozess der Nachahmung der als „unterentwickelt“ bezeichneten Länder des Entwicklungsprozesses der westlichen Industrieländer. Die westlichen Industrienationen werden dabei als Ideal einer Staats-, Gesellschafts-und Wirtschaftsform gepriesen. Die Entwicklungsländer sollten einen analogen Entwicklungsprozess der Industrieländer durchlaufen und so wie diese, nach einigen Jahren allgemeinen Wohlstand erlangen. Als ideales Gesellschaftsmodell wurde die Demokratie nach amerikanischem Vorbild angesehen, die als Ziel der gesellschaftlich-politischen Entwicklung gesehen wird. Unterentwicklung wird dabei als gesellschaftliches Stadium bei der Überwindung von Tradition zu Moderne verstanden. Entwicklung sollte vor allem Industrialisierung bedeuten, um das Entwicklungsdefizit so schnell wie möglich aufzuholen. Tradition und Moderne werden als unvereinbare Dichotome gesehen, die nicht parallel existieren können: die Tradition sollte zugunsten der Moderne weichen. Ursachen für die Unterentwicklung werden hauptsächlich in endogenen Faktoren der Entwicklungsländer gesehen. Auf ökonomischer Basis wird vor allem die geringe Sparquote genannt, die zu einem Teufelskreis der Armut führt, Kapitalakkumulation verhindert und somit Wirtschaftswachstum hemmt.
Zur Lösung dieses Problems werden großangelegte Industrialisierung und Kapitalimporte empfohlen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, das als „Zauberwort“ der Entwicklung gilt. Im Laufe des Industrialisierungsprozesses würde eine gesellschaftliche Weiterentwicklung in Form von Modernisierung ,Wertewandel, Vernachlässigung von Traditionen, Herauslösung aus familiären Strukturen, usw. von selbst, in Analogie zur Phase der Industrialisierung in Europa, erfolgen. Was Karl Polanyi negativ als „Entbettung“ bezeichnet, wird in den Modernisierungstheorien als wünschenswerter Nebeneffekt gesehen. Als messbare Indikatoren für Entwicklung werden im Rahmen der Modernisierungstheorie vor allem wirtschaftlichen Faktoren, wie dem Bruttosozialprodukt, dem Pro-Kopf-Einkommen oder dem Wirtschaftswachstum Aufmerksamkeit geschenkt. Als positive Nebenerscheinungen eines erhöhten Pro-Kopf-Einkommen würden sich andere gesellschaftliche Probleme der Unterentwicklung wie Kindersterblichkeit, Mangelernährung, usw. von selbst lösen. Ein „Trickle-down-effect“ würde nach und nach von den Kapitalinvestitionen zu den bedürftigen Menschen in Form von Arbeitsplätzen und Löhnen durchsickern. Durch einen Modernisierungsprozess, der in einer Take-off-Phase durch Kapitalimporte angekurbelt werden sollte, würden Entwicklungshemmnisse, wie Tradition, soziales Gefüge in vernakulären Gemeinschaften, hohe Geburtenrate etc.zurückgehen.
Die Modernisierungstheorie ist auch heute noch die bedeutenste Mainstream-Entwicklungstheorie. Die Gründe für ihre durchwegs hohe Bedeutung in der Entwicklungstheorie sieht Narman in den folgenden Faktoren:
-Sie bleibt konsistent mit neoklassischen wirtschaftlichen Ideologie von Entwicklung in den USA und Westeuropa.
-Sie ist eine einfache und universale Theorie
-Kurzfristige Verbesserungen können als Erfolg ausgelegt werden und das genügt als positiver Beweis.
