Alexis de Tocqueville - Über die Demokratie in Amerika
Das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit und der moderne Despotismus
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Leben und Werk Tocquevilles
3. Tocquevilles Verständnis der Demokratisierung
4. Die amerikanische Demokratie – Musterstück für Europa?
5. Das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit
6. Der „moderne Despotismus“
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der französische Politologe und Historiker Alexis de Tocqueville verfasste im 19. Jahrhundert als einer der ersten Gelehrten eine umfassende Studie über die Demokratie. Am Beispiel der jungen Vereinigten Staaten von Amerika befasste er sich systematisch mit ihren Chancen, Risiken und möglichen Perspektiven. In diesem Rahmen lieferte Tocqueville eine noch immer als maßgeblich geltende Formulierung des politischen Systems der USA und seine Vergleiche desselben mit den europäischen Systemen waren bahnbrechend für das allgemeine Verständnis der Demokratie als neuartiger Herrschaftsform. Darüber hinaus entwickelte der Franzose eine ganz eigene Analyse der modernen Gesellschaft und der mit ihr einhergehenden neuartigen sozialen Phänomene. Nicht zuletzt deshalb wird er heute zu den „Klassikern“ der Sozialwissenschaft gezählt und gilt als einer der Begründer der vergleichenden Politikwissenschaft und des modernen Liberalismus (vgl. Herb/ Hidalgo 2005: 10).
Zentrales Thema dieser Arbeit ist die zweiteilige Schrift „Über die Demokratie in Amerika“ („De la démocratie en Amérique“), die als Hauptwerk Alexis de Tocquevilles gilt und deren zentrale Inhaltspunkte und Thesen ich erläutern werde, schwerpunktmäßig Tocquevilles Einstellung zur Demokratie an sich, die Dialektik von Freiheit und Gleichheit und die Vision des „modernen Despotismus“. Für das Verständnis des Werkes ist jedoch ein vorheriger Blick auf Tocquevilles Vita und den historischen Entstehungskontext des Werkes unerlässlich.
2. Leben und Werk Tocquevilles
Alexis de Tocqueville erblickte 1805 in dem Pariser Vorort Verneuil-sur-Seine das Licht der Welt. Er ist der dritte Sohn seiner royalistisch eingestellten Eltern und wuchs bis zu seinem 15. Lebensjahr bei der Mutter auf, während sein adliger Vater in verschiedenen Regionen Frankreichs als Verwaltungsbeamter diente. Nachdem er zu seinem Vater nach Metz gezogen war und dort Philosophie und Rhetorik studiert hatte, ging Tocqueville nach Paris, studierte Rechtswissenschaft und arbeitete dort von 1826 an als Richter. Im Jahre 1831 beauftragte ihn die französische Regierung, das juristische System und insbesondere das Gefängniswesen der USA zu studieren. Die in den Vereinigten Staaten gewonnenen Erfahrungen und Eindrücke veranlassten Tocqueville jedoch dazu, sich umfassender mit der jungen Republik auseinanderzusetzen. So erschienen in den Jahren 1835 und 1840 die zwei Bände des Werks „Über die Demokratie in Amerika“. Sehr ausführlich schildert Tocqueville darin die Verfassung und den politischen Apparat der USA einerseits und verschiedenste Aspekte wie Geographie, Geschichte, Kultur und Gesellschaftsordnung andererseits. Er hebt Faktoren hervor, die er als für die Stabilität des Staates und der Demokratie entscheidend ausgemacht haben will und wagt schließlich einen Ausblick in die Zukunft der westlichen Welt unter dem Einfluss der neuen Herrschaftsform.
Ab 1839 begann Tocquevilles aktive politische Karriere, zunächst als oppositioneller Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung. Nach der Februarrevolution von 1848, die im vorübergehenden Ende der Monarchie in Frankreich resultierte, war er als einer der führenden Politiker der Konservativen an der Ausarbeitung der neuen Verfassung beteiligt. In der Folgezeit trat er vehement für eine Dezentralisierung seines Heimatlandes ein. Wie schon in seinem Hauptwerk erkennbar, hielt er nämlich ein föderales System nach dem Vorbild der USA für die beste Grundlage eines stabilen Staates.
Seine Zeit als französischer Außenminister fand 1851 nach zwei Jahren ein abruptes Ende, nachdem sich Napoleon III. an die Macht geputscht hatte und Tocqueville verhaftet worden war. Gleichwohl er auf Geheiß des neuen Staatsoberhaupts umgehend wieder freigelassen wurde markiert der Staatstreich das Ende der politischen Karriere Alexis de Tocquevilles. Enttäuscht über die Rückkehr der Monarchie kehrte er der politischen Bühne den Rücken, schrieb mit „Der alte Staat und die Revolution“ („L'ancien régime et la révolution“) sein letztes bedeutsames Werk und starb schließlich im Jahre 1859 in Cannes.