-Die „Bretton Woods“ sind sehr gut in ihrer Verteidigung.[9]
Sobald sich in einer Gesellschaft die Wirtschaft als wichtigste Sphäre behauptet, werden alle anderen Formen sozialen Austauschs der wirtschaftlichen Logik unterworfen, wobei die Unterordnung unter das Wirtschaftssystem immer gewaltsam erfolgen muß. Um die Durchsetzung der Ökonomie zu forcieren, müssen alle anderen Systeme des Austauschs weichen. Auch das Wertesystem muss sich grundlegend ändern. Menschen werden zu Arbeitskräften, Traditionen werden überflüssig und aus Autonomie wird häufig Abhängigkeit. Neoliberalismus kann als eine Reformulierung der Modernisierungstheorie genannt werden, mit einer verschiedenen Rollenverteilung für Staat und Markt.[10]
1.2 Kritik an Modernsisierungstheorien
Unterentwicklung sollte durch technologische Einwirkungen von der Erde verschwinden, aber, stattdessen, wurde sie unendlich multipliziert.[11] Viele, auf modernisierungstheoretischen Ansätzen basierende Entwicklungsinterventionen scheiterten. Der wichtigste Beweis dafür ist die weiter ansteigende Zahl der Armen auf der Welt und die Vergrößerung der Einkommensdifferenz zwischen arm und reich.[12] An modernisierungstheoretischen Ansätzen angelehnte Entwicklungsmaßnahmen stützen sich vor allem auf eine Förderung der Ökonomie und des Wirtschaftswachstums. „Es ist jedoch erwiesen, dass in der Mehrzahl der Entwicklungsländer den Armen weder die Erzeugung von Investions-und Konsumgütern noch die Ausweitung sozialer Dienste geholfen hat.“[13] Modernisierungstheoretische Ansätze forcieren eine Modernisierung aller Sphären der Gesellschaft ohne Rücksicht auf Verluste, denn Modernisierung wird als einziger Weg oder „einzig gangbare Hauptstraße der Moderne“[14] wie ironisch von Rahnema genannt, gesehen. Dies ist jedoch nicht für alle Menschen sinnvoll oder realisierbar. Für die Mehrheit der Menschen auf der Welt ist die Befriedigung ihrer Bedürfnisse in Gemeinschaften verankert, und nicht im kapitalistischen Wirtschaftssystem. Werden diese lokalen Strukturen zerstört, fühlen sich die Menschen zunehmend hilflos. Der durch Entwicklung ausgelöste soziale Wandel, hat die Herauslösung der Menschen aus ihren Gemeinschaften zur Folge. Auch wenn diese Gemeinschaften weiterhin oberflächlich bestehen, haben sie nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher. In traditionellen Gemeinschaften fanden die Armen ihr Auskommen, während in der modernen Gesellschaft diese Lebensformen zerstört werden. Häufig wird die traditionelle Armut ersetzt durch eine „moderne Armut“, wie sie heute auch in allen entwickelten Ländern zu finden ist.
2. Dependenztheorien (60ger bis 70ger Jahre)
Die Dependenztheorien entstanden in den 60ger Jahren in Lateinamerika. Das Besondere dieses Ansatzes ist, das er vor allem von Vertretern des globalen Südens stammt. Die Dependenztheorien sehen die Gründe der Unterentwicklung in der Verbindung zwischen Abhängigkeit und interner Ausbeutung und nicht in einem internen Defizit des Landes. Auch die Dependenztheorien kritisieren die Modernisierungstheorie, vertreten aber auch den Gedanken einer „nachholenden Entwicklung“ der Entwicklungsländer.
2.1 Hauptthesen
Als zentrales und wichtigstes Element der Theorie wird der theorieleitende Begriff der Abhängigkeit gesehen. Abhängigkeit bedeutet, dass eine Gruppe von Staaten einer anderen Gruppe von Staaten in der Weise untergeordnet ist, dass die Produktionsweise der untergeordneten Nation so verändert und reproduziert wird, dass eine erweiterte Produktion und Abhängigkeit erhalten bleibt.[15] Das Verhältnis in der Beziehung Entwicklungsland-Weltmarkt oder Großmacht wird als ungleich und abhängig gesehen und die Beziehung zu den Industrienationen als asymmetrisch interpretiert. Laut Dependenztheorie ist die Asymmetrie ein Hemmnis für die gesunde Entwicklung des Landes.
Armut und Mißstände in dem betreffenden Land werden auf exogene Faktoren zurückgeführt. In Wechselwirkung mit inneren Strukturen des Landes würden sie eine Situation der Unterentwicklung hervorrufen. Unter exogenen Faktoren ist hier vor allem der Einfluss des Kolonialismus in der Geschichte sowie die Einbindung in den Weltmarkt zu unfairen Konditionen zu verstehen. Dependenztheorien sehen Unterentwicklung nicht als historische Phase, sondern als zwei Seiten einer Medaille und damit als zwei gleichzeitige Erscheinungen. Innerhalb der Dependenztheorie kann zwischen einer Reformposition und einer marxistischen Position unterschieden werden. Die Unterschiede belaufen sich hauptsächlich auf die theoretischen Rahmenbedingungen, die einmal der historische Materialismus beziehungsweise eine modifizierte Form der Modernisierungstheorie darstellen. Bei letzterer, liegt die Betonung auf den starken Abhängigkeitsverhältnisse von den Industrienationen des Nordens, die stark als Entwicklungshemmnis gesehen werden. Dependenztheoretische Ansätze in der Tradition des Marxismus sehen die entwicklungshemmende Kraft vor allem in einer Schwäche oder Nicht- Existenz von national-populistischer Zusammenschlüsse und Bewegungen, die Abhängigkeitsverhältnisse bekämpfen könnten. Die marxistischen Theoretiker sehen eine sozialistischen Revolution als Lösung für das Problem der Unterentwicklung. Laut marxistischer Position, basiert die Abhängigkeit auf einer Über-oder Superausbeutung der Arbeitskräfte durch Unterbezahlung in der untergeordneten Nation. Die Ursache der Über-Ausbeutung wird hauptsächlich im Gegensatz von Peripherie und Zentrum gesehen, wobei die Leistungen von der Peripherie ins Zentrum fließen, vom Zentrum aber nicht ausreichend Kapital zurückfließt. Die Reformposition dagegen setzt auf eine Verbesserung des kapitalistischen Systems. Durch Modernisierung im Sinne von zunehmender Industrialisierung entsteht ein Ungleichgewicht im Verhältnis von Exportrückgang und Importüberschuß, das als „Verelendungswachstum“ bezeichnet wird, woraus ein Abhängigkeitsverhältnis von Importen entsteht. Diese Art der Abhängigkeit führt zu einer Koexistenz kapitalistischer und nicht-kapitalistische Ökonomien, einer strukturellen Heterogenität. Beide ökonomischen Sektoren kolonialisieren sich wechselseitig und generieren eine gesellschaftliche Deformation, die Armut und Unterentwicklung hervorruft. Der Lösungsvorschlag der Dependenztheorie bedeutet „Abkoppelung“ vom Weltmarkt und „autozentrierte Entwicklung.“Die Dependenztheorie ist ein Schritt hin zum Versuch der Diskursbildung laut Post-Development Ansätze, bleibt aber im Diskurs stecken.[16] Das Differenzierungssystem des Entwicklungsdiskurses bleibt weiterhin unangetastet.
2.2 Kritik an Dependenztheorien
Die Dependenztheorie wurde durch ihre Radikalität marginalisiert und häufig kritisiert, als ein Ansatz, der alle Probleme buchstäblich von sich, ins Ausland verschiebt. Vor allem Christopher Kay[17] erläuterte viele Kritikpunkte der Dependenztheorie. Die Mehrwertproduktion der „Zentren“ würde nicht auf der Ausbeutung der Peripherie zugerechneten Ländern beruhen, sondern vor allem auf deren endogene Entwicklung. Christopher Kay ist gegen die Betrachtung der Unterentwicklung als rein externes Phänomen, denn diese vernachlässigt die Dimension ungleicher Klassen-und Produktionsverhältnisse. Die Rolle des Staates in den Dependenztheorien würde überbetont und die der Zivilgesellschaft und sozialer Bewegungen vernachlässigt. Kein Staat könnte Entwicklung und sozialen Fortschritt garantieren. Die Dependenztheorien würden sich hauptsächlich auf makrosoziologische Sichtweisen beschränken und die gesellschaftliche Mikrostruktur vernachlässigen.
3 ) Verlorene Entwicklungsdekade und alternative Entwicklungsansätze (80ger und 90ger Jahre)
Die 80ger Jahren gelten als das verlorene Jahrzehnt der Entwicklungstheorien. Ab der zweiten Hälfte der 80ger Jahre wird die Krise der Entwicklungstheorien diagnostiziert, hervorgerufen durch ihren mangelnden Erfolg in der Praxis. Entwicklungspolitik und -interventionen sahen sich veränderten Rahmenbedingungen gegenüber und Entwicklung wurde zu einer „überlebten Vorstellung“,[18] deren Fortsetzung in gleicher Manier keinen Sinn mehr ergab.