3. Tocquevilles Verständnis der Demokratisierung
Alexis de Tocquevilles Werk „Über die Demokratie in Amerika“ ist ein beispielhafter Zeuge eines für die damalige Zeit immens fortschrittlichen Demokratieverständnisses. Nicht nur begreift er die Demokratie nämlich als für die moderne Kulturwelt alternativlose Regierungsform, als neuartigen Rahmen eines politischen Systems, sondern auch als allgemeinen Gesellschaftszustand und als das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung, deren Anfänge bis in die Feudalzeit zurückreichen. Tocqueville definiert die Demokratisierung als den unumkehrbaren Prozess der Angleichung der Lebensbedingungen und -standards aller Menschen (vgl. Tocqueville 1835: 5). Eben jene Entwicklung hin zur zunehmenden „Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen“ (Tocqueville 1835: 9) ist für Tocqueville der Wille Gottes[1]. Zur Untermalung dieser Thesen schildert er dem Leser ausführlich, wie nahezu jedes große historische Ereignis und jede gesellschaftliche Umwälzung in der französischen Geschichte der vergangenen 700 Jahre auf die eine oder andere Weise die Angleichung der gesellschaftlichen Bedingungen gefördert habe (vgl. Tocqueville 1835: 9-14).
4. Die amerikanische Demokratie – Musterstück für Europa?
„Eine völlig neue Welt bedarf einer neuen politischen Wissenschaft“ (Tocqueville 1835: 15) stellt Tocqueville in der Einleitung seines Werkes fest. Dabei kann der Leser die „neue Welt“ nicht nur symbolisch, sondern auch als Umschreibung der USA verstehen, denn eben diese bereist der Franzose 1831 im Auftrag seiner Regierung, um das Rechtssystem und die Gefängnisse der Vereinigten Staaten zu studieren. Aus den auf dieser Reise gewonnen Eindrücken heraus entstehen später seine berühmten Werke über die Grundlagen der jungen amerikanischen Demokratie, ihre politischen Institutionen und die bürgerliche Ordnung (vgl. Herb/ Hidalgo 2005: 16). Dies ereignet sich in einer Epoche, in der „alle Nationen Europas von Kriegen verwüstet wurden oder sich in Bürgerzwisten zerrissen“ (Tocqueville 1835: 7), während die Bewohner der „neuen Welt“ in stetem Frieden lebten. In Folge der Proklamation ihrer Unabhängigkeit im Jahre 1776 schufen die Vereinigten Staaten nämlich eine stabile, tragfähige und freie Gesellschaftsordnung, während die beginnende Demokratisierung Europas den Kontinent immer wieder zum Schauplatz innen- und außenpolitischer Konflikte machte, insbesondere nach der Französischen Revolution von 1789, die die monarchischen und aristokratischen Strukturen in ganz Europa ins Wanken brachte.
Dennoch ist es keineswegs Tocquevilles Intention, die Institutionen und Gesetze der Vereinigten Staaten zu imitieren, um dem Demokratisierungsprozess seines Heimatlandes endlich eine solide Basis zu geben. Vielmehr erkennt er im amerikanischen Demokratiemodell gewisse Regeln und Prinzipien, die er für alle Republiken als allgemeingültig erachtet. Hierzu zählt er unter anderem die Mäßigung der Gewalten und die ehrliche Achtung vor Recht und Gesetz (vgl. Tocqueville 1835: 7) Er appelliert an seine Leser:
„Richten wir unseren Blick auf Amerika, […] nicht so sehr um Vorbilder als um Einsichten zu gewinnen und um eher die Grundsätze als die Einzelheiten seiner Gesetze zu übernehmen. Die Gesetze der französischen Republik können und müssen in vielen Fällen andere sein als die der Vereinigten Staaten, aber die Grundsätze, auf denen die amerikanischen Verfassungen fußen […] sind allen Republiken unentbehrlich.“ (Tocqueville 1835: 7)
[...]
[1] Dass die Demokratisierung ein Werk Gottes sei, diese Behauptung des tiefgläubigen Tocquevilles zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk. Die Demokratie anzuzweifeln oder gar zu bekämpfen wäre für Tocqueville demzufolge gleichbedeutend mit Blasphemie.