Die Industrienationen galten nicht mehr als die Idealform einer Gesellschaftsform, diese Vorstellung der Überlegenheit ist angesichts der Umweltproblematik heute nicht mehr vertretbar. Es hat sich des weiteren bewiesen, dass ein Leben ohne Mühsal, trotz jeglichen Komforts in manchen Ländern, nicht möglich ist. Auch auf immaterieller Ebene hatte sich die Entwicklungsideologie überlebt, denn, wie jede Ideologie, hat sie nur Bestand, solange sie Hoffnungen einen Raum bietet.[19] Aus der Krise der Entwicklungstheorien entwickelten sich neue, alternative Paradigmen, es wurden „alternative Entwicklungsansätze“ propagiert, wie menschliche und nachhaltige Entwicklung, Grundbedürfnisbefriedigung, Good Governance, Partizipation der Zivilgesellschaft, Förderung von Frauen, endogene Entwicklung, etc[20] Diese „alternativen“ Ansätze schienen eine große Veränderung in den Entwicklungstheorien zu bedeuten, bei näherer Betrachtung bleibt die Entwicklungstheorie jedoch immer noch in der Denkweise einer „nachholenden Entwicklung“ verhaftet.
Alternative Entwicklung näherte sich mit der Zeit an die Mainstream-Entwicklung an und die Alternativen wurden von der Mainstream Entwicklungstheorie absorbiert. Laut Kritiker, verfügt alternative Entwicklung über keine anderen Ziele als konventionelle Entwicklungstheorien, sondern stehen nur für einen anderen, alternativen Weg der Entwicklung mit anderen Mitteln. Aufgrund ausbleibender Erfolge der Entwicklungsmaßnahmen wurde in den 80ger Jahren auch der informelle Wirtschaftssektor der Entwicklungsländer gefördert und damit die Bereiche der Schatten-und Subsistenzwirtschaft in Konzepte miteinbezogen. Das Konzept nachaltiger Entwicklung wurde ein populäres Konzept, dass viel Anklang fand. Auch das Konzept der Partizipation wurde zum Schlagwort alternativer Entwicklung. Entwicklungsexperten stellten fest, dass Nachhaltigkeit vor allem von der aktiven Mitwirkung der Armen abhängt. Die Partizipation der Bevölkerung kann Entwicklungsprojekten die nötige Ortskenntnis sowie Netzwerke und Beziehungen beschaffen, die für einen nachhaltigen Erfolg des Projekts notwendig sind. Bei partizipatorischen Ansätzen ist jedoch Vorsicht geboten: Partizipation in der Entwicklungstheorie ersetzt häufig nur traditionelle Gemeinschaftsstrukturen durch neue, außen gelenkte Strukturen der „Partizipation“.
Trotzdem wurden viele Ansätze alternativer Entwicklungsstrategien wie nachhaltige Entwicklung, endogene Entwicklung und Partizipation auch bei Entwicklungsstrategien im Sinne von Post-Development Ansätzen teilweise aufgegriffen.
IV) Post-Development Ansätze
Der Begriff Post-Development“ wurde erstmals 1991 bei einer Konferenz in Genf verwendet.[21] Post-Development Ansätze lehnen Entwicklung als Ideologie ab.Dabei soll im Folgenden vor allem auf die Denkansätze einiger Hauptvertreter des Post-Development wie Escobar, Esteva, Sachs, Rahnema, und die kritische Diskussion von Aram Ziai eingegangen werden. Die meisten Vertreter von Post-Development Ansätzen stammen aus dem globalen Süden, im Gegensatz zu dem Gros der Vertreter der Mainstream Entwicklungstheorien. Post-Development entstand aus einer postmodernen, sozialwissenschaftlichen Kritik an den Entwicklungstheorien. Post-Development ist nicht interessiert an alternativer Entwicklung, sondern an Alternativen zur Entwicklung, und weist das Entwicklungsparadigma als solches zurück.[22] Die meisten Voraussetzungen der Entstehung des konventionellen Entwicklungsparadigmas basierend auf den Annahmen der Modernisierungstheorie waren seit Ende der 80ger Jahre nicht mehr vorhanden. Es kam zu einer Trendwende in den Entwicklungstheorien durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren:
-Der Entwicklungsgedanke mit der westlichen Industriegesellschaft als Idealform ist heute vor dem Angesicht der Umweltproblematik nicht mehr haltbar, auch eine Demokratie muss nicht unbedingt mit einem Industrieland verbunden sein. Die Hegemonie der USA, wie sie 1949 von Truman als selbstverständlich angesehen wurde, ist heute mehr als hinterfragbar.
-Mangelnder bis ausbleibender Erfolg der Ergebnisse des Projekts Entwicklung bis dahin: Die Zahl der Armen auf der Welt ist trotz milliardenschwerer Entwicklungshilfe weiter gestiegen.
-Das Ende des kalten Krieges macht Entwicklungshilfe strategisch und politisch unwichtig.
-Die vielfach bestätigte These, dass Entwicklung die kulturelle Vielfalt auf der Erde verschwinden lässt, zugunsten einer homogenen, westlichen Einheitskultur.[23]
Ein Großteil der Schriften des Post-Development sind von den Begriffen Foucaults als Theorie und Methode inspiriert. Einige sehen Entwicklung als Diskurs und stehen damit in der Tradition einer poststrukturalistischen Soziologie. Unter dem Begriff Post-Development werden verschiedene, heterogene Ansätze zusammengefasst, die sich mit einem Begriff „nach Entwicklung“ hervorgerufen durch extreme Kritik an den koventionellen Entwicklungstheorien, befassen. Einige lehnen Entwicklung völlig ab wie Gustavo Esteva, der eine sehr extreme Position vertritt und Entwicklung mit Völkermord, Gulag oder Holocaust vergleicht. Konsens besteht meist darin, dass Entwicklung die Vernichtung vieler Kulturen und psychologisch reicher Lebensformen fördert. Post-Development bildet so einen Makro-Denkansatz der Entwicklungstheorie.
1. Hauptthesen der Post-Development Ansätze
Post-Development leitet eine neue Art des Denkens über Entwicklung ein, das die Konzeption des konventionellen Entwicklungsbegriffs ablehnt und Alternativen zur Idee der Entwicklung propagiert, die zu einem großen Teil aus Anregungen aus lokalen, einheimischen Kulturen besteht. Post-Development bedeutet schlicht „ein Ende von zerstörerischen Entwicklungsmaßnahmen.“[24] Laut Escobar, einem Hauptvertreter des Post-Development, haben Post-Development Ansätze allem folgende Paradigmen gemeinsam:
-ein Interesse nicht an alternativer Entwicklung sondern an Alternativen zur Entwicklung, und damit eine Zurückweisung des Entwicklungsparadigmas.
-Einem Interesse in lokalen Kulturen und Wissen.
-Einem kritischen Standpunkt gegenüber etablierten wissenschaftlichen Diskursen.
-Die Verteidigung und Unterstützung von lokalisierten, pluralistischen Graswurzelbewegungen.[25]
Post-Development ist postmoderne Entwicklungskritik, eine Kritik die Entwicklung als Diskurs beschreibt. Post Development bedeutet auch eine Dekonstruktion des Entwicklungsbegriffs, ein „unmaking of development“[26], zur Erfassung der Zusammenhänge im Hintergrund.
1.1 Ablehnung des konventionellen Entwicklungsparadigmas
Entwicklung wird in Post-Development Ansätzen nicht als Lösung der Probleme von Armut, Unterentwicklung, Hunger, etc gesehen, sondern als Auslöser dieser Probleme.[27]
Laut Post-Development Vertreter Esteva sind Hunger und Unterentwicklung die Folge von Entwicklungsmaßnahmen, die vorgeben, genau diese zu bekämpfen. Post-Development bedeutet Entwicklungskritik, die Ideologie der Entwicklung wird gänzlich abgelehnt. Esteva, einer der Hauptvertreter der Post-Development Ansätze, bezeichnet Entwicklung als „heimtückischen Mythos, (…), dessen Existenz die Mehrheit der Weltbevölkerung bedroht, da er ihre üble Lage in einen chronischen Albtraum verwandeln würde, nämlich in eine entwürdigende Modernisierung der Armut.“[28] Entwicklung basiert auf der Idee des Entwicklungsversprechens, eines Lebens im Wohlstand durch Ökonomisierung, das aber, durch ausbleibenden Erfolg nicht eingehalten werden konnte. Entwicklung wird als Konstrukt des Westens und vor allem der USA gesehen, die darin eigene Interessen verfolgen würde. Die Länder der dritten Welt sollten der US-Wirtschaft als kostengünstige Rohstoffreserven zur Stärkung der Kapazitäten dienen und neue Gebiete für Investitionen erschließen. In Analogie zum Marshall-Plan für Nachkriegsdeutschland sollte die Entwicklungshilfe eine Investition in die (wirtschaftlichen) Interessen der Welt sein. Der Kalte Krieg wird auch als eine Triebkraft für Entwicklungsinterventionen betrachtet, die im Kampf gegen den Kommunismus nützlich waren. Die Entwicklungspolitik hat zwar die Welt verändert, wohl aber nicht auf wünschenswerte Weise: Das Projekt der nachholenden Entwicklung muss als gescheitert betrachtet werden. Die Zahl der Armen auf der Welt wächst weiter an, und die Schere zwischen arm und reich öffnet sich immer weiter. Es leiden immer mehr Menschen Hunger und eine immer größere Anzahl von Menschen lebt in absoluter Armut. Es ist nicht gesagt, dass westliche Entwicklungskonzepte den armen Menschen viel bieten können. „There is no guarantee that our knowledge and skills will be relevant. We must recognize, that it is possible too, that different kinds of knowledge and skills will be required, that the nature of our intellectual activity itself will have to be transformed in order to participate in this way. But the possibilities are to be explored.“[29]
Entwicklung wird von Post-Development Autoren bezeichnet als „Mischung aus Großzügigkeit, Bestechung und Unterdrückung, (…) gegenüber den Ländern des Südens“ .Laut Sachs, hat Entwicklung schon einen großen Teil der kulturellen Vielfalt auf der Erde zerstört. Post-Development bedeutet so einfach, „Schluss zu machen, mit dem sinnlosen Gerede über Entwicklung.“[30] Dafür muss die positive Meinung der meisten Menschen über Entwicklung verändert werden, indem sie über die negativen Auswirkungen der so unschuldig wirkenden Maßnahmen aufgeklärt werden. Dies genau versucht Post-Development, in einem Ansatz, der „Post-Development“, zeitlich und ideologisch nach Entwicklung kommt. In Post-Development Ansätzen soll Entwicklung neu überdacht werden, um die Schwächen des Entwicklungsparadigmas offenzulegen. Entwicklung wird dabei als Diskurs gesehen, der den konventionellen Entwicklungsbegriff Stück für Stück dekonstruiert, um daraus neue Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Post-Development möchte in erster Linie zeigen, warum konventionelle Entwicklungsansätze nicht funktionieren.
Post-Development bedeutet eine Abkehr von Expertenmeinungen zum Thema Entwicklung, denn konventionelle Entwicklungstheorien werden als eurozentrisch betrachtet. Post-Development Ansätze wenden sich dabei vor allem gegen den autoritären und technokratischen Charakter konventioneller Entwicklungsansätze.[31] Da sich Entwicklungshelfer in einer Experten-und Machtposition gegenüber den zu „entwickelnden“ Individuen befinden, entsteht ein starkes Machtgefälle, das starke negative Auswirkungen hat und die Erfolglosigkeit vieler Entwicklungskonzepte im Rahmen von Interventionsprojekten erklären kann. Die „Entmündigung“ der Individuen über ihr eigenes Schicksal richtete großen Schaden an, da sie einen, zumindest inneren Widerstand der Bevölkerung hervorruft.
Bei konventionellen Entwicklungstheorien werden Europa und Nordamerika als Vorbild von Gesellschaft und Staat betrachtet, die es nachzuahmen gilt. Die eigene Gesellschaft wird so im Westen als Ideal und Zielpunkt des Transformationsprozesses suggeriert. Laut Stuart Hall und Edward Said, ist die Herausbildung einer westlichen Identität nur durch eine Abwertung der „anderen“ nicht-westlichen Identität möglich. Said´s Konzept des Orient als Gegenpol zum Westen und Projektion des unbekannten „anderen“, der durch den Westen erst geschaffen wurde, ist ein verwandter Diskurs.In Analogie kann von der Entstehung der dritten Welt durch Zuschreibungen der ersten Welt gesprochen werden.
Die Idee des Post-Development hat die Möglichkeit, Diskursen einen Raum zu geben, die nicht auf konventionelle Entwicklungstheorien zurückgeführt werden können. Ein wichtiges Kriterium ist die Veränderung der Wissensproduktion, und die Einbeziehung der Menschen, die „entwickelt“ werden sollen.
Entwicklung kann nach Rahnema auch als eine Bedrohung der Autonomie der Völker definiert werden. Laut Rahnema ist Entwicklung die falsche Möglichkeit, um die Bedürfnisse und Hoffnungen der Entwicklungsländer zu befriedigen. Weil Entwicklung eine Ideologie des Nordens ist, würde sie nicht auf den Süden passen. Bei dem Konstrukt Entwicklung handelt es sich um ein komplexes System, das im Kontext der westlichen Industrieländer entstanden ist und nun in die Länder der dritten Welt transferiert werden soll. Folgt man der Theorie der endogenen Entwicklung, kann ein Entwicklungskonzept jedoch nicht ohne weiteres auf andere Kontexte übertragen werden. Die regionsspezifischen Besonderheiten müssen überall neu berücksichtigt und ein angepasstes Konzept erstellt werden. Dabei würde es vielleicht von selbst zur Auflösung des Begriffs Entwicklung kommen. Entwicklungsinterventionen wird weiterhin vorgeworfen, sie würden eine Störung der Ruhe und der Kultur der Menschen in den Ländern der dritten Welt provozieren. Durch den Bau großer Entwicklungsprojekte wie Wasserkraftwerke oder Staudämme wurden schon viele Millionen Menschen aus ihrem Kontext gerissen. Entwicklung bedeutet laut Post-Development Vertreter weiterhin, einen Verlust von Würde und Eigeninitiative und vor allem den Verlust ihrer Selbstbestimmung.
1.2 Hilfe als Konstrukt
„Aid that kills“[32] Hilfe kann nicht nur helfen, sondern auch beträchtlichen Schaden anrichten. Post-Development Ansätze wenden sich gegen die Ideologie des Konzepts der „Hilfe“ an sich.Der Begriff Hilfe hat seine positive Konnotation bis heute erhalten, obwohl „Hilfe“ leicht in ein Instrument skrupelloser Machtausübung verwandelt werden kann. Befasst man sich mit Entwicklungshilfeprojekten, wird in manchen fast sogar ein messianisches und quasi-religiöses Gefühl vermittelt, im Sinne einer Errettung der betreffenden Personen.[33] Diese „Errettung“ impliziert, dass es nur einen richtigen Weg gibt, den Weg der westlichen Industrieländer, den es zu beschreiten gilt. Entwicklung erscheint als Licht, dass die Qualitäten oder Ressourcen des Landes wieder in neuem Glanz erstrahlen lässt. Ein zentraler Punkt dabei ist das Machtgefälle, das dem Konzept der „Hilfe“ inne ist, das ein Über-und Unterlegenheitsverhältnis zwischen Geber und Empfänger konstruiert. Entwicklungshilfe impliziert nicht Hilfe aus Not, sondern Hilfe zur Überwindung eines Defizits.
Post-Development Theorien wehren sich dagegen, dass Entwicklungsinterventionen, und Organisationen wohltätige Handlungen für die Armen sind. Entwicklung wird als Form der Kontrolle und Unterdrückung gesehen, die so stark ist, dass viele Menschen in der dritten Welt sich selbst als unterernährt, unterentwickelt, und ungebildet wahrnehmen und so ihre eigenen kulturellen Ursprünge abwerten. Post-Development richtet sich gegen eine voreingenommene, negative Sichtweise der Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern. Zum Beispiel wurde Südamerika von den USA als „child in need of adult guidance“ bezeichnet, was keine keine ungewöhnliche Metapher im Entwicklungsdiskurs darstellt.[34]
1.3 Alternativen zur Entwicklung
Alternativen zur Entwicklung und Umsetzung des Post-Development Gedankens liegen vor allem in der Stärkung der Solidarität in Basisgemeinschaften, der Unterstützung tradtioneller Lebensformen und des informellen Sektors. Auch Bewegungen, die gegen Entwicklung aufbegehren, wie die sogenannten „Graswurzelbewegungen“[35] entstanden in den 80ger Jahren als Gegenbewegung oder Widerstand gegen Entwicklung aus den sogenannten „Basisgemeinschaften“ und fallen in diese Kategorie. Sie gehören zu den neuen Formen kollektiven Handelns und sozialer Mobilisierung der Ansätze alternativer Entwicklung. Für sie ist Entwicklung eine ethnozentrische „top-down“ Strategie, die Menschen als abstrakte Konzepte oder als System technischer Interventionen sieht und dabei zwei Typen von Menschen produziert: die „Armen“ und die „Entwickelten“. Widerstand gegen Entwicklung war eines der Wege, wie Gruppen in der dritten Welt versuchten, neue Identitäten zu konstruieren. Diese Identitätskonstruktionen unterscheiden sich von westlichen Identitäten, entstehen aus den Praktiken des alltäglichen Lebens und sind bescheidener als westliche Identitäten und Inszenierungen.[36] Seit den 80ger Jahren rückte die Rolle der Graswurzelbewegungen und die Stellung von lokalem Wissen und lokaler Macht zur Veränderung des Entwicklungsdiskurses in den Mittelpunkt. Auch im Rahmen von Basisgemeinschaften werden Alternativen zur Entwicklung vorgestellt, bei denen der kapitalistischen Marktwirtschaft keine zentrale Rolle zugewiesen und „Wirtschaft marginalisiert wird.“[37] Dabei liegt die Präferenz der Entwicklung vor allem in sozialen Strukturen und in alternativen Konzepten des Wirtschaftens. Diese basieren auf Solidarität statt Maximen der Wirtschaftlichkeit, direkte Mitbestimmung in der politischen Sphäre und Wiederentdeckung traditionellen Wissens im kulturellen Bereich.
Viele der Post-Development Ansätze stammen aus der Praxis sozialer Bewegungen und lokaler Gemeinschaften in Lateinamerika und Asien.[38] Die daraus entstandenen Ansätze, geprägt durch das Zusammentreffen von Moderne und „Entwicklung“ plädieren für die „Wiederaneignung des lokalen Wissens gegenüber der modernen Wissenschaft, einer Wiederaneignung der Politik gegenüber dem Nationalstaat und einer Wiederaneignung der Ökonomie gegenüber der freien Marktwirtschaft- und generell von der Skepsis gegenüber universell gültigen Gesellschaftsmodellen.[39] Post-Development Vertreter vertreten die These, dass genau in lokalen, sozialen Bewegungen und Widerständen gegen das Mainstream-Entwicklungsparadigma der Ansatz zur Überwindung von Entwicklung zu finden sei.[40] Diese lokalen Gemeinschaften könnten andere Formen von Gesellschaft und Ökonomie leben, ihr lokales Wissen könnte der Autorität des Entwicklungsparadigmas und der kapitalistischen Marktwirtschaft entgegengesetzt werden.
[...]
[1] Galbraith, J.K. In: Escobar, A. 1995 S. 46
[2] Esteva, G. In: Sachs, W. 1993, S. 92
[3] Vgl ECOSOC Economic and Social Council http://www.un.org/en/ecosoc/docs/docs.shtml
[4] Vgl. Escobar, A., 1995, S. 73
[5] Esteva, G. In: Sachs, W., 1993, S. 92
[6] Sbert, J.M. In: Sachs, W., 1993, S. 126
[7] Vgl. Duden, B. In: Sachs, W., 1993, S. 72
[8] Vgl. Kothari, U., Minogue, 2002, S. 7
[9] Vgl. Simon & Narman, In: Kothari, U ; Minogue, M. 2002, S. 8
[10] Vgl. Kothari, U., Minogue, M., 2002, S. 7
[11] Vgl. Escobar, A. 1995 S. 52
[12] Vgl. Kothari, U; Minogue, M., 2002
[13] Rahnema, M. In: Sachs. W. 1993 S. 30
[14] Vgl. Rahnema, M. In: Sachs, W. 1993 S. 33
[15] Marini, Ruy, In: Kolland, F., 2003 S. 66
[16] Vgl. Ziai, A., 2007, Globale Strukturpolitik S. 44 f
[17] Vgl Christopher Kay, 1989: 204ff
[18] Sachs, W. 1993 S. 8
[19] Vgl. Sachs, W. 1993 S. 8
[20] Vgl. Ziai, A., 2007, Zwischen Global-Governance und Post-Development S. 71
[21] vgl. Escobar, A. In: Ziai, A., 2007,Exploring Post-Development S. 18
[22] Vgl. Escobar, A. 1995, S. 215
[23] Vgl. Ziai, A., 2007, Zwischen Global-Governance und Post-Development S. 4
[24] Vgl. Rahnema, M. 1993
[25] Vgl. Escobar, A.,1995, S. 215
[26] Vgl. Escobar, A. 1995
[27] Vgl. Rahnema, 1993, Sachs. 1993, Ziai, 2007, Latouche 2004
[28] Vgl. Esteva, G. 1993
[29] Ferguson, In: Mattews, In: Ziai, A., 1007, Exploring Post-Development S. 136
[30] Sachs, W., 1993, S. 13
[31] Vgl Ziai, A., Exploring Post-Development 2007
[32] Latouche, S., 1993, S. 113
[33] Vgl. Escobar, A, 1995, S. 25 Das Beispiel ist der „World Bank Mission to Colombia, 1949“ entnommen
[34] Vgl. Escobar, A, 1995, S. 30
[35] Deutsch: Basisbewegungen, Widerstandsbewegungen
[36] Vgl. Escobar, A., 1995, S. 216
[37] Vgl. Escobar, A. 1995, S. 216
[38] Vgl. Ziai, A. 2007, Global Governance und Post-Development.
[39] Ziai, A., 2007, Global Governance und Post-Development.
[40] Vgl, Escobar, A. 1995, Esteva, G. 1993